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  • Silja Schwenke
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  • 11.12.2014

Tipps zum Umgang mit Prokrastination

Wir Mediziner können sehr kreativ sein, wenn es ­darum geht, uns selbst vom Lernen abzuhalten. Doch wer an pathologischer „Aufschieberitis“ leidet, hat ein echtes Problem und sollte etwas dagegen unternehmen.

 

Jan Mertens (alle Namen geändert) seufzte. Wieder einmal lag eine lange Nacht am Schreibtisch vor ihm. Morgen früh, Montag, 10.00 Uhr, musste er mit seiner Kommilitonin Sophie einen internistischen Patienten plus Krankheitsbild vorstellen, und jetzt, Sonntagabend, kurz nach 22.00 Uhr, fing er endlich an, den Vortrag aufzuschreiben. Früher ging nicht, denn den Tatort hatte er natürlich noch mitnehmen müssen … Sophie war sauer, eigentlich wollte sie ihre Aufzeichnungen schon heute Mittag zusammen mit ihm durchgehen. „Wehe, du lässt mich morgen im Stich!“, hatte sie gesagt. Nein, das konnte er der süßen Sophie nicht antun. Er hatte sich auch fest vorgenommen, pünktlich mit den Aufzeichnungen fertig zu sein. Aber nach dem Fußball am Freitag war er zu müde gewesen, Samstag hatte er das Bad geputzt und sogar gebügelt, und dann war die Party wider Erwarten so lustig geworden, dass er erst im Morgengrauen ins Bett kam. Aber jetzt! Nur noch einen leckeren schwarzen Tee kochen, dann würde es losgehen. Bestimmt ...

 

Verbreitetes Problem

Unangenehme Tätigkeiten aufschieben – viele Menschen kennen dieses Verhalten von sich selbst, nicht nur beim Lernen oder der Dissertation: Die Bücherrechnung liegt bis zur zweiten Mahnung herum. Und eigentlich braucht es nur drei Minuten, um den Koffer in den Keller zu tragen – doch bis er unten ist, vergehen drei Wochen. „Pathologisches Aufschiebeverhalten“ kann sogar eine Diagnose sein und hat einen wissenschaftlichen Namen: „Prokrastination“. Darin steckt das lateinische Wort „cras“ für „morgen“. Der Begriff heißt also etwa „für ­morgen“ oder „für morgen lassen“. Ab wann eine Herumtrödelei pathologisch wird, lässt sich schwer festlegen. Aber eines ist klar: Wenn jemand so oft wichtige Sachen vor sich herschiebt, dass er sein Studium nicht schafft, sein Beruf oder die ­Partnerschaft darunter leiden, sollte er sich Hilfe holen. Die Psychiatrie der Uni Münster hat in einer großen Querschnittstudie Studierende zu diesem Thema befragt: Bei sieben Prozent von ihnen ermittelten die Wissenschaftler extrem hohe Prokrastinations-Werte. Diese waren sogar höher als bei den Patienten, die in Münster bereits wegen ihres prokras­tinierenden Verhaltens in Behandlung sind.

 

Ergebnis: Selbstzweifel

Jan schaffte den Vortrag. Er redete sogar ruhiger und klarer als die akribisch vorbereitete Sophie. Sie glänzten zwar nicht, aber dafür, dass er seine Notizen über Nacht aufs Papier „geschleudert“ hatte, fand Jan sich ganz gut und schlief sich den Rest des Tages aus. Doch irgendwie war in diesem Semester der Wurm drin. Jan, der immer so stolz auf seine rasche Auffassungsgabe gewesen war, fiel durch mehrere Prüfungen. „Als ich dann sogar eine Urlaubsreise wegen Nachprüfungen absagen musste, bin ich zur Studienberatung gegangen“, erzählt der heutige Arzt. „Ich war ziemlich am Boden und fragte mich ernsthaft, ob das Medizinstudium möglicherweise doch nicht das Richtige für mich ist.“

