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  • Stephan Hohmann, Berlin
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  • 23.04.2009

Migori District Hospital, Kenia

Wie lebendige Wesen liefern sich die Regentropfen, getrieben vom Fahrtwind, ein Wettrennen auf der Seitenscheibe. Hin und wieder rast unser Matatu-Minibus mit seinen 20 Fahrgästen und gut 80 Sachen auf dem Tacho durch einen Bach, der die Straße knöcheltief überschwemmt, dann bekommen die Tropfen am Fenster Gesellschaft von rotbraunem Schlammwasser aus dem Straßengraben. In die Musik des Autoradios mischen sich das mahnende Piepsen des Geschwindigkeitsbegrenzers und hin und wieder ein fernes Donnergrollen. Mir fällt unvermittelt ein, dass der Reiseführer sagt, Kisumu sei die Stadt mit der höchsten Gewitterhäufigkeit in Kenia - was man sich nicht alles merkt...

Voraussetzung: "Tropenmedizin und International Health"

Durch die beschlagenden Scheiben lassen sich hinter dem Regenschleier bis zum Horizont Zuckerrohr- und Bananenplantagen erahnen. Einzelne Stroh gedeckte Häuser huschen vorbei, ihre Lehmwände verschwimmen farblich mit der rotbraunen Erde. Das fahle Licht der Abendsonne verleiht dem aufsteigenden Nebel ein unwirkliches Leuchten, und in der Luft liegt der Duft nach Regen auf warmem Boden. Nach 8 Stunden Busfahrt von Nairobi verfehlt das monotone Prasseln der Tropfen seine meditative Wirkung nicht.

 

Blick auf das Outpatient Department - alle Fotos: Stephan Hohmann

 

Meine Gedanken schweifen zurück nach Berlin, wo Katharina und ich noch vier Tage zuvor im Tropenmedizin-Seminar saßen. Jedes Semester veranstaltet das Tropeninstitut Berlin am Anfang der Semesterferien einen Intensivkurs "Tropenmedizin und International Health" und bietet gleichzeitig Famulaturplätze bei Partnerkrankenhäusern in Afrika an. Das Seminar behandelt dabei neben der klassischen Tropenmedizin von Malaria über Bilharziose bis HIV/AIDS ausdrücklich auch die sozialen Hintergründe von Krankheit in der Dritten Welt. So spiegelt beispielsweise die Prävalenz von Dengue Fieber unmittelbar die zunehmende Verarmung und das Bürgerkriegs-Chaos in vielen Staaten Sub-Sahara-Afrikas seit den 60er Jahren wieder - mittlerweile liegt die Verbreitung wieder auf dem Niveau von 1920.

Nicht weniger erschütternd ist, was Sebastian Dieckmann in seiner Vorlesung anspricht. "Mit dem Slogan ‚Wir retten unsere Kolonien' entwickelte Bayer um 1917 den Wirkstoff Germanin gegen die Schlafkrankheit", so Dieckmann. Allerdings ist Germanin, mittlerweile als Suramin im Handel, bis heute Mittel der Wahl gegen die Krankheit. Eine Infektion, die vielleicht einmal in 5-10 Jahren einen solventen europäischen Touristen trifft und sonst größtenteils Patienten, die von weniger als 1 US$ am Tag leben, stellt kein lukratives Forschungsfeld dar. Auch deshalb erkranken immer noch jedes Jahr weltweit 1 Mio. Menschen, etwa 60.000 sterben[1] an der Infektion.

 

Unser Häuschen im Girango-Hotel

 

In einem eigenen Vortrag stellte Gundel Harms, Organisatorin des Seminars und Koordinatorin der PMTCT-Projekte der GTZ, verschiedene Formen der Entwicklungszusammenarbeit vor. Auch der Kontakt zum Migori District Hospital beruht auf einem Projekt der GTZ dort, das vom Tropeninstitut Berlin betreut wird.

