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  • Bericht
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  • Vanessa Bücker
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  • 04.09.2013

Go East - Zum Studium nach Osteuropa

Es herrscht eine angespannte Stimmung im Foyer des Hotels am Augustinerplatz in Köln. Ein Mädchen entscheidet sich dazu, nicht am Aufnahmetest teilzunehmen. Sie fürchtet Heimweh, will noch nicht aus Deutschland raus. Für einige Andere ist der Test eine der letzten Chancen, ihren Traum wahr werden zu lassen. Der Traum vom Medizinstudium.

Viele Studienbewerber fliehen nach Osteuropa. Wen wundert´s? Der Numerus Clausus für Medizin erklimmt auch dieses Wintersemester wieder unerreichbare Höhen – zumindest für den Großteil der Bewerber. In Deutschland kommen fünf Bewerber auf einen Studienplatz. Ein Schnitt von 1,5 oder schlechter?! Damit lässt sich in der Regel kein Studienplatz in Medizin mehr erlangen. Am Besten hat man einen Schnitt von 1,0. Aber selbst damit könnte es an Unis wie Heidelberg eng werden. Alternativ darf man  6 ½ Jahre warten, doch das tröstet wohl kaum.

Am 14. August wurden wieder tausende Ablehnungsbescheide für die Abiturbesten- und Wartezeitquote verschickt. Am 2. September folgten die Ablehnungsbescheide im Auswahlverfahren der deutschen Hochschulen. Schon bevor die Ablehnungsbescheide in den Briefkasten flattern, haben sich viele Studienbewerber für eine weitere Alternative entschieden: Das Studium im Ausland.

Neue Alternativen am Horizont – nicht nur für Studenten

Seit einiger Zeit nutzen viele Studieninteressierte die Chance und gehen zum Studieren in das nahe Osteuropa. Auf dem Kriegsschauplatz um die Studienplätze wittern auch Jungunternehmer ihre Möglichkeiten. Immer mehr Agenturen locken mit der Vermittlung eines Studienplatzes im Ausland – sei es Ungarn oder Bulgarien, Rumänien oder die Slowakei, Kroatien oder Litauen. Einige bieten sogar Spanien an.

Hendrik Loll, Geschäftsführer von StudiMed, ist einer von ihnen. Mit seinem 2011 gegründeten Unternehmen hilft er Studenten, den Traum vom Studium wahr werden zu lassen. Er wirbt mit dem Slogan: „Wir machen Medizinstudenten“. Dafür nimmt er einen stolzen Preis: Für die Höhe einer Jahres-Studiengebühr vermittelt er die begehrten Studienplätze. Das kann bis zu 10.000€ kosten.  

Abzocke oder geniale Geschäftsidee?

Schon das Studium im Ausland kostet viel Geld, warum auch noch für die Vermittlung bezahlen? „Wir bieten ein „Rundum-Sorglos-Paket an.“, erklärt Herr Loll. „Egal welches Problem im Laufe des Bewerbungsprozesses auftritt, wir haben eine Lösung parat.“

Der Lösungsprozess und Weg zum Studienplatz fängt schon im ersten Gespräch an: Herr Loll oder einer seiner Mitarbeiter erarbeitet das Profil des Interessierten und sucht das passende Studienziel heraus. Gleich fünf verschiedene Universitäten hat StudiMed im Angebot – die wohl beliebtesten Ziele sind zur Zeit Varna (Bulgarien) und Bratislava (Slowakei).

Herr Loll weiß, welcher Kandidat wo die besten Chancen hat: „In Split (Kroatien) kommt zum Beispiel niemand unter 1,9 rein. Das muss man berücksichtigen. Aber auch andere Faktoren spielen mit rein. Es ist immer das Gesamtbild, nach dem ausgewählt wird. Aber natürlich spielen auch individuelle Wünsche eine Rolle.“

Spiel, Satz, Sieg

Nachdem das Ziel ins Auge gefasst wurde, wird der eigentliche Bewerbungsprozess in Angriff genommen. Dabei übersetzt das Unternehmen erforderliche Formulare und klärt bürokratische Probleme.

Nötige Tests können sogar – vom StudiMed-Team organisiert - in Deutschland absolviert werden, während Bewerber ohne Agentur in das jeweilige Land reisen müssen.

