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  • Lito-Laura Gerhold
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  • 07.05.2004

Als Voluntaria bei CEIBA

Die Monate August/September 2003 arbeitete ich als “voluntaria” bei der Entwicklungshilfe-Organisation CEIBA in Guatemala. Ich hatte gerade mein 2. Staatsexamen in der Tasche und ein Freisemester genommen, in dem ich außer dem Schreiben der Doktorarbeit noch einen Bereich kennenlernen wollte, der im Medizinstudium zwar immer wieder angesprochen, aber doch nie besprochen wird: Public Health und Entwicklungshilfe.

Motivation

Famulaturen in aller Welt sind beliebt und gehören schon fast zum Standardprogramm eines deutschen Medizinstudenten. Verschiedenste Organisationen unterstützen bei der Organisation von Praktika in Entwicklungsländern. Allerdings beziehen sich die meisten davon auf die kurative Arbeit im Krankenhaus. Aspekte, die vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit wichtig sind, wie die Aufklärung der Bevölkerung über hygienische Maßnahmen und die Entstehung und Prävention von Krankheiten, der Ausbildung von Einheimischen und der Nutzung lokaler Ressourcen, spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle.

Bei verschiedenen Organisationen habe ich mich nach Projekten erkundigt, bei denen man als Student für eine Weile „reinschnuppern“ könnte. Ich habe gezielt nach Projekten in Lateinamerika Ausschau gehalten, weil ich durch ein Erasmus-Jahr in Spanien die Sprache gut konnte und weil mich die Gegend besonders interessierte. Auf CEIBA bin ich über einen Erfahrungsbericht von Jenny Dörnemann auf der dfa-Homepage gestoßen, die dort ein Jahr zuvor als „voluntaria“ tätig war. Das Projekt entsprach so ziemlich meinen Vorstellungen.

CEIBA - Asociacíon para la promocíon y el desarollo de la comunidad – ist eine kleine guatemaltekische NGO und wurde 1993 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt war das Ende des Bürgerkrieges abzusehen, der über 30 Jahre in Guatemala gewütet hatte. Viele „indigenas“ (Einwohner, die von den Maya abstammen), die ins Exil nach Mexiko geflohen waren, würden in ihre Heimat zurückkehren. Vorhaben von CEIBA war, die Heimkehrer bei dem Aufbau einer neuen Existenz zu unterstützen. Inzwischen arbeitet CEIBA auch in „comunidades“ (kleine Dörfer), deren Einwohner nicht im Exil waren, aber die benachteiligt sind aufgrund schlechter Infrastruktur, sozialer Diskriminierung, fehlender Bildung und mangelnder, bzw. nicht vorhandener Gesundheitsversorgung. Ziel ist es, die Lebensbedingungen, dieser oft in großer Armut lebenden Landbevölkerung zu verbessern.Wichtigstes Prinzip dabei ist die „Hilfe zur Selbsthilfe“.

 

Vorbereitung

Nach einem Telefongespräch mit Jenny und dem Durchstöbern von Reiseführern über Guatemala entschied ich mich für ein Praktikum bei CEIBA. Die Planung für das Projekt verlief dank des Engagements von Jenny und Lea, die das Projekt für den dfa zum Zeitpunkt meiner Bewerbung koordinierten, sehr unkompliziert. Neben mir hat sich eine andere Studentin, Franziska aus Würzburg, für das Projekt angemeldet. Mit Franzi bin ich die weitere Planung gemeinsam angegangen. So haben wir dann auch den Flug zusammen für den gleichen Tag gebucht. Flüge nach Guatemala kosten zwischen 750 und 900 €. Man kommt günstiger weg, je früher man bucht. Die besten Angebote haben Iberia und Delta Airlines. Wenn man sich für CEIBA bewirbt, sollte man gleich beim dfa einen Fahrtkostenzuschuss beantragen. So bekommt man wenigstens eine kleine Finanzspritze von ca. 300 €.

