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  • Dr. Felicitas Witte
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  • 02.05.2007

Deutsche Mediziner in der Schweiz

Viele deutsche Medizinstudenten und Ärzte gehen in die deutschsprachige Schweiz, weil die Arbeitsbedingungen gut sind und sie keine Fremdsprache lernen müssen - meinen sie. Doch das Schweizerdeutsch mit seinen hunderten von Mundarten ist nicht einfach nur ein Dialekt. So manch ein Deutscher wird daher mit Verständnisschwierigkeiten konfrontiert. Wo lauern die Fettnäpfchen? Was tun, um sie zu vermeiden? Wir fragten nach.

Deutschenschwemme in der Schweiz?

"Die Deutschen nehmen den Schweizern die Arbeitsplätze weg. Deutschenschwemme auf dem Schweizer Arbeitsmarkt." - Schlagzeilen wie diese kursieren seit einiger Zeit in den Medien. "Sie kommen in Scharen, sprechen laut, trinken viel.", charakterisierte die Schweizer Wochenzeitung die Nachbarn aus dem Norden. Was ist dran am Bild, das die Eidgenossen von den Deutschen haben? Nehmen die Deutschen den Schweizern wirklich die Arbeitsplätze weg?

"Im Moment werden in der Schweiz zu wenig Ärzte ausgebildet.", weiß Dr. Uerli Baumann, Chefarzt und Gastroenterologe im Spital Münsingen in der Nähe von Bern. "Unser Numerus clausus wurde damals aus Angst vor einer Äzteschwemme eingeführt. Die Politik hat daran nichts geändert, obwohl viele neue Jobs geschaffen worden sind. Die neu geschaffenen Stellen im Gesundheitswesen werden einfach durch Kollegen aus dem Ausland aufgefüllt." In den schweizer Spitälern arbeiten etwa 20-30% Ausländer, die meisten davon kommen aus Deutschland.

 

 

Verständnisschwierigkeiten

Universitätsspital Basel, Klinik für Angiologie, Oberarztvisite: "57-jäährige Paziänt mit enere paVK im Stadium IV.", berichtet der junge Schweizer Assistenzarzt. "Dr Fuess schmeggt zimlig infiziert." Dr. Christoph Thalhammer ist verwirrt. Schmecken? Ist es in der Schweiz etwa üblich, eine Geschmacksprobe aus den Wunden zu entnehmen? Seit drei Tagen erst arbeitete der Kardiologe in der Schweiz. Der Arbeitsanfang in der Klinik war schon ungewohnt genug und nun kamen auch noch Sprachprobleme hinzu! "Ich konnte nicht glauben, dass der Arzt an den Zehen rumgeknabbert hatte", erinnert sich Dr. Thalhammer. "Schnell klärte man mich aber auf, dass ,schmecken`in der Schweiz ,riechen`bedeutet."

 

Es dauert etwa ein halbes Jahr, bis die deutschen Kollegen das Schweizerdeutsch wirklich verstehen. Viele Ausdrücke im Stationsalltag klingen für die zugezogenen Mediziner zunächst befremdlich: "Als der Stationsarzt den Patienten aufforderte ,Machet`s Mul uff`dachte ich: ,hier redet man aber respektlos mit den Patienten!`", erinnert sich Sebastian Stark, der vier Monate PJ in der Schweiz absolviert hat. "Es ist aber eine ganz nett gemeinte Aufforderung, den Mund zu öffnen, damit der Arzt den Rachen inspizieren kann." Auch die Frage, ob denn der Patient "Wasser lösen" könne, kann so manch deutschen Mediziner bei der ersten Visite verwirren. Schnell versteht man jedoch, dass damit "Wasser lassen" gemeint ist.

"Ich war früher schon oft in der Schweiz gewesen und der festen Überzeugung, problemlos mit der Sprache zurecht zu kommen", erzählt Sebastian Stark. "Aber in den ersten Wochen fiel es mir sehr schwer, den Gesprächen zu folgen. Ich musste mich ziemlich konzentrieren." Oft behalf sich der 28-Jährige, der in Schwaben aufgewachsen ist, mit seinem Dialekt: "Ich mischte ein bisschen Schwäbisch mit ein paar Brocken Schweizerdeutsch. Irgendwie haben wir uns dann verstanden."

