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  • Bericht
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  • Henning Kling
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  • 23.04.2009

Volontariat in Kathmandu und Westnepal

Am Ende meiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger, stellte sich die Frage, wie ich die dank ZVS verbleibende Zeit bis zum Medizinstudium möglichst sinnvoll ausfüllen könnte. Das Vorhaben, noch etwas Geld fürs Studium in der Pflege zu verdienen, unterlag schließlich dem Gedanken, für etwas weniger, genauer gesagt umsonst, dafür aber mit größerer Möglichkeit zur Horizonterweiterung ein fremdes Land zu erkunden.

Vorbereitung/Planung

Ich hatte im Vorfeld meiner Reise viele Bücher zum Thema Entwicklungszusammenarbeit (u.a. von Jean Ziegler) gelesen. Die Wahl des Landes fiel aus großer Liebe zu den Bergen schließlich auf Nepal, dem drittärmsten Land der Welt, wo ein enormer Bedarf an sinnvoller Entwicklungszusammenarbeit besteht. Hier wie anderswo wird viel Potential durch undurchsichtige Tätigkeiten von Organisationen aus aller Welt fehlgeleitet.

Als Gegensatz dazu fand ich via Mausklick den seit 1998 bestehenden Govinda e.V.. Dieser Verein, von vier Krankenpflegern gegründet, errichtete zunächst ein Waisenhaus nahe Kathmandu für fünf Kinder. Heute beherbergt es bis zu 51 Kinder. In diesem Waisenhaus werden die Kinder in einer Schule unterrichtet, was hier keinesfalls selbstverständlich ist. In Nepal gibt es viele Waisen, da eine Frau aus "kulturellen Gründen" ihre Kinder nicht mit in eine neue Ehe nehmen darf, wenn ihr Mann gestorben ist. Es existiert in Nepal kein geregeltes Sozialsystem, sondern allenfalls eine Absicherung innerhalb des Familienclans. Somit ist es ein entscheidendes Merkmal von Nachhaltigkeit, den Waisenkindern eine Schulausbildung und den Übergang in ein selbständiges Berufsleben zu ermöglichen.

 

Sechs Monate im Waisenhaus

Ich entschloss mich - nach erfolgreichem Bewerbungsverfahren und dreitägigem intensiven Vorbereitungsseminar - zu einem sechsmonatigen Aufenthalt im medizinischen Bereich des Waisenhausprojektes. Voraussetzung für eine solche Mitarbeit ist die dreijährige Pflegeausbildung oder ein Medizinstudium im mindestens sechsten Semester.

Die Aufgaben eines "Medical Volunteers" im Waisenhaus, wo ich übrigens freie Kost und Logie genoss, belaufen sich auf die weitestmögliche Grundversorgung der Kinder bei akuten Beschwerden, sowie auf die Betreuung einiger chronisch kranker Kinder. Besonders verbreitet sind Postpoliosyndrom, Epilepsie und fehlende Gliedmaßen mit Prothesenversorgung.

Die betroffenen Kinder werden regelmäßig einem Spezialisten vorgestellt, sowie in Reha-Gruppen zur besseren Alltags- und späteren Berufsfähigkeit begleitet. Bei den Arztbesuchen geht es primär darum, auf ein rationales Verschreibungsverhalten zu achten, insbesondere wenn es um Antibiotika geht. Hier möchte ich daran erinnern, dass 2007 bereits Fälle von MRSA in Kathmandu aufgetreten sind.

Für mich waren die besonders zu Beginn häufigen außendienstlichen Tätigkeiten eine Gelegenheit, Kathmandu kennenzulernen. Die Hauptstadt scheint, wie viele südostasiatische Metropolen, im Verkehrschaos zu ersticken. Doch trotz des Smogs gab es sehr viel zu entdecken. Unter der Bevölkerung besteht eine große Unzufriedenheit wegen zahlreicher allgegenwärtiger Probleme wie der mangelhaften Stromversorgung. Die 16 bis 18 Stunden ohne Strom pro Tag forderten von mir für meine Arbeit ein gutes Maß an Improvisationstalent.

 

Alle Fotos von Henning Kling

 

Insgesamt sollten sich Interessenten der einfachen Lebensweise im Vorhinein klar sein. Jedoch besteht die Möglichkeit, an seinen freien Tagen den gewohnten Luxus im Touristenviertel Thamel aufzusuchen. Doch von diesen Ausflügen abgesehen, fühlt man sich nicht nur aufgrund des nepalesischen Kalenders oft in eine andere Zeit versetzt.

 

Engagement im Health-Training

Hinsichtlich der Nachhaltigkeit meiner Arbeit war insbesondere das Health Trainings für die Umgebungsbevölkerung wichtig. Diese Trainings habe ich vorbereitet und auch abgehalten. Das Schlagwort "präventive Gesundheitsförderung" aus meiner Ausbildung nahm dabei ungeahnt klare Konturen an.

Es sei hier auf die enorme Analphabetenrate unserer Zielgruppe hingewiesen, weshalb ich viel anhand von Bildern vom Dolmetscher erklären lassen musste. Ich erläuterte zum Beispiel die die häufigste Todesursache Nepals im Kindesalter, die Diarrhöe. Bereits diese Aufklärung kann enorm helfen. Weiterhin standen aber auch administrative Aufgaben im Sinne von Apothekenwesen an.

