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  • Heike Schönwälder, TU München
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  • 02.07.2007

Medizin an der Universidad Miguel Hernández de Elche

Am 1. September 2006 schwebte ich mit meinen Siebensachen in einem Billigflieger, besetzt von Dackel-Besitzern im besten Pensionärsalter, in der Abenddämmerung in Alicante ein. Während sich im Flugzeug vorfreudige Urlaubsatmosphäre breit machte, hatte ich vor lauter Aufregung einen Riesenkloß im Hals.

Die Tatsache, dass ich noch im Flugzeug einen Studenten kennen lernte, der genauso wie ich in diesem Moment sein Erasmussemester startete, milderte meine Nervosität etwas und wir teilten uns ein Taxi zur Jugendherberge, von wo aus wir in den nächsten Tagen eine Bleibe suchen wollten.

Residencia Juvenil Universitaria "La Florida"
Avenida Orihuela, 59
Tflno 965113044

Die Jugendherberge liegt ein kleines Stück außerhalb des Zentrums, dafür kostet ein sauberes zweckmäßiges Zimmer mit eigenem Bad nur ca.8 Euro pro Nacht und man kommt mit dem Bus in 8 Minuten oder zu Fuß in 25 Minuten sehr einfach ins Zentrum.

Die ersten Tage gestalteten sich als etwas schwierig. Die Stadt erschien mir hässlich, staubig, viel zu heiß. Und die fehlenden Busfahrpläne beziehungsweise die für Ortsunkundige völlig verwirrenden Streckenpläne machten es mir nicht gerade einfacher mich zurechtzufinden. Hinzu kam, dass ich sowohl mein damals rudimentäres Spanisch als auch das Englisch der Spanier vollkommen überschätzt hatte.

 

Alle Fotos von Heike Schönwälder

 

Etwas unsystematisch begann ich mit der Zimmersuche, indem ich zur Universidad de Alicante fuhr, überall an den Schwarzen Brettern Zettelchen mit Telefonnummern abriss und dann mit klopfendem Herzen meine vorher sorgfältig zurechtgelegten spanischen Sätze in den Hörer radebrechte. Als vorhersehbare Konsequenz ergossen sich aus diesem sodann Sturzbäche mir völlig fremd erscheinender Wörter, die ich durch mein verständnisloses "Perdón, habla inglés o puede hablar un poco más despacio?" nur zu erneutem Anschwellen brachte.

Aufgrund fehlender Ergebnisse musste ich also meine Strategie ändern und fuhr nach Elche zur Universidad Miguel Hernández, wo ich mich schon vor Beginn des Semesters per Internet eingeschrieben hatte und wo das für mich zuständige Ofícina de Relaciones Internationales (ORI) war. Dort wurde ich sehr herzlich empfangen und mir wurde ein "Buddy" organisiert, eine spanische Studentin, die selbst schon im Erasmus war, Deutsch und Englisch sprach und mit deren Hilfe ich über die Internetseite der Universidad de Alicante ein sehr schönes WG-Zimmer fand.

Sechs Tage nach meiner Ankunft zog ich also aus der Jugendherberge in eine Vierer-WG mit Meerblick, in der außer mir noch ein Spanier, ein Mexikaner und eine Österreicherin wohnten.

Allgemeine Informationen zur Wohnungssuche

Zur Zimmersuche allgemein wäre zu sagen, dass man vor Ort bei etwas profunderen Sprachkenntnissen als ich sie hatte, relativ einfach ein WG-Zimmer ab etwa 140-150 Euro Miete/Monat finden kann, die spanische Bauweise aber nicht 1:1 mit der deutschen vergleichbar ist, Mietverträge nicht immer überall üblich sind, ohne dass man Angst haben muss, übers Ohr gehauen zu werden. Die Email, die man ein paar Wochen vor Beginn des Auslandsaufenthaltes von der Agentur "Houses for you" bekommt, sollte man am besten gleich löschen. Es handelt sich bei H4U um eine Zimmervermittlungsagentur, die mit dem International Office kooperiert und sich speziell für Austauschstudenten um eine Bleibe kümmert, dies allerdings zu keinen guten Konditionen. Die meisten, die über H4U ein Zimmer bekommen hatten, wohnten zu überhöhten Preisen relativ weit weg und mussten sich quasi "freikaufen", wenn sie doch noch umziehen wollten.

