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  • Ludger Wahlers
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  • 02.08.1996

Public Health

Public Health ist zweifellos ein Arbeitsfeld mit Zukunft. Via medici stellt Mediziner vor, die diesen Weg gegangen sind: heraus aus der Medizin und hinein in das arbeitsintensive Aufbaustudium, das ganz neue Perspektiven eröffnet. Wo in Deutschland wird der Aufbaustudiengang angeboten? Wie kannst du schon jetzt deine Zulassungschancen verbessern? Wo kannst du ein entsprechendes Dissertationsthema finden? Via medici gibt Antworten.

 

Für Dr. med. Gregor Burkhart hat sich der Einsatz gelohnt. Nach zweijährigem Public-Health-Studium und ungezählten Wochenendnotdiensten zur Sicherung des Lebensunterhalts liegen dem frisch-gebackenen Magister Sanitatis drei vielversprechende Stellenangebote vor: Ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie möchte sein Know-how nutzen. Bei der Europäischen Union ist er in der engeren Auswahl für einen Posten im neugegründeten Lissabonner Observatorium für Drogen und Drogensucht, und schließlich könnte er in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung auch klinisch weiterarbeiten.

Ist Public Health also das Sesam-öffne-dich zum enger werdenden ärztlichen Stellenmarkt? "Das ist ein gerade bei Medizinern weitverbreitetes Missverständnis", warnt die wissenschaftliche Koordinatorin beim Ergänzungsstudiengang Gesundheitswissenschaft und Sozialmedizin in Düsseldorf, Frau J. Frühbuß.

Schlüsselwort Prävention

Sowohl bei der Zulassung zum Studium als auch hinsichtlich der späteren Arbeitsplatzchancen sind ein paar Jahre Berufspraxis von Vorteil. Eher selten gelingt es, direkt nach dem AiP in einem Postgraduierten-Studiengang unterzukommen. Es sei denn, man kann wie Gregor Burkhart interessante Zusatzqualifikationen nachweisen. Der mittlerweile 33jährige spricht Spanisch, Portugiesisch und Italienisch und hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit kulturanthropologischen Fragestellungen befasst. In Brasilien untersuchte er, wie Patienten und Ärzte sich über Krankheit verständigen. Eines der Ergebnisse: Je besser man als Arzt versteht, wie eine Krankheit vom Patienten tatsächlich erlebt wird, um so angemessener kann man ihn behandeln.

Diese Art von patientenzentrierter Denkweise setzt aber voraus, dass man nicht nur Laborbefunde begutachtet, sondern sich möglichst auch ganz konkret mit den Lebensumständen, den Familienverhältnissen, den Wohn- und Arbeitsbedingungen des Patienten auseinandersetzt. Denn diese Variablen entscheiden letztendlich, ob ein Mensch gesund bleibt oder erkrankt. Einem Patienten, der an seinem Arbeitsplatz ständig toxischen Dämpfen ausgesetzt ist und deshalb über chronische Atembeschwerden klagt, kann man mit pharmakologisch wirksamen Inhalationssprays möglicherweise zwar Erleichterung verschaffen. Wenn es aber nicht gelingt, die Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz zu beseitigen, bleibt die therapeutische Intervention bessere Symptomkuriererei. Die gesundheitsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen ist nur einer der Schwerpunkte von Public-Health-Experten. Allgemein ausgedrückt untersuchen sie, unter welchen Lebensbedingungen die Gesundheit möglichst weitgehend erhalten oder wiederhergestellt werden kann.

Sozialhygiene als früher Vorläufer von Public Health

Dass optimierte Lebensbedingungen den Gesundheitsstatus der Bevölkerung entscheidend verbessern, lässt sich historisch am Beispiel des vielzitierten Sieges der modernen Medizin über die Infektionskrankheiten sehr eindrucksvoll belegen. Dr. phil. Harvey Brenner, Professor an der renommierten School of Public Health der John Hopkins University in Baltimore, dazu: "Man kann nur schwerlich behaupten, dass Antibiotika und Sulfonamide wirklich messbare Effekte auf die Senkung der Sterblichkeitsrate (von Infektionskrankheiten, d. Red.) hatten."

Was zunächst fast ungeheuerlich klingt, ist nicht mehr als eine historische Tatsache: Tuberkulose, Scharlach, Masern, Keuchhusten und die anderen Säuglings- bzw. Kinderkrankheiten sind bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts immer seltener geworden. Antibiotika können zu dieser Entwicklung nichts beigetragen haben, denn sie standen erst gegen Ende des zweiten Weltkriegs zur Verfügung.