Zur Vorbereitung gehörte ein Treffen mit Jenny, Lea, Anne (die Studentin, die inzwischen das Projekt koordiniert) und natürlich Franzi, die ich bis dahin noch nicht kannte. Bei diesem Treffen hatten Franzi und ich die Gelegenheit, von den CEIBA-Erfahrenen Reisetipps und Antworten auf unsere vielen Fragen zu bekommen und Fotos anzugucken.

Ansonsten empfehle ich für die Vorbereitung, sich mit Geschichte Guatemalas auseinander zu setzen. Denn gerade die blutige Bürgerkriegszeit ist vielen Menschen noch allzu deutlich in Erinnerung. Wie in fast allen mittelamerikanischen Staaten herrschte in Guatemala über lange Jahre eine Diktatur, die nicht unwesentlich von den USA unterstützt wurde. Dreißig Jahre lang haben verschiedene Diktatoren mit Hilfe des Militärs gewaltsam versucht, der indigenen Bevölkerung ihr Land streitig zu machen. Bei dem Bürgerkrieg zwischen Militärregierung und Guerilla sind bis 1996 ganze Dörfer verbrannt worden und 200 000 Menschen, davon die Mehrheit Maya, sind ums Leben gekommen. Diese Zeit der Unterdrückung hat deutliche Spuren hinterlassen. Einen Einblick in dieses Kapitel der Geschichte und in die Kultur der Maya-Bevölkerung gibt das Buch der Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú „Enkelin der Maya.“

Ich habe es vor meiner Abreise trotz guter Vorsätze nicht mehr geschafft, einen Kurs in Tropenmedizin zu besuchen. Das Gebiet in dem CEIBA arbeitet, ist größtenteils Hochland, in dem es die klassischen Tropenkrankheiten nicht gibt. So bin ich also auch ohne detaillierte Kenntnisse über Malaria oder Leishmaniose über die Runden gekommen. Gute Dienste hat mir das „Oxford Handbook of Tropical Medicine“ geleistet.

Besondere Impfungen braucht man gar nicht so viele. Man sollte gegen Hepatitis A und B und Typhus impfen lassen und seinen Tetanus- und Polioschutz überprüfen. Außerdem empfehle ich eine Tollwut-Impfung. Diese hatte ich mir nämlich trotz guter Ratschläge gespart und bin dann in einem Dorf prompt von Hunden angefallen worden. Ich hatte gottseidank nur ein paar Kratzer und die Hunde waren geimpft. Aber ich habe einen ziemlichen Schreck bekommen...

Malaria gibt es in den meisten Gebieten, in denen CEIBA arbeitet, nicht. Aber eine Standby-Prophylaxe sollte man mitnehmen für die „Reise danach“, wenn man hoffentlich noch Zeit hat, sich das Land anzuschauen.

Ein paar Wochen vor unserer Abreise haben wir begonnen mit Joaquín, dem Arzt, der den Gesundheitssektor leitet, Kontakt per Email aufzunehmen. Die Kommunikation hat sogar wider Erwarten gut geklappt (Jenny hatte damit eher schlechte Erfahrungen gemacht).

 

Ankunft/Konzept von CEIBA

Joaquín hat uns zwei Tage nach unserer Ankunft in Antigua abgeholt und ist mit uns in das Hauptbüro nach Chimaltenango gefahren. Dort hat er uns mit Bergen an Büchern und Video-Kassetten über CEIBA und Guatemala versorgt, so dass wir zwei Tage beschäftigt waren.

