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  • Felix Hutmacher
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  • 14.11.2022

Ist das noch Umziehen oder schon Auswandern? – Teil III: CH – Ländercode und landestypischer Laut

Zieht man als Deutsche*r in die Schweiz um? Oder wandert man in die Schweiz aus? In dieser Artikelserie erzählt unser Autor, wie es ist, in der Schweiz zu leben und zu arbeiten, und berichtet über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern.

 

 

Im deutschen Fernsehen werden Schweizer*innen oft untertitelt. Denn obwohl es Schweizerdeutsch heißt: Schweizerdeutsch ist mehr als ein Dialekt. Es steht auch für Identität und ist Zugehörigkeitsausweis.


Wenn Deutsche Schweizerdeutsch nachmachen möchten, tun sie dies oft, indem sie das „ch“ überhart aussprechen. Sie sagen dann SchokCHolade oder ZüriCH und kratzen dabei so sehr an ihrer Rachenhinterwand, dass ihnen ein*e Schweizer*in vermutlich direkt ein Ricola anbieten würde.
Dabei beruhen diese Imitationen auf einem Missverständnis: Schokolade heißt auf Schweizerdeutsch „Schoggi“ – mit weichem g -  und Zürich „Züri“ – auch das weit entfernt von der imaginierten harten Aussprache.

Wenn ich aber hier von „Schweizerdeutsch“ rede, mache ich gleich den nächsten Fehler, denn: Das, was ein*e Schweizer*in mit einem*r Deutschen spricht, ist eigentlich Schweizer Hochdeutsch und wird von vielen Deutschen gerne mit der richtigen Mundart verwechselt. Meine Freundin beispielsweise hatte sich schon gefreut, dass sie Schweizerdeutsch verstehen könne, als sie das erste Mal mit meinen Schweizer Verwandten beim Essen saß – bis der Schweizerdeutsch gewohnte Familienzweig anbot, doch einfach auf Mundart zu wechseln, woraufhin meine Freundin nichts mehr verstand und ihr klar wurde: Das ist jetzt Schweizerdeutsch.

Schon in der Schweizer Hochsprache gibt es tatsächlich einige augenfällige Unterschiede. So sind beispielsweise dass-Sätze Sätze ohne dass-Konstruktion möglich: Gut, verstehst du das! Ein Eszett (ß) gibt es nicht, stattdessen heisst es „ss“. Einige Wörter, Pronomen und Artikel sind anders – man kann etwa, wenn man per 01. Januar seine Stelle antritt, das Tram nehmen, um zum Schaffen zu kommen.

Richtig kompliziert aber wird es erst, wenn man beginnt zu verstehen, dass es „Schweizerdeutsch“ eigentlich gar nicht gibt. Weder gibt es eine definierte Rechtschreibung, noch gibt es ein Schweizerdeutsch. Es gibt Züritütsch, Bärndütsch, Senslerdeutsch und viele, viele andere Dialekte, die sich in Aussprache und Vokabular zum Teil erheblich unterscheiden. Nicht umsonst gibt es vom „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint Exupéry gleich zwei schweizerdeutsche Ausgaben: „Dr Chlii Prinz“ ebenso wie „Dr gläi Brinz“.
Und deshalb ist es so, dass sich auch Schweizer manchmal untereinander nicht verstehen. Nicht wegen der vier Landessprachen, sondern wegen der Unzahl an unterschiedlichen Dialekten und dem unterschiedlichen Vokabular. Deshalb sage ich mittlerweile, wenn jemand fragt, ob ich Schweizerdeutsch verstehe: Ja, meistens, aber es gibt Dialekte, mit denen ich mich hart tue. Und das stimmt eigentlich auch für die meisten Schweizer*innen.

Hart tun sich Schweizer*innen aber auch manchmal, wenn sie Hochsprache sprechen müssen. Für sie ist es oft angenehmer, im Dialekt bleiben zu können, denn Hochdeutsch lernen Kinder erst in der Schule. Im Gegensatz zu Deutschland hat der Dialekt auch nichts Provinzielles: Es spricht ihn einfach jeder (fast) immer. Im Gegensatz dazu hat Hochdeutsch etwas sehr Universitäres und wirkt wenig bodenständig. Es gibt daher auch Deutsche, die versuchen, Dialekt zu sprechen, um nahbarer zu wirken, was aber sehr unterschiedlich gesehen wird. Es gibt Schweizer*innen, die sich über den Versuch der Integration freuen, und andere, bei denen sich bei den unvermeidbaren kleinen Ungenauigkeiten die Zehennägel rollen: Ein Dialekt ist eben schwer neu zu erlernen, sondern muss quasi mit der Muttermilch aufgesogen werden.

Deshalb gehe ich persönlich einen Mittelweg: Grüßen und auf Wiedersehen sagen auf Schweizerdeutsch – und dazwischen spreche ich eben, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Wendungen und Ausdrücke nimmt man mit der Zeit sowieso unvermeidlicher Weise an. Und dann hört eben jeder Schweizer, dass ich nicht in der Schweiz geboren wurde. Aber das stimmt ja auch, oder?

In diesem Sinne – Adieu mitenand und bis zum nächsten Mal!

 

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