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  • Dr. med. Felicitas Witte
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  • 16.09.2004

Studium, PJ und Famulatur in Spanien

Viva España! Bei einer Famulatur oder einem Auslandssemester auf der iberischen Halbinsel kann man weit mehr kennen lernen als nur den Geschmack von Paella, Tapas und Sangría. In Spanien kann man eine Medizin erleben, die mit überraschend wenig Stress auskommt und sich in einer Sprache üben, die man in vielen Teilen der Welt spricht.

„Empuja, Dolores, empuja! Esfuérzate!“ Das Stöhnen der Gebärenden ist neben der dröhnenden Stimme der Hebamme kaum zu hören. „Venga, Dolores, empuja!“, ruft auch die Gynäkologin und drückt die Hand der Schwangeren kräftig. „Venga, venga, empuja, empuja!“, feuern zwei Hebammenschülerinnen die Frau an. Zehn Minuten später hat die junge Frau ihren Sohn im Arm und strahlt.

„Als ich das erste Mal eine Geburt in Spanien sah, war ich total überrascht“, erinnert sich Uli Ronellenfitsch, der zwei Semester in Madrid studiert hat. „Alle rufen und feuern die Gebärende an. Da merkt man das südländische Temperament!“ Laut und lebendig geht es nicht nur in Bars, Cafés und im Straßenverkehr zu, sondern auch im normalen Krankenhausalltag: Wild gestikulierend erklären Chirurgen während der OP die Operationsschritte, detailverliebt erläutern Internisten im Einzelunterricht verwirrende MRT-Bilder und HNO-Ärzte zeigen mit ausufernden Erklärungen, wie man den Gehörgang untersucht. „Zuschauen darf man überall und die meisten Ärzte erklären sehr gerne“, erinnert sich Uli Ronellenfitsch.

„Die Betreuung in Spanien ist super“, findet auch Lena Piechatzek, die im neunten Semester an der Universidad de Barcelona studiert. „In den Praktika sind immer nur wenige Studenten, sodass man viel Gelegenheit zum Fragen hat. Während meines Praktikums in der Gynäkologie konnte ich Untersuchungen durchführen, die man in Deutschland oft erst im AiP lernt. Dies ist für die Medizinstudenten hier selbstverständlich und wird von den Patientinnen gut akzeptiert.“

 

 

Oft ist ein Arzt bei der Untersuchung dabei, fragt nach und korrigiert. „Ich hatte einen Professor, der sich hervorragend um mich gekümmert hat“, erinnert sich Marc-Daniel Kunze, der Anfang des Jahres sein Innere-PJ-Tertial im Hospital General Universitario Gregorio Maranón in Madrid absolviert hat. „Ich untersuchte meine Patienten und stellte einen Therapieplan auf. Zusammen mit dem Professor diskutierte ich den Fall. Er nahm sich immer Zeit für mich, um mir etwas zu erklären oder mir Untersuchungstechniken zu zeigen. Viele praktische Eingriffe wie Pleurapunktionen oder Aszitespunktionen durfte ich selbst machen!“ Seine Freundin Alexa Bürgermeister, die dort zur gleichen Zeit ihr PJ-Tertial in der chirurgischen Abteilung absolvierte, war weniger begeistert.

„Da spanische Medizinstudenten kaum Famulaturen machen, wissen die Ärzte nicht, was sie einem Studenten zutrauen können“, erzählt sie. „In der Allgemeinchirurgie durfte ich außer Hakenhalten nicht viel machen. Nur in der Gesichtschirurgie konnte ich manchmal Gefäße ligieren oder nähen. Aber die Chirurgen waren sehr nett, hatten Zeit für meine Fragen und erklärten mir mit ausführlichen Skizzen die Eingriffe. Wenn mich eine OP nicht interessierte, bin ich in die urgencia (Ambulanz) gegangen, dort konnte ich ab und zu Schnittwunden nähen. Sehr froh war ich, dass ich kein Blut abnehmen und keine Nadeln legen musste. Dafür sind in Spanien die Schwestern zuständig.“