Wesentlich verantwortlich für den kontinuierlichen Rückgang der Infektionskrankheiten waren tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Umwälzungen, die sich ab 1850 in Europa und den USA vollzogen. Die Lebensmittelversorgung konnte verbessert werden, weil neue Anbaumethoden und die Mechanisierung der Landwirtschaft die Erträge steigen ließen. In den großen Städten wurde die Abwasserkanalisation ausgebaut, eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg von Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene. Schließlich gelang es im Laufe der folgenden Jahrzehnte auch, Familien größere Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Nicht länger mehr mussten Gesunde und Kranke in einem Raum wohnen, die Ansteckungsgefahr nahm ab.

Heute bereiten in unseren Breitengraden weniger die akuten Erkrankungen Sorgen. Denn weitaus schwieriger zu behandeln sind die chronischen Leiden wie Hypertonie, Arteriosklerose, koronare Herzkrankheit, Bronchitis, Asthma, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, allergische und Krebserkrankungen etc. Es müssen "immer größere Finanzmittel aufgewendet werden, um weitere Verbesserungen der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung oder nur die Erhaltung des Status quo zu erreichen." So beschrieb die von der Bundesregierung mit einer Analyse beauftragte "Projektgruppe Prioritäre Gesundheitsziele" 1990 die Gesundheitslage der Nation.

Allein durch immense Investitionen in den klassisch-medizinischen Versorgungsbereich ist der Gesundheitsstatus der Bevölkerung nicht länger zu verbessern. Maßnahmen anderer Qualität sind offensichtlich erforderlich, um Gesunderhaltung zu fördern und Krankheiten zu vermeiden.

Im Bundesforschungsministerium war diese Einsicht bereits einige Monate zuvor auf fruchtbaren Boden gefallen. Der damalige Minister Heinz Riesenhuber hatte in einem Rundschreiben an alle Kultus- und Wissenschaftsminister der Länder kundgetan, dass er die Initiative von Universitäten zur Etablierung der Gesundheitswissenschaften durch Förderung entsprechender Forschungsvorhaben zu unterstützen gedenke.

Mit der Umsetzung dieses Vorhabens wurde der Boden für Public Health auch in der Bundesrepublik Deutschland bereitet. In fünf Forschungsverbünden findet heute gesundheitswissenschaftliche Forschung statt.

Die Bandbreite der Forschungsprojekte ist enorm. In Berlin wird beispielsweise untersucht, welche städtebaulichen Maßnahmen geeignet sind, um der Vereinsamung im Alter vorzubeugen. In Bielefeld stellte sich nach einer Analyse der Gesundheitsversorgungssituation heraus, dass 12- bis 15jährige Jugendliche in eine Versorgungslücke fallen. Mittlerweile wird deshalb allerorten über die Einführung einer zusätzlichen Jugendgesundheitsuntersuchung diskutiert. Im nordrhein-westfälischen Forschungsverbund versuchen Fachleute, die Kriterien für die Gesundheitsverträglichkeitsprüfung von Arbeitsplätzen zu entwickeln. In München soll herausgefunden werden, wie man den Gesundheitsstatus der Bevölkerung durch verstärkte Impfkampagnen verbessern kann.

Die Projekte lassen sich in folgende Kategorien einteilen:

Umwelt und Gesundheit

Dazu gehören alle Forschungsvorhaben, die sich mit den Lebensbedingungen in modernen Industriegesellschaften befassen; die z.B. das Ziel verfolgen, intakte ökologische Lebens- und gesundheitsschützende Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Gesundheitsbewusstes Verhalten

Hier steht die Gesundheit in unterschiedlichen Altersgruppen oder sozialen Schichten im Mittelpunkt des Interesses. Auch die Begleitung von Selbsthilfegruppen oder die Erforschung von "Laien-Medizin-systemen" gehört hierher.

Management im Gesundheitswesen / Gesundheitsökonomie

Ansätze zur effizienten Organisation des Gesundheitswesens zu erforschen oder auch Möglichkeiten einer validierbaren Qualitätssicherung zu untersuchen sind Schwerpunkte dieser Projektkategorie.

