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  • Katharina Ruderich
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  • 25.01.2022

Mein neues Leben

Gerade noch auf der Schulbank, jetzt im Hörsaal. Katharina hat das Medizinstudium begonnen und erzählt, wie sie die Anfangszeit erlebt hat.

 

 

Die Entscheidung, Medizin zu studieren – eine der dümmsten und gleichzeitig eine der besten Ideen, die ich je hatte. Mit dem Gedanken habe ich, um ehrlich zu sein, schon immer gespielt, aber dann tatsächlich die Bewerbung nach dem Abi loszuschicken, ist dann doch etwas anderes. Allein schon deswegen, weil es einen doch aus der Bahn wirft zu sehen, wie weit unten man eigentlich in der Rangliste steht. 1700 bis 2000 Leute vor mir an jeder Uni? Da bekomme ich ja nie einen Studienplatz. Zum Erstaunen aller Familienmitglieder und mir selbst, kam dann Ende September die freudige Botschaft: ich würde tatsächlich in Leipzig das Studium antreten können. Knapp 300 km von meinen Eltern entfernt.

Die Wohnungssuche war glücklicherweise sehr entspannt, sodass ich ein paar Tage vor Studiumsbeginn einziehen konnte. Die Ersti-Tage waren verpasst, die Angst vor dem alleine-leben geschürt. Wie läuft ein Studium überhaupt ab? Was muss ich machen? Wie gehe ich mit den Vorlesungen um? Habe ich alle Daueraufträge eingerichtet, oder werde ich gleich mal irgendwas Wichtiges vergessen? Welche Bücher sind geeignet, und wo soll ich das Geld dafür herbekommen? Plötzlich spürte ich, dass 18 Lebensjahre mich zwar ermächtigten, Alkohol kaufen zu dürfen, aber ich mich trotzdem wie ein kleines Mädchen fühlte, dass eigentlich ganz gern ihre Mama an der Seite hätte.

Und dann ging es los: Der erste Uni-Tag. Die erste Vorlesung, die erste Überforderung, das erste Mal in der Mensa essen, das erste Mal den Studentenausweis als Fahrticket für die Bahn vorzeigen. Alles Dinge, bei denen man sich als Kind denkt, die Studierenden müssten sich ja so erwachsen vorkommen, aber man merkt jetzt: Eigentlich hat niemand eine Ahnung, es tun nur alle so. Dass die erste Anatomie-Vorlesung mit allgemeiner Embryologie begann, half auch nicht weiter. Die Hälfte der Begriffe hatte ich noch nie gehört, sie wurden aber auch nicht weiter erklärt, und als ich versuchte, das Ganze nachzuarbeiten, gab es nur ein Querverzeichnis nach dem anderen.

Dann kam Physik. Im Gegensatz zu den anderen Vorlesungen, die als voraufgenommene Podcasts hochgeladen wurden, ist Physik ein Livestream, und das zurecht. Immerhin etwas, dass diesem ersten Montag ein wenig Struktur gab, denn die Seminare begannen erst in der Woche danach, wenn nicht sogar später. Verstehen tue ich Physik trotzdem nicht so ganz, aber gut. Klausur ist erst im April, vielleicht wird das ja noch was. Dann wollte ich Terminologie machen. Zu meiner großen Freude waren das aber nur PowerPoint-Folien – also keine Vertonung, keine großartige Erklärung (macht aber nix, denn im Seminar wird das Ganze noch besser erklärt, daran wird die Klausur also nicht scheitern). Abgesehen davon, zwangen mich meine Eltern, bereits in der fünften Klasse Latein zu lernen, und obwohl dieses Fach das erste war, das ich abwählte, ist anscheinend doch etwas hängengeblieben – die a-Deklination kann ich zumindest noch.

Um den Tag abzurunden, beschloss ich, die Bio-Vorlesung anzugucken – eine Stunde und 40 Minuten. Die längste Vorlesung und damit für mein Gehirn, dass sowieso schon vollgestopft mit all den neuen Eindrücken war, der reinste Horror. Naja, dieser Rhythmus zog sich das ganze Semester so weiter, und wird sich im nächsten definitiv Fortsetzen. Extrem viel Stoff und hauptsächlich auswendig lernen – das ist das Medizinstudium. Während sich die meisten wohl ahnen, wie viel der Lernstoff eigentlich umfasst, gibt es wohl keinen Weg, sich dessen zu 100% bewusst zu sein. Es überfordert einen. Gerade, wenn man – wie ich – gerade erst von der Schule kommt und noch keinerlei Erfahrung damit hat, auf eigenen Beinen zu stehen, eine eigene Wohnung zu haben und selbst zu entscheiden, was man wann und wo lernt.
Aber irgendwann in den ersten paar Wochen kommt ein Switch, versprochen. Irgendwann wird man sich bewusst, dass man gerade die Chance hat, seinen Kindheitstraum zu erfüllen. Im Anatomieseminar wird man vor lauter Bewunderung vor der Natur nicht mehr herauskommen und im Histologie-Seminar, wenn man begreift, dass das auf dem Präparat so im eigenen Körper ist, wird man auch Physik und Chemie überleben. Also, liebe zukünftige Erstis: haltet durch. Auch ihr werdet irgendwann ein Licht am Ende der Vorlesungen sehen.

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