Der Arbeitstag der PJlerin endete offiziell um 15.00 Uhr. Da Chirurgie sowieso nicht ihr Traumfach ist, nutzte Alexa Bürgermeister die Zeit, um die spanische Hauptstadt zu erkunden. Denn letztendlich bietet ein Auslandsaufenthalt mehr als bloßen medizinischen Wissenszuwachs. „Ein Blick über den Tellerrand erweitert den Horizont“, findet Harald Voth, der zurzeit in Barcelona studiert. „Ich halte es für wichtiger, die Sprache zu lernen, die Landschaft zu genießen, sich einen Einblick in die Kultur des Landes zu verschaffen und Kontakte mit Einheimischen zu knüpfen.“

 

Vorbereitung

¿Hablas español?: Ob Gespräche mit Patienten, Nachfragen bei Ärzten oder Plaudern mit der netten Bedienung im Café: Ohne Grundkenntnisse in Spanisch kommt man nicht weit. „Bevor ich ein Semester in Alicante studierte, habe ich einen zweiwöchigen Sprachkurs in Galizien belegt“, erinnert sich Lena Piechatzek, die schon zum dritten Mal während ihres Medizinstudiums in Spanien ist. „Das reichte aber nicht! Die Spanier sprechen viel schneller, als man als Anfänger verstehen kann. Zum Glück hatte ich damals nur Anatomie und den Präparierkurs, sodass ich mich nicht viel unterhalten musste. Ich habe aber sonst jede Gelegenheit zum sprechen genutzt – der Bäcker hat sich jedes Mal gefreut, wenn ich zum Plaudern vorbeikam!“, fügt sie hinzu. „Wer nach Barcelona gehen möchte, sollte beachten, dass man mit castellano (Spanisch) nicht weit kommt“, mahnt Harald Voth, der seit Februar über Erasmus an der Universidad de Barcelona studiert. „Die Katalanen sind sehr patriotisch. Patienten und Ärzte sprechen vor allem catalán, und nur auf Nachfrage castellano. Es kann sehr anstrengend sein, wenn man immer nachhaken muss.“

Wer Spanisch beherrscht, hat nicht nur besseren Kontakt zu den Patienten, sondern profitiert auch mehr von Vorlesungen und Seminaren. Harald Voth hat Kurse belegt, die in seiner Heimatstadt Köln im Studium seiner Meinung nach zu kurz kommen. „Ich habe zuerst einen Kurs in semiología belegt, der ist ähnlich wie unser Untersuchungskurs, aber viel detaillierter und systematischer als bei uns. Später habe ich noch meine Pflichtfamulatur in Allgemeinmedizin in einem atención primaria (Gesundheitszentrum) gemacht. Ich durfte viele Patienten otoskopieren und laryngoskopieren.“ In den anderen Fächern habe er längst nicht so viel machen können. „Praktisch habe ich bis auf die Zeit im Gesundheitszentrum wenig gelernt.

Das Studium in Spanien ist leider sehr verschult. Medizinstudenten dürfen meist nur zuschauen, Anamnesegespräche und körperliche Untersuchungen durchführen.“ Auch Uli Ronellenfitsch findet das spanische Medizinstudium viel zu theorielastig. „Viele spanische Ärzte können am Ende des Studiums weder eine gute Untersuchung durchführen noch richtig Blut abnehmen. Es gibt keine Pflichtfamulaturen und ein PJ wie bei uns kennt man dort auch nicht. Am Ende des Studiums gleichen die Mediziner oft einem ,wandelnden Lehrbuch‘, haben aber von praktischen Dingen keine Ahnung. Auch als residente (Arzt in der Weiterbildung) darf man in den ersten zwei Jahren nicht viel eigenverantwortlich machen, sondern soll vor allem zuschauen.“

Sehr großzügig sind Ärzte und Profs hinsichtlich der Arbeitszeiten. Während Famulanten oder PJler in deutschen Kliniken oft erst spät abends ihre Station verlassen können, legen spanische Ärzte viel Wert darauf, dass der Besuch aus Deutschland sich ihr país maravilloso anschaut, und schicken die jungen Mediziner häufig schon am frühen Nachmittag nach Hause. So nutzen viele wie Harald Voth ihre Freizeit neben intensiven castellano- und catalán-Sprachkursen für Ausflüge in die Umgebung, Mountainbike-Touren, Kinobesuche oder Strandtage.

