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  • Anne Hartmann
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  • 05.07.2021

Haben die etwa Leichen im Keller? – Meine Erfahrungen im Präparierkurs

Das erste Mal den weißen Kittel zuknöpfen, Haare hochbinden, Präparationsbesteck einstecken, Atlas unter den Arm klemmen. Der erste Kurstag im Präpariersaal des hallensischen Instituts für Anatomie steht mir bevor. Was wird mich wohl erwarten?

 

Institut für Anatomie, Medizin-Campus in der Magdeburgerstraße Foto: Jannik Hamsen

 

Aufgeregt? Durch die Einführungsveranstaltung letzte Woche fühle ich mich eigentlich ganz gut vorbereitet. Im Hörsaal wurden wir mit dem Konservierungsverfahren für die Leichen vertraut gemacht und bekamen bereits einen Körperspender zu sehen. Aufgeregt bin ich natürlich trotzdem. Die Anatomie an einer Leiche lernen zu dürfen, erlebe ich als Privileg, das aber auch mit einer großen Verantwortung gegenüber den Verstorbenen verbunden ist.  

Die hölzernen Flügeltüren zum Saal öffnen sich, ein Schwall kalter Luft schlägt uns entgegen. Maximal 23 Grad dürfen es hier sein, an heißen Sommertagen gar nicht mal so unproblematisch. Denn die Leichen liegen entgegen der Vorstellungen, die man in so manchen Krimi gewonnen hat, nicht im Keller, sondern im lichtdurchfluteten Erdgeschoss. Neben der angenehm kühlen Luft nehme ich auch den strengen Formalingeruch wahr. Einen Vorteil haben die FFP2-Masken also doch, die wir während des Kurses tragen müssen!

Es bilden sich Gruppen von je drei Studierenden um die Präparationstische. Die Körperspender*innen wurden in ein weißes Leichentuch eingewickelt und mit einer Plastikfolie abgedeckt. Ein langer Aushang informiert über Alter, Erkrankungen und Todesursache der Patient*innen. Nach einleitenden Worten der Institutsleiterin werden wir aufgefordert, die Spender*innen aufzudecken. Es ist ein seltsames Gefühl, zum ersten Mal einen Toten zu sehen. Wir schauen die Leichen an, fassen sie an. Noch fällt es mir schwer, den Körperspender*innen ins Gesicht zu sehen, in den kommenden Tagen gewöhnte ich mich jedoch an den Anblick. An diesem ersten Kurstag ist auch ein Psychologe anwesend, der die Studierenden bei Bedarf während und nach dem Kurs begleitet.

Jede Woche ist nun mindestens ein Kurstag angesetzt. Aufgrund der Pandemie wurde die Gruppengröße von sechs auf drei Studierende verringert. Ich werde also weniger Zeit im Saal verbringen als die Studierenden vor Corona-Zeiten. Vier Gruppen à drei Personen wurden einem/einer Spender*in zugeteilt. Es gibt also auch viele Präparationsschritte, die ich nicht selbst miterlebe, sondern mir im Nachhinein erschließen muss. Während des Kurses unterstützen Professor*innen, Präparator*innen und Tutor*innen die Präparation und stehen uns für Fragen zur Verfügung.

