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  • 28.06.2016

Weiterbildung Orthopädie - Knochenjob mit Feingefühl

Handwerkliche, technisch anspruchsvolle Operationen, eine eigene Praxis mit Zeit für Patientengespräche oder Teamarbeit in der Rehaklinik: Die Orthopädie bietet für jeden etwas. Und die Berufsaussichten für künftige Orthopäden sind besser denn je.

Orthopäde bei der Arbeit mit Hammer und Meisel - Foto: Thieme Verlag

„Als ich das erste Mal mit einem Skalpell in die Haut schneiden durfte, war ich vor Aufregung ganz nass geschwitzt“, erinnert sich Andreas Schmitz an seine ersten Erfahrungen in der Orthopädie. Mittlerweile hat der 28-Jährige Übung bekommen: „Es ist erstaunlich, wie schnell man Routine beim Operieren bekommt, aber eine gewisse Anspannung ist nach wie vor da.“ Andreas Schmitz absolviert zurzeit sein AiP im Sportkrankenhaus Hellersen in Lüdenscheid. Am häufigsten sieht er Patienten mit Verletzungen wie Kreuzbandriss, Achillessehnenruptur oder Patellaluxation sowie mit degenerativen Erkrankungen an Knie, Hüfte oder Schulter.

 

Sportkrankenhaus: ein Paradies für Operateure

Den Jungmediziner fasziniert vor allem die technisch anspruchsvolle Arbeit als Operateur in der Orthopädie. „In einem chirurgischen Fach kann ich viel praktischer tätig sein als in anderen Fächern. Mit den Händen zu arbeiten liegt mir mehr als die theoretische Medizin“, begründet er seine Entscheidung. Im Sportkrankenhaus gefällt ihm, dass er bei vielen Operationen assistieren kann und kleine Eingriffe unter Anleitung selber durchführen darf. Nach gut einem Jahr als AiP kann er schon auf 38 OPs zurückblicken. Am häufigsten führt er Metallentfernungen und Arthroskopien durch. Auch drei Fußoperationen hat er hinter sich – darunter einen Haluxvalgus-Zeh: Bei dieser schmerzhaften Fußdeformität wächst der große Zeh unter seinen Nachbarzeh und der Operateur muss Knochen aufsägen, verschieben und Sehnenansätze korrigieren. „Das gefällt mir bei den orthopädischen Operationen: Die Arbeit ist sehr handwerklich“, erklärt Andreas Schmitz. Einen Nachteil hat die Tätigkeit im Sportkrankenhaus: Sie ist sehr spezialisiert. „Die große Brandbreite fehlt. Wir machen beispielsweise keine Wirbelsäulen- oder Kinderchirurgie“, berichtet der AiPler. Wer die Facharztausbildung zum Orthopäden in der Sportklinik Hellersen machen will, bekommt seinen OP-Katalog schnell voll. Aber für die dafür vorgesehene einjährige Zeit in der Chirurgie muss man in einem anderen Haus hospitieren. Schmitz‘ Arbeitsalltag beinhaltet natürlich mehr als Operationen: Stationsdienst, hausinterne Fort- und Weiterbildungen, Röntgenbesprechungen sowie pathologische Demonstrationen stehen ebenfalls auf der Tagesordnung. Morgens beginnt er um 7.30 Uhr mit der Visite. Täglich wechselt er zusammen mit dem Pflegepersonal die Verbände frisch Operierter und beurteilt die Wundheilung. Ein großer Gelenkerguss nach einer operierten Kreuzbandruptur kann die Genesung behindern, in seltenen Fällen muss dann punktiert werden. Dafür hält der junge Arzt Rücksprache mit seinem Chef- oder Oberarzt. Wenn Andreas Schmitz nicht im OP steht, nimmt er neue Patienten auf, diktiert Entlassungsbriefe und verschlüsselt Diagnosen sowie Behandlungen, denn auch in der Orthopädie kommt man um die ungeliebten Dokumentationen nicht herum. Offiziell ist sein Tag um 15:45 Uhr zu Ende, meistens verlässt er eine Stunde später die Klinik.