CEIBA arbeitet in den ländlichen Gebieten von Huehuetenango, im Nordwesten von Guatemala nahe der mexikanischen Grenze. Diese Gegend ist eine der ärmsten Guatemalas und wurde vom Bürgerkrieg in besonderem Maße heimgesucht. Die Bevölkerung lebt in kleinen Dörfern („comunidades“) abgeschieden im Hochland und die Infrastruktur ist so schlecht, dass man manche Orte nur zu Fuß erreichen kann oder stundenlang auf Holperpisten mit dem Bus fährt. Eine Gesundheitsversorgung ist praktisch nicht vorhanden. Die meisten Einwohner (vor allem die Frauen) sprechen kein Spanisch sondern nur ihre Stammessprache. Allein in dem Department Huehuetenango sind mehrere Maya-Ethnien vertreten, die alle eine eigene Sprache sprechen und ihre eigenen kulturellen Besonderheiten haben (in Guatemala gibt es 22 verschiedene Gruppen!). CEIBA ist in den Zonen Chuj, Mam und K’anxobal tätig.

CEIBA arbeitet in den folgenden Bereichen:

Der Gesundheitssektor gliedert sich wiederum in drei Bereiche:

Das „A“ und „O“ im Gesundheitssektor ist die Ausbildung von „promotores/as de salud“ (Gesundheitshelfer). Die „promotores“ sind Einheimische, die in den von CEIBA organisierten Fortbildungen lernen, die gängigsten Krankheiten zu erkennen und zu behandeln. Außerdem lernen sie etwas über die Entstehung und Vermeidung von Krankheiten und einige wichtige hygienische Grundregeln. Ein „promotor“ wird von seiner Dorfgemeinschaft gewählt. Er ist dann zuständig für das gesundheitliche Wohlergehen seiner „comunidad.“

Der Bereich „Gesundheit der Frau“ wird weitgehend von den traditionellen Hebammen („comadronas“) abgedeckt. Diese sind für das Kinderkriegen, bzw. das Kindern auf die Welt helfen, zuständig. Die Hebammen genießen hohes Ansehen in der Maya-Bevölkerung und gelten als weise. Doch obwohl sie ihr Handwerk geschickt beherrschen, ist die perinatale Sterblichkeit sehr hoch. CEIBA versucht einerseits, den Hebammen einen Grundstock an medizinischem Wissen zu vermitteln, um sie so besser für Risikoschwangerschaften und gynäkologische Probleme zu wappnen. Andererseits soll ihre traditionelle Hebammenkunst weiterhin im Vordergrund stehen und übermittelt werden.

Der Bereich „mentale Gesundheit“ steckt noch in den Kinderschuhen. Auch hier werden „promotores“ ausgebildet, die sich in erster Linie mit psychischen Problemen auskennen.

Insgesamt arbeiten zwei „echte“ Ärzte bei CEIBA: Joaquín und Ester. Joaquín koordiniert den Bereich „allgemeine Gesundheit“ und Ester kümmert sich um die „Gesundheit der Frau.“ Die beiden sind vor allem für Planung und Ausbildung zuständig.Ein paar „promotores“ und „comadronas“ sind richtig bei CEIBA angestellt. Sie koordinieren und planen die Arbeit mit den anderen „promotores“ und „comadronas“ in ihren Gebieten und geben dort auch Sprechstunden.

Am Ende jedes Monats findet ein Treffen der CEIBA-Mitarbeiter in Huehuetenango statt, bei dem die Aktivitäten des kommenden Monats geplant werden. Diese Versammlung ist ein richtiges Ereignis. Das, was besprochen wird, könnte man in zwei Stunden abhandeln. Das Treffen dauert aber zwei Tage. Aber an das guatemaltekische Tempo muss man sich gewöhnen. Das am meisten benutzte Wort ist ein langgezogenes P-A-C-I-E-N-C-I-A.

Das monatliche Treffen Ende Juli war unser eigentlicher Einstieg bei CEIBA, da wir dort allen Mitarbeiter vorgestellt und für den Monat August eingeteilt wurden. Wir sollten uns vorher entscheiden, ob wir lieber im Bereich „allgemeine Gesundheit“ oder in „Gesundheit der Frau“ mitarbeiten wollten. Es hat etwas Überredungskunst gekostet, Joaquín und Ester zu überzeugen, dass wir beides kennen lernen wollten. So wurden wir für den ersten Monat bei den „promotores“ in der Zone Chuj eingeteilt. Den zweiten Monat sollten wir mit den „comadronas“ in der Zone Mam verbringen.

