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  • Claus-Henning Bley, Ulrike Rostan
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  • 16.03.2010

Forscher gesucht - Forschungswüste Deutschland?

Zu wenige Mediziner gehen in Deutschland in die klinische Forschung. Zu diesem Schluss kommt die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Fakt ist, dass die Weichen bereits im Medizinstudium gestellt werden.

Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) im kommt zu dem Schluss, dass sich zu wenig Medizinstudierende beruflich für eine Tätigkeit in der Forschung und so für eine Karriere in der Hochschulmedizin entscheiden.
Die Gründe seien vielfältig: Das Medizinstudium biete zu wenig Freiräume für experimentelle Doktorarbeiten, in der klinischen Weiterbildung käme die Forschung oft zu kurz - die Weiterbildungsassistenten hätten weder genügend Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit noch würden sie ausreichend bezahlt. Im Ausland dagegen böten sich interessierten Jungforschern oft weit bessere Möglichkeiten. Wissenschaftler seien in den USA zum Beispiel deutlich besser in das medizinische System integriert, wird Professor Detlef Schuppan in der Broschüre zur Tagung "Karrierewege in der Hochschulmedizin" zitiert. Der Internist ist Associate Professor an der Havard Medical School und berichtet von vielfältigeren Karriereoptionen in den USA, relativer Unabhängigkeit und völliger Transparenz des Gehaltssystems. Hinzu komme, dass Forscherinnen und Forscher finanziell an den von ihnen eingeworbenen Drittmitteln beteiligt würden.

Medizinstudierende in Zeitnot

"Der Anteil experimenteller Doktorarbeiten an den zur Promotion eingereichten Arbeiten ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen", sagt Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, Dekan des Fachbereichs Medizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und bestätigt den Trend, dass es weniger Medizinstudierende in die Forschung zieht. Zurückzuführen sei dies darauf, dass heutige Studierende generell zu wenig Zeit hätten. Eine experimentelle Doktorarbeit setze intensive, zum Teil auch mehrsemestrige Forschung voraus. Manchmal sei auch ein Freisemester nötig.
Doch der Stundenplan der heutigen Medizinstudierenden ist voll. Mit der neuen Approbationsordnung sind bereits in der Vorklinik etliche Seminare hinzugekommen. Es sei schwierig, noch mehr Zeit in der Universität zu verbringen, als es das Studium der Medizin per se schon fordere, so der Dekan weiter.

Zum anderen haben die Medizinstudierenden seit jeher ein Orientierungsproblem:
Im Gegensatz zu anderen Studiengängen besteht das Medizinstudium aus einer allgemeinen zwölfsemestrigen Universitätsausbildung, unabhängig davon, welche Fachrichtung der Absolvent später einschlagen möchte. Den Studierenden erschließen sich erst nach Abschluss des Studiums die weiteren Wege, die ihnen offen stehen: Der Arbeit im Klinikum steht eine Berufsperspektive in der eigenen Praxis gegenüber und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, eine Hochschulkarriere zu beginnen.

"Oftmals verhalten sich berufliche Perspektive und Karriere im eigentlichen Sinne konträr zueinander", sagt Univ.-Prof. Dr. Peter Brockerhoff, der als Studiendekan die Perspektiven der angehenden Mediziner kennt. "Für den in Facharztfunktion vorrangig im Labor tätigen Arzt ist es aufgrund seiner dadurch weniger ausgeprägten klinischen Expertise schwieriger, in eine leitende Funktion im klinischen Bereich zu kommen."

Forschender oder kurativ arbeitender Arzt

Immer wieder in der Diskussion ist das Modell, Ärzte in den Kliniken ganz auf das Forschen zu konzentrieren und auf die Arbeit am Patienten verzichten zu lassen. Dieses Modell ist nach Einschätzung des Dekans in Deutschland in vielen klinischen Bereichen wünschenswert, jedoch aufgrund der damit verbundenen Mehrkosten schwierig umzusetzen.