Der Präparierkurs ist jedoch nur ein Baustein des Anatomie-Semesters. Neben den Stunden im Saal verbringe ich viel Zeit am Schreibtisch. Der Stoff ist in drei Themengebiete unterteilt: Innere Organe, Extremitäten und der Bereich Hals und Kopf. Passend dazu stehen auch drei mündliche Prüfungen an, sogenannte OSPEs, kurz für objective structured practical examination. Diese liegen über das gesamte Semester verteilt. Zum Semesterende ist dann eine schriftliche Abschlussklausur zu bewältigen, die neben der makroskopischen Anatomie auch die mikroskopische Anatomie und die Neuroanatomie abdeckt.
Dass die OPSEs mündliche Prüfungen sind, stellt für mich eine Herausforderung dar. In einer Klausur ein paar falsche Kreuze zu setzen ist nochmal etwas anderes, als vor Prüfer*innen und Mitstudierenden nicht mehr weiter zu wissen, denke ich mir.
Auch das Lernen ist ganz anders, als ich es vom ersten Semester gewöhnt bin. Die Anatomie ist für mich, wie auch für die meisten meiner Komilliton*innen um einiges spannender als die Vorlesungen in Chemie, Physik und Biologie, die wir schon hinter uns gebracht haben. Bei Letzteren ging es jedoch auch viel um Verständnis, während nun viel stupide auswendig gelernt werden muss. Aber wie kann das gehen, hunderte von Muskeln mit Ursprung, Ansatz und Innervation zu kennen, gleichzeitig in Histologie und Neuroanatomie nicht den Anschluss zu verlieren, genug zu schlafen, Zeit für Familie, Freunde und Hobbies zu haben?

Tja, schwierig. Von mir kann ich sagen, dass ich dieses Semester nie das Gefühl hatte, genug Zeit zu haben. Mit den richtigen Lernstrategien und einer guten Wochenplanung lässt sich der Zeitaufwand aber reduzieren! In der ersten Woche des Semesters habe ich mir verschiedene Lehrbücher aus der Bibliothek ausgeliehen, die Online-Angebote von Thieme, Amboss, MediTricks oder Happy Hippocampus ausprobiert und mir überlegt, welche Lernmethoden für mich passen könnten. In meinem Freundeskreis haben wir vereinbart, Anki-Karten zu den Anatomie-Vorlesungen zu erstellen und uns die Arbeit dafür aufgeteilt. Auch haben wir uns immer wieder getroffen, um den Stoff gemeinsam nochmal durchzugehen und uns gegenseitig abgefragt. Da das Wetter oft viel zu sonnig war, um den Tag zuhause am Schreibtisch zu verbringen, haben wir uns zum Lernen auch öfter mal auf die Peißnitz oder in den Stadtpark gesetzt.

Ende Mai war es dann auch schon so weit. Gut 40 werdende Ärzte und Ärztinnen, in Weiß gekleidet, Lernkarten in der Hand, warten nervös vor dem Institut für Anatomie auf den Beginn des ersten OSPEs. Dann öffnen sich die Türen, Herr Heine bittet uns in den Saal. Wir werden in Sechsergruppen zum Thema „Innere Organe“ geprüft und sollen uns alphabetisch entlang des Präparationstisches aufstellen. Ich stehe als Erste in der Reihe. „Nennen Sie mir die embryologischen Entwicklungsstadien der Niere,“ legt die Prüferin los. „Zeigen Sie mir an der Körperspenderin die Arteria coronaria dextra.“ Insgesamt soll jeder Studierende sechs theoretische und sechs praktische Fragen beantworten. Dann ist die Prüfung vorbei. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich aus dem Institut trete.

Auch der Rest des Semesters vergeht wie im Flug. Nach den drei OSPEs steht für mich nun nur noch die große Anschlussklausur an. Und dann ist auch dieser wohl aufregendste Abschnitt der Vorklinik schon vorüber. Entgegen der Erwartung vieler Freunde, war der Präpkurs keinesfalls eine Einheit, die man auf dem Weg zum Arzt-Sein ‚hinter sich bringen‘ muss. Die Tage im Institut waren mein Highlight der Woche! Ich fand es unglaublich spannend, die Anatomie an Körperspender*innen lernen zu dürfen. Auch wenn es mich anfänglich etwas Überwindung gekostet hat, ermöglicht der Kurs doch ein ganz anderes Verständnis des menschlichen Körpers, als es Lehrbücher leisten können.

Dass der Präpkurs auch in diesem Semester, während der Pandemie, stattfinden konnte, ist keineswegs selbstverständlich. Die Fakultät stellte FFP2-Masken für alle Studierenden bereit, vor jedem Kurstag wurden Schnelltests angeboten und die Mitarbeiter*innen des Instituts stemmten den größeren Arbeitsaufwand, der durch das Splitten in vier Gruppen zustande gekommen ist.

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