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  • Bericht
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  • Peter Weber
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  • 11.04.2016

Famulatur an der Aichi Medical University (愛知医科大学) – zwischen hochmoderner Medizin und traditioneller Kultur

Du brauchst noch gute Gründe für eine Famulatur in Japan? Nach diesem Artikel hast du genügend, um dich gleich an die Reiseplanung zu machen.

 

Gruppenbild in Japan - Foto: Peter Weber

Gruppenbild mit der hämatologischen Abteilung der Aichi Medical University. Rechts neben mir ist der Chef, Prof. Takami.

 

 

Eine Famulatur ist genial, um über Europa hinaus zu erfahren, wie in anderen Ländern Medizin gelebt und praktiziert wird. Für mich war schnell klar, dass es nach Japan gehen sollte, da ich seit zwei Jahren Japanisch lerne und endlich mal die Sprache gebrauchen möchte. Außerdem interessierten mich die Arzt-Patienten-Interaktion in Japan, der Stationsalltag, der medizinische Standard, wie sich interprofessionelles Arbeiten (mit der Pflege etc.) gestaltet und das Verhältnis der Japaner zu Gesundheit im Allgemeinen.

 

Toller Empfang in Nagoya


Nach einem etwa zwanzigstündigen Flug mit Transfer in Peking bin ich um 21 Uhr Ortszeit am Flughafen Nagoya gelandet. Hundemüde habe ich ins Hotel am Flughafen, das die Uni für mich gebucht hatte, eingecheckt. Am nächsten morgen bin ich dann mit einem Bus zu einem U-Bahnhof Fujigaoka in Nagoya gefahren, wo ich von vier Studentinnen der Uni abgeholt wurde. Wir sind zusammen zum Universitätskrankenhaus gefahren, wo uns Frau Kato vom Center For International Affairs erwartete. Sie zeigte mir mein Zimmer für die nächsten vier Wochen, das meine Erwartungen bei weitem übertraf: Es war überaus geräumig, hatte eine Dusche, ein Waschbecken, einen Kühlschrank und das übliche Mobiliar. Direkt im Raum gegenüber gab es einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche.

Nach ein paar einleitenden Worten und Erklärungen erhielt ich ein Namenschild mit Schlüsselkarte und wurde von Frau Kato zum Büro der Abteilung für Hämatologie gebracht. Dort warteten Herr Professor Takami und Herr Professor Hanamura auf mich, die mir persönlich das Krankenhaus zeigten und mich dem ganzen Team vorstellen. Von Anfang an wurde ich sehr herzlich aufgenommen und man hat mir wirklich das Gefühl gegeben, ein vollwertiges Mitglied der Abteilung zu sein.

 

Klinik – typisch Japanisch

Eine der Ärztinnen, Frau Doktor Takahashi (Takahashi-Sensei/高橋先生) wurde mir auf Station als Ansprechpartnerin und Patin zugeteilt. Sie war wirklich sehr freundlich, fachlich kompetent und konnte sehr gut Englisch sprechen, was für mich eine Erleichterung war. Die meiste Zeit habe ich sie bei ihrer Arbeit begleitet. Sie hat mir sehr viel erklärt und sich immer sehr viel Zeit für mich genommen. Besonders gut gefallen hat mir, dass sie mich bei jeder Person, egal ob Patient oder Mitarbeiter, aufforderte, mich nochmal auf Japanisch vorzustellen. Ich hatte den Eindruck, dass das insbesondere für die Patienten ein sehr wichtiges Ritual war, wodurch sie mir gegenüber sehr viel offener entgegentraten.

In der Klinik durfte ich praktisch leider nicht sehr viel machen. Das liegt aber daran, dass das System in Japan ein bisschen anders ist, denn auch die Studierenden dort dürfen nicht sehr viel selbst machen.Wo bei uns 10 Leute auf einen Patient mit Herzgeräuschen losgelassen werden, ist man dort eher zurückhaltend. Man lernt und übt viel an Modellen oder Simulatoren. Ich habe hauptsächlich die Ärzte begleitet, was aber auch sehr spannend war. Z.B. haben wir zusammen einen lymphomverdächtigen Lymphknoten im OP abgeholt, sind damit zur Pathologie gerannt, dann zum Labor und haben uns am Ende die Resultate angeschaut. Ich habe auch kein Blut abgenommen, weil das nur die Schwestern und Pfleger gemacht haben. Drei Tage war ich im Labor und durfte dort ein bisschen pipettieren. Gefreut hat mich, dass ich zu vielen Konferenzen und Vorträgen mitgenommen wurde.