 

Facharzt Orthopädie: über 250 Eingriffe

Wer wie Andreas Schmitz Orthopäde werden will, sollte Spaß am Operieren mitbringen. Die Facharztausbildung dauert in der Regel sechs Jahre. Der OP-Plan beinhaltet 250 selbstständig durchgeführte Eingriffe und das Mitwirken an 100 Eingriffen höherer Schwierigkeitsgrade. Darüber hinaus müssen 50 konservative Behandlungen von Frakturen und Luxationen einschließlich Repositionen nachgewiesen werden. In je zwei Jahren können sich fertige Orthopäden zum Rheumatologen oder orthopädischen Chirurgen ausbilden lassen. Daneben gibt es eine Reihe berufsbegleitender Kurse, die für zukünftige Orthopäden interessant sind, beispielsweise in Betriebsmedizin, Naturheilverfahren, Phlebologie, Rehabilitationswesen oder Sportmedizin. Der Fleiß macht sich bezahlt: „Die Berufsaussichten für Orthopäden sind hervorragend“, berichtet Dr. Siegfried Götte, erster Vorsitzender des Berufsverbandes der Orthopäden. „Es wird immer mehr ältere Menschen geben, die beispielsweise an Arthrose oder Wirbelsäulenbeschwerden leiden. Darüber hinaus fallen für geschädigte Haltungs- und Bewegungsorgane jährlich Folgekosten in Höhe von 22 Milliarden Euro an. Hier haben Orthopäden die wichtige Aufgabe, frühzeitig präventiv zu arbeiten, um die Kosten im Gesundheitswesen zu senken“, erklärt Dr. Götte.

 

Uniklinik: zwischen OP und Labor

Dr. Burkhard Lehner absolvierte bereits zwei Facharztausbildungen. Ende letzten Jahres hat er die Prüfungen in Orthopädie abgelegt. Davor hat er sich bereits zum Unfallchirurgen ausbilden lassen. Dieser Doppelweg wird nicht mehr lange möglich sein: Im Mai wird der Deutsche Ärztetag voraussichtlich beschließen, die Facharztausbildungen Orthopädie und Unfallchirurgie zusammenzulegen.

