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  • Bericht
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  • Yvonne Kollrack
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  • 22.04.2009

Rundgang durch ein Krankenhaus in Grönland

"Alle drei Monate kommt ein neuer Arzt. Viel länger hält es auch keiner aus hier." Schwester Hannah schüttelt den Kopf. "Hier", das ist ein Ende der Welt. Ittoqqortoormiit. Der Name, der der Sprache der Inuit entspringt, wird von westlichen Ohren genauso schnell vergessen, wie die Probleme seiner Einwohner.

Der Schein trügt

Alle Fotos von Yvonne Kollrack

 

Wer mit dem Schiff in den Eingang des Scoresbysundes an der Ostküste Grönlands einläuft, wähnt eine Idylle vor sich: Bunte Holzhäuschen und eine bezaubernde Fjordlandschaft, schneebedeckte Berge und bizarr geformte Eisberge. Beim Spaziergang durch den kleinen Ort, der etwa 550 Einwohner beherbergt, trübt sich das Bild zusehends. Zunächst einmal steigt dem Besucher der strenge Geruch nach Hundekot in die Nase. Zwischen allen Häusern sind die Schlittenhunde zu finden. Die meisten angekettet, nur Hündinnen mit ihren Welpen dürfen frei herumlaufen. Sie warten sehnsüchtig auf den Winter, wo sie endlich arbeiten dürfen und wo der Schnee die überall zwischen den Häusern verstreuten Müllberge bedecken wird.

"Früher, als es nur organischen Müll gab, wurde der einfach aus dem Fenster geworfen, der Fallwind von den Bergen hat ihn dann ins Meer geblasen und fortgeschwemmt. Der Abfall hat sich verändert, aber die Gewohnheit der Leute ist geblieben". Eigentlich arbeitet Hannah als Fachkrankenschwester für Anästhesie in Dänemark. Sie jedoch ist an der Ostküste Grönlands hängengeblieben. Ein Jahr schon sorgt sie in dem kleinen Hospital am Westende des Ortes für ihre Patienten. Nach ihrer Ausbildung in Dänemark hat sie schon in Südafrika und Mosambik gearbeitet. Es gibt wahrscheinlich nicht viel, was sie erschüttern kann.

7 Tage die Woche 24 Stunden lang im Einsatz...

Das Krankenhaus schaut von außen einladend aus. In einem hellen Gelbton gestrichen steht das Hospital heute im frühen Morgenlicht geradezu pittoresk vor einer Kulisse aus spiegelglattem Meer und sonnenbeschienen Eisbergen. Das für mitteleuropäische Augen gewohnte rote Kreuz findet sich nicht an der Tür, dafür eine Art Piktogramm. Zwei stilisierte Menschen helfen einem dritten zu einer aufgehenden Sonne zu gelangen. Das Schild vermittelt Hoffnung und Hilfe.

Am Eingang gibt es keinen Hinweis auf Sprechstunden oder Öffnungszeiten. "Wir sind hier 7 Tage die Woche 24 Stunden lang im Einsatz. Die Menschen können jederzeit Hilfe finden. Einige nutzen das aber auch aus und kommen mitten in der Nacht, auch wenn die Beschwerde so gering ist, dass der Besuch gut noch bis zum nächsten Tag hätte warten können", erklärt die Schwester, die bei der Führung durch das Hospital den Eindruck vermittelt, dass sie durch nichts mehr geschockt werden kann.

Gleich hinter der Tür steht ein Schuhregal. Die Angestellten wechseln hier in ihre weißen Arbeitschuhe, die ordentlich aufgereiht nebeneinander stehen. Besucher erhalten blaue Überzieher, die meisten Patienten aber laufen in Socken herum. Heute ist es ruhig. Im freundlichen und hellen Wartezimmer spielt eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn. "50% der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre. Das entspricht dem Wert eines afrikanischen Entwicklungslandes. 30% der über Fünfzehnjährigen sind arbeitslos. Unser Hauptproblem sind Alkohol- und Nikotinabusus. Die meist sehr jungen Mütter rauchen und trinken während der Schwangerschaft, viele Kinder sind ungewollt oder gar Resultat von Vergewaltigungen. Solche Kinder sind schon bei Geburt auffällig. Fast alle von ihnen entwickeln sich nur langsam, haben Aufmerksamkeits- und Lernstörungen. Sie sind in der Schule nur schwer bildbar. Keine Chance, etwas aus sich zu machen, um von hier wegzukommen".

Das schöne Bild bröckelt

Je mehr die Krankenpflegerin erzählt, desto mehr bröckelt das schöne Bild der bunten Häuschen. "Durch den Alkohol, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit ist häusliche Gewalt ein weiteres Hauptproblem hier. Gestern erst mussten wir eine minderjährige Schwangere mit einem massiv geschwollenen blauen Auge behandeln, die vor den Augen ihres einjährigen Sohnes vom Ehemann verprügelt wurde. Das schlimme ist, dass die Frauen hier nicht weg können. Wo sollen sie denn hin?" Ittoqqortoormiit kann von Versorgungsschiffen wegen der Eisverhältnisse nur zwischen Juli und August angelaufen werden. Der 40 km entfernte Flughafen Constable Point wird zweimal wöchentlich von Island aus angeflogen. Weiter nördlich gibt es nur noch einige Wetter-/ Forschungsstationen und Lager der Sirius Patrouille.

