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  • Wiebke Rösler
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  • 02.08.2011

Palliativmedizin – Stiefkind der Lehre

Spätestens im AiP kommt kein Arzt umhin, sich mit dem Thema Sterben auseinander zu setzen. Ob es darum geht, einem Menschen mitzuteilen, dass er nur noch kurze Zeit zu Leben habe, Angehörigen die Nachricht vom Tod eines Patienten zu überbringen oder Antwort auf die Frage nach Sterbehilfe geben zu können. Ärzte sollten vorbereitet sein, damit sie Sterbenden eine Stütze sein können.

Montagmorgen, kurz nach acht. Der diensthabende AiPler berichtet von der letzten Nacht:
"Ach, Frau Meyer ist verstorben. Die Schwester hat sie um ein Uhr tot in ihrem Bett aufgefunden, war ja zu erwarten."
Die Stationsärztin nickt zustimmend:
"Wissen die Angehörigen schon Bescheid?" "Nee, die wollten in der Nacht nicht angerufen werden. Leichenschein hab ich so weit ausgefüllt, liegt im Fach."

Ende der Besprechung. Ende eines Lebens. Millionen Menschen erleben ihre letzten Stunden im Krankenhaus. Alleine, oftmals mit Schmerzen. Dabei möchten über 80% der Bevölkerung schnell und plötzlich zu Hause sterben. Doch den Wenigsten wird dieser Wunsch erfüllt.

 

Im Lehrkanon spielt der Tod keine Rolle

Trotzdem weiß der ärztliche Nachwuchs wenig über den Umgang mit Sterbenden. Kein Wunder, tauchte das Thema Palliativmedizin und Schmerztherapie im Lehrkanon bisher kaum auf. Ganze zwei Lehrstühle gibt es bisher, in Bonn und in Aachen.
Prof. Dr. med. Eberhard Klaschik von der Uni Bonn, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, meint dazu:
"Wir hatten gehofft, dass die Palliativmedizin mit der neuen Approbationsordnung verpflichtend für alle in den Lehr- und Prüfungskatalog aufgenommen wird. Doch nun obliegt es der einzelnen Uni, ob sie das Fach prüft oder nicht."

Dabei gehört die Sterbebegleitung zu den wichtigsten Aufgaben ärztlichen Handelns. Unabhängig vom Fachgebiet, wird jeder Arzt mit dem Thema Sterben konfrontiert.
"Wir erleben oft, wie die Studenten während der Kurse ernsthafter werden", berichtet Prof. Klaschik. "Es gibt ein großes Bedürfnis, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Unsere Veranstaltungen sind nicht nur zu Semesterbeginn gut besucht." Eigentlich schlüssig, denn spätestens im AiP gehört das Überbringen infauster Prognosen und die Betreuung Sterbender zum Alltag auf Station.

 

Sterbehilfe: ein juristisches Niemandsland

Auch das Thema Sterbehilfe ist für viele Ärzte noch ein Tabu. Im Spannungsfeld zwischen medizinisch Möglichem und menschlich Wünschenswertem reagieren sie oft über, denn die meisten Mediziner empfinden den Tod eines Patienten als Niederlage.
Einer Patientin, die nach einem Schlaganfall an einem apallischen Syndrom litt, wurde zum Beispiel gegen den Willen der Angehörigen und entgegen ihrer Patientenverfügung eine perkutane, endoskopische Gastrostomie (PEG) gelegt. Denn dies sei, so die Ärzte, eine lebenserhaltende Maßnahme. In ihrer Patientenverfügung hatte sich die Frau nurgegen lebensverlängernde Maßnahmen ausgesprochen.