 

Mehr Pausen und freie Tage

Um ein Problem zu lösen, beginnt man üblicherweise als Erstes mit den Ursachen. Doch das ist so eine Sache bei der Prokrastination. Zwar hat das Aufschieben bei den Betroffenen ähnliche Folgen, die Ursachen sind aber vielfältig. Den typischen „Prokrastinierer“ gibt es nicht. Das falsche Studienfach kann hinter einem solchen Verhalten genauso stecken wie Angst vor dem Versagen, mangelnde Konzentration oder
ein unrealistisches Einschätzen der eigenen ­Leistungsfähigkeit. Auch psychische Störungen können sich dahinter verbergen, wie ADHS, Angststörungen oder Depressionen. Jan, der im Nachhinein eher als milder Prokrastinationsfall gelten kann, fand kein „Hauptmotiv“ für sein Aufschieben. „Ich hatte kein Aha-Erlebnis oder den Montagmorgen, mit dem alles anders wurde“, erinnert er sich. Seine Rettung war, dass er sein Problem als solches erkannte – und eine Beratungsstelle aufsuchte. „Dort bekam ich Tipps, wie ich mein Arbeitsverhalten allmählich verändern konnte.“

Früher hatte der Medizinstudent an vielen Tagen anspruchsvolle To-do-Listen geschrieben, die er unbedingt erfüllen wollte – und die er nie schaffte. Fast jeden Tag hatte er deshalb das Gefühl, versagt zu haben. Jetzt wurden seine To-do-Listen kürzer, und er sah sie mehr als Orientierungshilfe denn als Zwang. Er zerlegte Aufgaben in viele kleine Häppchen und freute sich über jeden Haken, den er machen konnte. In seinen Lernplänen standen mehr Pausen und freie Tage. Das Lernpensum teilte er stärker in Teilschritte ein und traf sich zum Üben mit Freunden. Um sich besser konzentrieren zu können, übte er Entspannungstechniken. Am meisten half ihm aber, dass er netter zu sich selbst wurde. „Ich lernte, dass ich Grenzen hatte, und ich versuchte nicht mehr, Topsportler, Partylöwe und Musterstudent zugleich zu sein.“

 

Ideal: Persönliche Coaches

Eine komplette „Heilung“ erreichte er damit nicht. Und ebenso wenig hörte der Stress urplötzlich auf. Immer noch schien es Jan oft viel zu viel Prüfungsstoff für viel zu wenig Zeit zu sein. Aber er fühlte sich besser und bestand meistens. Als das Hammerexamen nahte, ­waren es vor allem zwei Kommilitonen, die ihn anstachelten: einmal die Frühaufsteherin Sophie, in die er sich verliebt hatte. Die hatte die kleine Schwäche ihres Freundes ständig im Blick und bestand darauf, dass beide immer um sieben Uhr aufstanden. Und dann gab es noch Frederick. Ausgerechnet mit diesem schleimigen Oberstreber hatte er mündliche Prüfung. „Auf keinen Fall wollte ich viel schlechter sein als der“, erinnert sich Jan. Und seine Mühe hatte sich gelohnt: Er bestand die mündliche Prüfung mit „sehr gut“.

 

Tipps gegen Prokrastination

Was nicht hilft:
> sich einfach mal „zusammenzureißen“
> die vermeintlich fehlende Zeit vom Schlaf abzuzwacken
> schlaue Ratgeberbücher von ­erfolgreichen Nicht-Prokrastinierern

Was hilft:
> eine Aufgabe in viele kleine Häppchen aufteilen
> irgendetwas finden, was an der Aufgabe Spaß macht, und damit anfangen
> sich viele kleine Deadlines setzen, die durch freundlich gesinnte Menschen kontrolliert werden; ausreichend ­
   Pausen und Ruhetage einlegen

 

 

 

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