In Migori angekommen

Unser Matatu ist mittlerweile am Ziel angekommen, und auch der Regenguss hat sich etwas beruhigt, so dass wir auf dem Weg zum Hotel einen ersten Eindruck von der Stadt bekommen. Migori, Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsbezirks und offiziell Heimat von geschätzt 52.000 Einwohnern, wirkt auf den ersten Blick recht überschaubar. Eine Hauptstraße durchzieht den Ort, der beiderseits des Migori Rivers in einer Senke liegt, und die meisten Geschäfte, Restaurants und hoteli gruppieren sich um dieses Zentrum. Wie weit sich der Ort tatsächlich noch auf den umgebenden Hügeln ausbreitet sollten wir erst im Laufe der Zeit erfahren. Eine gewisse Bedeutung erlangte das Städtchen im südwestlichsten Zipfel Kenias, zwischen Victoria-See und tansanischer Grenze, schon unter den Briten durch die nahe gelegene Goldmine, und bis heute wird in der Gegend nach dem Edelmetall geschürft.

Migori liegt im Siedlungsgebiet der Luo, der drittgrößten von über 40 Ethnien in Kenia. Die Luo, traditionell der Zentralregierung in Nairobi gegnüber eher kritisch eingestellt, spielten auch im kenianischen Unabhängigkeitskampf eine führende Rolle und zählen bis heute "zu den dynamischsten, aber auch kulturell eigenständigsten Völkern in Kenia" (Hartmut Fiebig[2]). Praktische Bedeutung sollte dieses kulturelle Selbstbewusstsein für uns vor allem bekommen, weil es immer mal wieder Patienten im Krankenhaus gibt, die ausschließlich Luo sprechen - eine Sprache, die mit unseren erlernten Brocken Kiswahili rein gar nichts zu tun hat. Allerdings tun die Kollegen im Krankenhaus aber auch alles dafür, ihren Gästen wenigstens ein paar Worte Luo beizubringen - eine Herausforderung, die es durchaus in sich hat...

 

Straßenszene in Migori

 

Unsere Unterkunft in Migori, das Girango Hotel, entpuppt sich schließlich als echter Geheimtipp: Wir wohnen in einem gar nicht so kleinen Appartementhaus mit 2 Zimmern und eigener Küche, die aber wegen des vorzüglichen kenianischen Essens aus den Töpfen von Girango-Koch Angelo in den nächsten vier Wochen eher ein Schattendasein führen wird.

 

Das Migori District Hospital

"You are our visitors from Germany?" Zielstrebig steuert eine weiß gekleidete Krankenschwester über das schon recht belebte Krankenhausgelände auf uns zu. Wer von den Patienten aufstehen kann, genießt den schönen Morgen lieber im Freien, und so herrscht trotz der frühen Stunde schon ein reges Kommen und Gehen.
"Ich bin Melisah, die Krankenschwester der PMTCT-Klinik". Spricht's und nimmt uns mit. In den nächsten Stunden, nach einem herzlichen Willkommen, lernen wir zunächst die übrigen PMTCT-Mitarbeiter kennen, und dann das Migori District Hospital. John Odera, den umtriebigen, aber angenehm unaufgeregten Projektkoordinator; Selestine, zusammen mit Melisah die gute Seele der PMTCT-Klinik; Leah und Caroline, die sich um begleitende Studien und das liebe Geld kümmern; den Fahrer Dismas; und schließlich Dr. Omondi, den Arzt im PMTCT-Team.

Das Krankenhaus besteht neben der Mother-Child (MCH) Clinic aus einem Outpatient Departement, je einer Station für Frauen, Männer, Kinder und "Privatpatienten", einem Kreißsaal, dem Patient Support Center zur ambulanten Versorgung von HIV-Patienten, einer kleinen Zahnarztpraxis und dem Labor. Außerdem ist ein OP im Bau, über das Datum der Fertigstellung mag aber niemand mehr spekulieren. Alle Stationen und Abteilungen sind in einzelnen freistehenden Gebäuden untergebracht, was auf den ersten Blick ein wenig an ein Ensemble von Ferienbungalows erinnert und die Wege manchmal recht lang werden lässt. Dafür verleiht es der Anlage aber auch ein sehr großzügiges und offenes, fast parkartiges Ambiente.

 

PMTCT-Aufklärungskampagne in Migori

 

Während wir über das Gelände geführt werden, füllt sich der überdachte Wartebereich der MCH Clinic zusehends. In erster Linie sind es Mütter, die mit ihren kleinen Kindern zu Untersuchungen oder Impfungen kommen, zum Teil warten aber auch Schwangere auf eine Beratung in der PMTCT-Klinik.

