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  • Bericht
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  • Fabio Comes
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  • 19.12.2017

PJ-Tertial in Udine

Dank deutscher Mutter und italienischem Vater stammen meine Erbanlagen zu gleichen Teilen aus der Bundesrepublik wie dem Stiefelstaat. Die Erfahrungen, die ich in meinen 26 Lebensjahren bisher gesammelt habe, verteilen sich jedoch alles andere als gleichmäßig auf die beiden Länder. Genau das wollte ich nun nachholen. Und zwar bei einem PJ-Tertial in Udine.

„Loggia del Lionello” auf der Piazza della Libertà im Zentrum der Altstadt. © Fabio Comes


„La dolce vita“ (ital. für „das süße Leben“) - davon bekommt man in Udine, 20 km westlich der slowenischen Grenze in der Landschaft Friaul gelegen, so viel wie man möchte. Die zahlreichen Cafès und Bars in der Altstadt stellen den Inbegriff des Lebensstils dar. Jedoch demonstrieren Einrichtungen wie das Universitätskrankenhaus „Ospedale Santa Maria della Misericordia“ im Norden der Stadt auch den modernen Geist der Gemeinde. Und der ist durchaus zukunftsorientiert ausgerichtet. Tradition und Fortschritt werden hier gut in Einklang gebracht.

Motivation

Schon lange war mir bewusst, dass ich später als approbierter Arzt keine Krankheiten, sondern Patienten behandeln werde. Und um dies gut tun zu können – das heißt mit entsprechender Empathie und Verständnis für die individuellen Lebensumstände – braucht man ein Gefühl für alle Arten von Patienten: Alte wie junge, physisch wie psychisch kranke Menschen. Und eben auch ein Gefühl für Hilfesuchende mit in- und solche mit ausländischem Hintergrund.

Deutschland verkörpert einen interkulturellen Schmelztiegel und beheimatet Menschen ganz unterschiedlicher Abstammung. Um diesem Umstand zumindest ansatzweise gerecht zu werden, nutzte ich die Chance, über die heimischen Grenzen hinaus Erfahrungen zu sammeln.

Bewerbung

Hast du größere Städte wie Mailand oder Rom ins Auge gefasst, sollte dir klar sein, dass hier zwar die Organisation ggf. besser ist - weil man einfach schon häufiger ausländische Studenten zu Gast hatte -, doch wahrscheinlich kein Weg am oft aufwändigen Bewerbungsprozess über das Auslandsbüro der Universität (inkl. Sprachnachweis, etc.) vorbeiführt. Eventuell musst du dich gegen eine Zahl an Mitbewerbern durchsetzen oder gehst am Ende sogar in der Masse unter.

Bei einem kleinen Ort wie Udine hingegen kann es sein, dass man einen Tag, nachdem die Bewerbungsmail das elektronische Postfach verlassen hat, bereits eine Antwort erhält. Und aus diesem Antwortschreiben hervorgeht, dass man zu jedem Zeitpunkt und in jedem Fachgebiet das Praktikum ableisten darf – so geschehen in meinem Fall. 

Die Rahmenbedingungen stellten sich einfach etwas familiärer dar. Das Kollektiv aus Studenten, Ärzten und Mitarbeitern des Dekanats ist schlicht überschaubarer. Nichtsdestotrotz möchte ich erwähnen, dass mir zwischenzeitlich Zweifel aufkamen, ob die Entscheidung für ein Krankenhaus, in dem zuvor noch kein anderer PJ-ler gewesen ist, wirklich die richtige war. Und zwar aus diesem Grund:

Die Anerkennung durch das Landesprüfungsamt gestaltet sich erheblich leichter, wenn zuvor bereits ein anderer Student sein Tertial im gleichen Krankenhaus abgeleistet hat, sodass dieses in der internen Liste der Behörde aufgeführt ist. Ist das nicht der Fall bedarf es eines Schreibens, das die Studienstruktur wiedergibt, die praktischen Inhalte des Tertials aufführt – wie man sie auch in sog. „Logbüchern“ findet - und aus dem klar hervorgeht, dass man den italienischen Studenten gleichgestellt ist. 