„Der Umfang der neuen Ausbildung wird sich im Wesentlichen an den bisherigen Inhalten orientieren. Der Facharzt wird auch weiterhin in sechs Jahren zu schaffen sein“, betont Dr. Götte. Auch Burkhard Lehners Arbeitstag in der orthopädischen Uniklinik in Heidelberg beginnt früh: Um 7.20 Uhr gibt es eine kurze Besprechung der Fälle, die in der Nacht gekommen sind. Jeden Montag hält danach abwechselnd einer der Assistenten einen Vortrag zur allgemeinen Fortbildung. Nach der Frühbesprechung geht er entweder in den OP oder, wie an zwei Tagen der Woche, in eine der Spezialambulanzen. So gibt es zum Beispiel eine Ambulanz für Schultererkrankungen oder Knochentumoren. Dr. Lehner stellt zusammen mit einem Oberarzt die Diagnose und empfiehlt eine konservative Behandlung oder eine Operation. Am liebsten operiert der angehende Orthopäde Frakturen und Endoprothesen. Auch die Schulterchirurgie macht ihm Spaß. „Die Schulter zu operieren ist sehr motivierend, da sich die Beschwerden der Patienten schnell bessern“, erzählt Dr. Lehner. Meist steht der Arzt bis zum Nachmittag im OP oder untersucht Patienten in der Ambulanz. Doch dann ist der Arbeitstag noch lange nicht zu Ende: Patienten warten auf die Visite und den Verbandswechsel, neue Patienten sollen aufgenommen und über die geplante Operation aufgeklärt werden. Später bespricht Dr. Lehner mit seinen Kollegen das OP-Programm des folgenden Tages, stellt neue Patienten vor und diskutiert Röntgen-Befunde. Nachdem er danach die operierten Patienten auf der Station besucht und Arztbriefe diktiert hat, widmet er sich täglich ein bis zwei Stunden der Forschung. Die Arbeit als Wissenschaftler hat Burkhard Lehner in seiner Zeit als Unfallchirurg an einem städtischen Krankenhaus vermisst. Er ist froh, dass er jetzt Gelegenheit hat, seinen Forscherdrang auszuleben. „An einer großen Klinik gibt es viel mehr Möglichkeiten, wissenschaftlich zu arbeiten. Außerdem ist das Spektrum an Krankheitsbildern größer“, sagt der angehende Orthopäde. Er sieht jedoch auch die Nachteile einer Uniklinik: Die Arbeitszeiten sind nicht geregelt, die Forschung muss neben dem normalen klinischen Alltag geleistet werden und auf den Ärzten lastet ein gewisser Erwartungsdruck, Forschungsergebnisse zu publizieren. Zusätzlich zur normalen Arbeitszeit hat Dr. Lehner drei bis vier Nachtdienste im Monat sowie einen Wochenend- und einen Notarztdienst. In seinen Diensten sieht er Kinder mit Frakturen, ältere Patienten mit Schenkelhalsfrakturen, Sportverletzungen oder Patienten mit Gelenk- oder Rückenschmerzen. Häufig muss er akute Fälle sofort operieren und trägt dabei eine große Verantwortung. So hatte er vor kurzem einen Patienten mit Rückenschmerzen, die zuerst wie akute Ischiasbeschwerden erschienen. Das Ganze entpuppte sich später jedoch als Herzinfarkt. „Zum Glück hatte ich ein EKG angeordnet. Die Schmerzsymptomatik kam mir untypisch vor“, berichtet Dr. Lehner. „Man darf nicht auf eine orthopädische Ursache fixiert sein, nur weil der Patient in einer orthopädischen Klinik ist.“ Die viele Arbeit an der Uniklinik hat einen entscheidenden Vorteil für Assistenzärzte: „Die Facharztausbildung klappt meistens im vorgegebenen Zeitraum. Außerdem sieht man sehr viele unterschiedliche und vor allem innovative Operationstechniken.“

 

Eine eigene Praxis: keine OPs, Zeit für Gespräche

Dr. Susanne Mao wusste bereits nach dem Präpkurs, dass sie chirurgisch tätig werden möchte. Operieren, Gipsen, Tapes anlegen oder Wunden versorgen – solche Tätigkeiten liegen ihr. Nach der Facharztausbildung entschied sie sich für eine eigene Praxis, um den Beruf mit ihrer Familie vereinbaren zu können. Damit schlug sie den gängigsten Weg in der Orthopädie ein: Von 7.300 Orthopäden bundesweit arbeiten 5.300 als Niedergelassene. Wer sich mit Kassenzulassung selbstständig machen will, muss sich bei der für seine Region zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) um eine Zulassung bemühen. Dr. Mao hatte Glück und bekam die Zusage rasch. Vielleicht, vermutet sie, weil sie eine Frau ist. Dass es so wenige Frauen in der Orthopädie gibt, erklärt sich Dr. Mao damit, dass viele Operationen körperlich sehr anstrengend sind. „Aber mit der Zeit lernt man Techniken, die Kraft sparen“, ermutigt sie zukünftige Orthopädinnen. Als Niedergelassene operiert sie jetzt jedoch nicht mehr. Die meisten ihrer Patienten kommen mit Wirbelsäulenbeschwerden, Knie-, Hüft- oder Schulterschmerzen. Manche Patienten überweist sie in die Klinik zur Operation, vielen kann sie mit Chirotherapie, Akupunktur oder traditioneller chinesischer Medizin helfen. „Mittlerweile vermisse ich das Operieren nicht mehr“, sagt sie, „die konservative Orthopädie kann sehr befriedigend sein.“ Dr. Mao ist zwar ihr eigener Herr, muss aber auch immer die Kosten im Auge behalten. Dafür fallen unbezahlte Überstunden und häufige Nachtdienste weg: Nur etwa viermal im Jahr hat sie Dienst im Rahmen des Notfalldienstes der Niedergelassenen in Stuttgart. Darüber ist die junge Mutter sehr froh. Einen Nachteil sieht die Ärztin allerdings im hohen Aufwand für Verwaltung und Organisation: Dr. Mao muss sich um die Buchhaltung kümmern, stellt Rechnungen, beantragt Kuren und diktiert Briefe. „Das nimmt manchmal acht Stunden pro Woche in Anspruch“, schätzt die Orthopädin.Insgesamt beträgt ihr Arbeitspensum etwa 50 Stunden pro Woche, in der Anfangsphase hat sie weit über 70 Stunden pro Woche gearbeitet. Häufig betreut Dr. Mao die gleichen Patienten über Jahre hinweg. Die Ärztin nimmt sich jedes Mal viel Zeit für Gespräche. „Gerade ältere Patienten wollen sich oft nicht mehr operieren lassen, obwohl sie beispielsweise mit einer Prothese viel an Lebensqualität gewinnen würden. Hier ist die Aufklärung über die Operation sehr wichtig, um den Patienten die Angst zu nehmen“, erzählt die Ärztin, „viele willigen dann doch noch ein, sich der Operation zu unterziehen.“

