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  • Miriam Heuser
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  • 15.02.2021

Was ich als Patientin im Krankenhaus gelernt habe

Unsicherheit, Angst, Ungewissheit – Patientinnen und Patienten fühlen sich im Krankenhaus oft alleingelassen mit ihren Gefühlen. Im stressigen Klinikalltag bleibt den Ärztinnen und Ärzten oft keine Zeit für Gespräche. Warum diese aber so wichtig sind, hat Miriam selbst als Patientin erfahren.

 

„Ich habe einen Termin für Sie! Allerdings bald. Also, morgen früh.“, sagt mein Hausarzt am Telefon. Schlucken. Nachdenken. „Alles klar.“, antworte ich. Da ist sie also, meine erste Nacht im Krankenhaus.


Als PJlerin im ersten Tertial kenne ich die Abläufe im Stationsalltag – bei OPs assistieren, zum ersten Mal eine Untersuchung selbst durchführen, täglich neue fremde Gesichter. Ich lerne, was es in der Praxis bedeutet, Ärztin zu sein. Wachse in eine neue Rolle hinein. Was die Patient*innen denken, wenn wir morgens um 7 Uhr zur Frühvisite hereinschneien? Wie es ist, mit dem Bett in den OP-Saal geschoben zu werden? Das nachzuvollziehen fällt mir jedoch schwer. Zwischen dem Arztzimmer und dem Patientenbett liegt mehr Abstand als nur zwei Meter Flur.


Im Aufnahmebereich des fremden Krankenhauses fühle ich mich unsicher. Ein paar Kilometer weiter nehmen meine Kommiliton*innen gerade Blut ab, ich hingegen warte schon seit einer halben Stunde auf meine Aufkleber. Ungeduld, Nervosität. Plötzlich bin ich Patientin.


Ich denke an eine Situation vor ein paar Tagen an meinen Arbeitsplatz als PJlerin zurück. An Herrn A., der mich nachmittags beim Blutabnehmen in ein Gespräch verwickelt hatte. Ein jüngerer Patient, palliative Diagnose. Eigentlich ein internistischer Fall, der wegen einer Komplikation erst im Notfall-OP und dann auf der chirurgischen Station gelandet war. Er war verunsichert und unzufrieden mit der Betreuung. Fühlte sich als Last, hatte Verständigungsschwierigkeiten mit dem Pflegepersonal und den Eindruck, dass auf seine Beschwerden nicht eingegangen und ihm nicht zugehört wurde.


Verunsicherung, Unzufriedenheit. Gefühle, die ich während meines ersten Krankenhausaufenthaltes auch spüre, auch wenn dessen Anlass viel banaler ist. Ich bin ungeduldig, weil die Aufnahme so lange dauert, weil mir so wenige Fragen gestellt werden. Zweifle an der Kompetenz der Stationsärztin, die beim Viggo-Legen zwei Mal daneben sticht, obwohl ich doch gute Venen habe. Weiß nicht, ob und wie ich mit meiner älteren Zimmernachbarin ins Gespräch kommen soll. Fühle den ultimativen Kontrollverlust, wenn ich Medikamente bekomme, deren Namen ich nicht kenne und deren Anwendung mir nicht genau erklärt wird. Kann nachts nicht schlafen, weil die Nachbarin so laut schnarcht.


Als ich mich damals bei Herrn A. aus dem Patientenzimmer verabschiedete, war meine Schicht längst zu Ende, draußen Dämmerung. Herr A. hatte lange geredet, erst schnell und aufgebracht, später ruhiger, als er merkte, dass ich nicht direkt weggehen würde. Wir hatten zusammen Fragen aufgeschrieben, die er in der Visite stellen wollte. Ich hatte ihm erklärt, dass er nur noch wenige Tage auf der Station liegen würde und seine eigentliche Therapie auf der ihm vertrauten Station weitergehen solle, hatte zwischendrin mit der Stationsärztin einige Fragen abgeklärt und seine Patientenakte durchgelesen. Aber vor allem hatte er gesprochen, während ich zugehört hatte.


Zeit ist in vielen Krankenhäusern knapp und der Patientenkontakt ist auf die für die Behandlung und Betreuung notwendigen Zeitpunkte beschränkt. Das trägt zur Effizienz des Systems Krankenhaus bei, allerdings nicht unbedingt zur Zufriedenheit derer, die dieses System am Laufen halten: die Menschen, die Patientenbetten und OP-Säle füllen.


Patient*in zu sein ist surreal. Man ist in einer fremden Umgebung, verliert einen großen Teil der Privatsphäre und der Autonomie. Man braucht medizinische Hilfe, aber auch etwas zum Festhalten: ein vertrautes Gesicht, Erklärungen, Verständnis.


Ich habe für mich aus meinem eigenen Krankenhausaufenthalt mitgenommen: Sich Zeit abseits der notwendigen Zeitpunkte zu nehmen, hilft auf verschiedenen Ebenen beim Gesundwerden. Und: Alle, die in einem Krankenhaus arbeiten, helfen Menschen dabei, gesund zu werden oder gesund zu bleiben: Azubi und Ärztin, Pflegefachkraft und PJler, Aufnahmemanagement und Nachtwache. Also überschreite ich öfter als zuvor den Flur, der Arztzimmer und Patientenzimmer trennt. Frage beim Blutabnehmen nach, wie die Nacht war, ob der Aufenthalt eine große Umstellung ist. Höre bewusster zu. Und nebenbei lerne ich bei den Erzählungen über Komplikationen, Schmerzen und erfolgreiche Therapien auch fachlich dazu.

 

 

 

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