Außerdem ist es natürlich unerlässlich, dass der Dekan (als Vertreter der Universität) wie auch der betreuende Arzt (als Funktionär des Krankenhauses) das Ganze unterschreiben und abstempeln. Zusammengefasst: Ob Klein- oder Großstadt - am Ende lässt sich ein gewisses Maß an organisatorischem Aufwand nicht vermeiden. Unter Umständen könnten das „International Office“ und die Angestellten des LPAs die Studenten hier einfach noch mehr an die Hand nehmen und ihnen unter die Arme greifen, sodass dieser Aufwand seinen einschüchternden Charakter einbüßt oder sogar vollends verliert.

Finanzen

300 Euro sind zwar wenig, aber immer noch 300 Euro mehr als nichts. Das spürt man spätestens, wenn man sich gegen ein Tertial in Deutschland und für eines in Italien entscheidet. Zwar bleibt es einem erspart drauf zu legen, wie das in Südafrika, Sri Lanka und anderen Ländern oft der Fall ist. Doch von Luft und Liebe lässt es sich bekanntlich auch schwer leben.

 
Daher rate ich jedem, der plant ein Auslandstertial zu absolvieren, sich um finanzielle Unterstützung in Form von Förderprogrammen zu bemühen. Informier dich einfach vorab über Stipendien, die in Frage kommen: im Internet, an der Uni, bei Freunden. Und jedem, der sich vor einem Motivationsschreiben fürchtet, sei gesagt: Ein solcher Aufsatz, der den eigenen Antrieb illustriert und das Herzstück einer jeden Bewerbung um ein Stipendium darstellt, hat noch nie jemandem geschadet. Man reflektiert seine Gedanken, Gefühle sowie Erwartungen und wird dafür eventuell sogar mit einer monatlichen Geldspritze ausgestattet.

Ich persönlich wurde dank dem Erasmus+ Placement Programm monatlich mit 400 Euro subventioniert, sodass ich nicht neben dem PJ arbeiten musste. In der Folge lag die Gestaltung der 16 Wochenenden komplett bei mir: Kurztrips nach Mailand, Florenz, Venedig und Wien waren möglich. Zudem konnte ich verschiedene Weingüter in der Umgebung besichtigen.

Dacia Arena (früher „Stadio Friuli“) – Fußballstadion des Serie-A-Teams. © Fabio Comes

Freizeit 

Will man über die italienischen Grenzen hinaus seinen Horizont erweitern, bietet sich ein Trip nach Slowenien oder Kroatien an. Beides Länder verfügen über wundervolle Nationalparks und Küstenlandschaften. Doch auch die unmittelbare Umgebung in Friaul-Julisch Venetien (ital. „Friuli-Venezia-Giulia“) lädt zum Erkunden ein: In den kleinen Ortschaften im nahen Umkreis Udines ist man bestrebt, die traditionelle Küche, die regionale Weine und Naturalien wie bspw. den San-Daniele-Schinken beinhaltet, über den bloßen Erhalt hinaus Feinschmeckern zugänglich zu machen. Mit Erfolg!

Um Euch vom Umland wieder nach Udine selbst zurückzuholen: Das sportlich-kulturelle Angebot ist sehr vielfältig. Es finden sich zwei gut besuchte Theater, körperlich tätig werden kann man an ganz unterschiedlichen Orten: Da wäre die McFit-Filiale im Terminal-Nord, das Schwimmbad „Piscina Palamostre“ sowie der „Parco Moretti“ – beide im Westen gelegen. Allesamt sind preiswert und zweifelsohne ein passender Ausgleich zum Klinikalltag.

Schaut man lieber anderen beim Sportmachen zu und kann sich für Fußball begeistern, ist ein Besuch im Stadion des Serie-A-Teams „Udinese Calcio“ Pflicht. Ich war sowohl beim letzten Ligaspiel Zuschauer wie auch als die italienische Nationalmannschaft Liechtenstein empfing.

An- und Abreise

Ist das Tertial selbst in trockenen Tüchern, wollen natürlich noch Hin- und Rückweg organisiert werden. Im Wesentlichen gab es für mich als Student und Bewohner Frankfurts drei Optionen, um nach Udine zu gelangen: eigenes Auto (1), Flieger (2) oder Bus (3).

Mit Variante Uno gönnt man sich ein hohes Maß an Flexibilität: Einfach einsteigen und hinfahren wo man möchte. Für Udine selbst braucht man jedoch keinesfalls ein Auto. Mit dem Fahrrad ist alles in maximal 15 min zu erreichen. Der urbane Durchmesser beträgt in etwa 4 km.