 

Projekte in Westnepal

Govinda e.V. betreibt auch Projekte in Westnepal, eine der ärmsten Regionen der Welt und die einzige, in der Frauen im Durchschnitt früher sterben als Männer. Die durchschnittliche Lebenserwartung dort beträgt knapp über 40 Jahre.

Die niedrige Lebenserwartung ist primär durch Armut bedingt, aber auch soziokulturelle Faktoren spielen eine Rolle. Frauen müssen zum Beispiel während ihrer Menstruation im Stall schlafen, obwohl stets ein raues Klima herrscht.

Die topographische Abgeschiedenheit, sowie das Fehlen einer Lobby für die Armen in Kathmnandu lässt die Region um Jumla bei der ohnehin unzureichenden Bewilligung von Geldern für Gesundheitseinrichtungen durch die Regierung, quasi leer ausgehen.

Govinda organisiert außer dem Waisenhaus sogenannte "Health Camps" in Westnepal. Als ich von diesen Camps hörte, sehnte ich mich danach, eines Tages in einem solchen mitzuarbeiten; wohl auch, da ich an die eindrucksvollen Schilderungen des Chirurgen Jonathan Kaplan in seiner Biographie "Notversorgung. Als Chirurg in den Krisengebieten dieser Welt" denken musste.

Einer spontanen personellen Umstrukturierung verdanke ich die zehntägige Teilnahme am Dental- und Gyn-Camp nahe Jumla in Westnepal im November 2008. Dieses Camp wurde von einem schweizer Zahnarzt zusammen mit Govinda und einigen Ärzten aus Kathmandu organisiert.

Im Vorfeld war ich in die etwas komplizierte Materialbeschaffung eingespannt. Zudem war ich für das Erstellen und Auswerten einer Supervisions-Checkliste verantwortlich, um entstandene Kritikpunkte in kommenden Projekten vermeiden zu können. Die damit verbundenen Einblicke in Public Health durch Literatur und Gespräche mit Mitarbeitern vor Ort waren sehr spannend für mich. Entgegen meinen Vorstellungen verstand ich zunehmend, welche Aspekte hinsichtlich nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit entscheidend sind.

Dass Westnepal eine krasse Steigerung zur Armut des Kathmandutals darstellen würde, war mir im Vorfeld bewusst, nicht nur durch den Film: "Die vergeßenen Kinder Westnepals", den ich zuvor gesehen hatte.

Trotz aller Einstimmung durch nepalesische Mitarbeiter und der durchweg guten Betreung durch Govinda, war ich schon kurz nach meiner Ankunft in Jumla tief erschüttert. Verschmutzte barfüßige Kinder, während ich daneben in meinen Bergstiefeln fror. Anders als hierzulande reagiert die Mehrzahl der Kinder auf die Anästhesiespritze im Mund meist mit nicht mehr als einem Wimpernzucken. Ein Arzt aus Kathmandu sagte im Laufe des Camps einmal: "It seems like they've forgotten what pain is..."

Zum Philosophieren blieb jedoch aufgrund der Behandlung von über 1200 Patienten in zehn Tagen wenig Zeit. Das Ziel des Camps war neben dem Behandeln dentologischer und gynäkologischer Erkrankungen vor allem, ein Bewusstsein für notwendige präventive Maßnahmen zu schaffen, wie beispielsweise Zähneputzen, eventuell auch ohne Zahnbürste mit einem kleinem Holzzweig. Oder im Gyn-Camp das korrekte Verwenden von Pessaren. Das hierfür entwickelte "Awareness-Training", von den nepalesischen Ärzten in Landessprache gehalten, musste von jeder Patientin absolviert werden.

 

Fazit

Schon im heimatlichen Krankenhausbetrieb mochte ich das Motto: "See one - do one - teach one!", das die Selbständigkeit enorm fördert. In meiner Zeit in Westnepal konnte ich dieses Motto voll ausleben. Mein selbständiges Arbeiten im zahnmedizinischen Bereich hätte dabei fast mein Vorhaben Allgemeinchirurg zu werden zugunsten der Zahnmedizin abgelöst.

 

 

Ich konnte in Nepal Krankheiten und deren Stadien beobachten, die in Europa allenfalls noch in Büchern zu finden sind. Eine große Bereicherung stellte das Improvisieren in allen Arbeitsbereichen dar, worin besonders die nepalesischen Ärzte geschickt waren. Abszesse wurden hier mit dem Finger eines Handschuhs drainiert, Weisheitszahnstümpfe ohne vorheriges Röntgen extrahiert. Unsere Instrumente mussten aufgrund von Kerosinengpässen kurzzeitig auf Feuerstellen in lokalen Küchen sterilisiert werden.

Obschon sich die wenigsten solcher Techniken in deutsche Krankenhäuser importieren lassen, werde ich sicher einige fachliche, wie insbesondere auch emotionale Erkenntnisse im Gedächtnis behalten. Inwiefern diese Erkenntnisse mir helfen werden, den europäischen Krankenhausalltag zu meistern, wird sich allerdings erst noch zeigen.

 

Zum Autor des Berichts

Henning Kling:

  • Abitur 04
  • Ausbildung zum Gesundheits-und Krankenpfleger 2005-2008
  • Sechsmonatiges medizinisches Voluntariat im Shangri-La Orphanage Home, Chapagaon,Nepal Sommer 2008 bis Frühjahr 2009
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