 

Teamarbeit in der Rehabilitationsklinik

Auch im Arbeitsalltag von Dr. Martin Käding spielen ausführliche Gespräche eine große Rolle. Der 62-Jährige ist Chefarzt der orthopädischen Rehabilitationsklinik in Berlin. Er behandelt Patienten, deren organischer Schaden bereits versorgt wurde. Operieren gehört auch bei ihm nicht mehr zum Arbeitsalltag. Die Patienten kommen mit Funktionsstörungen, daraus resultierenden Behinderungen und nicht selten psychosozialen Problemen. So stellen sich beispielsweise Patienten mit chronischen Rückenschmerzen vor, die seit Jahren unter den Beschwerden leiden. Gespräche mit den Patienten drehen sich daher auch um die psychischen Auswirkungen der Krankheit. Dr. Käding nimmt sich in der Regel 45 Minuten Zeit für seine Patienten. Zunächst untersucht er den Kranken ausführlich und überlegt gemeinsam mit ihm, welche Ansprüche dieser an das Alltags- und Berufsleben hat, was er noch leisten will und kann. Danach wird festgelegt, welches Ziel in der Rehabilitationsklinik erreicht werden soll. „Dabei müssen berufliche Belastungen und das soziale Umfeld sowie die Wohnsituation berücksichtigt werden“, erzählt der Chefarzt. „Bei einem Patienten, der im dritten Stock ohne Aufzug lebt, reicht als Therapieziel nicht, ihn mit dem Gehwagen zu mobilisieren.“ Die Arbeit in einer Rehabilitationsklinik ist viel teamorientierter als im Akutkrankenhaus: Einmal pro Woche berät sich der Chefarzt mit allen Therapeuten. In den Teamsitzungen wird der Behandlungsfortschritt besprochen und bei Bedarf das Therapieregime geändert. Im Team arbeiten Physiotherapeuten, medizinische Masseure, Ergotherapeuten, Psychologen und Pflegepersonal zusammen. Häufig erhält er von Therapeuten und Schwestern Hinweise über psychische oder soziale Probleme der Patienten: „Patienten erzählen dem Pflegepersonal und den Therapeuten viel häufiger Persönliches als dem Arzt.“ Viel Zeit nimmt sich der Chefarzt auch für die Abschlussuntersuchung. „Bei Alleinstehenden muss geklärt werden, ob sie sich im Alltag alleine versorgen können. Gegebenenfalls müssen wir Hilfestellungen über den Sozialdienst einleiten.“ Manchen Patienten muss Dr. Käding sogar zu einem Berufswechsel raten. „Solche Gespräche sind zeitaufwändig und erfordern viel Einfühlungsvermögen“, beschreibt der Orthopäde seinen Arbeitsalltag. Fingerspitzengefühl für komplizierte Operationen oder für wichtige Gespräche – die Tätigkeit als Orthopäde ist vielfältig und bei weitem nicht nur pures Handwerk.

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