Zurück zu Hannover
  • Artikel
  • |
  • Annika Simon
  • |
  • 28.01.2014

Über Vorurteile und Rangeleien zwischen den Gesundheitsberufen

Apotheker haben von Medizin keine Ahnung, Chirurgen legen jeden Patienten sofort unters Messer und Psychologen reden immer um den heißen Brei herum. Vorurteile zwischen den Gesundheitsspezialisten gibt es viele. Doch was steckt eigentlich hinter diesen kleinen Sticheleien?

Rangeleien zwischen Gesundheitsberufen – Foto: Thieme / A. Fischer

Kampf um den besten Status

 

Die Statistiken und Listen der Gehaltsrechner im Internet sprechen eine klare Sprache. Die Ärzte, besonders die Anhänger der operativen Fächer, haben einfach den höchsten Status unter allen abgefragten Berufen. Die Apotheker und Zahnärzte folgen weiter unten, Psychologen bleiben im oberen Abschnitt der Listen gänzlich unerwähnt. Beim Gehalt ergibt sich ein ähnliches Bild. Ärzte und Inhaber hoher Posten in der Wirtschaft sind Topverdiener – und lassen Kollegen anderer Gesundheitsberufe weit hinter sich. Es liegt also fast auf der Hand, dass Abiturienten bei der Wahl ihrer Studienfächer auch jene Status- und Gehaltslisten als Entscheidungshilfen heranziehen. Wer hat schon etwas gegen hohes Ansehen und eine dicke Brieftasche? Keiner! Und so entwickelte sich in Abhängigkeit von Status und Vergütung eine neue unsichtbare Tabelle, die vielmehr der ausgekämpften Rangfolge in einem Wolfsrudel gleicht. Nie wirklich benannt oder ausgesprochen, dennoch ständig präsent durch Sprüche, Klischees und Stereotype.

 

Die dunkle Macht der Vorurteile

 

Vorurteile, Witze und Klischees gibt es vermutlich schon so lange, wie es verschiedene Berufe gibt. Sie sind einerseits ein wichtiges Hilfsmittel, um die eigene Bedeutung zu erhöhen und auch den Selbstwert zu steigern. Schließlich fühlt man sich umso größer, je kleiner die Konkurrenten werden. Und so werden Apothekerinnen zu Kräuterhexen, Zahnärzte zu Geldsüchtigen Lackaffen und Chirurgen zu groben Handwerkern. Darüber hinaus halten uns Kollegen anderer Berufs- und Fachrichtungen auch immer wieder vor Augen, was wir selbst nicht können und nicht sind. Und genau das wird uns besonders deutlich, wenn wir mit dem eigenen Job unzufrieden sind. Ein wunderbares Beispiel über die Konkurrenz zwischen Studenten der Human- und der Zahnmedizin beschreibt ein Artikel, der in „Die Zeit“ erschienen ist (siehe Link). Die beiden Studenten leben gemeinsam in einer Wohngemeinschaft und würden zeitweilig am liebsten tauschen. Der Humanmedizinstudent möchte sich eigentlich lieber den Zähnen widmen, sieht sich aber dennoch unter Druck, seinem Vater, einem Humanmediziner, nachzueifern. In einer ganz ähnlichen Situation steckte vor einigen Jahren ein befreundeter Assistenzarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, dessen Vater ein erfolgreicher Chirurg bei der Bundeswehr war. In einer ruhigen Minute verriet er mir während eines Nachtdienstes ehrlich: „Eigentlich wollte ich immer Psychiatrie oder Kinderheilkunde machen. Aber mein Vater war Chirurg, der hielt nicht viel von Psychotherapie.“ Glücklicherweise waren nach zwei harten Jahren in der Chirurgie mit endlosen Nachtdiensten Neid und Sehnsucht größer: Er wechselte nach Freiburg und beendet nun seine Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie.

 

Neid als Form der heimlichen Anerkennung?

 

„Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“ Dieses berühmte Zitat stammt von Wilhelm Busch und bringt einen wichtigen Ursprung von Neidgefühlen auf den Punkt. Denn manchmal sind diese keine reine Bösartigkeit, sondern eben genau das Gegenteil, nämlich heimliche Bewunderung. „Manchmal nerven mich die vielen Arztbriefe und das Zusammenstellen von Medikamenten, beichtete mir ein befreundeter Assistentsarzt der Inneren Medizin. „Wenn ich dann in der Mittagspause mit chirurgischen Kollegen am Tisch sitze, die begeistert von ihren OPs berichten, bin ich schon ein bisschen neidisch. Immerhin werden Chirurgen durch ihre direkten Ergebnisse oft zu Lebensrettern und Helden. Und genau diese Anerkennung ist als Internist, der häufig konservativ behandelt, nur schwer zu erreichen.“ Dieses offene Geständnis beweist einmal mehr, dass der Status und die gesellschaftliche Anerkennung oft auch von den direkten Handlungsergebnissen abhängen. Der Notarzt, der den Patienten wiederbelebt, ist der große Retter, obwohl der engagierte Landarzt in den Monaten nach dem Vorfall durch eine optimierte und individuell angepasste Pharmakotherapie die Erholung des Patienten und eine sekundäre Prävention erst möglich macht. Fragt man aber den Patienten später nach seiner Geschichte, erinnert er sich primär an die heldenhafte Rettung. Die Fachkenntnisse und das Bemühen des Landarztes finden im direkten Vergleich nur wenig Anerkennung und werden kaum im persönlichen Bericht des Patienten erwähnt. Es scheint demnach eine gewisse ergebnisorientierte Rangordnung zugunsten der Chirurgen zu geben, die auch schon während der Ausbildung zu Tage kommt: „Während einer Famulatur in der Herz-Thorax-Chirurgie musste ich immer wieder feststellen, dass einige Operateure ziemlich abgehoben sind“, erinnert sich Claus an seine Studentenzeit. „Ich durfte mir ständig teils üble Witze über die Kollegen anderer Fachrichtung anhören und wenn sie dann wieder ein Herz in den Händen hielten und es erfolgreich in Bewegung versetzen, glaubten sie wahrscheinlich, Gott persönlich zu sein.“ Keine Frage: Blöde Witze zwischen den Fachdisziplinen sind schlichte Realität und können die – noch neutralen – Studenten manchmal zwischen die Stühle dängen (siehe Link). Schließlich sind alle Fachrichtungen um Nachwuchs bemüht und wollen Famulanten mit den vermeintlichen Vorzügen ihres Berufes locken. Klar, dass jedes Fach für sich behauptet, auf der großen Karriereleiter ganz oben zu stehen.