 

Prevention of Mother-To-Child Transmission of HIV (PMTCT)

PMTCT steht für Prevention of Mother-To-Child Transmission of HIV, ein Konzept, das die GTZ seit 2001 in Ostafrika in Pilotprojekten etabliert. Das Risiko, als Kind einer HIV-positiven Mutter unter der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten durch Stillen infiziert zu werden, liegt in Entwicklungsländern bei etwa 30%. Zudem ist der Verlauf der HIV-Infektion bei Kindern im Allgemeinen schwerer, so dass nur ein Drittel der kleinen Patienten ihren fünften Geburtstag erleben. Studien haben gezeigt, dass eine Dosis des antiretroviralen Medikaments Nevirapin für die Mutter kurz vor der Geburt und eine für das Kind unmittelbar danach sowie der Verzicht auf Stillen die Übertragungsrate mindestens halbieren können - zumindest unter den optimalen Bedingungen klinischer Studien.

Durch welche Stigmata, kulturellen Einflüsse und Schamgefühle der Umgang mit dem Thema AIDS in der Realität belastet ist, berichtet John Odera an einem Beispiel: Ein positives Paar, beide seit einem Jahr unter antiretroviraler Therapie, kommt pünktlich zu jedem Termin und kooperiert auch sonst in jeder Hinsicht. Das Auszählen der zurückgebrachten Medikamente (eine gängige Praxis zur Kontrolle der Einnahme) zeigt, das beide zu fast 100% Therapie-adhärent sind. Wegen der Medikamente und des trotz PMTCT immer noch hohen Übertragungsrisikos entscheidet die Frau, dass sie lieber keine Kinder bekommen möchte.
"Seine Mutter dagegen wollte gar nicht einsehen, warum kein Enkelkind unterwegs ist, und hört nicht auf, ihren Sohn unter Druck zu setzen.", erzählt John. Schließlich verlässt er seine Frau und kommt mit einer jüngeren zusammen, vor der er seinen Status geheim hält. Die Tabletten versteckt er, bei seinen Terminen im Patient Support Center erzählt er ihr Geschichten von einem Freund, den er dort besuche. Das geht einige Zeit so weiter, bis er die Therapie schließlich völlig abbricht.
Seine Freundin ist jetzt schwanger. John Odera bringt es auf den Punkt: "HIV/AIDS ist nur zu einem Viertel Medizin, aber zu drei Vierteln Sozialwissenschaft und Anthropologie".

 

Mac Gyver in Weiß - Provisorien retten Leben

Zweimal in der Woche kommt Dr. Kogutu zur Visite auf den beiden Erwachsenenstationen. Kogutu, auch äußerlich eine imposante Erscheinung, entspricht in vieler Hinsicht dem Klischee eines "Landarztes": Eine gynäkologische Untersuchung führt er mit derselben gelassenen Souveränität durch wie eine Lumbalpunktion, behandelt den Schlaganfall im Rahmen der Möglichkeiten so kompetent wie die Typhuspatientin, und findet in seinen bis zu 5 Stunden langen ward rounds immer Zeit, Fall für Fall mit uns zu diskutieren. Die meisten Patienten leiden an Tuberkulose, Pneumonien oder Meningitis, bedingt durch eine HIV-Prävalenz in Nyanza um etwa 30%, außerdem Typhus und die verschiedensten Malignome. Vor allem die Arbeit in den Tabakfabriken scheint (auch bei Nichtrauchern) Bronchialkarzinome zu fördern.
Heute stellt uns Dr. Kogutu eine Patientin mit pleuraler Tuberkulose vor.