 

 

Was den Wohnort angeht, so gibt es verschiedene Möglichkeiten. Etwas im Landesinneren liegt der Stadtteil San Vicente de Raspeig nahe an der Universidad de Alicante, wo viele spanische Studenten etwas günstiger als in Alicante selbst wohnen und der Weg zur Uni nicht weit ist. Vom Zentrum aus braucht der Bus bei normalem Verkehr ca. 30 min, in der Rush hour kann es deutlich länger dauern.

Alle, die mit Medizin, Pharmazie, Biotechnologie und ähnlichem zu tun haben, sind jedoch an der Universidad Miguel Hernández de Elche eingeschrieben, ein Städtchen, das zirka 30 Minuten im Bus oder Zug von Alicante entfernt im Inland liegt und für die dama de Elx bekannt ist, eine prähistorische Frauenbüste. Die Uni hat hier ihren großen Haupt-Campus und eine Uniklinik, den Medizincampus samt Klinik in San Juan - ein Vorort Alicantes in der entgegengesetzten Richtung mit kilometerlangem Strand und den typischen Hochhaussiedlungen mitteleuropäischer Lebensabendgenießer - außerdem eine Uniklinik in Alicante. An allen drei Orten finden die zwischen einer und drei Wochen dauernden Praktika statt. Sowohl Elche als auch San Juan sind eher ruhige Wohngegenden mit eher schlechter nächtlicher Erreichbarkeit, wer Nachtleben mitbekommen möchte, sollte also auf jeden Fall nach Alicante ziehen.

 

Kontakt zur Außenwelt: schwierig aber machbar

In Alicante gibt es in manchen Wohnungen Internet, aber oft keinen Festnetztelefonanschluss. Bei uns gab es beides nicht, aber eine generell sehr verbreitete und gut funktionierende Taktik war es, sich mit oder ohne Absprache in das ungeschützte wireless lan des Nachbarn einzuloggen. Wenn der keins hatte, so sprach sich meist herum, wo in der Stadt man welches bekommt, und so sah man oft Leute mit Laptop in Richtung Hafen gehen, wo sie sich auf einer Bank niederließen, sich dort einloggten und Emails schrieben oder im Skype telefonierten. Wer das nicht möchte, kann in einem der zahlreichen locutorios in der Calle San Vicente Kontakt zur Außenwelt halten.

 

Herrliches Erasmus-Leben

Nachdem die Zimmerfrage geklärt war, ging das Erasmusleben los, eine wunderschöne Zeit mit vormittags Sprachkurs, nachmittags Strand und nachts Party im Barrio, dem typisch mediterranen Weggehviertel Alicantes, mit einem wilden Mix von Leuten und Sprachen aus ganz Europa in unbeschreiblicher Atmosphäre…

Als dann 4 Wochen später das Semester begann und die anfänglichen Sprachdefizite und -hemmungen sich langsam gelöst hatten, kam ich schließlich mit mehr Spaniern in Kontakt, die liebsten, wärmsten, herzlichsten, hilfsbereitesten und lustigsten Leute, die man sich vorstellen kann.

Organisation des Medizinstudiums in Alicante

Im Medizinstudium war anfangs die Organisation etwas schwierig, denn obwohl jeder von uns sich schon vorher für die gewünschten Kurse beworben hatte, mussten wir vor Ort den für jedes Studienjahr zuständigen spanischen Medizinstudenten ausfindig machen, der für das Anmelden bei Kursen und Seminaren verantwortlich ist (delegado de estudiantes). Diesem mussten wir eine selbsterstellte Kursliste geben, mit der er sich dann bei den entsprechenden Professoren um die Anmeldung kümmerte und jedem von uns dann per Email Bescheid gab. In den allermeisten Fällen klappte es auf diese Art, in einigen wenigen musste sich der betreffende Erasmusstudent noch selber per Email mit dem Professor in Verbindung setzen. Dies sorgte gerade bei den an gute Universitätsorganisation Gewöhnten für einige Verwirrung, die die delegados meist typisch spanisch mit einem freundlich-entspannten "Tu tranquilo" - in etwa: "Cool bleiben" zu besänftigen versuchten.