Die Fragestellungen werden immer von einem multidisziplinären Team bearbeitet, dessen genaue Zusammensetzung vom jeweiligen Forschungsgegenstand abhängig ist. "In den Gesundheitswissenschaften forschen Arbeits-, Sozial- und Präventivmediziner zusammen mit Medizinpsychologen und -soziologen, Sozialpsychiatern, Sozialpädagogen, Verhaltens- und Umweltforschern, Systemanalytikern sowie Management- und Verwaltungsforschern", erläutert Professor Klaus Hurrelmann, Sozialwissenschaftler und Dekan an der bundesweit bisher einzigen Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.

Wo soviel Forschung notwendig ist, da muss auch für die Ausbildung einer akademischen Basis Sorge getragen werden. Gesundheitswissenschaftliches Know-how auch in Produktions- und Dienstleistungsbetrieben ist immer mehr gefragt, vor allem bei Krankenversicherungen, Ärztekammern und Kassen-ärztlichen Vereinigungen. Experten mit gesundheitswissenschaftlichen Zusatzqualifikationen haben deshalb auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen. Public-Health-Fachleute schätzen, dass pro Jahr mehr als 200 entsprechende Stellen ausgeschrieben werden.

Gesundheitswissenschaften oder Public Health kann man zur Zeit an acht beziehungsweise neun Universitäten in Deutschland studieren. In Heidelberg werden überwiegend Fachleute aus Drittweltländern ausgebildet. Etwa 300 Studienplätze werden insgesamt jährlich vergeben. Zulassungsvoraussetzung ist immer ein Hochschulabschluss, aber nicht notwendigerweise in Medizin. Entscheidend ist in jedem Fall, ob die Kandidaten bereits gesundheitswissenschaftliche Studien und/oder Berufserfahrung vorweisen können.

Da mittlerweile sehr viel mehr Bewerber als Studienplätze vorhanden sind, führen die einzelnen Universitäten recht anspruchsvolle Aus-leseverfahren durch. In Düsseldorf müssen die Bewerber zunächst eine schriftliche Arbeit einreichen, in der sie ihre eigenen Vorstellungen zur Entwicklung des Gesundheitssystems beschreiben sollen. In Hannover werden im Rahmen einer Klausur statistische Grundkenntnisse geprüft. Die endgültige Auswahl erfolgt schließlich meist nach einem ausführlichen persönlichen Gespräch. Den Wunschkandidaten der Hochschulen beschreibt Klaus Hurrelmann folgendermaßen: "Vom Postgraduiertenstudium profitieren diejenigen am meisten, die bereits eine fünf bis achtjährige Berufspraxis hinter sich haben. Diese Leute sind einerseits hochkompetent, andererseits aber noch so sensibel, dass sie Defizite und Strukturprobleme im eigenen Berufsfeld erkennen können." Für die Zulassung spielen also Erstqualifikation und Berufserfahrung die ausschlaggebende Rolle. Klaus Hurrelmann stimmt dem zu: "Man darf diesen Studiengang nicht mit der Absicht studieren, sich 100prozentig zu korrigieren. Bei der Ausbildung in Public Health handelt es sich um eine echte fachliche Ergänzung zur Erstausbildung."

Wenn der Sprung ins Studium dann geschafft ist, stehen zunächst Epidemiologie und Biostatistik auf dem Stundenplan. Denn nur, wer Gesundheitsstatus und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung statistisch erfassen und interpretieren kann, ist auch in der Lage, sich mit den eigentlichen Inhalten von Public Health zu beschäftigen, die dann im Mittelpunkt des zweiten Studienjahres stehen. Je nach Studienort können Studenten unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

Vielfältig wie die Public- Health-Inhalte sind schließlich auch die Arbeitsfelder nach Abschluss des Postgraduierten-Studiums. Der größte Teil der Studenten geht in die Forschung. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist zudem ein häufig gewähltes Arbeitsfeld. In Krankenversicherungen, Kammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und in der Pharmaindustrie ist Public-Health-Know-how gefragt.

Fazit

Public Health ist ein Arbeitsfeld mit Zukunft. Die Ausbildung stellt hohe Anforderungen und eignet sich am besten für Hochschulabsolventen mit beruflicher Erfahrung. Wer schon im Laufe des Studiums merkt, dass er mit dem rein kurativen Ansatz der Medizin nicht zufrieden ist, sollte sich frühzeitig um praktische Erfahrungen bemühen. Eine freie Mitarbeit oder ein Praktikum bei Projekten der Forschungsverbünde (Adressen im Infopaket) bieten sich genauso an wie die Wahl eines geeigneten Dissertationsthemas. Eigeninitiative dieser Art öffnet so manche verschlossen geglaubte Tür.