Ein Beispiel ist die Aufnahmeprüfung für Bratislava, der ich heute beiwohne. Mittlerweile haben alle Bewerber in dem hergerichteten Hotel-Saal Platz genommen. Der Dekan der Comenius-Universität aus Bratislava, Prof. Dr. P. Labaš, steht vor den 32 Bewerbern und erklärt ihnen in Englisch die Vorzüge des Medizinstudiums an seiner Universität. Er berichtet von Animationspuppen, an denen Punktionen, Intubation und Thoraxdrainagen geübt werden können. Dann bringt er knapp auf den Punkt, warum sich ein Medizinstudium immer lohnt: „Ärzte sind nicht arbeitslos.“

Prof. Labaš ist Chirurg und erklärt alles mit einer für Chirurgen üblichen Autorität. Trocken, knapp. Er wirkt streng. Punkt neun Uhr ist er mit seiner Ansprache fertig, der Test wird ausgeteilt und die Teilnehmer beginnen. Aus einem Test-Booklet mit 1000 Fragen der Chemie und Biologie werden aus beiden Fächern jeweils 100 Fragen entnommen. Es gibt verschiedene Testversionen, sodass jeder Student einen individuell zusammengestellten Fragebogen bekommt. Drei Stunden haben sie Zeit, die Uhr läuft.

Aber nicht nur die Studienbewerber wollen nach Bratislava, auch der Dekan möchte sie dort haben. Zum einen bezahlen ausländische Studierende im Gegensatz zu den Einheimischen Studiengebühren, von denen zum Beispiel medizinische Gerätschaften finanziert werden können. Zum anderen mag der Dekan die Deutschen „weil sie im Vergleich zu anderen Nationen gut Englisch sprechen können und fleißig sind.“

Dementsprechend lockert sich die Stimmung während des Tests schon nach einiger Zeit merklich. Der Dekan verschwindet zwischenzeitlich auf die Toilette, die Bewerber quatschen munter mit ihren Nachbarn. Der Test wird nicht das Problem sein, das wurde den Studenten schon vorher gesagt. Die meisten haben bereits eine einwöchige Vorbereitungswoche mit dem Test-Booklet durch StudiMed hinter sich, eigentlich mussten sie nur auswendig lernen.

Rundum sorglos, rundum sicher

Solche und andere „Vorteile“ im Bewerbungsprozess sind einer der Gründe für einen Vertrag mit der Agentur. Viele haben das es satt, sich ständig zu bewerben. Sie haben es über hochschulstart.de probiert, in Österreich, an Medizinertests teilgenommen. Sie wollen endlich einen Studienplatz. StudiMed kann diesen gegen einen Obulus „garantieren.“ Sie haben in der Regel eine 100%ige Vermittlungsquote.

Dabei hängt vieles von der Kooperation zwischen Unternehmen und Universität ab. In aller Regel kriegt StudiMed Bewerber unabhängig vom NC an der Wunschuni untergebracht.

Allen ist daran gelegen, dass der Bewerber seinen Studienplatz erhält. Auch dem Unternehmen, das erst kassiert, wenn ein Studienplatz sicher ist. „Ob der Student den Platz annimmt oder nicht, ist egal. Der Vertrag gilt klar für die Vermittlung des Platzes. Erhält der Student diesen, muss er die Provision an StudiMed entrichten“, erklärt mir Dr. Birnbaum, einer der beiden Anwälte des Unternehmens.

Doch nicht nur die „Garantie“ für den Studienplatz ist in der Provision enthalten. Auch ein telefonischer 24-Stunden-Service sowie ein Vor-Ort-Service. Das Unternehmen hilft beim Einleben, bei der Wohnungssuche. Es unterstützt, berät, organisiert - nicht nur, wenn es um das beginnende Studium geht, sondern auch in anderen Fällen.

Sogenannte „Transfer-Studenten“, die in Deutschland in einem Fach zu oft durchgefallen sind und nach nicht gelungener Prüfungsanfechtung einen bestimmten Schein im Ausland machen wollen, sowie „Rückkehrer“ nach Deutschland, gehören zum Klientel der Agentur.

 

„Helikopter-Eltern“ gesichtet

Die Prüflinge sind noch nicht lange am Schreiben, da schwirren schon die ersten „Helikopter-Eltern“ vor dem Prüfungssaal umher. Sie sind nicht minder nervös als ihre Kinder. Die Eltern spielen eine entscheidende Rolle in dem Vermittlungs-Geschehen. Ohne sie fließt kein Geld. Kein Geld, kein Studienplatz. Beinahe 100% der Studieninteressierten, die sich bei Herrn Loll melden, sind Ärztekinder. Klischee oder Zufall?!

Ich frage die Eltern, warum sie sich für die Agentur entschieden haben. Ein Vater erzählt mit, er habe sich zusammen mit seiner Tochter über verschiedene Optionen informiert. Das Konzept von Herrn Loll hätte ihm schließlich überzeugt. „Ich will meine Tochter gut aufgehoben wissen.“ Dass der Service der Agentur nach der Studienplatz-Vermittlung nicht aufhört, ist dabei ein wichtiger Faktor.

