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  • Interview
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  • Das Interview führte Julia Hecht
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  • 06.04.2016

Wir brauchen strukturierte Abläufe – Dr. Deckwerth schätzt Effizienz

Dr. Cornelia Deckwerth, Ärztliche Direktorin und Chefärztin einer Abteilung für Unfallchirurgie, stellt gleich zu Beginn klar: „Krankenhäuser müssen überleben, um Patienten behandeln zu können.“ Das würden sie aber nicht nur durch ökonomische Anpassungen erreichen, sondern indem sie z. B. auf standardisierte Strukturen und Abläufe setzen. Nicht zuletzt schafft das Freiräume, in denen Dr. Deckwerth und ihre Kollegen sich weniger der Administration und mehr den Patienten widmen können: Die Chirurgin kommt gerade aus dem OP.

 

Dr. Deckwerth - Foto: Julia Hecht

Dr. med. Cornelia Deckwerth, MHBA, wurde 1965 in Radebeul (Sachsen) in der ehemaligen DDR geboren. Nach dem Medizinstudium an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verbrachte sie ihre Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie am Universitätsklinikum Essen. 2004 folgte der Facharzt für Unfall­chirurgie, 2008 der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Darüber ­hinaus führt sie die Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin, Hand­chirurgie und Geriatrie. Nach 9 Jahren am Univer­sitätsklinikum Mannheim – zunächst als Fach- und später als Oberärztin – ließ sie sich 2009 nieder. Ca. 2 Jahre später wurde sie Chef­ärztin am Heilig Geist Hospital Bensheim. Seit Oktober 2015 ist Dr. Deckwerth Ärztliche Direktorin und Chefärztin der Abteilung Unfallchirurgie an der Paracelsus-Klinik Karlsruhe. Foto: Julia Hecht

 

> Frau Dr. Deckwerth, wollten Sie schon immer Ärztin werden?

Ganz im Gegenteil, ich wollte nie etwas mit Medizin machen! Meine Mutter hat als Stations- und später als Pflegedienstleitung gearbeitet und war kaum zu Hause. Außerdem musste ich ein paar Mal ins Krankenhaus: Es roch so komisch, und hauptsächlich waren dort alte Menschen. Mich hat immer etwas Kreatives gereizt: Restaurieren oder Denkmalpflege.

 

> Wie kam es dann, dass Sie Medizin ­studiert haben?

Das war gar nicht so einfach: Ich bin in Radeburg in der DDR aufgewachsen und durfte kein Abitur machen. Als ich nach der 10. Klasse sehr kurzfristig eine Lehrstelle nachweisen musste, war in einem kreativen Beruf natürlich nichts zu finden. Meine Mutter meinte, ich solle doch Krankenschwester lernen. Das hat mich wirklich Überwindung gekostet! Aber nach 2 Jahren fand ich es so interessant, dass ich dabei bleiben wollte. An der ­Abendschule habe ich parallel mein Abitur gemacht und wollte danach unbedingt Medizin studieren. Im Osten ging das nicht. Also bin ich 1987 in den Westen und habe zum nächstmöglichen Zeitpunkt in Mainz ­einen Studienplatz bekommen. Ich habe die Entscheidung nie bereut!

 

> Und wie sind Sie zur Chirurgie gekommen?

Bis zum PJ wollte ich eigentlich Internistin werden. Das war mir dann aber doch etwas zu langweilig. Ich fand die operativen Fächer, Anästhesie und Notfallmedizin viel spannender, konnte mich aber nicht so recht entscheiden. Damals kamen auf eine Stelle 120 Bewerbungen, sodass ich einfach das erste nehmen wollte, was ich bekam: Eine Stelle in der Anästhesie an der Uniklinik in Essen. Aber der Chef der Unfallchirurgie wollte mir einen Monat aus der eigenen Tasche zahlen, wenn ich bei ihm früher anfinge. Weil ich auf BAföG angewiesen war, habe ich ihm zugesagt. Ich dachte, nach den eineinhalb Jahren AiP könnte ich ja immer noch wechseln – wollte ich dann aber gar nicht mehr, weil das Fach so abwechslungsreich ist und alle Möglichkeiten der Notfallmedizin vorhanden waren: Wir hatten in der Unfallchi­rurgie eine eigene Intensivstation, und auch der Rettungsdienst wurde damals von den Unfallchirurgen organisiert.

 

> Was reizt Sie an der Unfallchirurgie?

Das Prinzip Ursache-Wirkung ist extrem: Sie behandeln häufig junge, gesunde Patienten, die verletzt sind, und danach sieht zumindest das Röntgenbild schon wieder gut aus. Die Reha-Phase ist natürlich nicht zu unterschätzen, aber es ist ein sehr ergebnisorientiertes Arbeiten. Unsere Patienten werden zwar auch immer älter, aber solange sie noch einigermaßen fit sind, sind sie doch erstaunlich schnell wieder mobil. Spätestens am 1. postoperativen Tag beginnt die Physiotherapie, und oft ­stehen sie da schon wieder aus dem Bett auf. Es ist ein unheimlich dankbarer Job.