 

Peinliche und lustige Situationen

Nicht immer geht die Verständigung so problemlos wie bei Sebastian. "Ich musste mal bei einer schweizer Bäuerin aus einem Dorf im Appenzellerland einen Minimental-Score erheben", erzählt Jörg Reichert, der sein gesamtes PJ in der Schweiz verbrachte. "Die alte Dame verstand minimal hochdeutsch und ich minimal ihren Dialekt. Der Test fiel wegen der Verständigungsprobleme extrem schlecht aus." Während des Testes hörte eine andere Patientin mit, die erblindet war. Am nächsten Tag fuhr der PJler die blinde Patientin für eine CT-Untersuchung in das nächst gelegene Spital. "Während der Fahrt ließ sie sich über den ,Psychologen` - also mich - aus. Der Psychologe hätte mit der anderen Patientin nur hochdeutsch gesprochen und die arme Bäuerin als bekloppt abgestempelt." Die Blinde hatte die Stimme des Medizinstudenten nicht wieder erkannt. "Die ganze Situation fand ich ziemlich peinlich", sagt Jörg Reichert.

Peinliche oder lustige Situationen erlebt fast jeder deutsche Mediziner in der ersten Zeit. "Ich habe mal einen Patienten für geistig verwirrt gehalten, weil er berichtete, es sei ihm trümmelig (schwindlig) geworden, als er nach den Finken greifen wollte.", erzählt Georg Hafer. "Für mich hieß das, er habe nach irgendwelchen Vögeln gegriffen, was man bei klarem Verstand ja nicht unbedingt tut." Die Stationsschwester klärte ihn dann auf: "Finken" sind in der Schweiz nicht nur Vögel, sondern auch Pantoffeln. Und beim Bücken nach den Hausschuhen kann einem natürlich schwindelig werden. "Die Schwestern haben sich noch monatelang darüber lustig gemacht.", schmunzelt Georg Hafer. Falsch wäre es, Verständigungsprobleme nicht aufzuklären, weil man sich nicht traut, schon wieder nachzufragen. "Von diesem Gefühl muss man sich freimachen, wenn man Fettnäpfchen vermeiden möchte.", rät Hafer. "Versucht, euch schnell in die Sprache einzuhören."

"Es erscheint mir für einen jungen Kollegen aus Deutschland wichtig, dass er sich auf diese Vielfalt einlassen kann", sagt Dr. Uerli Baumann aus Bern. "Unsere Sprache ist oft eine schöne Lautmalerei und oft sehr treffend und entlarvend. Von einer Person die alles und jedes absolut überkorrekt ,püschelet` sagen wir zum Beispiel er sei ein ,Tüpflischiiesser`." Was das hieße, so der Gastroenterologe, brauche man sicherlich nicht zu übersetzen.

Sollte man nun das Schweizerdeutsch richtig lernen oder reicht es, den Dialekt zu verstehen? "Ich habe von einigen Schweizern gehört, dass sie es begrüßten, wenn Deutsche Schweizerdeutsch lernten.", sagt Dr. Matthias Jäger, der in Zürich arbeitet. "Aber meiner Meinung nach halten die meisten Schweizer es für peinlich, unbeholfen und herablassend, wenn Deutsche Schweizerdeutsch sprechen." Ein Problem können Migranten sein, die nicht ausreichend Hochdeutsch sprechen. Doch wenn man langsam und deutlich spricht, klappt die Verständigung auch dort. Ob Sie Schweizerdeutsch lernen möchten, müssen sie selbst entscheiden. "Ich würde nicht versuchen, Züritüütsch zu lernen", sagt Matthias Jäger. "Einige Ausdrücke schleifen sich von selbst ein. Man erwartet von einem Hamburger in Bayern ja auch nicht, dass er Bayerisch spricht."

Freundlich aufgenommen

Die meisten Medizinstudierende erleben es bei Famulaturen und PJ jedes Mal aufs Neue: Man muss sich um alles selbst kümmern, keiner erklärt einem was und man muss arbeiten wie ein Pferd. Im Gegensatz dazu erinnern sich die meisten deutschen Mediziner gerne ihre erste Zeit in einem Schweizer Spital: "Die Chefsekretärin schrieb mir, wann ich wo am ersten Arbeitstag sein sollte und wer mich dort abholt.", berichtet Sebastian Stark. "Sie sagte, man freue sich auf mich. Das hatte ich gar nicht erwartet." Auch Unterkunft, Formalitäten, Schlüsselkarten, Namensschild oder Arbeitskleidung waren perfekt organisiert. Ein anderer Unterassistent zeigte ihm das gesamte Spital. In den ersten Rapports wurden Neue aufgefordert, sich kurz vorzustellen. "Die anderen schienen interessiert zu sein, wollten wissen, wer ich bin." Kollegen begrüßten ihn freundlich per Handschlag und nahmen ihn in das Team auf. "Ich wurde sehr schnell in den Arbeitsalltag integriert." Außerdem hatte der junge Arzt von Anfang an das Gefühl, wichtig zu sein und ernst genommen zu werden.

