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  • Christine Zilinski
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  • 08.04.2015

Studieren und famulieren in Frankreich – Aimez-vous la France? Tentez votre chance!

Nicht nur, wenn gerade Präsidentenwahlen anstehen – wir Deutschen schauen gerne über den Rhein, ständig auf der Suche nach dem savoir vivre, das manche hierzulande vermissen. Als Medizinstudent sollte man Frankreich aber auch noch aus einem anderen Grund Beachtung schenken: Das Land lockt mit einer extrem praxisnahen Ausbildung!

 

Croissant und Stethoskop - Foto: Kirsten Oborny

Foto: Kirsten Oborny

Das Schicksal des kleinen Elsässers Joseph Meister schien besiegelt. Ein tollwütiger Hund hatte den neunjährigen Bäckerssohn angefallen und mehrmals gebissen. Dem Jungen drohte der bei Rabies übliche Tod durch therapierefraktäre Enzephalitis. Denn damals, im Jahr 1885, gab es im ganzen Deutschen Reich keinen Arzt, der in einer solchen Situation helfen konnte. Doch Josephs Mutter erhielt einen Tipp: In Paris gebe es einen klugen Mann, der an einem Impfstoff gegen die Tollwut forsche – den französischen Chemiker Louis Pasteur.

Kurz entschlossen brachte die Mutter ihren Joseph gegen jede Konvention nach Paris. Pasteur injizierte dem Jungen über elf Tage ein Mittel aus abgeschwächten Tollwut-Viren, die er zuvor dem Rückenmark von Kaninchen entnommen hatte. Die Immunisierung gelang: Das Kind überstand die 14 Spritzen sowie die Infektion, ohne eine Hirnhautentzündung zu entwickeln. Der Erfolg wurde weltweit anerkannt.

Nur im benach­barten Deutschland gab es einen hoch an­gesehenen Forscher, der Pasteurs Leistung stark anzweifelte: Robert Koch. Hatte Pasteur mit seiner Impfung wirklich Erfolg? Wäre der Junge nicht auch ohne die Vakzinierung gesund geblieben? Pasteur hätte von jenseits des Rheins und speziell von diesem Kollegen auch nichts anderes erwartet.

Wie Koch war auch er glühender Patriot – und sah in der Wissen­schaft eine Möglichkeit, den verlorenen deutsch-französischen Krieg von 1870/71 fortzusetzen. So hatte Pasteur seinerseits zunächst die Leistungen Kochs auf dem Gebiet der Milzbrandforschung negiert und sich jahrelang geweigert, die von Koch eingeführte Bezeichnung Bacillus anthracis zu verwenden. Wechselseitig warf Koch seinem Konterpart vor, dass er ja nicht einmal Arzt sei und unsauber arbeite …

 

Offene Herzen, teure Zimmer

Diese Geschichte trägt tragische Züge: Beide gelten heute als die Gründerväter der medizinischen Mikrobiologie – und haben sich doch zeit ihres Lebens gehasst. Dadurch stehen sie sinnbildlich für das in der Vergangenheit oft schwierige deutsch-französische Verhältnis. Mittlerweile ist diese erbitterte Feindschaft Gott sei Dank überwunden.

Während sich die Streithähne Koch und ­Pasteur noch stur jedem Dialog versperrten, sind Studenten beider Länder heute rege dabei, sich auszutauschen und von­einander zu lernen. So wie der Würzburger Heiner Gieseke: Der Medizin­student entschied sich, für sein Chirurgie-PJ-Tertial ins (heute französische) Elsass zu gehen. „Ich bin recht frankophil“, begründet er seine Wahl. „Ich finde, die Leute sind sehr entspannt. Zudem hat mich das Elsass kulinarisch interessiert. Ich liebe die ganzen Choucroute-Gerichte.“

Seinen Aufenthalt organisierte er auf eigene Faust per Post mit der Université de Strasbourg. Ein Problem war für Heiner die Wohnungssuche. Erst nach vielen Telefonaten fand er ein Zimmer zur Untermiete. Da seine Unterkunft mit 350 Euro nicht gerade billig war, beantragte er Wohngeld bei der Caisse d‘Allocations Familiales (CAF). Dort bekommt jeder Student, der einen unterschriebenen Mietvertrag einreicht, etwa ein Drittel der Monatsmiete erstattet.

Das Geld wird meist zwei bis drei Monate nach Antragstellung ausbezahlt. Heiner bekam fast 510 Euro vom CAF zurück und freute sich über das Polster – denn Frankreich ist teuer. Zwar erhalten die Austauschstudenten vom Krankenhaus zusammen mit dem Honorar für Nacht- und Wochenenddienste ein Gehalt von etwa 500 Euro. Dennoch reicht das Geld lange nicht aus, um Miete, Fahrgeld und Lebensmittel zu finanzieren. Die monatlichen Lebenshaltungskosten für Studenten liegen bei etwa 1.000 Euro. In den vorstädtischen Bezirken sind es knapp 10% weniger.