Vorfälle wie diese schüren die Angst, dem Willen anderer ausgeliefert zu sein und lässt den Ruf nach Sterbehilfe lauter werden. Der Großteil der deutschen Bevölkerung wünscht sich die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. "Die Menschen erleben, wie ihnen von Ärzten die Selbstbestimmung aus der Hand genommen wird", erläutert Karlheinz Wichmann, Bundesvorsitzender der DGHS. "Mit der Sterbehilfe hoffen sie, sich dagegen abzusichern und in Würde zu sterben." Nur der Patient selbst soll über das Wann und Wie des Todes entscheiden, so ist die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben(DGHS). Vielen Ärzten sei nicht bewusst, dass der Patientenwille über dem des Arztes steht.

"Dabei gibt es inzwischen Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofes dazu“, so Wichmann weiter. "Setzt sich ein Arzt über eine Patientenverfügung hinweg, kann er wegen Körperverletzung angezeigt werden. Die DGHS hat so einen Fall bis zum endgültigen Urteil für eine Familie durchgekämpft." Trotzdem bleibt die Rechtslage unklar, so dass viele Ärzte nicht wissen, ab wann sie gegen Gesetze verstoßen.

 

Verunsicherung und viele offene Fragen

Während die aktive Sterbehilfe in Deutschland klar verboten ist, sind die anderen Formen "straffrei", wenn eine aktuelle Willensäußerung oder eine valide Patientenverfügungvorliegt. Nur, was ist eine "valide" Patientenverfügung? Wie aktuell muss eine Willensäußerung sein? Zwei Wochen oder zwei Jahre alt? Fragen, auf die es bisher keine Antworten gibt.

Auch europaweit ist die rechtliche Lage bei passiver und indirekter Sterbehilfe unübersichtlich. Gesetzlich zwar verboten, wird ihre Ausführung in manchen Ländern toleriert. Das führt zu bedenklichen Erscheinungen wie dem "Sterbetourismus" in die Schweiz. Dort bieten Projekte wie DIGNITAS todkranken Menschen die Möglichkeit zumSuizid. In "Sterberäumen" erhalten die Betroffenen einen "Giftcocktail", den sie selbst einnehmen. Die Schweizer Regierung ist darüber nicht gerade glücklich.

Heftige Diskussionen löste kürzlich auch das Verfahren um eine Hannoveraner Ärztin aus. Sie soll bei zahlreichen Krebspatienten durch stark erhöhte Morphindosen den vorzeitigen Tod herbeigeführt haben. Manche fanden es menschlich, dass sie den Patienten die Schmerzen nehmen wollte. Für andere tötete sie in vollem Bewusstsein. Noch vor Beginn des Verfahrens, ohne Gerichtsurteil, wurde ihr die Approbation entzogen.

Doch wie geht man "richtig" mit Sterbenden um? Wie sollen Ärzte, konfrontiert mit dem Wunsch nach Sterbehilfe, reagieren?

 

Umgang mit Patienten: "Ich will nicht mehr ..."

Ein Viertel aller Todesfälle in Deutschland ist auf Tumorerkrankungen zurückzuführen. 70% dieser Patienten erleiden dabei stärkste Schmerzen. Viele wollen dieses qualvolle Leiden nicht länger ertragen.
„Fragt ein schwer erkrankter Patient nach Sterbehilfe, muss man im Gespräch nach den Gründen suchen“, rät Prof. Klaschik. Auf keinen Fall, so der Experte, darf ein Arzt auf den Wunsch nach Sterbehilfe eingehen. Denn welches Signal geht von einem Arzt aus, dertötet?
„Oft ist dieser Wunsch Ausdruck von Angst vor Schmerzen und Kontrollverlust. Dann habe ich als Arzt die Aufgabe, mich der Angst des Patienten zu widmen und mich mit seinen Sorgen auseinander zu setzen. Ich muss versuchen, ihm die Schmerzen zu nehmen und ihm so lange wie möglich die Kontrolle über seine körperlichen und geistigen Funktionen zu bewahren.“

 

