Zurück zu Mein Weg ins Medizinstudium
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  • Thomas Krimmer
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  • 23.11.2015

Hauptgewinn Medizinstudienplatz

Aus die Maus: Meine Abinote war zwar gut, aber eben nicht gut genug für einen Medizinstudienplatz – dachte ich zumindest und setzte alles auf eine Karte.

 

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Mit dem typischen Geräusch kündigt mein Handy eine neue WhatsApp-Nachricht in der Gruppe „Innsbrucker Ladies“ an. Schnell überfliege ich die wenigen Zeilen, die eine meiner Bekanntschaften des diesjährigen MedAT geschrieben hat: Die Testergebnisse sind veröffentlicht worden! Augenblicklich fängt mein Herz an zu rasen.


In Gedanken male ich mir aus, gleich die lang ersehnte E-Mail mit den Worten „Sehr geehrte Frau Schmidt, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, ...“ zu lesen, um anschließend vor Freude in Tränen auszubrechen. Letzteres tue ich wenige Sekunden später auch – allerdings leider nicht vor Glückseligkeit. Die Nachricht in meinem Posteingang verkündet mir die vorläufige Absage. Obwohl die Realistin in mir bereits damit gerechnet hat, trifft es mich stärker als gedacht.


Erneut scheint der Traum vom Medizinstudium in weite Ferne gerückt und wieder einmal frage ich mich, warum ich mir dieses aussichtslose Prozedere überhaupt antue. Ebenso gut könnte ich einfach etwas anderes studieren, Journalismus zum Beispiel, oder Kunstgeschichte. Dann müsste ich mich auch nicht länger belächeln lassen, weil ich mir mit meiner Abiturnote von 2,1 ernsthaft Chancen auf einem Medizinstudienplatz ausmale. Schließlich bleibt der mitunter selbst Menschen mit einem Einser-Abi verwehrt. Doch Aufgeben ist keine Option.


Der Ablehnungsbescheid aus Innsbruck findet seinen Platz neben dem, der bereits Wochen zuvor von hochschulstart.de in mein Postfach flatterte. Um die Zeit bis zu meinem Pflegepraktikum zu überbrücken, bessere ich mein Konto mit einem Aushilfsjob auf. Währenddessen verschicke ich stapelweise Postkarten mit Bitte um Teilnahme am Losverfahren an alle deutschen medizinischen Fakultäten und google immer häufiger nach Studienmöglichkeiten im Ausland.

Bis zu 10.000€ Studiengebühren für ein Auslandsstudium ist unfassbar viel Geld, aber in Anbetracht meiner aussichtslosen Lage, mehreren demotivierenden Studienberatungen und der Hoffnung, nach Deutschland wechseln zu können, bewerbe ich mich fürs Sommersemester 2016 in Riga.

Kurz bevor ich all meine Bewerbungsunterlagen beisammen habe, geschieht das Unfassbare. Mindestens zwanzig Mal lese ich den fett gedruckten Satz im Dokument, das heute Morgen in meinem Postfach landete:


„Sehr geehrte Frau Schmidt,
wir freuen uns ... Medizin (Staatsexamen), 1. Fachsemester ... Losverfahren ... Wintersemester 2015/16 ...“.


Ein Anruf beim Studienkoordinator der RWTH Aachen bestätigt die unbegreiflichen Neuigkeiten und räumt meine Zweifel aus, es könnte sich bei der Mail entweder um eine Verwechslung oder einen bitterbösen Scherz handeln. Aber nichts dergleichen trifft zu. Nachdem sich diese Tatsache nun allmählich in meinem völlig verwirrten Hirn verankert hat, kann ich noch heute kaum in Worte fassen was ich fühlte, als ich wenige Tage später meine Immatrikulationsbescheinigung in den Händen hielt.


Jahrelang hatte ich es für nahezu unmöglich gehalten aber: Ich studiere jetzt Medizin und zwar im erfolgreichen Aachener Modellstudiengang, zusammen mit 281 Kommilitonen, von denen, neben mir, ganze sechs weitere einen Platz im Losverfahren erhalten haben. Ich selbst wurde als siebte und letzte gezogen, erfahre ich später.


Innerhalb von drei Tagen kündige ich meinen Aushilfsjob, sage die Pflegepraktika und eine unmittelbar anstehende Reise ab und kehre meinem bisherigen Leben erstmal den Rücken. Wo Aachen überhaupt liegt, muss ich erst einmal googeln. Dann verlasse ich meine Baden-Württembergische Heimat am Bodensee mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Meine neue Heimatstadt erreiche ich nach siebenstündiger Autofahrt mit dutzenden Taschen und meinem Papa im Gepäck. Und bin überrascht: Dank meinem naivem Halbwissen hatte ich mir Aachen als typische Ruhrpott-Stadt vorgestellt, aber es ist tatsächlich richtig schön!


Das Glück scheint noch immer auf meiner Seite zu sein: obwohl das Wintersemester bereits begonnen hat, finde ich auf Anhieb ein WG-Zimmer zur Zwischenmiete, kann sofort einziehen und sitze eine Woche später in meiner ersten Vorlesung im Hörsaal des Universitätsklinikums.


Die definitiv heftigste Woche meines bisherigen Daseins hat mein Leben vom einen auf den anderen Tag um 180 Grad gewendet. Noch immer befürchte ich, jeden Moment aufzuwachen und festzustellen, dass das alles nur ein Traum war. Aber tatsächlich sitze ich hier am Schreibtisch in meinem WG-Zimmer unweit der Uniklinik und bin mir mit jeder Faser meines Körper bewusst, dass es ein unglaublich großes Privileg ist, direkt nach dem Abitur einen Medizinstudienplatz zu erhalten, auf den andere mit Voraussetzungen, wie ich sie mitbringe, annähernd ein Jahrzehnt warten müssen.


Plötzlich bin ich diejenige, die ihre Erfahrung teilen darf und dir dort vorm den Computerbildschirm ein bisschen Mut macht, weiter an deinem Traum festzuhalten. Vor noch nicht einmal einem Monat saß ich genau da und habe Erfahrungsberichte verschlungen – nur um hinterher noch deprimierter zu sein als zuvor.


Allzu viel kann ich dir vermutlich nicht mit auf den Weg geben, denn noch immer gibt es keine ultimative Lösung für all diejenigen, die ein Abitur jenseits des Eins-Komma-Bereichs gemacht haben. Was ich dir aber nun versichern kann ist: das Losverfahren an deutschen Universitäten existiert wirklich (wenn auch, nach meinem Wissensstand, zu diesem Wintersemester lediglich in Aachen). Und: auch wenn das Losverfahren nur eine verschwindend geringe Chance auf einen Medizinstudienplatz ist: Nutze sie! Denn: Es trifft mehr als man denkt ;).

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