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  • Daniela Erhard
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  • 11.04.2017

Behandlungsfehler gemacht? - So gehst du damit um

Falsches Medikament verschrieben, Laborprobe verwechselt oder Erkrankung zu spät erkannt: Fehler passieren – auch Ärzten. So schlimm das Ereignis für die Betroffenen sein mag: Die Frage ist, was man aus Zwischenfällen macht. Ein offener und ehrlicher Umgang mit Fehlern hilft, aus ihnen zu lernen und sie künftig zu vermeiden. Davon profitieren Ärzte und Patienten.

Seit dem Morgen des 13. Mai 2006 ist bei Familie Plietsch (Name geändert) alles anders. Am Nachmittag zuvor war Tochter Lea zur Welt gekommen. Und da Mutter Birgit dabei 2,5 l Blut verloren hatte, blieb sie mit ihrem Kind zunächst im Überwachungsraum des Kreißsaals. 10 h später liegen beide immer noch dort, doch Lea atmet nicht mehr. Zwar gelingt die Reanimation, aber seither ist Lea behindert. Hätte die Hebamme das Neugeborene in ein Kinderbett legen müssen, oder war es knapp dem plötzlichen Kindstod entronnen – und damit Schicksal? Birgit Plietsch wollte Klarheit. Sie beantragte ein Gutachten bei der Schlichtungsstelle der zuständigen Bezirksärztekammer.

Die Gründe dafür, warum sich Patienten an die Schlichtungsstellen wenden, sind vielfältig. Neben dem Wunsch nach Klarheit über die Ursachen für den Gesundheitszustand und der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen treibt sie v. a. eines: unzureichende Kommunikation des Arztes.

 Am häufigsten bemängeln Patienten, dass


Wie der Patient Kommunikationsmängel erlebt

Auch Birgit Plietsch hat diese Probleme deutlich zu spüren bekommen. „Mir ging es ja selbst nicht gut, aber ich wollte natürlich zuerst mal wissen, was mit meinem Kind ist: Wird es überleben, bleiben Behinderungen zurück, wie geht es weiter?“ Doch die Ärzte der Geburtsklinik befragen ihre Patientin nur zum genauen Ablauf des Ereignisses. Statt konkreter Informationen zum Gesundheitszustand ihrer Tochter erhält Plietsch den Hinweis, die psychologischen Beratungsangebote der Kirchen wahrzunehmen. Schief läuft auch das Gespräch mit dem Chefarzt der Neonatologie. „Der hat mir gleich am 2. Tag gesagt, dass das Ganze ein Handlingsfehler war, und jetzt bei mir die Selbstvorwürfe kämen“, berichtet Plietsch. Die solle sie sich jedoch nicht machen. Für die Patientin klingt das wie eine klare Schuldzuweisung an ihre Adresse. Plietsch ist irritiert.

Folgen schlechter Kommunikation

Wer nach einem Zwischenfall nicht oder falsch mit dem Patienten redet, ignoriert zum einen die direkten gesundheitlichen Auswirkungen für den Betroffenen. Darüber hinaus entsteht ein sog. emotionaler Schaden.

  • Die Patienten fühlen sich allein gelassen und
  • das Vertrauen in den Arzt schwindet.
  • Im schlimmsten Fall geht die Arzt-Patienten-Beziehung in die Brüche.
Mangelhafte Kommunikation und das Gefühl, allein gelassen zu werden, führen bei vielen Patienten zu dem Verdacht, dass etwas vertuscht werden soll – auch wenn das gar nicht der Fall ist oder überhaupt kein Behandlungsfehler vorliegt.


Gute Gespräche, weniger Klagen

Wer dagegen die Regeln der Kommunikation beherrscht, ermöglicht dem Patienten, die Gründe für das Scheitern einer Behandlung nachzuvollziehen und ein faktenbasiertes Urteil zu fällen. So kann er ggf. auch einsehen, dass den Arzt keine Schuld trifft – ein Schritt, der beiden Seiten womöglich ein langwieriges und nervenaufreibendes Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren erspart. Das jedenfalls legen Daten aus den USA nahe: Dort werden Ärzte seltener wegen Kunstfehlern verklagt, wenn sie die Vorfälle offen mit den Betroffenen besprechen, statt sie zu verschweigen.


Juristische Regeln für Fehlergespräche

Informationspflicht hängt vom Schaden ab

Grundsätzlich gilt: Ob der Arzt einen Zwischenfall oder Fehler offenbaren muss, hängt davon ab, wie gravierend er ist.

  • Hat das Ereignis keinen Schaden verursacht und ist keine Folgebehandlung nötig, darf der Arzt den Patienten informieren – er ist aber zur sog. „Selbstanzeige“ nicht verpflichtet.
Aufgrund der geschilderten Konsequenzen für die Arzt-Patienten-Beziehung ist das Gespräch allerdings auch in solchen harmloseren Fällen ratsam.

  • Sobald ein Schaden entstanden ist oder droht und eine Folgebehandlung notwendig wird, besteht Informationspflicht gegenüber dem Betroffenen.
Dann muss der Patient über die Folgebehandlung und deren Grund aufgeklärt werden.

Was darf man sagen?

Viele Ärzte befürchten, durch Mitleidsbekundungen oder eine Entschuldigung ihren Versicherungsschutz zu verlieren. Diese Furcht ist unbegründet. Worte des Bedauerns, Erläuterungen zum medizinischen Sachverhalt oder eine Entschuldigung sind kein Anerkenntnis im rechtlichen Sinne. Der Schutz der Haftpflichtversicherung bleibt bestehen.