Ein Ansatz dafür wäre die Aufspaltung des Medizinstudiums in zwei getrennte Bereiche: in eine praktisch-ärztliche Ausbildung und eine Laufbahn, die auf die medizinische Forschung vorbereitet. Der forschende Arzt würde sich allerdings dann nicht mehr von anderen Naturwissenschaftlern in der Forschung unterscheiden. Ärztinnen und Ärzte, die gleichzeitig in der Krankenversorgung tätig sind, haben jedoch den Vorteil, dass sie ihre Erfahrungen mit Patienten und Krankheiten in die klinische Forschung einbringen und daraus die richtigen Fragen und die geeigneten Schlussfolgerungen ziehen können.

So sieht es jedenfalls Professor Jürgen Schölmerich, Vizepräsident der deutschen Forschungsgemeinschaft, der klar dafür eintritt, dass patientenorientierte Forschung nicht mit der ärztlichen Tätigkeit konkurriert, sondern sie unterstützt. Doch um beide Tätigkeiten miteinander vereinbaren zu können, müsse sich noch vieles in der Ausbildung von Ärzten und in der Wertschätzung der forschenden Tätigkeit ändern und die wissenschaftliche Laufbahn stärker gefördert werden.

Experimentelle Doktorarbeit: zu aufwendig?

Was treibt junge Mediziner heutzutage dazu, aktiv zu forschen - zum Beispiel im Rahmen einer experimentellen Doktorarbeit, wenn es doch schon wesentlich einfachere Arbeiten im statistischen Bereich gibt, die mit relativ wenig Aufwand zur Promotion führen?
Für Robert Holz, Medizinstudent in Mainz, war es keinesfalls von Anfang an klar, dass er sich für eine experimentelle Doktorarbeit entscheiden würde. Der Doktortitel sollte später das Türschild vor seiner Arztpraxis zieren. Zudem war für ihn das Medizinstudium in gewisser Weise damit verbunden, den Titel auch zu erlangen. Doch mit welchem Aufwand, darüber machte er sich als vorklinischer Student noch keine Gedanken.
In der Klinik angekommen, wog er das Für und Wider ab und entschied sich entgegen seiner anfänglichen Einschätzung für die Forschung. Denn er wollte sich für seinen weiteren Berufsweg alle Möglichkeiten offen halten. Nach mehrmonatiger Suche und mehr als einem Jahr Arbeit im Labor sieht er sich trotz des einen oder anderen Rückschlags in der täglichen Arbeit durch die überwiegenden positiven Erfahrungen in seiner Wahl bestärkt.
So erhält er durch die Arbeit im Labor einerseits Einblick in den Bereich, der uniweit einen beträchtlichen Teil der täglichen Arbeit vieler Beschäftigter ausmacht. Andererseits kann er durch die Arbeit "im Kleinen" viele Abläufe in der Uniklinik "im Großen" besser verstehen. Zu guter Letzt profitiert er auch von der Gemeinschaft der Leute, mit denen er zusammenarbeitet und die er im Laufe der Zeit schätzen gelernt hat.

Anders ist es bei Max Ackermann, ebenfalls Mainzer Medizinstudent. Für ihn stand bereits in der Vorklinik fest, motiviert durch das Wahlfach "Angiogenese und Mikrozirkulation", in welche Richtung seine Promotion gehen sollte. Professor M. A. Konerding konnte ihn für das spannende Thema begeistern und nun forscht er im Tiermodell, welchen Einfluss verschiedene Wachstumsfaktoren auf die Wundheilung haben. Forschung ist für ihn der Motor der Medizin: "Ich kann jetzt nachvollziehen, wie die Grundlagenforschung die Weiterentwicklungen in Klinik und Medizintechnik beeinflusst."

