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  • 11.04.2005

Chirurgie Famulatur in Krakau

Als das Sommersemester sich langsam dem Ende zuneigte, überlegten ein Freund und ich, ob wir eine Auslandsfamulatur machen sollten. Da wir uns drei Wochen vor Semesterende noch nicht so richtig mit diesem Gedanken befasst hatten, mussten wir uns beeilen.

Vorbereitungen

Als Alternativen kamen nur die Länder in Betracht, die in Europa lagen, da wir schon aus finanziellen Gründen nicht allzu weit reisen wollten. Just in diesem Moment fiel mir ein, daß wir doch unseren polnischen Erasmusstudenten oft über Polen haben schwärmen hören und daß es dort in medizinischer Hinsicht enorme Fortschritte gegeben habe.
Ehrlich gesagt, wussten wir über unseren Nachbarn Polen wohl genauso wenig, wie die meisten Studenten um uns herum - bis auf einige Berichte in den Medien und von Erzählungen einiger Erasmusstudenten. Also beschlossen wir schließlich, uns um eine Famulatur in Polen zu kümmern und so erstens die Medizin und zweitens das Land und seine Leute näher kennenzulernen.

Da wir wenig Zeit hatten, haben wir schnell per Internet die Adressen der zuständigen Kontaktpersonen ausfindig gemacht. Schließlich waren wir von der Jagiellonian Universität Krakau und dessen Internetpräsenz überzeugt und schrieben an das Dean's Office und fragten höflich um eine Famulaturstelle in der Chirurgie für den August. Nach einigen Tagen bekamen wir auch schon eine Antwort aus Krakau, in der man uns eine Stelle zusicherte.
Ehrlich gesagt waren wir von der Professionalität der Leute begeistert, denn nachdem wir per Fax ein Empfehlungsschreiben sowie einen Nachweis unserer Immatrikulation nach Krakau geschickt hatten, bekamen wir auch schon die Zusage per Mail und die Übernachtungsmöglichkeit in dem Studentenwohnheim in Krakau.

Anreise

Nachdem die Vorbereitungen so schnell gingen, war es an der Zeit, sich um die Tickets für die Hinreise zu kümmern.
Als Deutscher Staatsbürger braucht man zudem auch kein Visum. Als Studenten bekamen wir bei einem Busunternehmen für knapp 85 Euro Hin- und Rückfahrkarten. Leider dauert die Fahrt mit dem Bus über 10 Stunden, so daß man denjenigen die Kleingeld übrig haben, eine Anreise per Bahn oder Flug nach Krakau empfehlen muss.

Unterkunft

Man kommt per Bus am Hauptbahnhof mitten in der Krakauer City an und ist gleich schon einmal von der einzigartigen Kulisse der Stadt überrascht. Erschöpft von der langen Fahrt, mussten wir uns erst einmal um unser Wohnheim kümmern. Da wir kein polnisch sprachen, mussten wir uns mit unserem Englisch durchschlagen. Leider sprechen nur die jüngeren Polen fließend Englisch und so dauerte es ein bisschen, bis wir nach langen Hin- und Her zum Dean's Office gelangten und dort aber feststellen mussten, daß am Samstag das Büro für Studentenangelegenheiten geschlossen hatte. Ohne Stadtplan, den wir in Deutschland vergaßen, und unter strömendem Regen versuchten wir, auf irgend eine Art und Weise zu unserem Wohnheim zu gelangen. Schließlich konnten uns einige polnische Jugendliche dabei helfen, Straßenbahnticktes zu kaufen und dann per Straßenbahn ans andere Ende der Stadt zu gelangen, wo unser Wohnheim im klassischen sozialistischen Stil in Form dreier Hochhäuser in den Himmel ragte.
Nach etlichen Stunden der Sucherei erreichten wir unser Zimmer durch Hilfe anderer zufällig angetroffener Auslandsstudenten und waren froh endlich am Ziel angekommen zu sein.

In dem Wohnheim waren für uns Ausländer spezielle renovierte Zimmer reserviert, die aus Zweizimmerbetten und einem Bad bestanden. Eine Gemeinschaftsküche existierte, aber aufgrund der günstigen Preise für Lebensmittel und Restaurants hielt man sich eher selten darin auf.
Für das Wohnheim haben wir knapp 100 Euro bezahlt.

Klinikalltag

Am Montag fuhren wir gleich in die Stadt und dort ins Büro für Studentenangelegenheiten. Dort wurden wir gleich mit Studentenausweisen versorgt und bekamen zudem dadurch die Möglichkeit, uns bei der Stadt Monatstickets für den öffentlichen Nahverkehr zu besorgen, die lediglich umgerechnet 20 Euro kosteten.