Zwischendurch wird Herr Loll von einer Mutter wegen einer Wohnungssuche angerufen, geduldig beantwortet er ihre Fragen. Die Studenten und ihre Eltern haben seine Handynummer, für alle Notfälle. Einmal sei er mitten in der Nacht um drei Uhr angerufen worden, weil sich eine Studentin die Nase aufgeschlagen hatte und nicht wusste, in welches Krankenhaus sie soll. Herr Loll wusste Rat.

 

Was ist noch ein gutes Abi?!

Nach eineinhalb Stunden ist der erste Bewerber mit dem Test fertig. Lukas aus München hat es geschafft, durch den Mediziner-Test seinen Schnitt von 2,0 auf 1,5 zu heben – eigentlich ein Traumschnitt. Dennoch hat er keinen Studienplatz bekommen. Jetzt versucht er es über die Agentur. Zwar sind seine Eltern Ärzte, aber richtig Lust auf das Studium und den Beruf hat er im Pflegepraktikum in der Kardiologie bekommen. Jetzt will er endlich loslegen, doch er hat trotz des guten TMS-Ergebnisses keine Chance in Deutschland.

Julia aus Limburg hat letztes Jahr ihr Abi mit 2,2 gemacht. Sie hat verschiedene Praktika absolviert – Krankenpflege, OP, bei dem Vater in der Praxis. Sie ist sich dadurch sicher: „Hier will ich hin. Aber der Bewerbermarkt ist brutal.“ Das Auslandsstudium ist die einzige Chance, die ihr noch bleibt. „Ich will jetzt zum Wintersemester endlich anfangen zu studieren, ich will nicht noch ein Jahr vertrödeln mit der Hoffnung, doch noch hier in Deutschland einen Studienplatz zu bekommen.“ Deswegen versucht sie es jetzt in Bratislava. Später würde sie gerne zum klinischen Abschnitt zurück nach Deutschland kommen.

 

Home sweet home

Viele nutzen das Auslandsstudium als Sprungbrett, um dann zum Beispiel zum klinischen Abschnitt zurück in die Heimat zu kommen. Gar nicht dumm, denn es gibt kein richtiges Physikum außerhalb der deutschen Grenzen. Und dennoch wird den Studenten ein Physikum für Deutschland anerkannt.

Die „Rückkehrer“ haben verschiedene Möglichkeiten: Sie können sich direkt bei den Hochschulen bewerben oder ihren Studienplatz einklagen. Für letzteres ist Dr. Birnbaum Spezialist: „Eine spätere Studienplatzklage ist in der Regel viel einfacher als zum ersten Semester. Denn zu Studienbeginn versuchen Hunderte einen Platz einzuklagen. Zum 3. Semester sind es dann vielleicht noch fünf und in der Regel sind diese Klagen mit Erfolg gekrönt.“ Doch auch die Studienplatzklage hat ihren Preis: 10.000-20.000€.

Wenn es um den Studienplatz des Kindes geht, sind die Eltern scheinbar bereit, tief in die Tasche zu greifen. Es geht um die Zukunft des „Praxis-Nachwuchses“. Aber was macht man, wenn man das Geld nicht hat?

 

Finanzierungsmöglichkeiten für das Auslandsstudium

Das Studium im Ausland ist nicht günstig. Zu der Vermittlung des Studienplatzes kommen die jährlichen Studiengebühren. Doch dafür sind die Lebenshaltungskosten in Osteuropa in der Regel recht niedrig.

Dennoch bleibt das Problem der Studiengebühren. Zum einen kann man versuchen, Auslands-Bafög zu bekommen – dies ist in der Regel etwas höher als Inlands-Bafög. Zum anderen gibt es Stiftungen, die Stipendien vergeben. Gute Finanzierungsmöglichkeiten, mit denen jeder eine Chance auf ein Auslandsstudium hat, gibt es jedoch noch nicht.

 

Studium am Strand

In Zeiten des steigenden Numerus Clausus und doppelter Abitur-Jahrgänge bleibt die „Ost-Flucht“ nicht aus. Wer kein „gutes Abi“ hat, der sucht nach anderen Möglichkeiten. Ein Studium in Osteuropa scheint durchaus eine gute Alternative zu sein. Nicht nur, dass man dort einen Studienplatz unabhängig vom NC bekommt, man sammelt auch unbezahlbare Auslands- und Spracherfahrungen. Und mal ganz ehrlich, wer möchte nicht gern dort studieren, wo andere Urlaub machen?!

Das schwarze Meer - Foto: H. Loll

 So schön kann studieren sein: Am schwarzen Meer in Varna.

StudiMed war auch dieses Jahr wieder erfolgreich: Sie werden knapp 40 Studenten in Bratislava, 100 in Varna und weitere 15 an anderen Universitäten unterbringen. 155 Studenten, die hier in Deutschland wohl keinen Studienplatz bekommen hätten.

Für alle, die sich gerne über das Angebot von StudiMed informieren wollen, hier der Link:

http://www.studimed.de/

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