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  • Bericht
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  • Annika Simon
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  • 13.10.2014

Im Angesicht des Todes: Rechtsmedizin an der MHH

Rechtsmedizin fasziniert die Menschen seit jeher und darf heute in keinem Tatort fehlen. Aber wie sieht eigentlich der Alltag der „Totenärzte“ abseits von Kameras und Drehbüchern aus?

Rechtsmedizin, ein Fach wie kein anderes. Foto: Istockphoto

 

Crashkurs durch die dunklen Seiten der Medizin

Als ich neulich auf einer Hausparty mein kommendes Unterrichtsfach erwähnte, erntete ich begeisterte Kommentare: „Rechtsmedizin? Cool, ich würde auch gern mal bei einer Obduktion dabei sein!“, rief eine Bekannte. Ich konnte ihre Begeisterung nicht wirklich teilen. Würde ich mich ja zwei Wochen jeden Tag mit dem Tod befassen. Denn an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gibt es im fünften Studienjahr das Modul „Rechtsmedizin“, einen zweiwöchigen Crashkurs durch das Fachgebiet, der Vorlesungen, Seminare und ein Praktikum umfasst. Zwei Wochen für ein komplettes Fach? Ich war erst skeptisch, doch schon die erste Vorlesung reichte, um auch bei mir die Faszination zu wecken.
Die Vorlesungen waren alles andere als das trockene „Herunterbeten“, wie man es aus vielen anderen Fächern kennt. Von der ersten Minute an sahen wir echte Bilder von Leichen, Tatorten und schauten im Hörsaal Ausschnitte eines Sherlock Holmes Filmes. Diese Eindrücke waren teils ziemlich eklig und grausam und geisterten noch tagelang durch meinen Kopf. Insbesondere die exemplarisch vorgestellten Mordfälle gaben mir in diesen Wochen das Gefühl, der Mensch sei eine Bestie und es herrsche überall Mord und Totschlag.

 

 

Prost zum Trinkversuch

Glücklicherweise haben Rechtsmediziner aber nicht nur mit entstellten Leichen und kopfkranken Mördern, sondern auch mit Lebenden zu tun. So sind es die Rechtsmediziner, die eine Fahrtauglichkeitsprüfung durchführen, sobald ein Autofahrer bei Verkehrskontrollen durch eine Fahne aus der Reihe tanzt. Die Untersuchung umfasst dabei nicht nur das Spazieren auf einer imaginären Linie, sondern beinhaltet mitunter einen kurzen neurologischen Test sowie eine Blutentnahme. Und damit wir Studenten das Prozedere auch gut verinnerlichen konnten, gab es im Seminar an einem Nachmittag den berüchtigten Trinkversuch. Ein Student meldete sich freiwillig und bekam zu Beginn der Doppelstunde einen hochprozentigen Drink serviert. Der Dozent begann mit der Theorie und führte dann gegen Ende mit dem nun schon sichtbar vom Alkohol mitgenommenen Probanden die besagte Untersuchung durch. Dieser hatte etwa ein Promille und zeigte deutliche neurologische Beeinträchtigungen. Und das nach „nur“ einem großen Glas Wodka!

 

 

Die Sache mit dem Totenschein

In der zweiten Woche lag ein Schwerpunkt auf der Ausstellung von Totenscheinen. Denn das ist keineswegs nur die Aufgabe von Rechtsmedizinern. Jeder Arzt muss in der Lage sein, dieses wichtige Dokument richtig auszufüllen. Das gilt für den Stationsarzt genauso wie für den Notfallmediziner. Ein kleiner Fehler beim Ausfüllen reicht bereits aus, um den Leichnam vielleicht unnötigerweise in die Rechtsmedizin zur Obduktion zur schicken. Daher gingen wir das Formular beim Praktikum in Kleingruppen mit einer Ärztin durch und übten im Anschluss das Vorgehen bei einer Leiche im Obduktionssaal. Als ich dort – mit Sicherheitsabstand in zweiter Reihe – so da stand, konnte ich die Euphorie meiner Bekannten auf der Party nicht nachvollziehen. Da lag ein toter Mann mit getrocknetem Blut im Gesicht, einem verwesenden Abdomen und einem Zettel am Fuß, der fürchterlich stank und vor wenigen Tagen noch unter uns weilte. Zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Der Rechtsmediziner braucht vor allem eine tolerante Nase und ein dickes Fell.

 

 

Bilder, die bleiben

Diese Annahme bestätigte sich gleich am zweiten Tag des Praktikums, als wir an einer kompletten Obduktion teilnehmen mussten. Bei der Leiche handelte es sich um einen jungen Mann, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Der Rechtsmediziner diktierte seine Befunde und arbeitete dabei mit einem Ingenieur zusammen, der damit befasst war, den genauen Unfallhergang zu rekonstruieren. Wir sahen dazu die Fotos vom Unfallort, den stark beschädigten Autos und hörten auch die wichtigsten Infos des Polizeikommissars, der die Untersuchungen leitete. Der Geruch war ziemlich unbeschreiblich und ich empfand diesen Vormittag als alles andere als „cool“. Gegen Ende des Crashkurses stand die Klausur auf dem Plan. Dank eines sehr guten Skriptes und engagierten Dozenten waren alle gut vorbereitet und konnten mit den Ergebnissen der fairen Prüfung überaus zufrieden sein. Obgleich diese Wochen ziemlich spannend und abwechslungsreich waren, hatte ich noch länger mit den teils grausamen Bildern und Morden zu kämpfen, die mir in den Tagen nach dem Modul immer wieder durch den Kopf schossen. Dennoch bin ich froh, das Fach in dieser Intensität erlebt zu haben. Schließlich brauche ich jetzt keine Angst mehr zu haben, falls ich einmal einen Totenschein ausstellen muss!

 

Weiterführende Links:

- Homepage des Institutes für Rechtsmedizin an der MHH: https://www.mh-hannover.de/rechtsmedizin.html

- Homepage der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin: http://www.dgrm.de/startseite/

- Fernsehbeitrag des Hessischen Rundfunks auf Youtube: „Rechtsmedizin – Die Arbeit mit dem Tod“: https://www.youtube.com/watch?v=hgsHluLNRZI

- Doku von ZDFInfo auf Youtube über die Arbeit von Gerichtsmedizinern: „Der letzte Zeuge“: https://www.youtube.com/watch?v=Pg1PxwGEDCA

 

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