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  • Bericht
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  • Yvonne Kollrack
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  • 21.10.2010

Als Ärztin nach England

Viele Nachwuchsmediziner verlassen den klinischen Alltag oder die deutschen Strukturen (oder beides), um auf anderem Wege ihr berufliches Glück zu finden. England steht als Auslandziel schon seit längerem hoch im Kurs. Für mich - in der Facharztausbildung zur Chirurgin mit Interesse für Notfall- und Intensivmedizin - war das eigentlich kein Thema.

Doch eines Tages stieß ich auf eine Anzeige im Deutschen Ärzteblatt. Und sie stand da wie für mich gemacht. "Interested in living and working in London for a year or more?", lautete die Überschrift - darunter wurde ein "Senior Clinical Fellow in Accident and Emergency" gesucht.
Sich zu bewerben war recht unbürokratisch. Es reichte, eine email zu schicken und 2 Referenzen anzugeben. Ich wurde tatsächlich eingeladen, zwar ziemlich kurzfristig, aber wer nicht wagt - vielleicht würde ich mich sonst den Rest meines Lebens ärgern.

 

Mit dem nächsten Flug nach England

Sofort tauschte ich meinen Bereitschaftsdienst, buchte ich einen Billigflug und los ging´s. Zunächst erhielt ich eine Führung durch das Krankenhaus und die Notaufnahme. Mir wurden die Knie etwas weich: Kindernotfälle, 2 laufende Reanimationen, volles Wartezimmer - bei allen Klischees: es war wie im Fernsehen in "Emergency Room"!
Das Vorstellungsgespräch verlief ganz anders als in Deutschland üblich. Wie der Begriff "interview" schon andeutet, ging es um eingehendes gegenseitiges Kennenlernen. Nach kurzem Gespräch über die bisherige Vita, fand ich mich in einer Prüfungssituation wieder. Zum Glück wurde mir unterstellt, ich würde alle Fallbeispiele beherrschen und könnte mich nur nicht auf Englisch so detailliert ausdrücken, wie mein Wissensstand war. Ich versuchte also stets, wenigstens sehr intelligent zu schauen. Nach der Überprüfung meines fachlichen Standes durfte ich Fragen zum Job und dem Hospital stellen.

 

Eine Absage und gleichzeitig die Zusage

Angesichts meiner 2 Mitbewerber, welche deutlich mehr Erfahrung hatten als ich, gab ich mir keine Chancen. Offen sagte ich dies auch gleich zu Beginn des abschließenden Gespräches. Ich gab sogar zu bedenken, dass die mit diesem Job verbundene Aufgabe jüngeren Kollegen zu helfen und sie zu beaufsichtigen, mich vielleicht überfordern würde, da ich selbst sicher noch viel Anleitung und Hilfe benötigte.
Die Kommission des Hospitals aus Chef- und Oberarzt sowie zwei Personalleitern bestätigte, dass die Entscheidung für einen Kollegen gefallen war. Doch im gleichen Satz boten sie mir die nächste freie Stelle an, fragten nach Wohnraumbedarf und meiner Terminplanung für das nächste Jahr. Danach bekam ich noch einen englischen Klinikleitfaden Notfallmedizin geschenkt, mit der Bemerkung, ich solle mich schon mal einlesen, da einige Dinge auf dem Kontinent wohl anders gehandhabt würden.
Jaja, dachte ich, englische Höflichkeit, wo ich doch jetzt extra hierher geflogen bin.

 

4 Monate später

Nachts um 1 Uhr war ich wieder zu Hause, um 7 Uhr bei Visite auf Station und dann gleich wieder im Nachtdienst. Niemand hatte gemerkt wo ich gewesen war. 4 Monate später erhielt ich tatsächlich eine email: Jetzt sei wieder eine Stelle frei, ob ich noch Lust hätte? Passenderweise kam das Angebot zum Monatsende, also konnte ich gleich kündigen. Sowohl Wohnung als auch Job. Viel zu überlegen gab's nicht, lange zögern auch nicht. Der Hauptgedankengang war eigentlich nur: Wenn ich das jetzt nicht mache, würde ich mich vielleicht ewig ärgern!
Diese Chance, fachlich, sprachlich, menschlich wollte ich mir nicht entgehen lassen. Mich reizte in all diesen Bereichen auch die Herausforderung. Damit war alles klar: Machen!

 

Es ist nicht das Geld - es ist die fachliche und menschliche Chance

Für die Kollegen, vor allem Oberärzte und Chef, war auch alles klar: Da lockt der bessere Verdienst. Überhaupt war dies in 90% die erste Assoziation mit einem Job in England. Dass es mir hauptsächlich um die Ausbildung, das Training und Teaching ging, verstand kaum jemand. Des weiteren halte ich einen Auslandsaufenthalt für eine fachliche, menschliche und sprachliche Chance.
Überzeugend bei der kurzen Stippvisite in England war auch das kollegiale Klima, das sofort spürbar war und während der ganzen Zeit bis Arbeitsantritt (Telefonate, Absprachen zum Stellenbeginn und so weiter) immer gleich gut blieb. Außerdem erhoffe ich mir endlich mal konstruktive Kritik statt destruktiver und Feed-Back zu meiner Arbeit, meiner Diagnose und Einschätzung des Patienten. Die Motivationskünste und das Feingefühl deutscher Chef möchte ich auch gerne hinter mir lassen.

Andere Reaktionen auf meine Auswanderung waren: "Dass du dich das traust. Eine fremde Stadt. Ein fremdes Land. Und wie umständlich, was machst du denn mit deinen Möbeln und was ist wenn du wiederkommst?" Zugegeben, über letzteres mache ich mir auch Gedanken.
Aber sonst konnte ich nur gewinnen.

 

Formalitäten

Trotz EU musste einiges an Formalitätenkram erledigt werden. Was jedoch ohne EU und ohne email und Internet und die meist freundlichen hilfsbereiten Behördenansprechpartner gewesen wäre, möchte ich gar nicht denken. Während das GMC (General Medical Council) nur Übersetzungen vom Abschlusszeugnis der Hochschule, der Approbation und ein Certificate of good standing (CGS) haben will (neben Pass und viel englischen Pfund), will die deutsche Behörde - wobei es auch etwas Mühe kostet herauszufinden, dass es sich dabei um die jeweilige Bezirksregierung handelt -

Einiges an Gebühren wird für das alles natürlich auch noch fällig. Hat man das CGS endlich, muss es übersetzt werden, denn eine deutsche Behörde stellt eine Bescheinigung für eine englische Behörde natürlich auf Deutsch aus.

 

E-Mail vom künftigen Chef

Der "job offer letter" bestand aus tausend auszufüllenden Formularen mit mir obskurem Zweck und ohne erkennbares deutsches Äquivalent. Ich rief erst mal das medical recruitment (Personalverwaltung) an und wurde prompt beruhigt: "Komm erst mal her, dann machen wir das gemeinsam!".
Zugleich bekam ich eine email von meinem neuen Chef, es sei prima, dass ich bald käme, noch schöner, dass ich 2 Wochen vor Stellenantritt käme, um alles kennen zu lernen und keine Sorge, niemand würde erwarten, dass ich nach diesen zwei Wochen alles könnte, die ersten Monate würde man mich kräftigt unterstützen.

Ich hoffe es geht so weiter... manchmal klingt es zu gut um wahr zu sein...

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