 

Arbeit mit den „promotores“

Den ersten Monat verbrachten wir in Chaculá, einer 1000-Seelen-Gemeinde, 80 km, bzw. sechs Busstunden Buckelpiste von der Kreisstadt Huehuetenango entfernt. Chaculá verdient beinahe das Prädikat „fortschrittlich.“ Es gibt Strom und fließend Wasser, beides funktioniert etwa jeden zweiten Tag. Chaculá ist erst Ende des Bürgerkrieges entstanden, als die Rückkehrbewegung aus dem mexikanischen Exil einsetzte. Daher sprechen die Einwohner Chaculás auch fast alle Spanisch. In Chaculá gibt es ein paar kleine Läden, in denen man fast nichts kaufen kann, eine Schule, die ausnahmsweise gut besucht wird, und eine „clinica.“ Chaculá ist der Ausgangsort der Arbeit der Zone Chuj. Deshalb ist die „clinica“ dort auch verhältnismäßig gut ausgestattet. Es gibt einen Raum für die „consulta“(Sprechstunde), einen Verbandsraum, ein Labor mit einem Mikroskop, einen Raum für gynäkologische Untersuchungen, einen Raum für Zahnbehandlung und eine Apotheke.Zuständig für die Gesundheit der ChaculaerInnen sind die beiden Chepes, Chepe Ros und Chepe Díaz, zwei sehr erfahrene „promotores.“

Unsere Aufgabe war es in der „clinica“ und in den umliegenden Dörfern Sprechstunden zu geben, Bestandsaufnahmen in den „botiquines“ (kleine, spartanische Gesundheitsposten in den „comunidades“) zu machen, mit den „promotores“ Probleme bei der Behandlung von Patienten zu besprechen und bei „reuniones“ (Versammlungen) und „capacitaciones“ (Fortbildungen) dabei zu sein und mitzuhelfen.

Nach einem Vormittag Einarbeitung in der „clinica“ von Chaculá durch Chepe Díaz waren Franzi und ich schon alleine für die Patientenversorgung zuständig. Es wird kein großer Unterschied gemacht zwischen Medizinstudent und Arzt. Am Anfang war uns sehr unwohl bei dem Gedanken, alleine Patienten zu behandeln. Jenny hatte uns schon vorgewarnt. Und diese Vorstellung hatte mir schon vor unserer Abreise Bauchschmerzen bereitet. Dann ging es aber doch besser, als ich erwartet hätte. Da man ja doch sehr eingeschränkte diagnostische und therapeutische Mittel zur Verfügung hat, bleibt einem meist sowieso nichts anderes übrig, als die am wahrscheinlichsten erscheinende Krankheit anzubehandeln und zu gucken, was passiert. Die häufigsten Krankheiten sind Durchfallerkrankungen, verursacht durch Amöben und Parasiten, Erkrankungen der oberen Luftwege, Gastritis, Impetigo und Krätze.

Schwierig war oft die Anamnese. Denn viele Menschen wissen gar nicht, wie ihr Körper funktioniert oder sie haben eine ganz andere Vorstellung davon. Sie kommen dann mit Beschwerden wie „Hitze im Bauch“ oder „Körperschmerzen.“ Den Patienten mit Körperschmerzen tat es dann auch garantiert überall weh. Bei diesen Patienten haben einfache Vitamin-Tabletten oft Wunder gewirkt. Einmal kamen zwei Frauen zu uns, die gehört hatten, dass wir ein besonderes Gerät dabei hätten, mit dem wir sämtliche Krankheiten erkennen und behandeln könnten. So lustig es manchmal war, dass die Leute uns irgendwelche Zauberkräfte zusprachen, um so schwieriger war es, wenn tatsächlich jemand ernsthaft krank war. Wirkliche Zauberkräfte braucht man, wenn man jemanden dazu überreden will, ins Krankenhaus zu fahren. Die Menschen scheuen nicht nur die Entfernung und die Transportkosten, sondern sie haben auch Angst, dass sie von den Ladino-Ärzten (das ist die weiße Bevölkerungsschicht) schlecht behandelt werden.

