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  • Interview
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  • Tim Vogel
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  • 20.06.2013

Mafiöse Machenschaften

Dr. Frank Wittig, Wissenschaftsjournalist, veröffentlichte im Februar 2013 das Buch "Die weiße Mafia", in welchem er die kriminellen Zustände in unserem Gesundheitssystem anprangert. Unser Lokalredakteur Tim Vogel hat sich mit ihm über die Probleme und deren Lösungen unterhalten und fragt sich besonders, welche Rolle Medizinstudierende dabei spielen.

Die weiße Mafia - Foto: Tim Vogel

 

> Herr Dr. Wittig, "Die weiße Mafia" ist ein sehr reißerischer Titel - Warum haben Sie sich dazu entschieden?

Prof. Lauterbach [Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion, Anmerkung des Autors] hat einmal von den mafiösen Zuständen im Gesundheitssystem gesprochen. Es ging um eine Studie, die zeigte, dass ein Viertel der deutschen Kliniken bereit ist, Fangprämien an die Ärzte zu zahlen, wenn sie die Patienten an sie überweisen. Das ist Bestechung und Vorteilsnahme. So ist das Wort "Mafia" im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem geprägt worden. Ich habe diesen Titel gewählt, weil ich ein deutliches Signal setzen wollte. Es erscheinen Bücher wie "Enteignet" oder "der gesunde Zweifel", auch medizinkritische Bücher, aber diese Titel sind mir nicht eindeutig genug. Ich finde das Gesundheitssystem ist in weiten Bereichen wirklich kriminell und wollte das dann auch so benennen.

 

> Glauben Sie, dass durch diesen Titel ihr Buch als populistisches Schreiben abgetan wird und ihre Kritik gar nicht ernst genommen wird?

Ja, die Gefahr besteht natürlich. Auch die Aufmachung des Buches ist boulevardesk. Ich wollte damit Aufmerksamkeit erregen. Drinnen ist es hingegen sehr seriös - denn dort geht es um Studien, Zahlen und Fakten. Der Verlag ist nun auch nicht grade ein Leisetreter und somit waren wir dort in derselben Richtung unterwegs. Natürlich besteht das Risiko als nicht seriös wahrgenommen zu werden. So hab ich beispielsweise auch keine Zeitungsrezensionen bekommen. Das ist sehr unüblich, wenn man in der Bestsellerliste des Spiegels ist. Aber das war mir vorher klar. Auf der anderen Seite ist das Cover sehr magnetisch und die Leute kaufen das Buch.

 

> Sie benutzen in Ihrem Buch eine eher einfache Sprache. Ist das so gewollt oder kam das eher zufällig?

Einfache Sprache würde ich es nicht nennen. Wenn Sie Fachbücher damit vergleichen, dann ist es natürlich verständlich geschrieben. Ich arbeite beim Fernsehen. Dort muss der Zuschauer alles sofort verstehen. Das empfinde ich als wichtigen Service. Es ist leicht kompliziert zu schreiben. Aber sehr klar zu schreiben, sodass der Leser den Gedanken ohne Probleme versteht, das ist anspruchsvoll. Ich würde meine Sprache eher als klar und weniger als einfach benennen. Es ist leicht zu lesen und nicht der deutsche Lehrerton. Denn der macht beim Lesen keinen Spaß.

 

> Stimmt, es hat wirklich Spaß gemacht Ihr Buch zu lesen. In Ihrem Buch geben Sie mannigfaltige Beispiele für Fehler und kriminelle Machenschaften im Gesundheitssystem. Im Schlusswort grenzen Sie diese Anklage ein. Ist diese generelle Anklage Ihrer Meinung dennoch berechtigt?

Genau deshalb habe ich es im Schlusswort nochmal abgegrenzt. Die Anklage richtet sich lediglich gegen den Personenkreis, der sich besonders mafiös im Gesundheitssystem verhält und gegen die strukturellen Probleme. Unser System in Deutschland krankt daran, dass diejenigen, die Leitlinien zur Behandlung von Patienten verfassen, auch mit der Behandlung ihr Geld verdienen. Das ist absurd. In der Demokratie haben wir eine Gewaltenteilung. Wir haben eine Gesetzgebung, eine Rechtsprechung und eine Exekutive. In der Medizin sind das die Leitlinien als Gesetzgebung, die Diagnose als Rechtsprechung und die Therapie als Exekutive. Und das liegt in Deutschland in der Hand von ein und denselben Personen. Die Gefahr, dass diese sich gegenseitig immer wieder bestätigen und wissenschaftliche Kenntnisse ignorieren ist immens bei dieser Machtakkumulation. Hiergegen richtet sich meine Anklage. Die anderen Sachen wie überflüssige Operationen und überflüssige Medikamente sind oft nur Folgen davon, die geschehen, weil es so in den Leitlinien festgelegt ist.