 

Dr. Obada im Childrens ward

 

Das Röntgenbild der jungen Frau Ende 20 zeigt links einen Erguss, der bis in die Lungenspitze reicht. Die Patientin sitzt auf ein Kissen gestützt aufrecht in ihrem Bett, dass sie sich mit einer anderen Frau teilt, und wirkt noch immer recht schwach. Dabei ist sie, verglichen mit gestern, deutlich auf dem Wege der Besserung. Noch am Tag zuvor war sie völlig dyspnoetisch und in Todesangst ins Krankenhaus gekommen.
Die Lösung liegt in einem genialen Provisorium, das Dr. Kogutu ihr zukommen ließ: Aus einer Braunüle, einem abgeschnittenen Infusionsschlauch, einem Urin-Katheterbeutel und viel Leukoplast als Dichtungsmaterial bastelt der "MacGyver in Weiß" tatsächlich eine funktionierende Thoraxdrainage. Ein Bild mit Symbolcharakter für den Kampf, den die Ärzte (nicht nur) in Migori Tag für Tag mit viel Improvisationstalent gegen den allgegenwärtigen Mangel führen.

Neue Patienten im Migori District Hospital werden im Outpatient Departement zunächst von Clinical Officers untersucht, die nach einer dreijährigen Ausbildung mit ihren Fähigkeiten zwischen Arzt und Krankenschwester einzuordnen sind. Zumindest die häufigeren Krankheiten können die Clinicians nicht nur diagnostizieren, sondern auch eine initiale Therapie anordnen und entscheiden, ob der Patient stationär bleiben muss. Erst bei der nächsten Visite, das heißt unter Umständen nach vier Tagen, werden die stationären Patienten dann von einem Arzt gesehen. Was zunächst unglaublich und völlig unverantwortlich klingt, bewährt sich in der Praxis aber sehr gut, und immerhin werden die wenigen Ärzte auf diese Weise so effizient wie möglich eingesetzt.

 

Die Ausbildung junger kenianischer Mediziner

Auf der Kinderstation untersucht währenddessen Dr. Odaba die jungen Patienten. Für ihn ist es die erste Stelle nach dem Studium und einjährigem Internship, und dementsprechend motiviert und engagiert geht der junge Arzt an seine ward rounds heran. Gleichzeitig wird im Gespräch aber auch deutlich, wie hart für die jungen kenianischen Mediziner der Übergang vom Studium zum Beruf ist. Das Medizinstudium in Nairobi unterscheidet sich in Ausstattung und Inhalt kaum von unserem. Ihre klinische Erfahrung gewinnen die Studenten im größten Krankenhaus Ostafrikas. Im Kenyatta National Hospital, der Uniklinik von Nairobi, steht nicht nur das einzige CT eines öffentlichen Krankenhauses in Kenia und die einzige Gamma-Kamera südlich der Sahara, auch die Medikamentenauswahl ist state-of-the-art.

Mit dem Wissen um all diese diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten werden die frischgebackenen Ärzte dann in ein Krankenhaus wie das Migori District Hospital versetzt, wo es weder ein EKG noch Paracetamolsirup für die Kinder gibt. Dass dieser Kontrast zwischen selbstgestelltem Anspruch unf der Wirklichkeit am Anfang nicht leicht zu verkraften ist, versteht sich von selbst.

 

Der Childrens ward

Die häufigsten Krankheitsbilder im childrens ward sind Malaria und Unter- bzw. Fehlernährung. Nyanza, die Region am Ufer des Lake Victoria, ist Malaria tropica-Hochendemiegebiet, und am schwersten betroffen sind nun mal Kinder unter 5 Jahren. Das führt so weit, dass einige Wochen nach Beginn der Regenzeit bis zu 90% der kleinen Patienten mit Fieber kommen.

Die Gründe für das andere große Problem, Unterernährung, sind vielschichtiger: Eigentlich ist der Südwesten Kenias eine der fruchtbarsten Gegenden des Landes. Dürrekatastrophen, wie erst kürzlich wieder in Nordkenia, Somalia und dem Sudan, kommen hier praktisch nicht vor. Dass trotzdem so viele Kinder unter Marasmus oder Kwashiokor leiden, liegt zu einen daran, dass ein Großteil der Mütter einfach nicht weiß, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung ist. Viele Kinder bekommen ausschließlich Ugali, einen Brei aus Maismehl und Wasser, der außer Stärke nichts Verwertbares enthält. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit von Nöten.