Schmerztherapie – ein unbekanntes Feld

Wie eine sinnvolle Schmerztherapie aussieht, erläutert Dr. Hanno Jäger. Er betreibt eine Schmerzpraxis in Hamburg:
„Nach Anamnese und körperlicher Untersuchung muss der Patient auf einer Schmerzskala dieSchmerzstärke angeben und ein Körperschema zeichnen“, beschreibt Dr. Jäger. „Dann wird geklärt, welcher Schmerz am stärksten ist und welcher ihn am meisten einschränkt? Daran orientiert, beginnt die Therapie.“

Anfängern rät er, sich an den WHO-Stufenplan zur Schmerztherapie zu halten.
„Dieser gibt vor, wie die Dosis gesteigert und wie sie auch wieder heruntergefahren wird. Wichtig: keine Angst vor einer zu hohen Dosis!
Ein großes Problem in der Schmerztherapie ist immer noch der „Morphin-Mythos“. Bei vielen ist Morphin als Sucht erzeugender Stoff abgespeichert. Dabei erreicht man mit den neuen, retardierten Morphinen konstante Wirkspiegel“, räumt Dr. Jäger mit alten Vorurteilen auf.
Das ist auch nötig: 80 kg Morphin pro 1 Million Einwohner müssten in der Bundesrepublik, gemessen an der Zahl der Krebskranken, verbraucht werden. Tatsächlich sind es nur knapp 18 kg. Damit liegt Deutschland im europaweiten Vergleich relativ weit hinten.

 

Palliativmedizin – in Würde sterben

„Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Diesen Satz sollte ein Arzt nie zu einem Patienten sagen, selbst wenn er „austherapiert“ ist. Neben der Schmerztherapie kann maneine Menge tun, wie das Palliative-Care-Konzept zeigt.
Einer der Vorreiter ist Dr. Franz B. M. Ensink vom Zentrum für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin der Uni Göttingen. Er ist Mitbegründer des SUPPORT-Projektes, eines ambulanten Palliativdiensts, der unheilbar Kranken das Sterben zu Hause ermöglicht.
„Unser Pflegepersonal greift dort ein, wo der Pflegedienst zeitlich und fachlich überfordert wäre“, so Dr. Ensink. „Den Hausarzt beraten wir bei Fragen zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle. Zudem vertreten wir ihn im Notfall, um zu vermeiden, dass ein Notarzt den Sterbenden doch noch in die Klinik einweist. Auch psychologische Unterstützung bieten wir an – und manchmal erfüllen wir Wünsche wieeine letzte Reise ans Meer; wir helfen bei der Organisation und kümmern uns um den Transport größerer Morphinvorräte über die Grenzen“, erklärt er. „Für die Angehörigen sind wir dann auch noch da, wenn der Patient verstorben ist.“

 