Das Krankenhaus wird oft erst aufgesucht, wenn es bereits zu spät ist. Viele „indigenas“ sind daher davon überzeugt, dass man im Krankenhaus sterben muss. Da vertrauen sie sich lieber den „curanderos“ (Medizinmänner) an oder glauben an die heilenden Hände von zwei weißen Medizinstudentinnen. Mit dieser Einstellung hatte ich ziemliche Probleme.

In Chaculá war das Arbeiten relativ angenehm. Die Leute sind zwar arm und die Ernährung einseitig, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass dort jemand hungern muss. Es gibt Latrinen und die meisten Einwohner haben eine Vorstellung von gewissen hygienischen Grundregeln, wie zum Beispiel dem Abkochen des Trinkwassers. Auch scheint den Bürgern klar zu sein, wie wichtig Bildung für die Zukunft des Landes ist. Fast alle Kinder gehen zur Schule, um Lesen und Schreiben zu lernen.

Damit unterscheidet sich Chaculá sehr von den umliegenden „comunidades.“ Franzi und ich haben einige Ausflüge in die umliegenden Dörfer gemacht, um mit den dortigen „promotores“ Sprechstunde zu geben und nach dem Rechten zu schauen. Wir waren oft erschrocken über die Zustände.

Die Leute leben dort in Lehmhütten, kochen auf einem Feuer auf dem Boden und sind sehr arm. Im Dreck spielen gemeinsam Hunde, Schweine und nackte unterernährte Kinder, die wegliefen, wenn sie uns sahen. Jede Familie hat mindestens acht bis zehn Kinder, aber kann sie oft nicht ausreichend ernähren. Fünfjährige Mädchen schleppen bereits ihre kleinen Geschwister auf dem Rücken herum. Die wenigsten können Spanisch, geschweige denn Lesen und Schreiben. Fast jedem Patienten haben wir einfache Ratschläge zu Hygiene und Vermeidung von Krankheiten mit auf den Weg gegeben. Allerdings bezweifele ich den Erfolg unserer Predigten. Es ist Aufgabe des „promotors“ seine „comunidad“ immer wieder auf solche Dinge hinzuweisen. In manchen Dörfern gibt es noch nicht einmal Latrinen. Trotz aller Kritik an den dort herrschenden Lebensumständen, die für uns kaum vorstellbar sind, muss man sich immer wieder davor hüten in westlichen Maßstäben zu denken. Auf der anderen Seite leben die Menschen dort friedlich in den sozialen Strukturen ihrer Familie und ihrer Dorfgemeinschaft, die ihnen Sicherheit gibt, und sind sehr mit ihrer Erde und ihrer Tradition verbunden. Sie fänden ein Leben, wie wir es führen, bestimmt genau so wenig vorstellbar.

In Chaculá haben wir im Haus von CEIBA gewohnt. Dort finden öfter Versammlungen und Fortbildungen statt. Es gibt dort mehrere Schlafsäle, eine Küche, eine Dusche und eine Latrine. Die erste Zeit waren wir dort alleine. Später sind noch Mitarbeiter aus dem Landwirtschaftsbereich dazu gekommen. Da wir anfangs kein Gas zum Kochen hatten, sind wir zum Essen zu dem einen „promotor“ nach Hause gegangen. Das Essen war zwar sehr eintönig (Tortillas, schwarze Bohnen, Ei und manchmal Suppe), dafür fand ich den Familienanschluss schön. Als wir dann endlich Gas hatten, haben wir öfter mit den Landwirtschaftsleuten gekocht.