Fallstricke

Auch wenn du sicher bist, etwas falsch gemacht zu haben: Spreche keine Anerkenntnis ohne Abstimmung mit deiner Versicherung aus. Vermeide Aussagen wie „Ich erkenne meine Schuld an und komme für den Schaden auf“ oder „Wir zahlen Ihnen eine Entschädigung“.

Liegt nämlich doch kein Haftungsfall vor, weil der Fehler nicht ursächlich für den Schaden war, bleibst du auf den Kosten sitzen – die Versicherung muss dann nicht zahlen.

Korrekt dokumentieren

Zwingend nötig ist dagegen eine ordentliche Dokumentation. Schreibe daher alles auf – und zwar ab dem Moment, in dem der Fehler bemerkt wurde. Dokumentiere ebenfalls die Gespräche mit dem Patienten. Kommt es später zu einer Anhörung, dienen diese Dokumente der Beweisführung.


So kommunizierst du richtig

Der richtige Zeitpunkt
Gespräche nach Zwischenfällen oder bei Fehlervorwürfen sollten so rasch wie möglich geführt werden. Ideal ist ein erster Termin innerhalb von 24 h nach dem Ereignis, selbst wenn die Ursachenforschung dann noch nicht abgeschlossen ist: Die kann ohnehin einige Zeit in Anspruch nehmen.

Vorbereitung

Sofern möglich, plane, strukturiere und übe das Gespräch vorab – am besten im Team. Das schafft auch eine einheitliche Sprachregelung. Wichtig dabei: Ziehe die Schwestern und Pfleger hinzu. Diese haben meist den intensivsten Kontakt zum Patienten und werden daher häufig mit seinen Fragen konfrontiert.

Atmosphäre und Rahmenbedingungen

Generell gelten die Regeln für die normale Arzt-Patienten-Kommunikation. Sei empathisch, gehe auf die Bedürfnisse und die Fragen des Patienten ein. Rede nicht zu schnell und monologisiere nicht.

Manches ist Chefsache

Nicht immer ist es empfehlenswert, wenn der verursachende Arzt auch das Gespräch mit dem Patienten bzw. den Angehörigen führt. Bei gravierenden Schäden sollte dies der Leitende Arzt, z. B. der Klinikdirektor oder Chefarzt, übernehmen.


Der Aufbau des Gesprächs

Patienten informieren

Das Hauptbedürfnis des Patienten ist nicht, einen Schuldigen zu finden. Er will vielmehr wissen, wie der Zwischenfall passieren konnte. Erkläre dem Patienten daher ganz genau, was geschah, wann es passierte und wie. Dazu gehört auch, die Schuld nicht auf einen diffusen Dritten abzuwälzen. Formulierungen wie ,da muss im Labor etwas schief gelaufen sein' lassen den Patienten im Unklaren und verunsichern ihn weiter.

Beschreibe stattdessen, wie es wirklich war, also z. B.: „Ihre Probe wurde vorgestern um 16 Uhr an das Labor geschickt. Es gab aber keine Eingangsbestätigung. Tatsächlich ist sie erst am nächsten Tag dort angekommen.“

Verständnis zeigen

Nachdem du dem Patienten den Ablauf des Geschehens erläutert hast, kannst du dein Bedauern über den Vorfall ausdrücken und dich ggf. entschuldigen. Allerdings: Tu dies nur, wenn du es ernst meinst.

Hilfe anbieten

Besonders wenn ein Zwischenfall ernste Konsequenzen hat, musst du dem Patienten Fürsorge vermitteln und Therapiemöglichkeiten anbieten. Versichere dem Patienten, alles mögliche zu tun, damit z. B. keine weiteren Gesundheitsschäden eintreten. Biete ihm dabei immer an, dass die weitere Behandlung ein anderer Arzt übernimmt. Erstaunlicherweise blieben die Patienten dann sogar eher ihrem Arzt treu.

Lernbereitschaft signalisieren

So unerfreulich das Ereignis für den Patienten auch sein mag – in der Regel ist ihm viel daran gelegen, dass die Klinik bzw. der Arzt aus dem Fehler lernt, damit dieser nicht noch einmal passiert. Sätze wie „Wir werden uns zusammensetzen und daraus lernen, damit das nicht mehr passiert“ können hierbei deinen Willen zur Verbesserung deutlich machen.

Beispielfall lief anders

Birgit Plietsch hatte nicht den Eindruck, als wollten ihre Ärzte den Vorfall wirklich klären. Im Gedächtnis geblieben ist ihr ein Termin 3,5 Monate nach der Geburt: Sie wollen das Geschehen gemeinsam mit den Beteiligten rekonstruieren. Doch schon die Begrüßung verläuft unerwartet. „Sie werden es nie schaffen, uns einen Behandlungsfehler nachzuweisen“, schildert Plietsch die ersten Worte des Kreißsaal-Arztes. Der Satz „Sie haben ein Problem, das Ganze zu verarbeiten“ stärkt das Misstrauen von Birgit Plietsch zusätzlich.

Was genau geschehen ist, ob wirklich ein Behandlungsfehler vorliegt, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Das Gutachten der Schlichtungsstelle bescheinigt einen groben Behandlungsfehler, es kommt zum Prozess. Insgesamt 6 Jahre nach dem Geburtstermin fällt das Urteil: Klage abgewiesen. Doch das Verfahren geht in die nächste Runde. Birgit Plietsch hat Revision beantragt. Selbst wenn ihrer Tochter dann eine Rentenzahlung zugesprochen würde: Einen finanziellen Vorteil brächte das nicht, gibt Plietsch zu. „Aber so geht man mit Patienten einfach nicht um.“

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