Meinungen zum Thema Public Health

Ralf Reiche, Magister of Public Health, hat in Ungarn und Deutschland Medizin studiert und von 1993 bis 1995 den Aufbaustudiengang Public Health an der TU Berlin absolviert. Er arbeitete vor und während des Studiums am Wissenschaftlichen Institut der Ärzte Deutschlands in Bad Godesberg. Jetzt erarbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter desselben Instituts Konzepte zur Frührehabilitation im Akutkrankenhaus und entwickelt Modelle für Tageskliniken in der pädiatrischen Onkologie.

"Ein Gesundheitswissenschaftler muss verschiedene fachfremde Denkweisen - soziologische, psychologische, ökonomische und medizinische - nachvollziehen und mit kommunikativem Feingefühl auf einen Nenner bringen können. Dies gelingt u.a. durch die Konfrontation mit 22 verschiedenen Fächern während der zweijährigen Ausbildung, wobei sich jeder seine individuellen Schwerpunkte setzt. Dank dieses weitgespannten Informationsnetzes kann man als "somebody who knows, who knows" mit etwas Glück hochrangige Positionen besetzen.

Zwar ist bei der Stellensuche in diesem Bereich hohe geographische und fachliche Flexibilität gefragt, doch wird der engagierte Jungakademiker durch anspruchsvolle und in der freien Wirtschaft auch gutdotierte Stellen entschädigt."

Hildegard Hofmann, Kinderkrankenschwester, Ärztin und Magistra für Gesundheitswissenschaften, forscht am Institut für Gesundheitswissenschaften und Public Health der TU Berlin an einem Projekt zur Verbesserung der selbstbestimmten Alltagsbewältigung im Alter. Ihre Magisterarbeit verfasste sie über die gesundheitliche Situation wohnungsloser Frauen in Berlin. "Nach vier Jahren autodidaktischer Vorarbeit begann ich 1993 das Studium der Gesundheitswissenschaften und ließ 19 Jahre Krankenhauserfahrung hinter mir. Bereits während des Medizinstudiums war eine immer stärkere Kritik gegen die kurative Medizin in mir wach geworden. Nun kann ich an das Problem 'Krankheit' anders herangehen. Trotz eines immens gestiegenen Aufwands in der Medizin gibt es immer mehr chronisch Kranke. Deshalb ist eine umfassende Prävention unverzichtbar. Vor allem müssen menschen- und lebensfreundlichere, gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Es ist die Aufgabe von Gesundheitswissenschaftlern, dies mit fundierten Studien zu belegen, Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Im Gegensatz zur symptom-orientierten Arbeitsweise der Ärzte ist es möglich, durch langfristige Abschwächung krankmachender Faktoren ursächlich Krankheiten entgegenzuwirken."

Dr. med. Sabine Willer, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Studentin der Bevölkerungsmedizin und des Gesundheitswesens an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat während Ihrer AiP-Zeit am allgemeinen Krankenhaus Barmbek eine Palliativstation als Projektleiterin mit aufgebaut. "Durch dieses Projekt gewann ich Einblicke in gesundheitspolitische Bereiche, Ökonomie und Organisationsstrukturen von Kliniken. Ich lernte, was patientengerechte Medizin bedeutet und wie wichtig interdisziplinäre Teamarbeit ist. Nach Abschluss des Projekts entschloss ich mich, Public Health mit Schwerpunkt Krankenhausmanagement zu studieren."

Von ihrem Arbeitgeber wurde sie für das Aufbaustudium nicht freigestellt. Deshalb pendelt sie seit Oktober 1995 zwischen der Halbtagsstelle in Hamburg und den Seminarräumen in Hannover. Sie teilt dieses Problem mit ca. 80% ihrer Kommilitonen. "Für mich war der Punkt des Anstoßes der hierarchisch strukturierte, festgefahrene Arbeitsalltag in der Klinik und vor allem die mangelhafte Patientenorientierung. Medizinstudenten, die sich für Public Health interessieren, sollten ihren medizinischen Wissensdurst gestillt haben und an bevölkerungsmedizinischen Problemen - weg vom Heilen des Individuums - interessiert sein."

 

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