Wenn wir in den Dörfern unterwegs waren, haben wir entweder in den Gesundheitsposten auf dem Boden übernachtet oder bei einem „promotor“ zu Hause. Gegessen haben wir meistens in den Familien der „promotores.“

Abends ab acht Uhr lief nicht mehr viel. Da abends oft der Strom gefehlt hat, blieb uns oft nichts anderes übrig, als früh ins Bett zu gehen oder bei Kerzenschein mit den Leuten aus dem CEIBA-Haus in der Küche zu sitzen.

Als wir nach vier Wochen unsere Zelte in Chaculá abbrachen, war uns das kleine friedliche Dorf mit seinen herzlichen Einwohnern sehr ans Herz gewachsen.

 

Arbeit mit den „comadronas“

Der zweite Monat bei CEIBA verlief ganz anders als der erste. Im ersten Monat arbeiteten wir weitgehend selbständig und konnten den „promotores“ tatsächlich manche medizinische Sachverhalte erklären. Im zweiten Monat lernten wir einen Bereich kennen, von dem wir vorher keine Ahnung hatten: die Arbeit der traditionellen Hebammen. Für diese Zeit hat uns die „comadrona“ Juana fest unter ihre Fittiche genommen. Juana, fünfzig Jahre alt, geschieden mit fünf Kindern ist eine der selbstbewusstesten Frauen, die ich in Guatemala kennen gelernt habe. Sie koordiniert die Arbeit der Hebammen in der Zone Mam. Sie versucht, die traditionellen Hebammen in Themen wie Hygiene, Risikoschwangerschaften und gynäkologischen Krankheiten fortzubilden. Außerdem führt sie regelmäßig Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen in den „comunidades“ durch und gibt eine gynäkologische Sprechstunde. Ihr medizinisches Wissen hat sie in CEIBA-Kursen erworben. Ansonsten beruft sie sich auf ihre Erfahrung als Hebamme. Die „comadronas“ geben ihre Kunst von Generation zu Generation weiter. Die traditionellen Hebammen sind gleichzeitig Heilerinnen, die die verschiedensten Beschwerden mit Pflanzen behandeln. CEIBA legt großen Wert darauf, dass diese Traditionen nicht verloren gehen. Deshalb hat fast jede Hebamme einen kleinen Kräutergarten mit Heilpflanzen.

Wir haben Juana einen Monat lang bei ihrer Arbeit begleitet. Zur Schwangerschaftsvorsorge braucht man lediglich Hände, Höhrrohr und Fingerspitzengefühl. Geschickt tasten die Hebammen den Foetus von außen und drehen das Kind sogar, wenn es in Beckenendlage liegt.

Einmal in der Woche haben wir eine gynäkologische Sprechstunde gegeben. Am häufigsten kamen Frauen mit vaginalen Infektionen oder solche, die Tipps zur Familienplanung haben wollten. Trotz starkem Traditionsbewusstsein ist Verhütung durchaus ein aktuelles Thema. Allerdings beginnen die meisten Frauen damit frühestens nach dem achten Kind. Die CEIBA-Hebammen schwören auf die Spirale als das Verhütungsmittel und setzen diese reihenweise unter mehr oder weniger sterilen Bedingungen ein. Häufige Infektionen sind die Folge, die mit Tees und Pflanzenaufgüssen behandelt werden. Mir wäre manchmal ein ordentliches Antibiotikum lieber gewesen. Leider fehlt die gesunde Mischung zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde.

Eine Geburt haben wir leider nicht miterlebt. Die Geburt eines Kindes bei den Maya ist mit vielen Ritualen verbunden und eine so intime Angelegenheit, dass normalerweise nur die Hebamme anwesend ist.