 

Routinierter Wegbereiter: Erasmus!

Laura Estermann aus Basel musste sich für ihren Paris-Aufenthalt nicht lange mit der Suche nach einer Wohnung aufhalten. Als Erasmus-Studentin bekam die Schweizerin ein Zimmer im „Maison Suisse“, eines von vielen Häusern in der berühmten Studentensiedlung Cité Universitaire. Fast jedes Land hat dort seine Unterkunft: Die Deutschen sind z. B. im „Maison Heinrich Heine“ untergebracht. Dort kommen auch die Österreicher unter, da sie kein eigenes Cité-Haus besitzen. Auch Bernd Wallner aus Innsbruck wählte den Weg über Erasmus nach Paris. Wie Laura reichte er seine Bewerbung beim Erasmus-Beauftragten seiner Uni ein, zusammen mit seinen Scheinen und einem Motivationsschreiben auf Französisch (siehe Kasten).

Nach seiner Zusage ging Bernd für drei Monate auf eine Innere Station und danach je zwei Monate in die Gynäkologie und Neonatologie in Port Royale und St. Vincent-de-Paul. Warum Paris? „Es war immer ein Traum von mir. Und als ich dort war, habe ich meine absolute Liebe zur Stadt entdeckt“, erzählt Bernd. Die Metropole wurde auch vom aktuellen Studentenstädte-Ranking „QS Best Student Cities 2012“ auf Platz eins gewählt*: In Paris finden sich laut ­Statistik die besten Unis, gepaart mit Top-Lebensqualität und guten Jobaussichten.

Doch es gibt auch Pferdefüße: Als Laura für ihre Praktika in der Gynäkologie, Hepato-Gastro-Enterologie und der Rheumatologie des l’Hôpital St. Antoine war, lernte sie die französische Bürokratie fürchten. Um zu sparen, hatte sie für ihren Arbeitsweg ein vergünstigtes 1-Jahres-Ticket für die Metro beantragt. Aber statt der versprochenen zwei Wochen Bearbeitungsdauer hörte sie erst nach knapp drei Monaten vom Bahnverbund. Glücklicherweise hatte Laura die Tickets gesammelt und bekam daher das vorgestreckte Geld wiedererstattet.

 

Nähen ohne Schweinefuß

Und Laura traf auf ein weiteres Problem, mit dem sie nicht gerechnet hatte: Sie fand kaum Anschluss zu gleichaltrigen Franzosen. Grund ist, dass der strenge Lernplan den Studenten nur wenig Freizeit lässt. Ein kurzer Treff zum Kaffeeplausch nach der Vorlesung ist selten drin. Von Anfang an geht es recht stressig zu. Im ersten Jahr des zweijährigen premier cycle d‘études médicales (PCEM) studieren die Mediziner gemeinsam mit Pharmazeuten, Geburtshelfern und Tiermedizinern. Die Hörsäle sind dabei sehr über­füllt, da es in Frankreich keine Zulassungsbeschränkung gibt.

Erst nach einem harten Selektionsexamen, dem Concours, werden die Hörsäle wieder leerer. Nur 5% der Studenten be­ste­hen diese Klausuren auf Anhieb, dank Nachklausuren schaffen es dann knapp 20% ins zweite Studienjahr. Im dritten Jahr geht es mit dem deuxième cycle d‘études médicales (DCEM) erst richtig los: Ab jetzt werden die französischen Jung­mediziner systematisch auf die Arbeit im Krankenhaus vorbereitet. Vor oder nach den Vorlesungen ist es für alle Pflicht, als externes in der Klinik mitzuarbeiten. Dabei werden sie auch für Nacht- und Wochenenddienste eingeteilt. Nach einer kurzen Einlern­phase müssen sie schon erste Behandlungsentscheidungen treffen.

Dieses Zutrauen macht eigenständig, es übt aber auch großen Druck aus – gerade auf die Austauschstudenten. Die sind so viel Eigenverantwortung in der Klinik noch nicht gewohnt. Als Laura ihren ersten Nachtdienst auf der Notfall­station hatte, war sie total überfordert. Sie war erstaunt, als die Gänge vor Patienten überquollen. Beim Anblick eines blutenden Clochards wurde sie prompt von einer Schwester gefragt: „Est-ce que tu sais suturer?“ (Kannst du nähen?) Nein, Laura hatte den Schweinefußnähkurs an der Heimat-Uni leider verpasst! Also wurde ihr das Nähen rasch bei­gebracht – und schon nähte sie den Clochard. So erfolgte das Einlernen zwar eher zwischen den Gängen, trotzdem fühlte sich Laura grundsätzlich gut betreut.