Beispiel Greifswald: Biomedical Sciences

Manche medizinischen Universitäten (Gießen/Marburg, Hannover und Greifswald) haben bereits begonnen, Förderprogramme zu entwickeln. Zum Beispiel Greifswald: Seit 2003 können Medizinstudierende der Greifswalder Universität in den klinischen Semestern die vorlesungsfreie Zeit bündeln und diesen Block zum Beispiel dafür nutzen, eine experimentelle Dissertation zu erarbeiten. Zusätzlich bietet die Greifswalder Uni seit dem WS 2007/2008 ein MD/PhD-Programm an, das zukünftigen Ärztinnen und Ärzten einen frühen Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere ermöglicht. Nach dem dritten Studienjahr können interessierte Studenten parallel zum Medizinstudium in einem Semester den Bachelor of Science erwerben. Das Medizinstudium verlängert sich dadurch nicht. Wer die 1. Ärztliche Prüfung und den Bachelor mindestens mit "Gut" abschließt, kann sich um die Aufnahme in die "Greifswald Graduate School of Science" bewerben und dort nach drei Jahren strukturierter naturwissenschaftlicher Ausbildung und experimenteller Doktorarbeit den Titel Dr. rer.nat erwerben. Anschließend können die Absolventen ihr Medizinstudium fortsetzen. Ziel dieser Maßnahmen ist, Ärztinnen und Ärzte mit besonderer Qualifikation für eine wissenschaftliche Laufbahn auszubilden und die wissenschaftliche Qualität der Promotionen in der Medizin anzuheben, so wie es die Kultusministerkonferenz 2006 beschlossen hat.

Förderprogramme nutzen

Es ist doch erschreckend, im Deutschen Ärzteblatt zu lesen, dass junge Mediziner nicht mehr in der Forschung arbeiten wollen. Mit der Forschung können Heilverfahren und neue Medikamente entwickelt und ihre Wirkweisen verständlich gemacht werden. Genau aus diesem Grunde ist es wichtig, dass Klinikärzte weiterhin forschen, auch wenn der duale Karriereweg, der Klinik und Wissenschaft vereint, häufig steinig ist und Nachwuchswissenschaftlern in Deutschland bisher wenig Anreize bietet. Damit die motivierten und hoffnungsvollen Talente nicht ins Ausland abwandern, sollten die Rahmenbedingungen optimiert werden. Das heißt, dass die berufliche Karriere Perspektiven bieten muss, die inhaltlich und finanziell attraktiv sind. Zudem sollte es wie in den USA möglich sein, zwischen Krankenbett und Labor wechseln zu können, um sich nicht zu früh auf eine Richtung festlegen zu müssen.

Es gibt in Deutschland eine Reihe von Programmen (siehe Links unten), die geeignet sind, den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Hochschulmedizin im Land zu halten oder zurückzuholen. Dennoch bleibt viel zu tun, wie die Schlussfolgerungen der DFG-Konferenz zeigen. Nachzulesen sind die Handlungsempfehlungen in der DFG-Broschüre unter "weiterführende Links". Medizinstudierende sollten während ihres Studiums die Augen offen halten und Förderprogramme nutzen, um sich neue Wege erschließen und vielleicht auch ungeahnte Talente in sich entdecken zu können.

Weiterführende Links

Karrierewege in der Hochschulmedizin (Fachtagung 15. bis 16. November 2007): In der Beilage zur "duz - das unabhängige Hochschulmagazin" vom 22. Februar 2008 sind die Themen der Fachtagung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und verschiedene Diskussionsbeiträge zusammengestellt, sowie die Schlussfolgerungen aufgelistet, die nach Meinung der Teilnehmer von Hochschulen, Politik und verbänden ergriffen werden müssen, um forschenden Ärzten in Deutschland attraktive Bedingungen zu bieten.

Förderprogramme:

DFG Wissenschaftliche Karriere - Förderung nach der Promotion

Infos zu DFG-Förderprogrammen

Nachwuchsförderung der Deutschen Krebshilfe

Zusatzstudiengänge

Biomedical Sciences in Greifswald (pdf

 

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