Wir waren mit Juana auf mehreren „reuniones“ mit anderen Hebammen dabei. Da die meisten Hebammen aber kein Spanisch sprechen, werden diese Treffen in der Stammessprache abgehalten. Dementsprechend langweilig war es für uns. Allerdings lohnte sich schon der Anblick dieser süßen alten Damen in ihren farbenfrohen Gewändern, die uns herzlichst begrüßten und auf uns einredeten, als gäbe es keine Sprachbarriere.

Franzi und ich haben nicht nur mit Juana gearbeitet sondern auch bei ihr gewohnt. Wir haben zusammen eingekauft und abenteuerliche Pflanzen im Wald gesammelt, die wir anschließend gekocht und gegessen haben (uns ist alles gut bekommen!). Wir haben ihre inzwischen erwachsenen Kinder kennen gelernt und viel erzählt und viel gelacht. Kurz – wir haben sie während des ganzen Monats auf Schritt und Tritt begleitet. Durch die intensive Zeit mit Juana haben wir einen recht tiefen Einblick in die Lebensweise der indigenen Bevölkerung bekommen – besonders in die der Maya-Frauen.

Ich kann gar nicht genau sagen, ob mir die Zeit bei den „promotores“ oder bei den „comadronas“ besser gefallen hat. Bei den „promotores“ konnten wir selbständig arbeiten und hatten das Gefühl ein wenig zur Arbeit von CEIBA beizutragen. Allerdings waren wir manchmal sehr auf uns gestellt.

Bei den „comadronas“ waren wir die Schüler und hatten eher eine Zuschauer-Rolle. Da außer Juana wirklich kaum eine Patientin Spanisch sprach, waren wir stets auf Juanas Übersetzung angewiesen und konnten selber gar nicht mit den Patientinnen kommunizieren.Ich bin sehr froh, dass ich beide Seiten kennen lernen durfte.

 

Hindernisse und Schwierigkeiten

Durch die genauen Schilderungen von Lea und Jenny wussten wir einigermaßen, worauf wir uns einließen. Trotzdem sieht es ganz anders aus, wenn man dann vor Ort ist.An die einfachen Lebensumstände habe ich mich relativ schnell gewöhnt: die Tortillas schmeckten irgendwann richtig gut, heiße Duschen fand ich bald einen völlig überflüssigen Luxus, auf den ich gerne verzichten konnte, und über die paar Flohstiche konnte ich auch gut hinwegsehen.

Führten wir in Chaculá insgesamt ein eher gemächliches, geruhsames Leben, so wurde es anstrengend, und sogar ungemütlich, wenn man aus Chaculá wegwollte. Fuhr man mit dem Bus so konnten wir uns auf Vier-Uhr-Morgens-Aufstehen und stundenlange Busfahrten einstellen. Die Busse sind bis oben hin vollgestopft mit Menschen, toten und lebenden Hühnern und Gepäck (manchmal sind wir auf dem Dach mitgefahren). Das Radio scheppert und der Fahrer fährt wie ein Wahnsinniger nach dem Motto „Yo manejo, Díos me guía“(Ich fahre, Gott führt mich).

Fuhr kein Bus, so mussten wir die Strecke auf der Ladefläche eines Pickups oder zu Fuß bewältigen. Wir haben des öfteren stundenlange Fußmärsche über Stock und Stein und zum Teil bei strömenden Regen oder mit Gepäck zurück gelegt. Mehrmals habe ich geglaubt, keinen Schritt mehr gehen zu können. Aber irgendwie gings doch...

Das Zurechtkommen mit der Armut in den Dörfern, der Unwissenheit vieler Leute und der Einstellung, sich eher in sein Schicksal zu begeben als Probleme anzupacken, fiel mir schwer. In solchen Momenten muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass man in einem Land wie Guatemala mit westlichen Maßstäben nicht sehr weit kommt. Die Wertvorstellungen sind unterschiedlich. Und was wir als unbedingt zu behebende Missstände ansehen, ist für die „indigenas“ oft zweitrangig.

