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  • Bericht
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  • Eva-Maria Kollhoff
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  • 11.11.2014

Salutogenese oder: Was bedeutet Gesundheit?

Warum werden manche Menschen krank, während andere gesund bleiben und Schicksalsschläge, Krankheiten und Behinderungen erfolgreich bewältigen und sogar an ihnen wachsen? Was bedeutet eigentlich Gesundheit? Und, nicht zuletzt: hat Krankheit einen Sinn? All diese Fragen sind Inhalte des Wahlfachs Salutogenese an der Uni Göttingen.

 

Gesundheit - Foto: Johanna Mühlbauer

 

Wer die Wahl hat, hat die Qual: Im 2.-4. Semester wird an der Uni Göttingen ein Wahlfach absolviert.
Endlich darfst du einmal selbst die Wahl treffen, womit du dich beschäftigen möchtest - in dieser Situation befindet man sich in der Vorklinik selten genug.

Dennoch fällt vielen Studenten die Wahl nicht leicht, da es ein großes Spektrum an möglichen Wahlfächern gibt.
Wer sich für das Wahlfach „Salutogenese“ entscheidet, wird schnell feststellen, dass sich hier eine der wenigen Gelegenheiten des Medizinstudiums der Vorklinik bietet, über den Tellerrand zu schauen und seinen (nicht nur medizinischen) Horizont zu erweitern.

Aber nicht nur im Rahmen des Wahlfaches ist es sehr lohnenswert, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Daher möchte ich versuchen, euch die wichtigsten Gedanken der Salutogenese näher zu bringen und vielleicht das Interesse zu wecken, sich näher mit diesem spannenden Thema zu beschäftigen.

 

Die Salutogenese

Die Salutogenese ist die Lehre von der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit. Ihr gegenüber steht die klassische Lehre der Pathogenese, wie sie an den Universitäten gelehrt wird. In dieser steht die Entstehung und Behandlung von Krankheiten im Mittelpunkt.

Sich mit der Salutogenese zu beschäftigen, bietet einem somit die Gelegenheit, einen umfassenderen Blick auf Gesundheit und Krankheit zu werfen, als es im universitären Alltag normalerweise möglich ist.
Es wird nicht mehr länger nur die Frage gestellt, was die Menschen krank macht, sondern auch, was ihnen hilft, unter den widrigsten Umständen gesund zu bleiben.
Die Mehrheit der Menschen zerbricht nicht an Schicksalsschlägen, ob es sich nun um eine schwere Krankheit, den Tod eines geliebten Menschen oder die Bewältigung von Naturkatastrophen oder Terroranschlägen handelt.
Die Salutogeneseforschung, deren Begründer Aaron Antonovsky ist, untersucht genau diese Frage.

Als Medizinstudent und sicherlich auch als Arzt fragt man sich viel zu selten: Was bedeutet eigentlich Gesundheit?
Wie ihr wisst, definiert die WHO sie als „einen Zustand vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Beschwerden und Krankheit.“

Es gibt nicht nur die eine Gesundheit, der ca. 30.000 Krankheiten gegenüber stehen, sondern ganz viele unterschiedliche „Gesundheiten“. Bereits Paracelsus sprach von einer „vieltausendfältigen Gesundheit“. Arthur Schopenhauer hat es in seinen Aussagen „über die Kunst, glücklich zu sein“ so formuliert:
„Es gibt so viele Gesundheiten auf der Welt, wie es Schönheiten gibt. Und wie jeder seine Art hat, schön zu sein, ist auch jeder gesund auf seine eigene Art und Weise. Jeder hat seine eigene Art, gesund zu sein, zu bleiben und auch wieder gesund zu werden.“

Gesundheit bedeutet selbstverständlich für ein kleines Kind etwas anderes als für einen Erwachsenen, einen Jugendlichen oder einen alten Menschen. Auch diese Tatsache muss man als Arzt berücksichtigen.

Es gibt die berühmte Metapher vom Leben als Fluss, als „Strom des Lebens“.
Die Schulmedizin würde in diesem Bild den Ertrinkenden retten, während die salutogenetische Perspektive den Menschen zum Schwimmen befähigen möchte. Dies beinhaltet, dass er somit letztendlich in der Lage ist, sich selbst zu helfen.

 

Das Wahlfach

Im Wahlfach wird die salutogenetische Perspektive anhand vieler Fallbeispiele, Videoaufzeichnungen von Arzt-Patienten-Gesprächen und eigener Erfahrungen der Studierenden erörtert und kontrovers diskutiert.
Auch die Frage nach dem Sinn von Krankheit gehört dazu. Krankheit kann, muss aber keinen Sinn haben.
Wenn man die Frage „Was fehlt Ihnen denn“ einmal bewusst überdenkt, dass fällt einem auf, dass hier Krankheit grundsätzlich als ein Mangelzustand angesehen wird, der beseitigt bzw. geheilt werden soll. Der Mangel geht einher mit einem Überfluss an Beschwerden. Nach dieser Sichtweise hat die Krankheit selbstverständlich keinen Sinn und bedeutet keine weiterführende Aufgabe.

Ein wichtiges Kennzeichen der salutogenetischen Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ganzheitlich betrachtet, ist die Frage nach dem Warum, nicht nur die Frage nach der Ursache einer Krankheit.
Natürlich geht es darum, dass der kranke Mensch nicht mehr sagt :“Mir fehlt etwas. Nur muss man die Entwicklung dabei mitdenken, die er durchmacht. Der Mensch, der eine Krankheit durchgemacht hat und von ihr wieder geheilt ist, ist selbstverständlich nicht mehr derselbe, der er ohne diese Erfahrung war. Er ist ein anderer geworden, und trotzdem wieder bei sich. Er ist im besten Falle gefestigt und gewachsen, wie ein Baum im Regen und Sturm.

Wer Thomas Manns „Zauberberg“ kennt, weiß, dass hier die Auffassung von Krankheit und Tod als eines notwendigen Durchganges zum Wissen, zur Gesundheit und zum Leben vertreten wird. „Zum Leben, sagt einmal Hans Castorp, zum Leben gibt es zwei Wege: der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg.“

Zusammenfassend lässt sich die lebensverändernde Kraft von Krisen und Krankheiten betonen: Wir Menschen besitzen die Fähigkeit, angesichts von Schicksalsschlägen psychisch zu reifen.
Psychologen nennen dies posttraumatisches Wachstum, und sie haben festgestellt: selbst sehr schreckliche Erfahrungen hinterlassen nur bei wenigen Betroffenen langfristig negative Wirkungen.
Ein bisschen erinnert dies an das berühmte Zitat von Friedrich Nietzsche: „Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.“

 

Fazit

Wenn ihr weiter in dieses hochinteressante Thema einsteigen möchtet, dann besucht doch in einem der nächsten Semester das Wahlfach Salutogenese! Es wird sowohl im Winter- als auch im Sommersemester angeboten und auch die Kliniker unter euch können teilnehmen.
Neuerdings bietet neben Herrn Dr. Ottomar Bahrs auch der bekannte Neurobiologe Prof. Gerald Hüther ein Wahlfach zum Thema Salutogenese an (siehe Link).

Ich wünsche euch viel Spaß!

Direkter Link zu den Wahlfächern (die Anmeldung für das SS 2015 findet im Laufe des aktuellen Semesters statt): http://www.med.uni-goettingen.de/de/content/studium/1084.html

Salutogenese mit Prof. Gerald Hüther: http://www.med.uni-goettingen.de/de/content/studium/1084_4048.html

 

 

 

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Info: via medici an der Uni Göttingen

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