Zurück zu Ulm
  • Artikel
  • |
  • Romeo Rieker
  • |
  • 08.02.2021

Was ich auf der Corona Station gelernt habe

Die medizinische Versorgung in Deutschland ist hervorragend – und doch hat sie ihre Grenzen. Romeo hat dies während seiner Zeit auf der Corona Station hautnah erlebt und vor allem eines gelernt: Demut.

 

Die Corona-Pandemie riss in meinen, wie vermutlich auch in deinen, Terminkalender das ein oder andere, mehr oder weniger große Loch. Ich füllte dieses Loch im Frühjahr 2020, indem ich mich in einem kleineren Krankenhaus für die Pflege auf der Corona-Station meldete.


Ich wurde zuerst gefragt, ob es denn für mich überhaupt okay sei dort zu arbeiten, man würde natürlich verstehen, wenn nicht und es hätten schon viele Medizinstudierende vor mir abgesagt. Die Resentiments meiner Vorgänger*innen kann ich natürlich nicht beurteilen. Für mich war die Lage aber relativ klar, es war Not am Mann, Schutzausrüstung ausreichend vorhanden, ich bin jung und hatte ein relativ geringes Risiko, also warum nicht?
Freud würde mir vermutlich ein Helfer-Syndrom diagnostizieren, ich sah es eher als etwas idealistischen Pragmatismus. Wie dem auch sei, ich fing an. Und rückblickend war das eine sehr wertvolle Entscheidung.
    
Die Station war voll, die Patient*innen häufig über 60 und einige schwer krank, soweit so erwartbar. Es gab jedoch vor allem einen dramatischen Verlauf, der exemplarisch für meine Erfahrungen und Lehren aus dieser Zeit war. Es geht um Frau M., die ich während meiner gesamten Zeit auf Station begleitete. Frau M. war über 70, Raucherin und hatte neben anderen Nebenerkrankungen eine COPD & pAVK – beste Karten also für einen schweren Verlauf.


Als ich auf Station anfing, lagen sie und ihr Ehemann (übrigens keine ganz so seltene Konstellation) schon ein paar Tage im Krankenhaus. Noch ging es beiden mehr oder weniger gleich schlecht: bisschen Fieber, bisschen Sauerstoff und ausgesprochenes Krankheitsgefühl, aber soweit noch im Rahmen. Als es bei ihm nach ca. einer Woche bergauf ging, ging es bei ihr erst richtig los. Der Sauerstoffbedarf stieg, starke Atemnot, Delir und Eintrübung kamen dazu. Kurzum: Es hätte keinen von uns gewundert, wenn sie die nächsten Tage nicht überlebt hätte. In diesem (mit ihr bei Aufnahme natürlich abgeklärten) palliativen Setting, hielt sie sich aber relativ stabil schlecht, wenn man das so sagen möchte. Frau M. trank wenig, aß noch weniger, schien aber irgendwie nicht loszulassen. Dieses dramatische Auf und Ab zog sich sicherlich gute zwei Wochen lang und war für alle Beteiligten insbesondere ihren Ehemann natürlich entsprechend belastend.


Nach insgesamt ca. vier Wochen war Frau M. eines Morgens wie ausgewechselt. Sie war wach, ansprechbar und sogar relativ gut gelaunt. In den folgenden Tagen zog sie sich wie Baron Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Ich schreibe das bewusst so, denn was mich bei Frau M., aber auch allen anderen Patient*innen auf der Corona-Station vor allem schockierte, war, wie wenig wir medizinisch wirklich tun konnten. Spätestens nach klinischer Pharma hatte ich ja zumindest mal einen guten Überblick über das ganze therapeutische Arsenal, was uns normalerweise zur Verfügung steht. Aber die harte Tatsache, einfach nichts Kausales in der Hand zu haben, war für mich schockierend. Klar hatte ich das vorher gelesen und auch „gewusst“, aber es zu erleben war nochmal eine ganz andere Nummer. Das wir also häufig nur Zuschauer waren, wo ich doch bisher zumindest das Mitspielen gewohnt war, stimmt mich auch nachwirkend demütig.


Demut, das ist ein altes, großes und schweres Wort, aber man rutscht gerade in unserem Studiengang einfach häufig in die Einstellung, jegliche Krankheit gut therapieren zu können. Das ist jetzt kein Dunning-Krüger-Effekt (wer’s nicht kennt, gerne mal googeln ;-) ) In vielen Fällen kann man gut und effektiv therapieren, aber mal so richtig die Grenzen aufgezeigt zu bekommen, war für mich als „Therapie-erfolgsverwöhnter“ Student nachhaltig wichtig.


Im letzten Semester hat ein scheidender Professor Corona mit der AIDS-Pandemie zu seinen Studienzeiten verglichen, und auch wenn natürlich jetzt vieles anders ist, gibt es meiner Meinung nach durchaus einige Parallelen. Die erfahrene Hilflosigkeit ist eine davon. Aus dieser Hilflosigkeit ist damals aber keine globale Depression, sondern ein Aktionismus entstanden, der dazu geführt hat, dass HIV-Patienten heute eine annähernd normale Lebenserwartung haben. In den Impfbemühungen erkenne ich zumindest einen ähnlichen Elan und auch wenn wir Corona vermutlich nicht mehr loswerden, so können wir doch hoffentlich besser damit umgehen und leben. Als die Uni wieder losging, war die Zeit auf der Corona-Station natürlich erst mal wieder vorbei. Aber diese erfahrene „Demut“ nehme ich gerne mit nach Hause. Ich hoffe, dass sie mir auch nach meinem Studium erhalten bleibt und mein durchaus ambitioniertes Welt- und Medizinbild hin und wieder in realistische Bahnen rückt.

 

Ich möchte am Ende meines Textes noch eine Lanze für die „kleinen“ Häuser brechen: Es heißt ja immer, dort werde nur „kleine“ Medizin gemacht und ja Whipple-OPs oder TAVIs gibts da nicht, aber die klinische Lehre ist einfach so viel besser als an den großen Häusern (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel). Auch bei der Organisation merkt man einfach sofort den Unterschied, wenn sich alle im Haus kennen. Hier ging es unbürokratischer und schneller eine Corona-Station samt Schleuse und Fieberambulanz hochzuziehen als an manchem Maximalversorger.

Mehr zum Thema

Artikel: Das zweite Semester an der Uni Ulm – Mikroskopieren, zeichnen, lernen!

Artikel: Teddyklinik Ulm 2023

Artikel: Mein persönliches Highlight des 1. Semesters – EKM

Schlagworte