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  • Annika Simon
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  • 12.07.2016

Nikotin schlägt Unterschenkel: Schicksale in der Fußsprechstunde

Jeder vierte Deutsche greift täglich zur Zigarette und schadet damit seiner Gesundheit. So verzögert Nikotin nachweißlich die Knochenheilung und sorgt für teils schwerwiegende Komplikationen nach einer Fraktur oder operativen Korrekturen. Was das für Patienten bedeuten kann, schildert das folgende Fallbeispiel aus einer Fußsprechstunde.

 

 

Der Teufel hat den Schnaps gebraut

Viele Patienten im unfallchirurgischen Klinikalltag haben neben einer Fraktur oder Verletzung vor allem ein Problem: Aufgrund von Nikotin- und Alkoholmissbrauch heilen die Wunden und Knochen nicht. Es kommt zu Komplikationen mit teilweise folgenschweren Revisionseingriffen wie zum Beispiel einer Amputation von Gliedmaßen. Während der morgendlichen Visiten fällt dann häufig ärztlicherseits der Satz: „Sie müssen jetzt mal aufhören mit dem Rauchen und Trinken! Lassen Sie das ab jetzt einfach weg!“. Dabei ist das abrupte Beenden einer langjährigen Sucht natürlich alles andere als trivial und „einfach“. Die Patienten rauchen und trinken trotz des ärztlichen Ratschlags dann mit schlechtem Gewissen weiter und werden dadurch nicht gesund. Sie würden zwar so gerne aufhören, aber sie sind nun mal süchtig und bräuchten neben einer OP vor allem Unterstützung zur Entwöhnung. Da an dieser Stelle Bedarf und Möglichkeiten im Klinikalltag oft auch aus kapazitiven und finanziellen Gründen auseinander driften, entwickelt sich regelmäßig ein Teufelskreis. Der Patient raucht und trinkt weiter und wird kränker. Das macht ihn seelisch fertig. Er trink noch mehr und kann einfach nicht mit dem Rauchen aufhören. Der Teufel hat den Schnaps gebraut!

 

Vom Band in die Arbeitslosigkeit

Herr Reinhard war einst ein attraktiver junger Mann mit handwerklichem Geschick. So machte er vor 30 Jahren eine fundierte Ausbildung bei Volkswagen und startete eine Karriere als klassischer Bandarbeiter. Nach ein paar Jahren der Routine kann die Langeweile, die er immer öfters abends in Bier und Wein ertränkte. Er kam nicht mehr aus dem Bett, wurde alkoholisiert bei der Arbeit „ertappt“ und schließlich vor die Tür gesetzt. Nachdem sich seine Frau kurze Zeit später von ihm trennte und auch die beiden kleinen Kinder zu sich nahm, rappelte er sich noch einmal auf und machte einen LKW-Führerschein. Dennoch konnte er die Finger von Alkohol nicht lassen und hatte eines Nachts auf der berüchtigten norddeutschen Autobahn A2 einen schweren Verkehrsunfall. Er brach sich beide Füße, verbrachte Wochen im Krankenhaus und rutschte erneut in die Arbeitslosigkeit. Wie konnte es soweit kommen? Fragt man Herrn Reinhard, erntet man bloß leises Kopfschütteln. Denn einen richtigen Grund gab es eigentlich gar nicht. Der Job war halt auf Dauer zu eintönig. Auf die erste eigene „Kohle“ folgten Langeweile und Unterforderung. Der Alkohol verschaffte Linderung und wurde schnell zur Gewohnheit.

 

Nach dem Unfall kam der Absturz

Nach einem gescheiterten Wiedereingliederungsversuch war er am Ende. Herr Reinhard hatte allen Lebensmut verloren und verbrachte seinen Tag hauptsächlich mit Rauchen und Trinken. Dieser Lebensstil war natürlich Gift für den Genesungsprozess, sodass seine Wunden einfach nicht heilten. Es kam zu Deformitäten beider Füße. Der nun schwer kranke Mann konnte nicht mehr richtig laufen und stellte sich verzweifelt in einer Spezialsprechstunde für Fußchirurgie vor. Dort sah der erfahrene Chirurg sofort, dass bei starkem Nikotinabusus und der offensichtlichen Alkoholsucht eine erneute OP nicht die gewünschten Erfolge bringen würde. Also blieb nur noch die Amputation.

 

Der Fuß zieht den Kürzeren

Der deprimiert wirkende Patient überlegte nicht lange und ließ sich einen baldigen Termin für die stationäre Aufnahme und Unterschenkelamputation geben. Bei den zu erwartenden Wund- und Knochenheilungsstörungen war die Amputation relativ offensichtlich die bessere Alternative. Dabei ist so eine Entscheidung immer schwer und sorgte bei allen Betroffenen natürlich für verhaltene Stimmung. Der Patient hätte natürlich auch „einfach“ aufhören können mit dem Rauchen und Trinken. Aber alleine hat er sich das nicht zugetraut. Und auch wenn es verschiedene Programme zur Entgiftung und Entwöhnung gibt, muss die Initiative vom Patienten ausgehen. Denn ohne intrinsische Motivation können auch Suchttherapeuten nichts bewirken. Also zog der Fuß den Kürzeren. Zwei Wochen später wurde der linke Unterschenkel amputiert. Leider ist der Stumpf bis jetzt noch nicht verheilt: Der Patient lagert nicht hoch und fährt immer im Rollstuhl nach unten zum Rauchen…

 

Weiterführende Links:

Homepage der Gesellschaft für Fußchirurgie

Video über eine chirurgische Unterschenkelamputation oberhalb des Kniegelenkes

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