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Wie fit bist du im Fach Neurologie? Mit unserem Quiz kannst du dein Wissen testen!
57-jähriger Patient mit Rückenschmerzen und Fußlähmung
Ein 57-Jähriger stellt sich in der Notaufnahme vor wegen heftigen gürtelförmigen Rückenschmerzen seit einigen Tagen. Schmerzmittel, zuletzt Tramal, hätten kaum geholfen. Besonders nachts seien die Schmerzen so heftig, dass er kaum noch schlafen könne. Sie würden zunehmend ins linke Bein ausstrahlen, am Vortag sei an diesem Bein nun auch eine Lähmung aufgetreten. Der Hausarzt habe Blut abgenommen, ein MRT der LWS veranlasst (Abb. 1) und ihn dann in die Klinik verwiesen.
Abb. 1
Vorerkrankungen bestünden nicht. In der klinischen Untersuchung findest du links eine Fußheberparese
und Zehenheberparesen (Kraftgrad 3), ferner sind die Fußeversion und -inversion sowie die Hüftabduktion kraftgemindert (Kraftgrad 4–5). Über dem Fußrücken und am Unterschenkel entlang der Tibiakante ist die Sensibilität eingeschränkt. ASR und PSR sind seitengleich auslösbar, das Lasègue-Zeichen links positiv. Mitgebrachte Laborwerte: Leukozyten 5,2/nl, Hb 14,0 g/dl, HKT 41.2 %, Thrombozyten 232/nl, Glukose 95 mg/dl, Bilirubin ges. 1,4 mg/dl, GOT(AST) 29 U/l, GPT (ALT) 43 U/l, LDH 231 U/l, γGT 34 U/l, CHE 10,0 kU/l, CRP < 0,5 mg/dl
Fragen
1. Fasse den klinischen Befund zu einem Syndrom zusammen und begründe es!
2. Befunde das MRT-Bild und die Laborwerte!
3. Welche Differenzialdiagnosen stellen sich? Für wie wahrscheinlich haltest du diese angesichts
der bisherigen Befunde?
4. Welche Verdachtsdiagnose hast du nun? Welche anamnestische Frage könnte einen
Hinweis geben? Wie sicherst du die Verdachtsdiagnose?
5. Nenne die Stadien und die jeweiligen neurologischen Symptome dein Verdachtsdiagnose!
-
Antwort
1. Fasse den klinischen Befund zu einem Syndrom zusammen und begründe es!
radikuläres Syndrom der Wurzel L 5
Begründung: Alle paretischen Muskeln werden über L 5 versorgt: Fußhebung: M. tibialis anterior, Zehenhebung:
Mm. extensores digitorum, Fußeversion: Mm. peronaei, Fußinversion: M. tibialis posterior, Hüftabduktion: M. gluteus medius
- passend hierzu Sensibilitätsstörung im L 5-Dermatom (Fußrücken, Vorderseite Unterschenkel)
-PSR (L 4) und ASR (S 1) auslösbar. Der Kennreflex L 5 wäre der Tibialis-Posterior-Reflex (TPR), der jedoch diagnostisch unzuverlässig ist, da er auch beim Gesunden oft nicht auslösbar ist (schwacher oder ausgefallener Reflex nur verwertbar, wenn der Reflex auf der Gegenseite gut auslösbar ist)
- Lasègue-Zeichen (Wurzeldehnungszeichen!) links positivDurch einen anderen Läsionsort im Bereich peripherer Nerven oder des ZNS ist ein derartiges Ausfallsmuster
nicht erklärbar.2. Befunde das MRT-Bild und die Laborwerte!
MRT: sagittale Darstellung der LWS im Bereich der Mittellinie, normale Darstellung der knöchernen Strukturen, des Wirbelkanals und des Myelons; kein Hinweis auf eine Raumforderung oder einen Bandscheibenvorfall; minimale degenerative Veränderungen an Bandscheiben und Wirbelkörpern; altersentsprechender Normalbefund
Laborwerte: minimale Erhöhung von GPT und Bilirubin (in diesem Zusammenhang sicher ohne Bedeutung), unauffälliges Blutbild, keine Entzündungszeichen
3. Welche Differenzialdiagnosen stellen sich? Für wie wahrscheinlich haltest du diese angesichts
der bisherigen Befunde?Differenzialdiagnose des L 5-Syndroms:
- Bandscheibenvorfall (häufigste Ursache): hier untypisch: Schmerz in Ruhe (nachts!), nicht unter Belastung, unauffällige Bildgebung- knöcherner Prozess, Spinalkanalstenose, Tumor: kein Hinweis im MRT
- akute diabetische Neuropathie oder Neuritis: kein Hinweis aus Anamnese und Labor, radikuläres Verteilungsmuster hierbei weniger häufig als Läsionen einzelner Nerven, kein akuter Beginn
- entzündliche Radikulitis (Herpes Zoster, Borrelien): typisch: nächtlicher Schmerz, unauffälliger Befund in der Bildgebung; Zoster-Neuritis ohne gleichzeitige Hauteffloreszenzen aber unwahrscheinlich4. Welche Verdachtsdiagnose hast du nun? Welche anamnestische Frage könnte einen
Hinweis geben? Wie sicherst du die Verdachtsdiagnose?Verdachtsdiagnose: Borreliose
- Frage nach einem Zeckenstich mit Erythema migrans in den letzten Wochen bis Monaten- cave: Ein Erythema migrans kann gefehlt haben oder vom Patienten nicht bemerkt worden sein!
- Liquorpunktion: Nachweis eines entzündlichen Liquorsyndroms (lymphomonozytäre Pleozytose von 10–1000 Z/ml) und spezifischer Antikörper gegen Borrelien im Liquor5. Nenne die Stadien und die jeweiligen neurologischen Symptome dein Verdachtsdiagnose!
Stadium I: 3 Tage bis 16Wochen nach Infektion (im Mittel 1–2Wochen)
- Erythema migrans: zentrifugal fortschreitendes, zentral abblassendes,schmerzloses Erythem mit betontem Rand
(„Wanderröte“!)
- unspezifische Allgemeinsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, Arthralgien, Myalgien)
- Die Symptome sind Ausdruck der Bakteriämie, Serum- und Liquorbefunde unauffällig.Stadium II: 3–18Wochen nach Infektion (im Mittel 4–6Wochen)
- Bannwarth-Syndrom (v. a. bei Erwachsenen): schmerzhafte Meningopolyradikulitis spinaler Nerven, häufig Fazialisparesen (typisch und wegweisend: beidseitige Fazialisparesen!)
- oder: lymphozytäre Meningitis mit Fieber, Kopfschmerzen, Meningismus (v. a. bei Kindern), evtl. gleichzeitig Fazialisparesen oder Beteiligung anderer Hirnnerven (N.II, III, IV, VI,VIII)- eher selten: Enzephalitis, Myelitis, Myositis
- nicht-neurologische Manifestationen: Arthralgien, Myoperikarditis, Lymphadenopathie, Konjunktivitis, Iridozyklitis, HepatitisStadium III: Monate bis Jahre nach Primärinfektion (chronische Neuroborreliose)
- chronische Enzephalitis oder Enzephalomyelitis
(fokal-neurologische Ausfälle, Psychosyndrom)
- zerebrale Vaskulitis
- Polyneuropathie
- nicht-neurologische Manifestationen: Arthritis, Acrodermatitis atrophicans
Dieser Fall stammt aus dem Fallbuch Neurologie
Gerlach, Fallbuch Neurologie, ISBN 9783131393234, Georg Thieme Verlag KG