Die andere Ursache ist eine ökonomische: Auf Drängen der Weltbank und anderer internationaler Geldgeber musste Kenia im Zuge so genannter Strukturanpassungsprogramme seine Landwirtschaft in erster Linie auf den Export ausrichten. Viele Kleinbauern haben sich in der Hoffnung auf ein sicheres Einkommen und ermutigt durch die Regierung vertraglich an große Tabak- oder Zuckerfirmen gebunden und bauen nur noch deren cash crops an. Da aber beispielsweise Zuckerrohr erst nach 3-5 Jahren zum ersten Mal geerntet werden kann und zudem die Erzeugerpreise in den letzten Jahren stetig gesunken sind, bleibt vielen Familien nur, auf dem Markt die billigsten Zutaten zu kaufen, die sie bekommen können. Und das sind nun mal Maismehl und Reis.

Allerdings gibt es mittlerweile Programme, die die Bauern dazu ermuntern sollen, wenigstens am Rand ihrer Felder oder zwischen den Zuckerrohrstängeln zur Selbstversorgung Sukuma wiki (eine Art Salat), Maniok oder Yams anzubauen.

 

Geburt im Eiltempo

Es ist Nachmittag und wir kommen gerade vom immer wieder exzellenten traditionell kenianischen Lunch im Heritage Hotel zurück. Der Wartebereich der MCH Clinic hat sich sichtbar geleert, und auch in den anderen Departments schaltet man allmählich einen Gang zurück. Während wir noch überlegen, wie wir unser Programm für den Rest des Tages gestalten wollen, kommt Lilian schnellen Schrittes auf uns zu. Die Hebamme hatte uns schon länger versprochen, uns zur nächsten Geburt in die Maternity zu holen, und jetzt sollte es soweit sein.

 

Der Kreißsaal

 

Schnell die Gummischürze über den Kittel geworfen, ein kurzer Kampf mit sterilen Handschuhen in Größe S, und los geht's. Der Kreißsaal ist ein recht spartanischer Raum mit zwei Liegen, einem Medikamenten- und Instrumentenschrank und einer Kinderwaage. Dünne Stofftücher vor den Fenstern halten fremde Blicke fern und tauchen den Raum gleichzeitig in ein entspannendes Halbdunkel. Es riecht nach chlorhaltiger Desinfektionslösung. Neben der Tür spielt ein Radio kenianische Popmusik.

Auf der Liege in der Mitte liegt eine junge Frau in den Wehen. Sie ist 17 Jahre alt, erfahren wir von Lilian, und bekommt ihr erstes Kind. Nach eher schleppenden Fortschritten zu Beginn sei in den letzten Minuten plötzlich alles ganz schnell gegangen, aber Lilian wollte uns unbedingt dabeihaben. Für eine Nullipara geht die Geburt jetzt ungewöhnlich schnell voran.

Viele der werdenden Mütter kauen beim Einsetzen der Wehen traditionelle Kräuter, die wohl Ergotamin ähnliche Substanzen enthalten. Die auf diese Weise ausgelöste Uteruskontraktion kann die Geburt zwar ganz erheblich beschleunigen, nur läst sich die Dosis leider nicht sehr zuverlässig steuern. Eine Patientin, die wir später kennen lernen sollten, hatte bei ihrer letzten Geburt eine Uterusruptur erlitten, weil der Muskel seiner eigenen Kontraktion schlicht nicht mehr standhalten konnte.

 

Traditionellen Medizinmänner als Ansprechpartner für Problemchen aller Art

Überhaupt spielen traditionelle Heilmethoden nach wie vor eine große Rolle. Heiler sind ein anerkannter und sehr respektierter Berufsstand, der sich auch auf politischer Ebene erfolgreich gegen alle Versuche wehrt, seinen Einfluss zu mindern. Und tatsächlich handelt es sich dabei um deutlich mehr als Handauflegen. Die Heilkundigen verwenden neben Kräuteraufgüssen und Narbentattoos auch moderne Medikamente, wenn sie es für angebracht halten. Kritisch sind eigentlich nur die Schwarzen Schafe, die sich bei so einem Beruf nie ausschließen lassen.
Einige Auswüchse, die wir erleben mussten, waren zum Beispiel ein Kind mit Spritzenabszess im Oberschenkel, der das Bein auf den doppelten Umfang hatte anschwellen lassen. Ein Heiler hatte dem kleinen Jungen einen Kräutersud gegen Fieber i.m. in den Oberschenkel injiziert.
Oder die junge Frau mit einem Schlangenbiss, der sich infiziert hatte. Nach einigen Wochen in der Obhut eines Medizinmannes trugen ihre Angehörigen sie dann mit ihrem bis zum Knie skelettierten Unterschenkel schließlich doch noch in Krankenhaus, doch für eine Rettung des Beins war es dann zu spät.