 

> Neulich im Gespräch mit Kommiliton_innen kamen wir auf den Zusammenhang zwischen Arteriosklerose und einem hohen Cholesterinspiegel. Viele hatten dort schon eine sehr vorgefertigte, eher unkritische Meinung. In Ihrem Buch hingegen wird dieser Zusammenhang stark in Zweifel gezogen. Nur wenige waren bereit auf die genannten Argumente einzugehen. In wie weit glauben Sie, dass Medizinstudierende schon im Studium für dieses Gesundheitssystem vorgeprägt werden?

Das ist ein Kapitel, welches eigentlich noch in das Buch reingehört hätte - der Einfluss der Industrie auf die Ausbildung der Mediziner. Erst vor ein paar Tagen erzählte mir eine Zahnmedizinstudentin, dass in einer Pflichtveranstaltung für Erstsemester ein Vertreter eines bekannten Zahncremeherstellers eine ganze Stunde lang erklärte, warum Elmex die beste Zahncreme für deren spätere Patienten ist. Hier ist die Einflussnahme offensichtlich. In vielen anderen Fällen ist der Einfluss nicht so leicht zu erkennen. Es ist krass, dass sich die Leute, die die Lehrpläne entwerfen, dagegen verweigern die Ergebnisse von Metastudien anzuerkennen, die im Falle des Cholesterins tausende Patientendaten auswerten. Junge Menschen bekommen im Medizinstudium ihre "Festplatte" formatiert. Dies geschieht mit einem Wissensstand, der zu einem guten Teil der Profitmaximierung im Gesundheitssystem beiträgt und nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht.

 

> Was für strukturelle Änderungen müssten Ihrer Meinung nach geschehen, dass sich dieses Risiko vermindern würde?

Vielleicht könnten vor allem die Studierenden Veranstaltungen zur kritischen Medizin zu Themen wie der Knorpelglättung im Knie oder dem prophylaktischen Stenten gegen den Herzinfarkt, was eine große Metastudie als Unsinn enttarnt hat, initiieren. Diese Themen müssen stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Es ist nicht zu erwarten, dass das von Ihrem Lehrkörper gemacht wird. Denn Mediziner kritisieren Mediziner nicht. Das ist eine eiserne Regel: "Wir sind die sauberen, wir machen alles gut." Deshalb könnten die Studierenden dazu beitragen, eine Diskussion von unten anzuregen, denn von "oben" wird es keine Veränderungen geben. Der Kader reproduziert sich immer selbst. Das ist wie in der DDR.

 

> Im Studium gibt es das Fach "Geschichte und Ethik in der Medizin". Dort wird Kritik vor allem an historischer Medizin geübt. Glauben Sie, dass dies ein möglicher Ansatzpunkt ist? Oder hat auch der dortige Lehrkörper eine zu große Beißhemmung?

Ich hab vor einigen Tagen eine E-mail von einem Hamburger Professor bekommen, der Ethik in der Medizin lehrt. Dieser hat das Buch gelesen und mich in meinen Aussagen bestätigt. Offenbar sind Medizinethiker und Medizinhistoriker durchaus im Stande Kritik zu üben. Tatsächlich könnte das der Kondensationskeim für eine selbstkritische Kultur in unserer Medizin sein.

 

> Was würden Sie einem einzelnen Medizinstudierenden raten?

Das ist sehr schwer. Erst vor kurzem habe ich Post von einer Assistenzärztin bekommen, welche sich demnächst für einen Facharzt entscheiden muss. Sie schrieb von einem enormen wirtschaftlichen Druck in quasi jeder Fachrichtung. Ob in der Psychiatrie, wo die Patienten mit Pharmaka preisgünstig "niedergelegt" werden oder in chirurgischen Fächern ohne Ende operiert wird, damit die Kassen stimmen - Sie wusste nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Ich hab ihr mit der Frage geantwortet, ob man einen Facharzt in Palliativmedizin machen könnte, da dies eines der ganz wenigen Fächer ist, in denen dieser finanzielle Druck nicht herrscht. Ich weiß nicht, ob die Studierenden al s kritische Einzelpersonen in diesem System etwas ausrichten können. Ich glaube der Druck ist zu groß und die Gefahr, dass man rausgemobbt wird und in seinem Fach nicht vorankommt ebenso. Anders ist der Fall, wenn man versucht Allianzen zu schmieden. So gibt es zum Beispiel die Medizinergruppe "MEZIS - Mein Essen zahl ich selbst". Mediziner werden zu Hauf eingewickelt und mit vorselektierten Informationen versorgt. "MEZIS" möchten dem entgegenwirken und helfen, hier einen kritischen Diskurs anzuregen. Der einzelne Student kann wenig tun - das ist gefährlich und sehr, sehr schwer. Das System lässt keine Abweichler zu. Oder Sie müssen schon ein großes Standing haben und nicht mehr auf Karriereschritte angewiesen sein. Gerade in Krankenhäusern werden Sie sich nicht frei bewegen können, als niedergelassener Arzt vielleicht schon.

 

Das Interview führte Tim Vogel. Die Redaktion dankt Herrn Dr. Wittig für das Interview. Das Buch "Die weiße Mafia - Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen" ist für 19,99 EUR beim Riva-Verlag erschienen.