 

Die entscheidende Rolle spielen die kleinen bunten Pillen

 

Dass es eine klare Rangordnung zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen gibt, konnte ich während eines Praktikums in einer psychiatrischen Klinik spüren. Ich studierte zu dieser Zeit Psychologie und absolvierte meine Praxisphase kurz vor den Abschlussprüfungen auf einer geschlossenen Akutstation. Dort gab es komplexe Fälle von Borderline-Symptomatik über psychotisch anmutende Verbindungen mit Jesus, bis hin zu missglückten Suizidversuchen mit dem Samurai-Schwert. Auf der besagten Station arbeiteten Fachpfleger gemeinsam mit einer Psychologin, einer Allgemeinmedizinerin und – wie in meinem Fall – Praktikanten zusammen. Die morgendliche Visite durch die Zimmer wurde zudem von einem Psychiater geleitet, dem zuständigen Oberarzt der Station. Meine Aufgabe während des Rundgangs bestand im blitzartigen Heranholen der jeweiligen Patientenakten – und im gefühlten ewigen Herumstehen in der letzten Reihe. Die wenigen Stühle im Raum waren dem Pflegepersonal und der Allgemeinmedizinerin vorbehalten. Da ich nichts sehen konnte, erinnere ich mich heute nur noch an den Muskelkater vom vielen Stehen. Obgleich ich damals sehr wissbegierig war, blieb mir der Kontakt zu den Ärzten und den tieferen medizinischen Fakten der durchaus spannenden Fallgeschichten vorenthalten. An den ärztlichen Besprechungen durfte ich nicht teilnehmen und wertete stattdessen die ausgefüllten Fragebogen mit Schablonen aus, während die Psychologin, meine Betreuerin, gerne eher Feierabend machte. Nach mehrwöchiger Beobachtung kam ich zu dem Schluss, dass die Stellenwerte der jeweiligen Berufsgruppen einer klaren Ordnung folgten: Ganz oben die Ärzte, dann kam ganz lange Zeit nichts, und schließlich folgten Fachpfleger, Ergotherapeuten und Psychologen. Denn selbst wenn Psychiater und Psychologen ähnliche Aufgaben in einer psychiatrischen Fachklinik übernehmen, liegt das endscheidende Machtmittel auf Seiten der Fachärzte: Die in der Akutpsychiatrie endscheidende Verschreibung der kleinen, bunten Pillen!

 

Mein Lösungsvorschlag: Berufswahl aus Leidenschaft

 

Wie sich jeder denken kann, habe ich während des besagten Psychiatrie-Praktikums an psychologischen und medizinischen Inhalten nur sehr wenig mitnehmen können. Und dennoch waren diese vier harten Wochen eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich im gesamten Psychologiestudium gemacht habe. Denn genau während ich dort stundenlang in der letzten Reihe stand, verfestigte sich mein schon lange heranwachsender Herzenswunsch, Ärztin zu werden. Aus Vernunftgründen hatte ich mich seinerzeit für Psychologie entschieden, doch mein Bauch wollte Humanmedizin! Ich wusste ganz genau: Wenn ich es nicht zumindest versuche, noch Ärztin zu werden, würde ich es mein ganzes Berufsleben lang bereuen. Kein Wunder: Die Psychologen bekleiden die untersten Ränge, müssen ständig Fragebogen auswerten und schauen mit steifem Hals zu den Ärzten empor. Für mich keine Option! Die Konsequenz: Ich ließ die Vernunft beiseite, kämpfte mich zum Studienplatz und studiere jetzt seit einigen Jahren Humanmedizin – vielleicht ziemlich unvernünftig, aber aus Leidenschaft!

 

Weiterführende Links

 

Berufsprestige-Skala vom Institut Allensbach 2013

Bericht über das gegenseitige Berufsbild von Allgemeinmedizinern und Psychologen

Chirurgenwitze auf dem Blog „Assistenzarzt“

Satirischer Blogbeitrag über die Konkurrenz zwischen Internisten und Chirurgen

Filmszene aus der TV-Serie Scrubs über Internisten und Chirurgen

Filmszene aus Scrubs über die Stereotypen von Dermatologen, Internisten und Chirurgen

Statistik auf dem Portal Nettolohn über die verschiedenen Durchschnittsgehälter

Artikel auf der Seite Focus Online über die Konkurrenz zwischen Hebammen und Ärzten

Forumsdiskussion zum Thema Zahnarzt vs. Arzt

Artikel in „Die Zeit“ über einen Zahnmedizin- und einen Humanmedizinstudenten, die gemeinsam in einer WG leben

 

 

Mehr zum Thema

Artikel: Resterampe Innere: Einweisungsdiagnose AZ-Verschlechterung

Artikel: Halloween mit Nebenwirkungen

Artikel: Alarm in der Notaufnahme

Schlagworte