Variante Numero Due: Mit dem Flugzeug nach Venedig und von dort mit Zug oder Bus innerhalb einer Stunde nach Udine. Ryanair bietet Flüge zwischen 20 und 30 Euro an. Hier kann man also durchaus ein Schnäppchen machen und vor allem Zeit sparen (1 h 20 min Flug vs. 16 h Bus), wobei der Transport zum Flughafen natürlich mit eingerechnet werden muss.

Option N°3: Das Busnetz innerhalb Europas wird ständig optimiert und bietet sich vor allem dann an, wenn man den Fahrtpreis in seinem persönlichen Prioritätenregister über der Reisedauer listet. Zudem lässt sich bei Busreisen meist mehr Gepäck transportieren ohne einen Aufschlag fürchten zu müssen – wie oft beim Lufttransfer der Fall.

Ich persönlich bin im Mai mit Flixbus für 46 Euro von Frankfurt aus direkt nach Udine gefahren und vier Monate später von Venedig aus mit einem Ryanair-Flieger zurück nach Francoforte (17 Euro Flug + 25 Euro für ein 15 kg Gepäckstück).

San Daniele Schinken und weitere Köstlichkeiten. © Fabio Comes

Im Krankenhaus

Das Krankenhaus der 100.000-Einwohner-Stadt stellt mit seinen 700 Betten den Löwenanteil der akuten regionalen gesundheitlichen Versorgung sicher und verkörpert eine Struktur der Maximalversorgung. Das gesamte Spektrum an Fachrichtungen der inneren Medizin wie auch Chirurgie wird hier abgedeckt.
Während meines Aufenthaltes rotierte ich zwischen den verschiedenen Abteilungen der inneren Medizin: medicina interna (Patienten mit komplexen Krankheitsbildern sowie Komorbiditäten), cardiologia, pneumologia, pronto soccorso („Notaufnahme“).

Wie auch in den meisten deutschen Häusern korreliert das Ausmaß dessen, was man praktisch machen darf, direkt mit dem persönlichen Engagement und der Bereitschaft, Dinge einzufordern. Das Beherrschen der italienischen Sprache – mindestens auf B2 Niveau - ist im Grunde ein obligates Kriterium. Man tut sich einfach selbst einen Gefallen, da die Fremdsprachenkenntnisse der meisten Italiener doch überschaubar sind. 

Der Italiener spricht bekanntlich gerne. Schnell. Und viel. Das ist im Zusammenhang mit seinen Gebrechen und Leiden nicht anders: Krankheitsgeschichten wurden geradeheraus offen gelegt und körperliche Untersuchungen anstandslos geduldet. Ein gehäuftes Vorkommen des stereotypischen „Morbus mediteraneus“ konnte ich nicht beobachten.

Um das Kapitel „Klinik“ abzuschließen und anderen Medizinstudenten den wohl wichtigsten Ratschlag überhaupt mitzugeben: Das Studium in Italien ist im Vergleich zu dem in Deutschland um einiges theoretischer ausgelegt. Praktische Erfahrungen sammelt man für gewöhnlich erst als Assistenzarzt*. Kommunizier gegenüber den Ärzten in angemessener Form, dass du das weißt, aber dennoch gerne praktisch tätig werden würdest und dir das auch zutraust. Tu nichts was deine Kompetenzen übersteigt. Aber du planst doch kein PJ-Tertial an einem italienischen Krankenhaus, um bei der Visite nur mitzulaufen und Arzt-Patienten-Gesprächen zu lauschen. Dafür wäre der Aufwand zu groß und der Gewinn an praktischen Erfahrungswerten mit Sicherheit zu begrenzt.

Fazit

Ich bin davon überzeugt, dass nicht nur ich, sondern auch meine zukünftigen Patienten von den Dingen, die ich in Udine gesehen, gelernt und erfahren habe, profitieren werden. Daher kann ich ein PJ-Tertial am dortigen Krankenhaus nur wärmstens weiterempfehlen.

Hilfreiche Adressen

“Ospedale Santa Maria della Misericordia” (kurz: “Misericordia” – ital. für “Barmherzigkeit”)

Sehr hilfreich war die Unterstützung, die ich durch die überaus nette und fähige Studentin Luisa Zaraca erfahren habe. Sie lebt in Udine, studiert dort Medizin und organisiert darüber hinaus die Aufenthalte ausländischer Medizinstudenten (Famulaturen, PJ-Tertiale):
leo@udine.sism.org » arbeitet für SISM (Äquivalent des BVMD in Dtl)

 

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