 

 

Mit der Immatrikulation bekommt jeder ein persönliches Login für die interne Uni-Internetseite, auf der es Stundenpläne, Emailadressen und alle möglichen anderen Infos gibt. Unter anderem kann man hier auch Prüfungsergebnissen einsehen.
Die spanischen Medizinstudenten erschienen teilweise noch sehr jung und waren extrem fleißig, sie müssen eine Vielzahl von Praktika, Seminaren und Vorlesungen absolvieren und sind somit bei wenig Praxisbezug zeitlich ziemlich ausgelastet.

 

Das Medizinstudium in Alicante

Gelernt wird hauptsächlich aus Vorlesungsmitschriften, den comisiones. Jeder Spanier muss einmal im Semester während der Vorlesung mitschreiben, das Ganze dann tippen und im fakultätseigenen Copyshop abgeben, wo man sie sich dann kopieren lassen kann.

Die Bibliothek besitzt nur eine begrenzte Anzahl von Lehrbüchern, die entweder nicht oder nur kurz ausleihbar sind, manchmal wird bei Erasmusleuten ein Auge zugedrückt. Alternativ zur Fakultätsbibliothek kann man in Alicante selbst ganz gut im ersten Stock der Bancaja im Lesesaal lernen (Rambla de Méndez Nunez, 4, es gibt freies Internet) oder in der biblioteca pública Azorín nahe des Strandes. Hier kann man sich auch umsonst eine tarjeta de lectores, einen Leserausweis, anfertigen lassen und Bücher, Filme und Musik ausleihen.

 

 

Die Prüfungen sind wie bei uns im MC-System und in den meisten Fächern nicht so einfach, wie man es vielleicht von einer spanischen Uni erwartet hätte. Als Erasmusstudent darf man ein Wörterbuch mitnehmen oder bekommt, wenn man Glück hat, vom Professor die Möglichkeit eines examen oral. Was ganz hilfreich zu wissen ist und zwar im Voraus: Bei einer falschen Antwort wird einem ein Viertelpunkt abgezogen, also im Zweifelsfall besser nicht die Lotto-Strategie anwenden!

Parallel lief für uns Erasmusstudenten zwei Mal wöchentlich ein ganz brauchbarer, aber nicht obligatorischer Sprachkurs auf zwei unterschiedlichen Niveaus.

 

Das außeruniversitäre Erasmusler-Leben

Was das außeruniversitäre Leben angeht: Mitten im barrio, dem Altstadtviertel, gibt es das Centro14, ein Jugendzentrum mit einem tollen Programm kostenloser Aktivitäten für alle. Es ist von Japanisch, Flamenco, Pilates, Reitausflügen, Zeichnen, Bergtouren, Trommeln und Selbstverteidigung alles mögliche dabei und es macht wahnsinnig Spaß, mit Spaniern und Ausländern zusammen etwas zu unternehmen.

Sportlich betätigen kann man sich auch auf unterschiedlichste Art und Weise; die Universidad de Alicante bietet eine Vielzahl von Sportarten in der campuseigenen Anlage an, leider wird jedoch von Studenten anderer Unis ein ums Vielfache höherer Preis verlangt. Alternativ kann man in der area deportiva de Monte Tossal Sport treiben, die Erhebung liegt sehr viel näher im Zentrum und ist vor allem abends gut bevölkert, einige Angebote sind kostenlos. Wassersport wie Segeln oder Rudern kann man sehr gut im http://www.rcra.es Real Club de Regatas de Alicante machen, Kitesurfen am Strand von Santa Pola bei Las Salinas 40 Minuten mit dem Bus von Alicante, es gibt außerdem eine Menge Tanz- und Capoeiraschulen und zwei Schwimmhallen.

