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  • Lucia Hagmann
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  • 02.05.2017

Stereotypen im Test

Bauchchirurgen lieben den schnellen Schnitt, Anästhesisten ihren Kaffee, Radiologen die Dunkelheit und Plastische Chirurgen ihr Spiegelbild … Vorurteile über die verschiedenen Fachrichtungen gibt es zuhauf – oft geschürt durch die Ärzte selbst. Ist das nur Neckerei oder steckt mehr dahinter? Wir haben bei Vertretern von sechs beliebten „Zünften“ nachgefragt.

 

Chirurgen

sind die Ärzte fürs Grobe, und ihre einzige Therapieoption besteht darin, im Körper anderer Menschen mit Messern, Haken und Pinzetten zu wühlen. Sie visitieren ihre Patienten in Rekordzeit und zeigen sich ungern empathisch – insbesondere gegenüber ihrem „Erzfeind“, dem Anästhesisten.

Dr. Janina Kosan, Chirurgin aus Hamburg:

„Natürlich ist unser Kerngeschäft das Operieren. Und dadurch bleibt im Vergleich zu anderen Disziplinen tatsächlich häufig weniger Zeit für Visiten oder Gespräche. Das hohe Arbeitsaufkommen tut da oft noch sein Übriges. Ärzte fürs Grobe sind wir aber sicher nicht. Im Gegenteil: Als Chirurg ist man eher Spezialist für die feinen Strukturen und braucht viel Fingerspitzengefühl. Zumindest für meine Klinik kann ich auch sagen, dass wir uns – trotz aller Arbeit – sehr bemühen, jeden Tag Zeit für den einzelnen Patienten zu finden. Und mit den Kollegen aus der Anästhesie waren wir neulich nach Feierabend sogar ein Bier trinken.“

 

Internisten

sind die Theoretiker unter den Medizinern. Keiner schafft es besser, Patienten mit Fachbegriffen zu verwirren. Sie gucken mehr auf die Labor­parameter als auf den Patienten, haben zwei linke Hände, sortieren akribisch Symptome in die Klassifizierungssysteme von NYHA bis GOLD und sind erst zufrieden, wenn sie für jedes Symptom das passende Medi­kament gefunden haben.

Dr. Burkhard Hagmann, Internist in Brandenburg:

„Viele Ärzte aus der Inneren Medizin sind in der Tat sehr gut darin, Befunde zu interpretieren und Therapieoptionen gegen­einander abzuwägen. Freunde tatkräftiger Entscheidungen sind sie im Allgemeinen nicht. Manche behaupten sogar, wir würden oft nur die Zeit über­brücken, bis die Natur sich selber hilft. Ich bin mir aber sicher, dass wir Internisten auch praktisch ganz viel bewirken können – nicht zuletzt durch die interventionelle Endoskopie und Kardiologie. Zudem sind wir unverzichtbare Ansprechpartner und Vermittler für andere Fachrichtungen. Und einer muss ja schließlich das Denken übernehmen!“

 

Anästhesisten

erkennt man woran? Genau: an den Kaffeeflecken auf ihrem Kittel. Und warum steckt man einem toten Anästhesisten noch rasch die Hände in die Tasche? Richtig: damit man sein Ableben als Arbeitsunfall einstufen kann. Zum Totlachen, oder? „Witze“ wie diese müssen sich die „Schlafmacher“ seit Generationen anhören.

Kira Erber, Anästhesistin, Lübeck:

„Ich mag Kaffee zwar ganz gerne. Aber ich arbeite genauso lang und intensiv wie meine Kollegen aus anderen Fachrichtungen – und das bei einem ganz ehrlich nicht überdurchschnittlichen Koffeinkonsum. Natürlich ist es von Vorteil, dass wir Narkose­ärzte – im Gegensatz zu den Operateuren – während der Überwachung unserer Patienten im OP sitzen dürfen und uns dabei auch schon um die Dokumentation kümmern können. Von gemütlicher Lounge-Atmosphäre jenseits der Sterilzone kann aber keine Rede sein. Egal ob im OP oder auf Intensivstation: Wir müssen immer hundert Prozent konzentriert sein, damit wir im Notfall sofort eingreifen können.“

 

Neurologen

sind die Intellektuellen unter den Ärzten, wobei sie ihre Begabung für logisches Denken durch einen Mangel an Empathie kompensieren. Nennt man ihnen eine Palette diverser sensorischer, motorischer und kognitiver Defizite, leiten sie daraus treffsicher die Diagnose ab. Zudem sind sie ständig in Habachtstellung: Kommt ein Patient mit Schlaganfall, rennt die ganze Abteilung, bis die Lyse appliziert ist.

Anja Drenckhahn, Neurologin, Potsdam:

 

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass der IQ von Neurologen nicht über dem anderer Ärzte liegt – und der Empathie-Pegel auch nicht darunter. Erkrankungen des Gehirns und des Nervensystems sind für viele Disziplinen aber wie eine Blackbox. Da gilt gern mal die Regel: Alles, wo man nicht weiterkommt, ist neuro­logisch! Und wenn dann der Neurologe eine Diagnose präsentiert, wird das natürlich mit Bewunderung bedacht – obgleich das für den Neurologen eigentlich keine große Leistung ist. Auch dass wir ständig auf Notfälle warten, stimmt nicht. Akut-Schlaganfälle sind eher selten. Das Lyse-Zeitfenster* ist oft schon überschritten. Und dann kann (und muss) man die Behandlung ruhig angehen – auch auf der Stroke Unit.“

 

Kinderärzte

haben von „echter“ Medizin wenig Ahnung. Anstatt mit weißem Kittel und Stethoskop arbeiten sie mit lustigem T-Shirt und Kuscheltier. Ernste Erkrankungen sind in diesem Fach äußerst selten. 90% der Patienten haben nur Schnupfen, kommen zum Impfen – oder sind gar nicht krank.

Jana Beyer, Kinderärztin, Wenden:

„Tatsächlich werden wir Pädiater oft gar nicht als Ärzte ernst genommen. Manche sagen, wir würden ja nur Spieluhren aufziehen. Dabei ist es eine enorme Herausforderung, auf die speziellen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Eltern einzugehen. In unserer täglichen Routine müssen wir schon auch mal Tritte bei der Blutentnahme wegstecken oder die völlig übernächtigte Mutter beschwichtigen, die auf der Krankenhausliege nicht schlafen kann. Richtig ist, dass der Spaßfaktor bei uns nicht zu kurz kommt. Ich kriege so oft tolle gebastelte Sachen geschenkt. Und bei der Visite sind nicht nur die Leiden der Kleinen Thema, sondern auch die Neuigkeiten von Cars oder Spiderman.“

 

Ophthalmologen

sind so eine Art Optiker mit Approbation. Jenseits der Orbita endet ihr Wissen – und ihr Interesse. Deswegen kann man das Fach fürs Examen auch problemlos in einem Tag lernen.

Dr. Heinz-Dieter Buchholz, Bremen, Ophthalmologe:

„Viele Kollegen halten die Augenheilkunde für ein sehr begrenztes Fach. Das ist sie aber keineswegs. Augenleiden sind sehr häufig Teil von Allgemein- oder Systemerkrankungen. Daher sind fundierte internistische Kenntnisse unverzichtbar. Nicht selten stellt der Ophthalmologe dabei die Erstdiagnose und muss weitere Diagnostik und Therapien in die Wege leiten. Wer das Fach also aufgrund seiner scheinbaren Überschaubarkeit wählt, sollte dringend seine eigene Sichtweise schärfen!“

 

 

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