Mir ist aufgefallen, dass sich die Arzt-Patienten-Interaktion in Japan von der in Deutschland etwas unterscheidet: Takahashi-Sensei hat sich bei der Aufnahme eines Patienten immer mindestens eine Stunde Zeit genommen, um genau das Procedere und die Art der Chemotherapie zu erläutern. In japanischen Krankenzimmern hat jeder Patient einen durch einen Vorhang getrennten Bereich, um die Privatsphäre zu schützen. Wenn die Ärzte zur Visite vorbeikommen, treten sie zuerst vor den Vorhang und sagen 「失礼します」("Entschuldigen Sie bitte"), treten dann hinter den Vorhang und verbeugen sich. Die Patienten verbeugen sich ebenfalls und nach der Visite das Ganz nochmal. Dieses überaus hohe Maß an Respekt, das in der japanischen Kultur verankert ist, sowie die Zeit, die sich die Ärzte auf der Station für ihre Patienten nehmen, haben mich wirklich nachhaltig beeindruckt. Das liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass ein Arzt in Japan zu selben Zeit viel weniger Patienten betreut als ein Arzt im Deutschland.

Den Stationsalltag lief ähnlich ab wie in Deutschland. Es gibt Besprechungen, wo mitunter schwierige Therapiefragen diskutiert werden, man schaut sich Bildgebung und Labore an, man geht zur Visite und macht Verordnungen.


Was ich jedoch als besonders positiv wahrgenommen habe, ist der Stationsaufbau an der Aichi Medical University, deren Gebäude wirklich sehr neu und modern ist: Es gibt ein sehr großes Stationszimmer, in dem alle Professionen zusammen agieren: Pflege, Ärzte und Pharmazeuten. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Prinzip sehr gut für die Kommunikation zwischen den einzelnen Bereichen ist. Gerade auch in einem Fach wie der Hämatologie, wo teure und nebenwirkungsreiche Medikamente ein Hauptbestandteil der Therapie ausmachen war es sehr hilfreich, einen Apotheker mit im Team zu haben.

 

Besondere Patienten, die ich nicht vergessen werde

Da ich ja auf der Hämatologie war, hatten wir auch viele Patienten mit sehr ernsten Erkrankungen. Ein Patient mit AML (Akute Myeloische Leukämie) hat sich immer sehr gefreut wenn ich mit ins Zimmer kam. Er lag schon sehr lange im Krankenhaus und aufgrund des ungünstigen Karyotyps hat er leider eine schlechte Prognose. Er sagte immer, wie toll er es finde, dass ich hier sei und hat mich darin bestärkt, so viele Eindrücke wie möglich im Leben zu sammeln. Am Ende meiner Famulatur begann die Zeit der Kirschblüte und er fragte mich, ob ich mir sie schon angeschaut hätte und ich meinte "Ja natürlich, sie ist wunderschön." Er erwiderte: "Ja da stimmt. Aber am schönste finde ich, wenn sich die Kirschblütenzeit dem Ende zuneigt und die Blütenblätter durch den Wind vom Himmel regnen. Das erinnert uns immer an die Vergänglichkeit unseres eigenen Lebens." Dieses Gespräch fand ich wirklich sehr schön. Ich wusste natürlich, dass die Kirschblütenzeit für die Japaner wichtig ist, aber so wurde mir nochmal klar, das da auch sehr viel Symbolik drinsteckt.


Eine andere Geschichte ist eher amüsant: Ein sehr alter Patient fragte mich (auf Japanisch): Wo kommen Sie her? Und als ich erzählte, dass ich aus Deutschland komme, begann er auf Deutsch zu sprechen "Ach wie schön! Es freut mich ihre Bekanntschaft zu machen! Meine Tochter arbeitet im Moment bei einer Firma in Düsseldorf. Grüßen Sie sie, wenn sie zurückgehen!" Und dann hat er ganz lange meine Hand geschüttelt, was Japaner ja eigentlich NIE machen :)

 

Hoher Standard, gute Medizin


Der medizinische Standard entspricht mindestens dem in unseren Kliniken. Alles ist sehr modern. Auch die Gebäude: Im Krankenhaus gab es überall Rolltreppen, sehr schnelle Fahrstühle und sehr breite Flure.
Für Patienten werden jede Woche regionale, zum Teil auch überregionale Künstler eingeladen, die in der Aula des Krankenhauses Konzerte geben. Das ist kostenlos und soll den Patient den Zugang zu Kultur ermöglichen.
Was mich ein bisschen verwundert hat: Es gibt auch eine Chefarztvisite, 1x die Woche. Da gehen wirklich alle Ärzte mit dem Chef von Patient zu Patient. Das hat aber in erster Linie traditonelle Gründe, es wird nicht über das Krankheitsbild diskutiert, das passiert in den Besprechungen.
Übrigens: Die Japaner haben ihre moderne Medizin damals bei deutschen Ärzten gelernt und in ihr Land gebracht. Japaner haben immer (egal wo) sehr viel Respekt vor ihren "Lehrmeistern". Deswegen müssen alle Japaner im Studium ein Semester Deutsch lernen. Viele Begriffe von damals sind auch einfach ins Japanische übernommen worden. Beispiele sind: ノイローゼ ("noirooze") = Neurose und spricht man genau so aus. ギプス ("gipusu") = Gips, カルテ ("karute") = Krankenkarte.