Die „indigenas“ werfen vielen Entwickungshilfeorganisationen vor, paternalistisch zu sein, sprich die sie belehren und von ihnen abhängig machen zu wollen. Dies versucht CEIBA zu vermeiden. Trotzdem habe ich mich selber manchmal mit einem lehrerhaften Ton ertappt, weil ich meinte, dieses oder jenes besser zu wissen und nicht verstehen wollte, dass die „indigenas“ das nicht so sahen. Man darf nicht vergessen, dass wir auch von den Maya etwas lernen können.

Auch an die langsamer gehenden Uhren musste ich mich gewöhnen. Das Wort „paciencia“ ging mir zwar manchmal auf den Wecker. Aber was blieb mir anderes übrig, als Geduld zu haben.

Oft wird man als Weißer als Alleskönner oder als Geldesel angesehen. Einige Leute waren bestimmt sehr enttäuscht von uns, dass wir weder Krankheiten wegzaubern konnten, noch etwas zu verschenken hatten. Dieser Erwartungshaltung ist man leider oft ausgesetzt. Das fand ich frustrierend, da ich mich in solchen Momenten in meiner Absicht zu helfen falsch verstanden gefühlt habe.

Letztlich waren aber alle Schwierigkeiten und Hindernisse überwindbar. Besonders geholfen hat mir, dass wir zu zweit unterwegs waren. Mit Franzi habe ich mich sehr gut verstanden. Wir haben uns in schwierigen Lagen gegenseitig wieder aufgebaut und außerdem viel Spaß zusammen gehabt.

 

Reisen in Guatemala

Hochland, Dschungel, Vulkane und Karibik... Nach zwei Monaten CEIBA hatte ich noch drei Wochen Zeit, um das Land zu sehen. Guatemala ist trotz kleiner Größe sehr vielfältig. Innerhalb von kurzer Zeit (es sei denn man fährt „camioneta“) ist man vom kalten Wollpullover-Hochland-Wetter im feucht-heißen Tropenklima. Guatemala ist relativ einfach zu bereisen. Zu den touristischen Höhepunkten sind der Atitlán-See umgeben von Vulkanen, Tikal, eine alte Maya-Tempelanlage mitten im Dschungel und der Río Dulce mit seiner üppigen Tier-und Pflanzenwelt. Auch nicht zu verachten ist es, bei einem „liquado“ und „pan de coco“ irgendwo am Strand rumzuhängen. An einen solchen Luxus musste ich mich tatsächlich einen kurzen Moment gewöhnen ...

 

Fazit

Jederzeit wieder, kann ich eigentlich mit gutem Gewissen sagen. Die Zeit bei CEIBA war eine einmalige Erfahrung. So intensiv hätte ich ein Land weder im Urlaub noch bei einer Famulatur kennen lernen können. Zwei Monate sind zwar relativ kurz. Trotzdem hatte ich das Gefühl, an dem Leben der Menschen, mit denen wir gearbeitet haben, über diesen Zeitraum teilzuhaben und einbezogen zu werden. Einige Einstellungen und Verhaltensweisen der Maya kann man als Europäer einfach nicht verstehen (ich zumindest nicht). Dafür lernt man bei der Auseinandersetzung mit den kulturellen Unterschieden viel über sich selber.

Ich denke noch viel an die Guatemala-Zeit zurück und frage mich, wie es den Leuten dort geht. Ich hoffe sehr, dass ich einige von ihnen eines Tages wieder sehe.Ein ganz großes Dankeschön geht an Jenny, Lea und Anne für das Organisieren, die tolle Vorbereitung und Versorgung mit guten Tipps und das Immer-ein-offenes-Ohr-haben für alle Fragen.

 

Den CEIBA-Interessierten stehe ich gerne für Fragen zur Verfügung:

litolaura@web.de 

 

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