 

Bewerbung

Bei Erasmus oder direkt an der Uni: Bei der Auswahl des Aufenthaltsortes sollte man also auch das Freizeitprogramm bei der Planung berücksichtigen. Am besten informiert man sich auf den Homepages der Unis über Stundenpläne, Kursinhalte, Praktika und vida social. Mediziner, die über Erasmus in Spanien studieren wollen, haben meist einige Unis zur Auswahl. „In Barcelona schreckte mich das catalán ab“, erzählt Uli Ronellenfitsch, „deshalb habe ich mich für Madrid entschieden. Beim Studiendekanat in Heidelberg musste ich ein Anschreiben, Lebenslauf, Physikums- und Staatsexamenszeugnis sowie einen Sprachtest vorlegen. Die Noten waren bei der Bewerbung das wichtigste.“ Alexa Bürgermeister und ihr Freund Marc-Daniel Kunze haben sich für ihr PJ-Tertial direkt bei den Kliniken beworben. Die Bewerbung war unkompliziert: Anschreiben, Lebenslauf und ein Empfehlungsschreiben des Dekans der Uni Heidelberg reichten aus. Alexa empfiehlt trotzdem, sich lieber direkt an der Uni zu bewerben. „Das Landesprüfungsamt verlangt einen Stempel des Dekanats der ausländischen Uni. Der dortige Dekan muss also bestätigen, dass man die gleichen Rechte und Pflichten wie die spanische Studenten hatte. In unserem Fall wollte das Dekanat diese Bescheinigung aber nicht so ohne weiteres ausstellen.“

Hat man die Zusage im Briefkasten und den Intensiv-Sprachkurs belegt, geht die Wohnungssuche los. Leider ist der Wohnraum gerade in Großstädten wie Madrid oder Barcelona knapp und teuer. „Ich habe mich direkt über Erasmus um ein alojamiento de estudiantes extranjeros beworben, ein von der Uni vermitteltes Zimmer in einer WG mit anderen Austauschstudenten“, erzählt Uli Ronellenfitsch. Wer auf eigene Faust ein Zimmer sucht, ist auf Beziehungen angewiesen. „Ich habe in einer WG gewohnt, die ich über einen Bekannten gefunden habe“, erzählt Corinna Frohn, die zurzeit in Alicante studiert. „Am besten informiert man sich im Internet auf den Seiten der Unis, fragt im Erasmusbüro oder schaut nach Aushängen.“

 

Ein ganzes Studium in Spanien?

So schön der Aufenthalt auf der iberischen Halbinsel ist – das ganze Studium möchten nur wenige Deutsche in Spanien absolvieren. „Mich würden das theorielastige System und die fehlende Praxis im spanischen Medizinstudium auf die Dauer stören“, argumentiert Harald Voth. „Spanische Medizinstudenten werden viel zu wenig zu selbstständigem, kritischem und flexiblem Denken und Handeln ausgebildet.“ Das Medizinstudium in Spanien dauert sechs Jahre und ist ähnlich aufgebaut wie in Deutschland, jedoch viel verschulter. In den Prüfungen kommt fast nur das dran, was in den Vorlesungen gelehrt wird. Man muss schriftlich multiple-choice-Fragen beantworten oder Aufsätze über die Vorlesungen schreiben. Manchmal kommt noch eine mündliche Prüfung dazu.

