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  • Melanie Poloczek
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  • 01.03.2017

Das erste Semester – ein Rückblick

Gerade noch freut man sich über den Zulassungsbescheid, schon sitzt man auf den harten Stühlen des Hörsaals und hat Panik vor den Prüfungen. Ist das erste Semester wirklich so hart?

 

Einserabitur, Medizinertest, Studierfähigkeitstest der Wunschuni – der Weg war lang, umso größer die Freude, als eines Morgens einer der begehrten Zulassungsbescheide in meinem Briefkasten lag. Medizinstudienplatz. Die größte Hürde ist genommen – denke ich nichtsahnend. Ersti-Woche und Einführungsveranstaltungen sind schnell vergessen, der Ernst beginnt.

„Willkommen im schönsten Studiengang der Welt“, begrüßt uns der Dozent in der ersten Vorlesung. Ich blicke mich um, auf den frühstücksbrettgroßen Tischen sind Kaffeebecher drapiert, teure Laptops, Collegeblöcke, Marker in allen Farben des Regenbogens. Während mein Sitznachbar noch versucht, sein iPad zu bändigen, stellt der Dozent Standardwerke vor, keins davon dünner als 500 Seiten. Jedes Wort wird mitgeschrieben, hektische Notizen, später unleserlich. Einzig der Junge vor mir scheint die Ruhe weg zu haben, auf seinem Tisch nichts als Krümel einer Laugenbrezel, das Knistern seiner Brötchentüte beschert ihm finstere Blicke. Noch ahnt niemand, dass der Hörsaal nie wieder so gefüllt sein würde wie heute.

Auch die „Bib“ ist von uns Erstis zu Beginn gut besucht. Hinter haushohen Bücherstapeln erkenne ich manche Freunde erst beim zweiten Hinsehen – es konnte ja keiner ahnen, dass man all die Bücher – darunter natürlich die vom Professor empfohlenen Standardwerke – höchstens als improvisierten Nachttisch in der neuen Studentenwohnung nutzen würde.

Beim ersten Blick in das Chemieskript hingegen weiten sich meine Augen, als ich auf Begriffe wie „Elektrophile aromatische Substitution“ oder „α-β-ungesättigte Carbonylverbindung“ stoße. Wie ich das auf die Reihe bekommen soll, frage ich mich, während in meinem Kopf wage Erinnerungen an Oxidationszahlen, die Knallgasprobe und das Periodensystem aufkommen.

An gar nichts erinnere ich mich beim Gedanken an den Physikunterricht, und damit bin ich nicht allein. „Irgendwas mit Pfeilen, und Newton, und Glühbirnen“, bringt es eine Kommilitonin auf den Punkt. „Die Pfeile nennt man Vektoren“, bemerkt ein Physikass an. Er wird in den kommenden Wochen versuchen, seiner Semesterkohorte in Gruppenchats und Mittagspausen die Physik schmackhaft zu machen, erfolglos.

Einzig das Fach Anatomie scheint die Begeisterung junger Mediziner aufrecht zu erhalten. Endlich lernen, wie der Körper funktioniert, dafür sind wir schließlich hier! Während bei den einen schon ein Skelett neben dem Schreibtisch steht und Poster über Muskulatur und Bandapparat die Wände zieren, stellen andere überrascht fest, dass sie noch einen Atlas brauchen. Der Blick in den PROMETHEUS ist faszinierend, aber irgendwie auch ernüchternd: So viele Fachtermini, so wenig Zeit.
„Übrigens“, merkt der Bibliothekar am Schalter an, als er den Barcode meines Buches scannt, „von den Atlanten gibt’s drei Bände“.

Dann nimmt alles seinen Lauf. Die Praktika setzen ein. Neben PCR, Gelelektrophorese und Fluoreszenzmikroskopie gibt es auch ein Biologiepraktikum über Mikroorganismen. Während wir MRSA-Verursacher Staphylocuccus aureus unter dem Mikroskop betrachten, werden Petrischalen herumgereicht. „Riechen sie mal an diesen Streptokokken hier“, schwärmt die Biologin, „die duften nach Karamell!“

Ganz anders das Physikpraktikum. Nach bestandenem Antestat ist „Probieren geht über Studieren“ die Devise meiner Versuchspartnerin und mir. Stromkreise schalten, bis endlich die Glühbirne leuchtet, das Oszilloskop einstellen, bis die Messwerte gut aussehen und sich klammheimlich fragen, worin der Zusammenhang zwischen Bremsweg eines LKWs und Humanmedizin besteht.

Zuletzt noch das Chemiepraktikum, immer in der Hoffnung, nicht unwissentlich das Labor in die Luft zu jagen. Zwar verursacht der Geruch der ein oder anderen Chemikalie ganz leicht Kopfschmerzen, dennoch bin ich immer wieder aufs Neue erstaunt, wenn Lösungen knallige Farben annehmen oder sich Kristalle bilden. Als „Strafe“ für einen vergessenen Schlüssel müssen meine Laborpartnerin und ich für unsere Praktikumsgruppe backen.
„Kuchenpause“, ruft unser Tutor am nächsten Versuchstag durchs Labor, neidische Blicke anderer Gruppen auf uns haftend als wir aus dem Raum marschieren.

Und ehe man sich versieht, ist das Semester fast vorüber. Vorlesungen werden beendet, die Bibliothek füllt sich, Klausuren stehen kurz bevor, Aussicht auf Semesterferien. Das Thema Pflegepraktikum kommt auf – ein Aufatmen von denen, die es gleich nach dem Abitur erledigt haben, ein Seufzen von denen, auf die noch volle 90 Tage warten.

Schließlich Tag der Klausuren, die Bestehensgrenze liegt wie immer bei 60%. Niemand muss alles können, die Schulzeiten sind schon lange vorbei. Vorbereitet durch Altklausuren und Kurzlehrbücher – die dicken Standardwerke sind schließlich zum Nachtisch geworden – kreuzt man drauf los, nur in Chemie und Terminologie müssen Antworten noch selbst formuliert werden. Ein paar Stunden, ein paar Fragen – und plötzlich ist alles vorbei. Die meisten bestehen alles im ersten Anlauf und niemand geht ohne einen einzigen Schein nach Hause.

Doch wie viel Zeit bleibt zwischen Anatomie und Biologie, Physik und Chemie, Hörsaal und Labor, Vorlesung und Praktikum, Mensa und WG-Küche, Pflichtveranstaltung und freiwilligem Seminar? Reichlich, wenn man sich nicht von Semester-Panikwellen ergreifen lässt, die Ruhe bewahrt und seine Zeit einigermaßen sinnvoll einteilt. Nebenbei sechs Staffeln einer Serie in fünf Wochen verschlingen, das Wahlfach fürs Physikum belegen, mit Kommilitonen ausgehen, Sport machen, sich einen Minijob suchen – es hat funktioniert.
Die Medizin lebt nicht von Übermenschen, sondern von Menschen, die über Menschen lernen.

Das erste Semester war ereignisreich, lehrreich; Du gewinnst neues Wissen über die Medizin und nicht zuletzt auch über dich selbst. Natürlich gibt es schlechte Tage, aber das, was uns antreibt, ist die Faszination für den Menschen – und die kann uns so schnell keiner nehmen. Allen, denen das erste Semester im Medizinstudium noch bevorsteht, sei auch von mir gesagt: Willkommen im schönsten Studiengang der Welt!

 

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