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  • 07.04.2020

Warum die Physikumsvorbereitung die beste Zeit meiner Vorklinik war

Fürs Physikum müssen Sie das dann aber wirklich genau wissen – ein Satz, der Jeanette kalte Schweißausbrüche bescherte. In der Vorklinik war sie kurz davor, das Medzinstudium abzubrechen. Wie sie es schaffte, wieder den Spaß am Lernen zu finden.

 

 

Im Nachhinein ist mein Studienbeginn viel zu glatt gelaufen.
Mit einem (außer dem Bio-LK) ziemlich naturwissenschaftsfreien Abitur hatte ich ohne großen Aufwand einen 1,0-Schnitt geschafft, und auch den Eignungstest meiner Universität habe ich problemlos bestanden. Es blieb eine Vorfreude auf das Studium, die nur selten durch Nervosität à la „Vielleicht sind diese ganzen Naturwissenschaften doch nicht so einfach“ abgelöst wurde. Viel mehr sah ich mich schon in einem weißen Kittel herumschweben und Menschen helfen, ein Berufswunsch, der sich bei mir seit der 5. Klasse entwickelt hatte.

Und dann kam das 1. Semester. Abgesehen von den typischen Ersti-Problemen, sich plötzlich selbst organisieren zu müssen, selbst einkaufen und waschen zu müssen, hatte ich noch nie in meinem Leben wirklich gelernt – dem Sprachprofil im Abitur sei Dank.
Nun kamen im ersten Semester gleich drei Chemieklausuren (ein Fach, das ich erleichtert nach der 9. Klasse abgewählt hatte), eine in Physik, Biologie, Anatomie und Terminologie auf mich zu und es kam, wie es kommen musste: Ich bestand davon nur ungefähr die Hälfte.
Auch als ich Chemie in den Semesterferien nachschreiben wollte, um im nächsten Semester Biochemie belegen zu können, scheiterte ich. Das lag auch daran, dass ich neben dem Pflegepraktikum kaum Zeit zum Lernen hatte, noch viel mehr aber daran, dass ich immer noch keine Lernstrategie für mich gefunden hatte. So beendete ich mein 1. Semester schon mit der Gewissheit, mein Studium nicht mehr in Regelstudienzeit schaffen zu können.

Im 2. Semester belegte ich dann den Präpkurs. Auch wenn das Arbeiten mit toten Menschen etwas ganz besonderes ist, dessen Faszination sich niemand entziehen kann, konnte ich auch aus diesem Kurs nicht soviel Wissen mitnehmen, wie ich gewollt hätte – zuerst musste ich mich auf die ganzen Klausuren aus dem ersten Semester konzentrieren, die ich noch nachholen musste. Das hat auch soweit funktioniert, nur baute ich dafür in Anatomie so große Lücken auf, dass ich hier die Klausur gar nicht erst besuchte.

Dieses Hinterherhängen ist ein Gefühl, was mich ab da in meinem gesamten Studium begleitet hat: Statt gutes Verständnis in den aktuellen Fächern aufzubauen, habe ich dort immer nur das Nötigste grade so verstanden, weil ich noch irgendetwas nachholen musste. So konnte ich mich nur sehr selten wirklich für mein Studium begeistern, sondern habe es eher als notwendiges Übel gesehen, um irgendwann endlich meinen Traumberuf ausüben zu können. Der Gedanke an einen Studienabbruch kam regelmäßig auf.

Wenn jetzt höhere Semester vom Physikum erzählten, bescherte mir das schlaflose Nächte. Wenn ich bisher nicht mal das Studium auf die Reihe bekommen hatte, wie sollte ich das 1. Staatsexamen dann schaffen? Ich erwischte mich dabei, jede Woche „Physikum Drittversuch“ zu googeln und war überzeugt davon, mindestens einen Zweitversuch zu brauchen.

Deshalb war es fast eine Erleichterung, als mein Lernplan begann und ich endlich etwas tun konnte, anstatt die ganze Zeit darüber nachzudenken. Ich habe mich für Endspurt entschieden und mir ein Lernpaket pro Tag vorgenommen. Am Anfang konnte ich kaum fassen, was ich da alles an einem Tag schaffen sollte, vor allem weil für mich sehr viel Neues dabei war.
Einmal losgelegt fühlte ich mich aber fast wie im Rausch. Ich verstand auf einmal Zusammenhänge und Grundlagen, die Fächer vernetzten sich untereinander und ich konnte Detailfragen beantworten. Das Kreuzen direkt am Tag danach ist vielleicht lerntechnisch nicht so sinnvoll, es hat mich aber unglaublich motiviert, zu sehen, wieviel ich behalten hatte. Selbst alte Hassfächer wie Biochemie und Anatomie ergaben auf einmal Sinn und erschienen nicht mehr wie ein riesiger Endgegner.

Durch den genauen Lernplan konnte ich außerdem, anders als in jeder Klausurenphase, die Zeit am Abend als richtige Freizeit genießen, weil ich mein Pensum geschafft hatte.

Gegen Ende des Plans und nach einigen Generalproben fühlte ich mich relativ sicher zu bestehen und wagte sogar, von einer 3 zu träumen. Eine 3 ist für die meisten bestimmt keine Traumnote – für mich aber, die von Anfang an sicher war, nicht direkt zu bestehen, war es fast eine unglaubliche Vorstellung.

Dann kam der Tag der schriftlichen Prüfung. Ich war extra viel zu früh und hatte mir den Berg meiner Lieblingszusammenfassungen mitgenommen, um sie mir nochmal anzuschauen. Das ist eine Tradition von mir, die ich vor jeder Vorklinikklausur gebraucht hatte, um mich halbwegs sicher zu fühlen.
Doch als ich mir die Kreisläufe und Strukturformeln nochmal ansehen wollte, fiel mir auf, dass ich sie fast alle schon konnte und sogar ihre Zusammenhänge untereinander verstanden hatte. So sicher hatte ich mich vor einer Klausur nie gefühlt und ich legte die Blätter beiseite, um noch fast eine Stunde auf meinem Handy rumzuspielen.
Die vier Stunden des ersten Prüfungstages vergingen wie im Flug, der zweite fühlte sich schon fast wie Routine an, und als ich am Abend des zweiten Tages die Medilearn-Ergebnisse eingab, hatte ich eine gute 3 geschafft.

Im Nachhinein war das Physikum viel unspektakulärer als erwartet und ich hatte mein absolutes Traumziel erreicht. Die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung war, u.a. wegen der Coronakrise, zwar nochmal deutlich nervenaufreibender (hier mein Artikel dazu), aber auch hier habe ich eine 3 bekommen und kann mit einem absolut zufriedenen Gefühl aus meinem Physikum gehen.

Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und freue mich auf die Klinik. Neben mir liegt ein Hautmodell aus Silikon, an dem ich meine ersten Nähversuche wage, um die verlängerte Zeit bis zum nächsten Semester zu überbrücken. Ich sehe mich fast wieder, wie nach meinem Abitur, in einem weißen Kittel herumschweben und Menschen helfen. Mein eigener weißer Kittel, mit meinem Namen und dem Zusatz „Medizinstudentin“, liegt neben mir, und ab nächstem Semester werde ich ihn wahrscheinlich im Kontakt mit echten Patienten tragen dürfen. Und zum ersten Mal fühlt sich das Wort „Medizinstudentin“ absolut richtig an und ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.
 

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