Die Durchfallquoten sind sehr hoch. „Die Studenten sind einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt“, erzählt Corinna Frohn. „Alle zwei bis drei Wochen finden Klausuren statt und die Note jeder Prüfung zählt!“ Anders als in Deutschland gibt es in Spanien nach den 6 Jahren Medizinstudium keine Endprüfung. Hat man das Medizinstudium dort bestanden, hat man damit auch den Abschluss in Humanmedizin erworben. Erst nach Abschluss des Studiums gibt es noch eine große Prüfung zu bewältigen, das MIR (medico interna residente). Dieses ist Voraussetzung für die Zulassung zur Facharztausbildung. Auf das MIR bereiten sich die meisten Studenten in privaten, bezahlten sechs- bis zwölfmonatigen Kursen vor. „Das MIR ist ein echtes Hammerexamen“, erzählt Uli Ronellenfitsch, „von Anatomie bis Neurochirurgie wird alles abgefragt. Dabei ist nicht festgelegt, wie viele Fragen aus einem Fach gestellt werden. Anhand der im MIR erreichten Note werden die begehrten Plätze für die Facharztausbildung zentral vergeben. Man kann sich also nicht einfach an einem Krankenhaus bewerben, sondern muss abwarten, in welchem Ort und in welchem Fach man als Arzt arbeiten darf.“ Die Facharztausbildung dauert in der Regel fünf Jahre. Zurzeit gibt es etwa 13.000 Bewerber für 5.000 Plätze.

 

Schlechte Berufsaussichten für deutsche Ärzte

„Die Berufschancen für deutsche Ärzte ohne MIR sind in Spanien sehr schlecht“ , berichtet Miguel Peromingo von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Bonn. „Spanien hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten der Mediziner in der EU. Spanische Ärzte gehen inzwischen nach Großbritannien oder in andere EU-Länder, weil sie im eigenen Land keine Anstellung finden. Auf jeden Fall müssen deutsche Ärzte, die in Spanien arbeiten wollen, fließend Spanisch können.“ Doch auch mit perfekten Sprachkenntnissen und bestandenem MIR kehren viele deutsche Ärzte wieder in ihre Heimat zurück. „Assistenzärzte verdienen in Deutschland sehr viel mehr als in Spanien“, erzählt der Internist Dr. Jürgen Kuschyk, der mehrere Semester in Spanien verbracht hat. „Als residente bekommt man einen Grundlohn von etwa 850 Euro plus Zulagen für Dienste, jedoch maximal 1.200 Euro. Und das gilt für die ganze Weiterbildungszeit!“

Dennoch lohnt es sich, die iberische Halbinsel eine Zeitlang nicht nur als Tourist zu besuchen und die Medizin der Spanier kennen zu lernen. „Immer wieder hat es mich beeindruckt, wie intensiv die spanischen Ärzte in den Sitzungen diskutiert haben“, erinnert sich Alexa Bürgermeister. „Manchmal dachte ich, jetzt kommt es gleich zu Handgreiflichkeiten, doch kurz darauf lachten alle wieder und klopften sich herzlich auf die Schulter.“ Auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten ist oft besser als in Deutschland. „Die Ärzte nehmen sich Zeit, setzen sich zu den Kranken und besprechen deren Probleme“, erzählt Corinna Frohn. „Obwohl viel zu tun ist, sind die Ärzte selten gestresst oder hektisch.“

Eine Famulatur, ein Auslandssemester oder ein PJ-Tertial in Spanien machen sich bezahlt: Man lernt nicht nur ein anderes Gesundheitssystem kennen, sondern auch ein faszinierendes Land und seine Einwohner. Zudem bietet sich die Gelegenheit, eine Sprache zu lernen, die man in vielen Ländern der Erde spricht. Wer sich mehr mediterrane Gelassenheit angewöhnen möchte, befindet sich auf der iberischen Halbinsel auf geeignetem Terrain. „Ich bin in Deutschland und in Spanien glücklich“, resümiert Lena Piechatzek, „wo ich später leben werde, weiß ich noch nicht. Aber zum PJ komme ich auf jeden Fall wieder.“

 

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