 

> Was operieren Sie am liebsten?

Ich richte gerne komplexe Frakturen. Außerdem ist die Handchirurgie mein großes Steckenpferd. Gerade eben war eine Radiusfraktur dran. Es war wirklich ein Puzzle, osteoporotischer Knochen, völlig atomisiert – aber letztlich macht es Spaß, so etwas wieder hinzubekommen und ein gutes funktionelles Ergebnis zu erzielen.

 

> Egal wie lange es dauert?

Natürlich ist zügiges Operieren wichtig für das Ergebnis, aber prinzipiell sollte man sich nicht von der Uhr oder der Unruhe im OP-Saal hetzen lassen. Es kommt selten genug vor, dass ich den ganzen Tag im OP bin, aber dann genieße ich es. Auch wenn es mal etwas länger dauert: Das Ergebnis zählt, denn der Patient muss hinterher damit zurechtkommen. Wenn man danach handelt, wie man seine eigene Familie versorgen würde, kann man nichts falsch machen.

 

> Sie waren eine Weile niedergelassen – warum sind Sie in die Klinik zurück­gekehrt?

Schon nach ganz kurzer Zeit habe ich ­gemerkt, dass das nichts für mich ist: Ich bin ein Teamplayer, ich brauche eine Klinik, ich brauche Leute, mit denen ich mich austauschen kann, ich brauche auch Kritik von außen, ich brauche unheimlich viel Input – das hat man in der Praxis nicht so.

 

> Seit einem halben Jahr sind Sie Ärzt­liche Direktorin – haben Sie sich auf Ihre neue Rolle vorbereitet?

Nein, aber mir kommt mein Master of ­Health Business Administration ­zugute. Ich habe mit dem berufsbegleitenden Studium zu Beginn meiner ersten Chef­arztstelle angefangen und jetzt mit meiner Masterarbeit abgeschlossen. Damals dachte ich: „Super, du kennst dich zwar mit ­Kodierung und Case-Mix-Punkten aus, aber was dein Geschäftsführer von dir verlangt, kannst du noch nicht einmal nachvollziehen!“ Meine Masterarbeit handelte von der Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen in Krankenhäusern. Ohne dieses Wissen wäre es sehr schwierig. Ich habe zwar einen ökonomischen Leiter, aber wir müssen schließlich auch die gleiche Sprache sprechen!

 

> Empfehlen Sie jungen Kollegen, sich mehr mit Ökonomie zu beschäftigen?

Ja und Nein: Einerseits müssen wir uns vor einer zunehmenden Ökonomisierung der Medizin hüten. Es ist schlimm genug, dass ich mich bei der Wahl eines Implantats an Einkaufsgemeinschaften und Mengen­rabatten orientieren muss. Andererseits ist es wichtig, das Gefühl dafür zu schärfen. Wir müssen sparen, damit wir gut behandeln können – nicht unbedingt an materiellen Dingen, sondern an Ressourcen. Das System braucht Effizienz.

 

> Wie erreichen Sie diese?

Zum Beispiel durch standardisierte Abläufe, um unnötige Wege und Rückfragen zu vermeiden. Ich hasse Kochbuch-Medizin zwar, für einen Anfänger sind Checklisten jedoch ein großer Sicherheitsfaktor. Trotzdem muss man immer wieder hinterfragen, passt das für meinen Patienten? Man kann sich die Arbeit vereinfachen, aber man darf nicht aufhören mitzudenken!

 

> Kann man als Frau Unfallchirurgie und Familie vereinbaren?

Wenn man einen Mann hat, der beruflich eingespannt ist, und keine entsprechende familiäre Hilfe im Hintergrund, ist das nicht so trivial. Wie stellen Sie sich das vor, wenn nachmittags ein Notfall reinkommt, Sie anfangen zu operieren und mittendrin in die Kita müssen, weil es doch länger dauert als geplant? Meinen Sie, da kann einfach jemand anderes nahtlos weitermachen? Wer schreibt den OP-Bericht? Wer ist haftbar? Das lässt sich zwar organisieren, aber es erfordert extrem viel Flexibilität von allen Seiten. Manchmal muss ich auch die männlichen Kollegen in Schutz nehmen, die alles miterledigen müssen. Eine ideale Lösung wäre z. B. eine Ganztagsbetreuung, so wie sie große Universitätsklinika mittlerweile anbieten.

 

Diese Artikelserie wird präsentiert von den Paracelsus-Kliniken Deutschland GmbH.

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