Doch dies sind Einzelfälle, in der Regel können die Heiler recht gut einschätzen, welcher Patient ärztlicher Behandlung bedarf. Und gerade in abgelegenen Gegenden leisten die traditionellen Medizinmänner eine wichtige Grundversorgung als Ansprechpartner für Problemchen aller Art.
In der Zwischenzeit ist das kleine Köpfchen erschienen, und ehe wir uns versehen ist der neue Erdenbürger da. Ein gesundes Mädchen, rosig (ihre dunkle Hautfarbe bekommen die Babys erst in den ersten Lebenstagen) und sehr fidel. Die kleine wird gut eingepackt und gönnt sich, während ihre Mutter auf die Nachgeburt wartet, erst mal ein Nickerchen.

 

Ein "Schmankerl" zu Ende des Tages

Kurz bevor der Tag im Krankenhaus zu Ende geht, erwartet uns noch ein weiteres "Schmankerl": Das tägliche Slide-Quiz mit James. James Otieno ist Parasitologe im Labor und eine Seele von Mensch. Wenn er mit seinem Tagwerk durch ist, so gegen halb vier, treffen wir uns regelmäßig mit ihm vor dem Mikroskop, und er legt uns eine Auswahl an Blutausstrichen oder Stuhlproben des Tages vor, die wir befunden sollen. Was ist jetzt ein Plasmodium, und was sind nur Zelltrümmer? Ist dieser Gametozyt männlich oder weiblich? Und welche Schistosoma-Art ist das jetzt? Durch die tägliche Übung gehen uns die häufigsten Parasiten allmählich in Fleisch und Blut über[3].

Schließlich machen wir uns so gegen halb fünf auf den Heimweg, schauen vielleicht noch auf dem Markt vorbei, und treffen Freunde aus Migori. Und irgendwie sehnen wir uns nach diesem Trommelfeuer neuer Eindrücke auch ein bisschen nach unserem Refugium im Girango Hotel. Bis es dann morgen wieder Neues zu erleben gibt.

 

Fazit

Das Team der PMTCT-Klinik

 

Die Famulatur in Migori, zusammen mit dem Tropenmedizinseminar in Berlin, war ein Erlebnis, das ich nur jedem empfehlen kann, der mal über den Tellerrand des deutschen Gesundheitssystems blicken möchte. Wichtiger als die tropenmedizinischen Details, die man dabei auch lernt, sind die ungefilterten Eindrücke aus dem Alltagsleben und der Gesundheitsversorgung in einem Entwicklungsland, die doch viele Diskussionen hier bei uns in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Und last not least bietet Kenia schließlich auch für Wochenenden und die Zeit nach der Famulatur jede Menge: In drei Stunden ist man im quirligen Kisumu direkt am Ufer des Victoriasees, und 20 Minuten mit dem Taxi bringen einen nach Sirare in Tansania, wo es eine umwerfende Auswahl afrikanischer Stoffe und Kleider gibt. Auch nur 3 Stunden mit dem Auto entfernt liegt die weltberühmte Massai Mara National Reserve, der kenianische Teil der Serengeti, mit ihrer atemberaubenden Jenseits von Afrika-Landschaft und Tieren, die man sonst höchstens aus dem Zoo kennt. Und über die schneeweißen Korallenstrände bei Mombasa muss man wohl kein weiteres Wort verlieren. Aber das alles, und noch viel mehr, könnte einen eigenen Bericht füllen…
In diesem Sinne: Kwa heri, Kenya. Tutarudi! - Wir kommen wieder.

Quellen

1 Quelle: BUKO Pharmakampagne, Stand 2004

2 Hartmut Fiebig. Reise Know-How Kenia. 2004

3 Natürlich nur eine Metapher ;-)

Bewerbung

Voraussetzung für die Famulatur in Migori ist das Tropenmedizinseminar am Tropeninstitut Berlin. Ansprechpartner ist Frau Prof. HARMS-ZWINGENBERGER. Das Seminar findet immer in den ersten zwei Ferienwochen statt, die Warteliste ist allerdings traditionell lang.