Nachdem die organisatorischen Hürden genommen waren, eilten wir schon ins Krankenhaus, das auch ganz in der Nähe ziemlich zentral gelegen war. Dort stellten wir uns kurz vor und bekamen einen sehr gut englischsprechenden Assistenzarzt zur Seite gestellt, der uns in diesen Wochen unterstützen sollte.

Wir waren jeden Morgen gegen 7.30 Uhr in der Klinik und da unser Wohnheim per Straßenbahn ungefähr 35 Minuten weit weg war, mussten wir sehr früh aufstehen und konnten somit auch nie frühstücken. Jeder, der schon mal im OP Haken gehalten hat, weiß, wie schwer dies mit leerem Magen sein kann.

In der Klinik hielt man es mit der Hygiene sehr ernst und achtete auch dementsprechend darauf. An Kleidung bekamen wir alles gestellt, doch so richtig passte gar nichts in Größe und "Design".

Da die älteren Ärzte kaum bis gar kein Englisch sprachen, war es mit der Verständigung schwer, doch die jüngeren Kollegen waren teilweise besser darin als wir.

Der Dienst ging bis in den Nachmittag hinein. Die meiste Zeit standen wir im OP und haben die Haken gehalten, ohne eigenständig arbeiten zu können. Aber wo kann man das als Famulant in der Chirurgie schon... Es fehlen ja einfach die Kenntnisse.
Da es Sommer war, wurden einige OP-Tage ziemlich anstrengend. Manchmal kamen wir derart erschöpft aus dem Krankenhaus, daß wir schon in der Straßenbahn einschliefen, wie wir die halbe Stunde zum Wohnheim fuhren. Im Großen und Ganzen konnten wir uns schon frei bewegen, das heißt, viele Operationen sehen.

Land und Leute

Die Universität von Krakau ist eine der Ältesten überhaupt in Europa und dementsprechend stolz sind die Krakauer darauf. Auch deswegen, weil hier einst Kopernikus studiert hat.

Die Stadt ist auch eine der schönsten Städte Polens und des gesamten osteuropäischen Raumes. Die Architektur der Stadt erinnert sehr an Venedig, und manche Viertel sind dermaßen schön, daß man den Eindruck hat, man wäre irgendwo in Italien. Wohl auch deswegen, weil Krakau sehr viele Kirchen hat, die pompös sind und den mittelalterlichen Hauch beibehalten haben. Viele sind wunderbar restauriert worden und auch andere Gebäude sind sehr schön renoviert worden.

In Rynak, dem größten Piazza in Europa, befindet sich das touristische Zentrum mit seinen unzähligen Kneipen, Restaurants und Bars. Hier muss man vor allem die Jazzbars erwähnen, die man einfach besucht haben sollte.

Da die Stadt mit ihren unzähligen Fakultäten sehr viele Studenten hat, bietet sie sehr viel an Kunst und Kultur. Im ehemaligen jüdischen Viertel in Kazimierz, hat sich auch ein junges Publikum angesiedelt und lädt mit diversen Angeboten Touristen zum Eintauchen in vergangene Zeiten ein.

Die Stadt liegt auch in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz, so daß jedem empfohlen werden kann, einen Tag zu investieren, um dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte vor Ort anzuschauen. Leider leben in Krakau kaum mehr jüdische Mitbürger, aber man kann in dem ehemaligen jüdischen Viertel noch immer Reste jüdischer Kultur antreffen. Gute Restaurants sind hier von Touristen sehr gefragt.
Wer abends das Tanzbein schwingen möchte, dem bietet die Stadt unzählige Clubs, die fast jeden Tag geöffnet haben und mit diversen Specials junges Publikum anlocken.

Fazit

Wir waren von der Stadt und den Leuten sowie dem Krankenhaus sehr positiv überrascht. Krakau ist sehr viel westlicher als man es sich hier bei uns vorstellen mag. Die Stadt ist immer eine Reise wert und die Leute sind sehr aufgeschlossen.

Als Medizinstudent lernt man nicht allzu viel, doch das lag wohl auch daran, daß wir kein polnisch sprechen konnten. Aber die Ärzte geben sich sehr viel Mühe und mit etwas Engagement ist sehr viel an Wissen mitzunehmen.

Wir waren froh, daß wir eine schöne Zeit in Krakau verbringen durften und konnten als Deutsch-Türkische Studenten auch dazu beitragen, gegenseitige Vorurteile abzubauen. Daher empfehle ich jedem eine Famulatur in Polen. Ihr werdet es sicher nicht bereuen.

Link

die Homepage der Uni Krakau

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