Um sich das günstige Studententicket für das einzige öffentliche Verkehrsmittel, die Linienbusse, kaufen zu können, muss man sich in der Conselleria de Benestar social de la Generalitat Valenciana (liegt im oberen Drittel der Rambla de Méndez Nunez in der Gabelung) das Carnet Jove besorgen, eine Art Jugendausweis, der oft Vergünstigungen bei Eintritten bringt und der bei jedem Kauf des Mehrfachbustickets Bono Jove vorgezeigt werden muss - so kostet die Busfahrt ca. 50 Cent, unermäßigt muss man für die Fahrt das Doppelte zahlen: 1 Euro. Das Busticket bekommt man an vielen Kiosken, estancos (Tabakläden) und im TRAM-Shop Ecke Rambla de Méndez Nunez/Avenida de Jaime II.

 

 

An touristischen Attraktionen bietet Alicante neben dem Barrio Santa Cruz und dem Castillo de Santa Bárbara vielleicht noch die Plaza de Toros, ein paar Museen und vor der Küste die Isla de Tabarca. Es gibt außerdem einige Theater und verschiedene von Banken gesponserte centros culturales. Für Einkäufe sehr zu empfehlen sind der Mercado Central in der Avenida de Alfonso el Sabio, die täglich geöffnete Markthalle, hinter der jeden Samstag Mittag nach dem Einkaufen schon mal in ausgelassener Stimmung mit Freunden ein Bier getrunken wird, und der donnerstags und samstags stattfindende Markt auf dem Parkplatz von Campoamor in der Nähe der Stierkampfarena, wo man von Schuhcreme bis Artischocken alles extrem günstig bekommt.

Von der Plaza del Mar an der Explanada fährt eine kleine Küstenbahn bis nach Denía und klappert in gemütlicher Fahrt am Mittelmeer entlang alle kleinen Küstenorte ab, weniger touristisch und mit viel weniger Wolkenkratzern als Benidorm. Ein Beispiel ist Villajoyosa mit buntbemalten alten Häusern im Stadtkern und der Versteigerung des täglichen Fischfanges in der lonja am Hafen jeden Nachmittag um etwa 16 Uhr nach der Heimkehr der Fischerboote.

In näherer Umgebung gibt es außerdem einige Parques naturales wie z.B. La Fuente Roja bei Alcoy und teilweise ganz idyllische kleine Dörfchen wie Guadalest oder Altea.

Autovermietungen laufen sehr problemlos über pepecars.com am Flughafen, für weitere Strecken in Spanien empfehlen sich Zug oder Überlandbusse, die Kosten sind im Vergleich mit Deutschland nicht besonders hoch, die Strecke Alicante-Barcelona kostet ca. 40 Euro pro Tour.

"Eine wunderbar entspannte Weise zu leben..."

Nachdem ich mich eingelebt hatte, was etwa 6 Wochen dauerte, konnte ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals wieder wegzugehen, und je mehr ich mit Spaniern in Berührung kam, desto mehr wurde ich integriert, was manchmal zur Folge hatte, dass eine kurze Erledigung wie Briefmarken kaufen zu einem dreistündigen Unternehmen wurde. Alicante ist klein und so traf ich alle 30m jemanden auf der Straße, sei es die Yogalehrerin, der italienische Pfleger aus dem Krankenhaus, der Bäcker, die Mutter einer spanischen Freundin oder die Bibliotheksangestellte, alle schienen immer interessiert und freundlich und hatten rein zufällig gerade Zeit, einen Kaffee zu trinken - eine sehr gute Übung fürs Spanisch und eine wunderbar entspannte Weise zu leben.

Davon abgesehen war es sehr gut, im Krankenhaus den Kontakt spanischer Ärzte zu ihren Patienten mitzubekommen und an der Uni ein anderes System kennen zu lernen. Nicht alles, was ich gesehen habe, hat mir ohne Einschränkung gefallen, aber allein durch die Tatsache, dass ich es sehen konnte, habe ich unendlich viel gelernt, sowohl menschlich als auch fachlich als auch über mich selbst.

Ich kann jedem nur wärmstens ans Herz legen, ein Erasmussemester zu machen, auch wenn es teilweise anstrengend und ziemlich aufregend ist.

Es ist eine Zeit mit Erfahrungen, die einem niemand nehmen kann.

 


Weitere Tipps zum Thema Leben und Arbeiten in Spanien gibt auf diesem Blog: http://www.studying-in-spain.com/de/ 

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