Wer weitere Fragen hat, kann sich direkt an mich wenden:

stephan.hohmann@gmx.net

Einreise nach Kenia

Deutsche Staatsbürger benötigen ein Visum, das 40 EUR kostet und ab Ausstellungsdatum (nicht Einreisedatum) 3 Monate gültig ist. Eine Auslandskrankenversicherung sollte eigentlich Standard sein. Impfungen sind keine besonders vorgeschrieben, wer allerdings kurz nach Tansania oder Uganda rüber will, braucht eine Gelbfieberimpfung (weil er dann ja aus einem Gelbfiebergebiet einreist). Über aktuell empfohlene Impfungen lasst euch am besten beraten, eine Malariaprophylaxe (kein Stand-by, sondern echte Prophylaxe) ist aber im Malaria tropica-Hochendemiegebiet Nyanza auf jeden Fall indiziert.

Kosten

Die Famulatur in Migori selbst kostet keine Gebühr o.ä., allerdings schlagen natürlich die Lebenserhaltungskosten zu Buche. Und die sind in Kenia im Vergleich zu anderen Schwellenländern gar nicht so niedrig. Für die Unterkunft im Girango Hotel haben wir dagegen (zu zweit) für einen Monat nur fast unschlagbare 12.000 KSh (ca. 150 EUR) gezahlt.

Größter Einzelposten ist natürlich der Flug, hier empfiehlt es sich ausdrücklich, nicht auf das meist billigste Angebot von Qatar Airways zu verfallen, weil dort gerne mal das Gepäck verschwindet - mit schöner Regelmäßigkeit, wie die Lost&Found-Mitarbeiter in Tegel wissen. Andere Airlines sind auch nur 20 EUR teurer, aber man spart sich unglaublich viel Ärger.

Im Krankenhaus

Kittel gehören eigentlich nicht zum Dresscode der Ärzte (die laufen eher im Hemd mit oder ohne Krawatte herum), allerdings stört es auch keinen, wenn man einen anhat. Wir haben das immer ein bisschen von der zu erwartenden "Sauerei" abhängig gemacht. Also Visite in zivil, aber Geburt mit Kittel. Wer z.B. eine Blutdruckmanschette, BZ-Messgerät o.ä. hat, sollte es auf jeden Fall mitnehmen.

Sprache

Englisch ist eine von zwei Amtssprachen in Kenia, und wer es bis auf die Highschool geschafft hat, spricht zwangsläufig sehr gut englisch. Auch im Krankenhaus ist es die offizielle Sprache, selbst die der Kenianer untereinander. Patienten dagegen sprechen oft neben ihrer Stammessprache wenn überhaupt Kisuaheli, hier lohnt es sich, die Grundlagen dieser recht simplen Sprache wenigstens etwas zu lernen.

Literaturtipps

Hartmut Fiebig. Reise Know-How Kenia. Reise Know-How-Verlag. ISBN 3-8317-1306-5
Exzellenter Reiseführer, DAS Kompendium zu Kenia.

Michael Eddleston. Oxford Handbook of Tropical Medicine. Oxford University Press. ISBN 0-19-852509-5
Kitteltaschen-Tropenmedizinbuch, von
Studenten konzipiert und mit dem Blick fürs Wesentliche geschrieben. Ein echtes Handbuch.

Christoph Friedrich. Kisuaheli Wort für Wort. Kauderwelsch Band 10.Reise Know-How-Verlag. ISBN 3-89416-074-8
Typisches Buch der Kauderwelsch-Reihe mit "Wort-für-Wort"-Übersetzungen der wichtigsten Phrasen für den Alltag, und noch etwas mehr.

Joan Russel. Teach Yourself Swahili. McGraw-Hill. ISBN 0-07-141448-7
Ein echter Selbstlernkurs. Wer Spaß dran hat, die lustigen Wörter wie "pole-pole" und "sawa-sawa" mal in einigen Wochen von der Pike auf zu lernen, wird an diesem Buch seine Freude haben. Die deutlich fundiertere Alternative zum Kauderwelsch.

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