Erstes Kinderhospiz

Das ist auch die Maxime von Rüdiger Barth. Er leitet das Kinderhospiz Balthasarin Olpe, das das erste dieser Art ist. „Wir kümmern uns nicht nur um das erkrankte Kind. Auch Eltern und Geschwister brauchen Raum und Zeit, ihre Gefühle zu verarbeiten. Das kommt in der täglichen Sorge meist zu kurz.“ Im Gegensatz zu den Hospizen für Erwachsene kommen die Kinder nicht nur für die Zeit bis zum Sterben.
„Vielmehr kommen die Familien mehrmals für ein bis zwei Wochen mit ihrem Kind“, so Barth. Ziel der Aufenthalte sei es, dass alle wieder Luft holen können. „Wir übernehmen hier so viel Pflege und Betreuung, wie die Eltern und das Kind es möchten. Die Familien können einfach mal gemeinsam einkaufen gehen oder die Eltern als Paar einen ruhigen Abend verbringen.“
Der Alltag im Hospiz richtet sich nach den Gewohnheiten der Bewohner.
„Wenn ein Kind zu Hause bis zehn Uhr schläft, kann es das auch bei uns. Soweit es Nahrung aufnehmen kann, bekommt es auf Wunsch seine Lieblingsspeise.“ Auch für die Freizeitgestaltung ist gesorgt: Eine Musiktherapeutin bietet Programm an, es gibt einComputerzimmer und einen Raum zum Entspannen. Alle Mitarbeiter, viele davon ehrenamtlich, nehmen sich Zeit für Gespräche. Auf Wunsch kann man auch mit Pfarrern sprechen.
„Unsere Familien kommen aus ganz Deutschland. Deshalb können wir nicht die Betreuung zu Hause übernehmen, telefonisch stehen wir aber immer zu Verfügung.“ Ein wichtiger Aspekt, wie Dr. Ensink unterstreicht:
"Viele Angehörige, die am Anfang Angst vor der Pflege und dem Sterbeprozess zu Hause hatten, sind hinterher ganz überrascht, was sie mit etwas Unterstützung alles bewältigen konnten."
„Aber“, so räumt er ein, „ich will das Sterben nicht glorifizieren. Manchmal ist es einfach schrecklich.“
Trotzdem wird in dieser konkreten Situation Sterbehilfe so gut wie nie verlangt.
„Interessanterweise wird dieser Wunsch öfter geäußert, wenn es den Patienten noch gut geht. Am wichtigsten sind dann Gespräche und Fürsorge. Wenn der Patient bemerkt, dass jemand sich um ihn kümmert, er nicht alleine ist, legt sich der Wunsch nach Sterbehilfe meist.“
Zukünftigen Kollegen rät er: „Jeder sollte sich vorher mit seinem eigenen Sterben und Tod auseinander gesetzt haben. Würde man selbst auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten wollen? Was erwartet man von seinem eigenen Lebensende? Nur wer sich damit befasst hat, kann dem Patienten authentisch gegenübertreten und mit ihm das Sterben aushalten.“

 

Palliative Versorgung – Niemandsland BRD

Leider ist die palliative Versorgung noch ein Stiefkind der Medizin. Von 850.000 Menschen, die im Schnitt pro Jahr sterben, werden nur 4,3 Prozent hospizdienstlich und 2,1 Prozent mit Palliative-Care-Diensten versorgt.
Ganze 93 Hospize und knapp 70 Palliativstationen gab es 2001 in Deutschland – und das, obwohl Krebserkrankungen ein Viertel der Todesursachen ausmachen. Ein Problem ist die Finanzierung. Die palliative Versorgung sollte allen Betroffenen kostenfrei zur Verfügungstehen, doch in Deutschland fehlt ein eigenes Abrechnungssystem.
„Den Aufenthalt eines Kindes rechnen wir noch über die Kurzzeitpflege ab“, so Rüdiger Barth.
„Alles andere, wie die Kosten für die Familien und unsere Angebote, müssen wir über Spenden finanzieren.“

Auch Dr. Ensink stimmt zu: „Die Finanzierung sollte von den Krankenkassen gewährleistet sein.“
Die Deutsche Hospiz-Stiftung fordert in einer aktuellen Stellungnahme „die Palliative-Care-Maßnahmen in den DRG-Katalog aufzunehmen, um sie in das Sozial- und Gesundheitswesen zu integrieren“.

Es ist noch ein langer Weg, bis Palliativmedizin und Schmerztherapie als eigenständig anerkannte Säulen des Gesundheitswesens etabliert sein werden. Bis dahin bleibt wohl auch der weit verbreitete Wunsch nach Sterbehilfe bestehen.
Bundespräsident Johannes Rau bemerkte dazu:
„Eine Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Alten und Sterbenden umgeht.“
Ein Blick in deutsche Krankenhäuser und Altenheime genügt.

 


 

Lest hier ein Interview: "Pro und Contra Sterbehilfe"

zum Interview über Sterbehilfe

 


 

Wiebke Rösler hat gerade ihr PJ in Hannover abgeschlossen und ist als Autorin u.a. für Via medici tätig.

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