 

Startschwierigkeiten

Doch nicht immer fühlen sich deutsche Mediziner in der Schweiz so wohl. "Die ersten Tage waren schwierig.", erinnert sich Lito-Laura Gerhold, die zurzeit in einem kleinen Krankenhaus zwischen Genf und Lausanne in der Gynäkologie arbeitet. "Ich bin zwar nett aufgenommen worden, aber ich war die einzige, die nicht mit der französischen Sprache aufgewachsen war und außerdem die einzige Berufsanfängerin." Die junge Ärztin hatte oft das Gefühl, sich doppelt anstrengen zu müssen. "Einen Ausländer- oder Anfängerbonus gab es bei uns nicht." Am Anfang dachte Gerhold, ihre Kollegen könnten kein Deutsch. "Nach und nach bekam ich aber mit, dass fast alle Kollegen gut Deutsch verstanden und es - wenn auch ungern - sprachen." Trotzdem habe ihr nie jemand angeboten, etwas auf Deutsch zu erklären, wenn sie etwas nicht verstanden hatte. Aber jetzt profitiert die junge Ärztin davon: Denn mittlerweile ist ihr Französisch perfekt.

 

Kontakte knüpfen: Nicht immer einfach

Sprache ist nicht nur notwendig für den Stationsalltag, sondern auch, um sich im fremden Land wohl zu fühlen und Kontakte zu knüpfen. Viele Schweizer sind zurückhaltend, langsam und nicht so "überschwänglich" wie die Deutschen. Vielleicht liegt es daran, dass einige Deutsche in der Schweiz Probleme haben, Freunde zu finden. "Ich finde es schwierig, engere Freundschaften mit Schweizern aufzubauen.", erzählt Dr. Jäger. "Mein Freundeskreis besteht zum größten Teil aus Deutschen. Vielleicht liegt es daran, dass die Schweizer reservierter und formeller sind als die Deutschen." Bekannte findet man in der Schweiz eher, echte Freundschaften brauchen Zeit. "Ich habe einige Schweizer gefunden, mit denen ich ab und zu etwas unternehme.", sagt Lito-Laura Gerhold. "Sonst habe ich aber eher mit Ausländern zu tun." Schweizern sagt man nach, nicht so spontan zu sein wie die Deutschen. "Treffen plant man gerne im voraus", erzählt Dr. Gerhold. "Ich würde mich jedenfalls nicht trauen, bei meinen schweizer Bekannten an der Tür zu klingeln, ohne angemeldet zu sein."

Respektlos, ungehobelt oder unhöflich

Respektlos, ungehobelt oder unhöflich - das sind nur einige der Eigenschaften, die den Deutschen zugeschrieben werden. Häufig leider nicht ohne Grund. "Einige deutsche Ärzte zeigen wenig Fingerspitzengefühl in ihrem Gastgeberland.", findet Dr. Matthias Jäger. "Sie vermitteln den Eindruck, die Schweizer sollten froh sein, dass kompetente deutsche Ärzte eine effiziente Gesundheitsversorgung in der Schweiz gewährleisten." Der Mediziner findet, dass sich seine deutschen Kollegen oft zu selbstbewusst oder arrogant verhalten. Schweizer empfinden Deutsche häufig als zu schnell und zu hastig. "Am Anfang fand ich es sehr mühsam, den langen Erzählungen der Patienten mit den vielen Wiederholungen, Floskeln und Erklärungen zuzuhören", erinnert sich Dr. Christoph Thalhammer. "Das kostet ganz schön Zeit, aber inzwischen denke ich, dass das auch viele Vorteile hat und vielleicht zu einer besseren Patientenversorgung beitragen kann." So setzt sich der Oberarzt häufiger als in Deutschland zu seinen Patienten, fragt sie gründlicher und schwätzt einfach ein bisschen mit ihnen.

Ob Famulatur, PJ oder als Arzt oder Ärztin: In der Schweiz können Sie viel lernen - nicht nur im fachlichen Bereich. Wer die andere Kultur und den anderen Charakter der Eidgenossen respektiert und nicht gleich durch "typisch deutsches" Verhalten auffällt, wird es leichter haben. "Man sollte auf keinen Fall zu arrogant wirken.", rät Reichert. "Ärzte aus Deutschland sollten sich als Kollegen und Menschen einbringen und auf eine vielleicht andere Lebensart neugierig sein. So sind sie die besten Botschafter ihres schönen Landes.", sagt Chefarzt Dr. Baumann. Und auch wenn man bestimmte Verhaltensweisen des anderen nicht versteht: Neugier, Offenheit und Toleranz ist der Schlüssel zu einem erlebnisreichen Aufenthalt im Ausland. "Die Schweizer konnten es nie verstehen, warum ich Sauce auf Schnitzel und Pommes mache.", erzählt Georg Hafer. "Sie mögens halt lieber trocken." Und wenn Sie wissen wollen, wie das Schnitzel war, fragen Sie nicht, ob es geschmeckt hat, sondern einfach "isch's guet gsi?".

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