 

Hannah fährt fort: "Auf unserer Station, die ca. 10 Patienten aufnehmen kann, liegt gerade eine alte Frau mit Krebs im Endstadium. Sie wird hier sterben. Zu Hause wird sie vom Ehemann misshandelt und in dem kleinen Altenwohnheim sind die ungelernten Kräfte dort völlig überfordert" Sie öffnet die Tür zum Zimmer der Patientin. Auch hier täuscht das Bild. Bilder an den weiß gestrichenen Wänden, Sonnenlicht flutet den Raum, in den Ecken blitzende Sauberkeit.

 

Begrenzte Möglichkeiten im Krankenhaus

Im nächsten Raum befindet sich ein Mutter-/Baby-Zimmer mit modernem Inkubator und einer Fototafel voll mit Schnappschüssen von Neugeborenen. "Im Durchschnitt gibt es eine Geburt im Monat. Meine Kollegin, die für die Geburtshilfe zuständig ist, stammt wie ich aus der Anästhesiologie. Als sie hierher kam, war dies alles Neuland für sie. Nur weil sie eine sehr erfahrene Schwester ist, kommt sie recht gut klar." Wie unsere Gastgeberin weiter berichtet, ist die Qualität der Patientenversorgung einzig abhängig vom Können des Ärzte und des Pflegepersonals. "Wenn der Arzt sich eine Appendektomie zutraut, dann können wir das hier machen. Wenn nicht, wird der Patient eben ausgeflogen." Das ist bisweilen jedoch gar nicht einfach. Für Verlegungen müssen die Patienten zum circa 300 m entfernten, erhöht gelegenen Heliport gebracht werden. Falls Wind und Wetter mitspielen, erfolgt dann der Transport. In schweren Fällen bis in die Hauptstadt Nuuk oder nach Island.

 

 

Im kleinen Labor zeigt Erika stolz die diagnostischen Möglichkeiten. "Ein Blutbild ist in jeden Fall drin, beim Rest hängt es davon ab, wer da ist und ob er die Geräte bedienen kann." Gleiches gilt für das nagelneue digitale Röntgengerät, das im Nebenraum noch in seiner styroporgepolsterten Holzkiste steht. Immerhin schaut der aufgeräumt Schreibtisch direkt daneben nicht so aus, als müsste der Arzt sich hier mit viel Dokumentation herumschlagen.

Das Krankenhaus ist jeweils mit einem ärztlichen und zwei pflegerischen Kräften besetzt. Durch die häufigen Wechsel fehle aber die Kontinuität in der Behandlung der Einwohner von Ittoqqortoormiit. Wenn es einen kontinuierlichen Hausarzt gäbe, entwickelten die Menschen vielleicht mehr Vertrauen und es gäbe eine richtige Gesundheitserziehung, meint Hannah. "Wenn aber alle paar Monate ein anderer Arzt ein anderes Medikament verordnet, da denken doch viele, es ist auch egal, ob sie es nehmen oder ob sie aufhören mit ihren schlechen Lebensgewohnheiten."

Damit öffnet sie die Tür zur Apotheke. Wieder ein freundlicher Raum, in unzähligen Wandbords ordentlich aufgereihte Arzneischachteln. Viele Produkte entsprechen denen eines deutschen Krankenhauses. Diclofenac, Tegretal, Metoprolol, alles vertraute Namen. Auf dem Boden stehen Kiste an Kiste 0,9 % NaCl- Infusionslösungen. "In Dänemark müssen die Patienten für die Medikamente zuzahlen. Wir haben zwar das dänische Gesundheitssystem übernommen, die Medikamente sind jedoch frei. Zum einen ist das sehr gut, so ist jedes Medikament jedem Patienten zugänglich. Allerdings nehmen die Patienten dann halt ihr Spironolacton gegen Aszites bei Leberzirrhose und trinken weiter, statt ihr Verhalten zu ändern. Sie kriegen es ja umsonst."

Desillusionierte Stimmung in der Klinik

Mehr und mehr breitet sich eine desillusionierte Stimmung aus. Daran kann auch die kleine Zahnklinik im zweiten Stock nicht viel ändern. Auch hier wieder eine tadellose Einrichtung. Die "Dental nurse" (Zahnarzthelferin) übernimmt die Führung. "Ich bin für die Prophylaxe und Notfälle zuständig", leitet sie ein. Dabei ist ihrem Gesichtsausdruck anzusehen, dass "Notfall" gleichzusetzen ist mit dem Griff zur Zange. "Zweimal im Jahr kommt für 4 Wochen ein Zahnarzt, der sich um die Patienten kümmert, die ich bis dahin gesammelt habe." Im Gegensatz zum Vollzeitjob in der Hauptklinik ist die Zahnklinik nur 20 Stunden in der Woche besetzt.

Am Ende des Rundganges zeigt Hannah noch die sanitären Einrichtungen. "Das ist das Klo!" Zum Vorschein kommt eine normale Kloschüssel mit einem schwarzen Plastikbeutel als Einsatz. In Ittoqqortoormit gibt es kein Abwassersystem. Alle drei Wochen werden die Beutel gewechselt und verbrannt. "Ein Plumpsklo wäre zu unhygienisch, das lockte auch noch die Hunde an".

Als Hannah uns verabschiedet, gibt sie uns die Bitte mit auf den Weg, wir sollten ihr viele gute Ärzte schicken "In Südafrika werden die ganz jungen Mediziner gleich nach Abschluss der Uni erst mal ein Jahr aufs Land geschickt und müssen dann sehen, wie sie zurechtkommen. Ich denke, das geschieht auf Kosten der Patienten. Wir brauchen hier nur ganz erfahrene Kräfte!"

Auf dem Rückweg durch das Dorf zu den Zodiacs, die uns zum Schiff bringen werden, leuchten die Häuser nicht mehr.

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