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  • Julia Hadala
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  • 02.01.2019

Sorge dich nicht, sondern lebe

Julia möchte aus ihrer Studienzeit eine unvergessliche Zeit machen. Darum hat sie fürs neue Jahr ganz besondere Vorsätze.

Jeder hat sie: die Vorsätze für das neue Jahr. Ein wenig mehr Sport, mehr Zeit für die Familie und mehr Zeit mit Freunden verbringen. Meine Vorsätze lauten etwas anders: Ich möchte mir selbst weniger Stress machen, öfter aufatmen, bestimmten Menschen nicht mehr hinterherlaufen und mich in das Studium so verlieben, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich die Zulassung bekommen habe.
Im neuen Jahr rollt einiges auf mich zu. Neben zig Prüfungen und Klausuren steht auch das Physikum an, sofern ich das 3. und 4.Semester meistere.

Vor einem Jahr war es für mich noch völlig unvorstellbar, wiederholen zu müssen und noch ein Jahr in der Vorklinik zu verbringen. Jetzt ist das Wiederholen eher das naheliegende und anstatt der üblichen Panik und Stressattacken, sage ich mir jetzt: „Dann ist es halt so.“ Das bedeutet natürlich nicht, dass ich kampflos aufgeben werde - denn freiwillig würde ich kaum ein weiteres Jahr in der Vorklinik verbringen. Aber ich habe aufgehört mir einzureden, dass dies etwas wäre, was mich zu einem guten oder schlechten Arzt machen würde.

Leider habe ich das Gefühl, dass viele meiner Kommilitonen dies anders sehen und sehr verbissen an die Prüfungen rangehen. Aber mal ehrlich: Ist man ein besserer Arzt, wenn man die Strukturformel von Cholesterin zeichnen kann?

Ein Bekannter von mir, gerade frisch gewordener Arzt, erzählte mir von seinem Studium und seiner Unizeit. Regelstudienzeit? Fehlanzeige. Relevanz? Keine. Das Leben ist zu kurz, um sich nach einer vermasselten Prüfung schlecht zu fühlen und sich einzureden, dass man vielleicht nicht für den Arztberuf gemacht ist. Denn das ist ja die Aussage, vor der sich jeder fürchtet oder vielleicht die Aussage, die jeder aus dem Stress heraus interpretiert: „Aber später ist es doch ein stressiger Beruf. Bin ich für diesen Stress einfach nicht gemacht?“ Was ich aber erst ein wenig später verstanden habe: Wir machen uns diesen Stress selbst, eben weil wir Angst haben zu versagen oder die kommende Prüfung nicht zu bestehen; nicht etwa, weil wir es nicht können, sondern eben, weil wir alles geben wollen, um die Prüfung zu schaffen.

Vor einer Prüfung sieht meine Woche fast immer gleich aus: am Morgen ein wenig Sport, ab dem frühen Nachmittag in die Bibliothek und spät abends wieder nach Hause - wo dann weiter gelernt und zwischen Silbernagl, Endspurt, Duale Reihe und Köhling hin und her gewechselt wird. So sieht es auch in der Biochemie aus; nur haben wir hier, dank einer unpassenden Organisation, erst Zeit zu lernen, wenn die Panik anklopft und sich zwei Wochen vor der Klausur breit macht.

Zwei Wochen die gesamte Biochemie eines Semesters in sich reinzuwürgen ist eine schwere Aufgabe, aber versuchen kann man es ja. Machen das alle? Die, die Stress haben ja - die, die sich weniger stressen, nein.

Die Vorklinik ist nicht ohne Grund die härteste Zeit des Medizinstudiums.
Damit will ich nicht sagen, dass der restliche Teil des Medizinstudiums ein Kinderspiel ist – ist dieser gewiss nicht und darüber urteilen kann ich ja schließlich auch noch nicht. Aber wenn mir Freunde erzählen, wie sie in der Klinik im Gegensatz zur Vorklinik reichlich Zeit haben zum Entspannen und jeden Abend mit Freunden ausgehen, da sie nur eine Prüfungsphase haben und nicht Klausuren und Prüfungen über das gesamte Semester verteilt schreiben, freue ich mich doch schon ein wenig auf die Klinik.

Ob ich das kommende Jahr die Physiologie und Biochemie bestehe, weiß ich noch nicht. Ob ich demnach im Jahr 2019 das Physikum antreten darf - oder es bestehen werde – steht ebenfalls in den Wolken. Aber das Wort „Repetent“ würde mir keine Sorgen mehr machen - und das sollte es niemandem. Ich habe mehr als eine handvoll Prüfungen wiederholen müssen, die ich bis auf eine, allesamt im Zweitversuch bestanden habe. Ein Professor sagte daraufhin, dass ich wahrscheinlich nur faul wäre. Dass es an Prüfungsangst oder Stress-Stottern liegen könnte, kam für ihn nicht in Betracht - und doch war das der Grund.

Was ist also mein Vorsatz für das neue Jahr 2019? Ich werde mir weniger Stress machen, weniger Angst vor einer Prüfung haben und mich nicht einreden, die Prüfung wäre das Urteil über mein Leben oder mein Studium. Ich werde mir mehr Zeit für Freunde nehmen und das Leben während der Studiumszeit ein wenig mehr genießen, öfter in der Bibliothek einziehen und ein Stückchen weniger prokrastinieren. Mich nach einer nicht bestandenen Prüfung ein wenig weniger und kürzer grauenhaft fühlen und die Welt nicht schwarz-weiß malen. Mich vielleicht ein Stückchen mehr in die Biochemie und Physiologie verlieben und alles dafür geben, 2019 das Physikum zu absolvieren.
Aber vor allem: Mich 2019 ein wenig mehr mir selbst zu widmen, weniger das tun, was andere für richtig oder falsch halten, nicht allen hinterherlaufen, alles geben und Gedanken wie „Du bist nicht gut genug“ einfach mal sein lassen. Kurzum: Aus der Zeit meines Studiums, die mir noch übrigbleibt, eine unvergessliche Zeit gestalten - so wie es sein sollte. 

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