 

Typisch Japanisch: Mundschutz und lange Arbeitszeiten

Viele Japaner sind mit Mundschutz unterwegs. Sie machen das vor allem daher, weil sie selbst Schnupfen haben oder erkältet sind (z.B. jetzt haben viele Heuschnupfen) und andere nicht mir ihren laufenden Nasen belästigen möchten. Manche tragen auch Mundschutz in geschlossen Räumen, z.B. im Nachtbus, viele auch im Aufzug.


Was ich auch anmerken muss ist, dass Japaner wirklich sehr (sehr sehr) viel arbeiten. Die Ärzte haben im Jahr 7 Tage Urlaub, viele arbeiten auch am Wochenende, die Schichten gehen oft weit über 8,9 Stunden hinaus. Das kann man durchaus kritisch betrachten. Bei meinen Gesprächen mit jungen Ärzten habe ich erfahren, dass in Japan der Begriff Work-Life-Balance immer wichtiger wird und gerade die junge Generation beginnt, den Arbeitsdruck zu hinterfragen. Das führt zum Teil zu Konflikten mit der älteren Generation, ähnlich wie eben in Deutschland auch manchmal.



Japanische Kultur – höflicher geht's nicht


Sowohl die Ärzte, als auch die Studenten an der Aichi Medical University waren sehr motiviert, mir die japanische Kultur näher zu bringen. Professor Takami hat in der ersten Woche ein Abendessen mit allen Ärzten organisiert, damit ich die japanische Küche und das Team besser kennenlerne. Takahashi-Sensei hat sich auch am Wochenende Zeit genommen, um mir die Stadt zu zeigen. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar.

 

Japan Buddah - Foto: Peter Weber

Der "Daibutsu" ("Großer Buddah") in Kamakura. Er ist wirklich sehr groß und man kann sogar in ihn hineingehen. Vermutlich wurde er im 13. Jahrhundert errichtet.


An der Universität gibt es verschiedene Studentenclubs. Einer dieser Clubs ist der HIAMU-Club ("Heart in Aichi Medical University"), der sich unter anderem um ausländische Studierende kümmert. Zeitgleich mit mir waren noch zwei weitere Austauschstudenten aus Neuseeland da. Sie japanischen Studenten organisierten für uns eine Willkommensparty, Spieleabende, gemeinsames Kochen, gemeinsames Essen und Ausflüge. Wir wurden von ihnen mit sehr viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit durch die Wochen begleitet.

 

Studentengruppe in Japan - Foto: Peter Weber

Wir Austauschstudenten und die Stundenten des HIAMU-Clubs. An der Uni gibt es zwei Studiengänge: Medizin und Krankenpflege und in den Clubs sind Studierende aus beiden Studiengängen. An dem Abend haben wir eine Nabe-PArty gemacht. Nabe heißt übersetzt so viel wie Topf, auch Eintopf und wir haben zusammen verschieden tradtionell japanische Eintöpfe gekocht.

 

Toll war auch, dass ich die Zeit der Kirschblüte erleben konnte. Das Blütenmeer war einfach der Hammer.
Die Wochenenden und auch die übrigen zwei Wochen der Semesterferien nach der Famulatur habe ich genutzt, um das Land zu bereisen, was aufgrund der sehr gut ausgebauten japanischen Infrastruktur problemlos möglich war.

 

Tempel Japan - Foto: Peter Weber

Die Burg von Inuyama. Das ist die älteste noch erhaltene Burg Japans.

 

Ich bewundere die Japaner dafür, wie sie auf der einen Seite ihre vielen Traditionen bewahren und auf der anderen Seite so modern und technologisch fortschrittlich sind. Sind ein sehr höfliches und gastfreundliches Volk, sodass ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte unwillkommen oder fremd zu sein.

 

Das Ärzte-Team und ich auf einem Vortragsabend zum Thema Multiples Myleom in einem Hotel in Nagoya.

 

Fazit


Ich kann wirklich jedem empfehlen, der Interesse an einer Famulatur im Ausland hat, diese in Japan und an der Aichi Medical University zu absolvieren. Alle Menschen dort sind so freundlich und engagiert, dass es wirklich leicht fällt, dort eine gute Zeit zu haben. Ich habe sehr viel gelernt. In erster Linie über die interkulturellen Unterschiede, aber auch die vielen Gemeinsamkeiten der japanischen und deutschen Medizin, sowie fachliches Wissen. Und nicht zuletzt konnte ich auch mein Japanisch verbessern und bin umso motivierter damit weiterzumachen.

 

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