Heiner hatte weniger Glück. Er musste Hilfe von den Kollegen regelrecht einfordern. „Schüchterne Studenten, die bei der Visite im hintersten Winkel stehen und auf die Zehen­spitzen starren, haben verloren. Man muss auf die Leute zugehen, sie direkt ansprechen“, sagt Heiner. Das bedeutet aber nicht, dass die französischen Ärzte und Kommilitonen reine Egozentriker wären. Im Gegenteil: Das gemeinsame Abendessen vor der Nachtschicht ist fester Bestandteil des Arbeits­alltags. „Die Franzosen sind sehr familiär und emotional. Sie sind mit Leib und Seele bei jedem Problem und jedem freudigen Ereignis dabei. Das savoir vivre spielt eine enorme Rolle, auch im Krankenhausalltag“, weiß Bernd.

 

Harter Kampf um die besten Plätze

Am Studienende absolvieren die Französischen Studenten die Abschlussprüfung Certificat de synthèse clinique et thérapeutique (CSCT). Davor gibt jeder Student seinen Wunschfacharzt an. Ob er diesen wirklich erlernen kann, hängt von seiner Punktzahl beim CSCT ab. Da deutschsprachige Absolven­ten das CSCT nicht durchlaufen, ist es für sie schwer, eine Stelle für die Facharztausbildung (Internat) zu bekommen. Ihr Abschluss ist mit dem französischen Punkte­system nicht kompatibel.

Aber Punkte sind in Frankreich wichtig: Wer Neurochirurg werden möchte, muss zu den besten 50 Absolventen im Land gehören. Ein mittelmäßiger Noten­durchschnitt führt dagegen unvermeidlich zur dreijährigen Ausbildung zum Allgemein­arzt. Sie gelten als Verlierer des Systems und kriegen später wenig Respekt von ihren Kollegen. „Deswegen gibt es kaum einen Arzt, der sich bewusst für die Allgemeinmedizin entscheidet“, erklärt Dr. Fillastre. Der deutsche Arzt arbeitet seit 1995 als Hausarzt in der Nähe von Toulouse.

Der Verdienst als Allgemeinarzt ist schlecht. Dr. Fillastre darf keine Privatpatienten behandeln und abrechnen. Zudem herrscht freie Arztwahl. Der Effekt: „Wenn ein Patient ein Belastungs-EKG machen lassen möchte, geht er zum Kardiologen. Schmerzt der Rücken, geht er zum Rheumatologen“, erklärt Dr. Fillastre. Auch bei drängenden Be­schwerden gehen die Patienten oft sofort ins Krankenhaus. „Ich schätze, etwa 90% der in der Ambulanz behandelten Notfälle könnten in Deutschland vom Hausarzt behandelt werden.“ Für die Allgemeinärzte bleibt nicht viel übrig: Ihre Patienten kommen mit Bluthochdruck, hohen Cholesterinwerten, Schnupfen und Halsschmerzen.

 

Gute Chancen für Fachärzte

Wer nach Frankreich möchte, sollte das am besten schon im Studium versuchen. „Ich kann das jedem raten! Man wird als Student ernst genommen und lernt eine geniale Sprache“, sagt Bernd. Der ideale Zeitpunkt sei das PJ. Dann hat man nach der Klinik keine Vorlesungen am Nachmittag und genug Zeit, um die französische Lebensart zu studieren.

Ganz nach Frankreich möchte Bernd nicht – aber er kann gut verstehen, dass es Fach­ärzte wie Gynäkologen, Chirurgen und Radiologen nach Frankreich zieht. Hohes Ansehen und gute Entlohnung sind starke Umzugsargumente – und Fachärzte sind in Frankreich durchaus gesucht! Die Anerkennung läuft recht problemlos: Beim l’Ordre des médecins, einer Art französischer Landesärzte­kammer, meldet man sich als Facharzt an. Dort erhält man die Papiere zur Zulassung und anschließend erfolgt die Eintragung ins Ärzteregister.

Auf dem Land gibt es für Fachärzte viele Stellen – daher versucht die französische Regierung, Ärzte mit Steuernachlässen dorthin zu locken. An dieser Stelle haben Deutschland und Frankreich ähnliche Probleme – auch in vielen alltäglichen Dingen sind die Unterschiede oft geringer, als man denkt. Wer wissen möchte, wo sich das Leben von deutschsprachigen und französischen Medizinern unterscheidet, kann das leicht selber herausfinden: Einfach hinfahren! Grenzen spielen heute ja (fast) keine Rolle mehr – zum Glück!

 


Tipps und Infos 

Das Erasmus-Programm

Ab dem 2. Semester können sich Studenten für ein bis zwei Auslandssemester bei Erasmus bewerben. Teilnehmen kann jeder Student, dessen Nationalität vom Erasmus-Programm gefördert wird. Momentan nehmen 2.199 Ausbildungsstätten in 31 Ländern am Programm teil, darunter alle EU-Staaten, die Türkei, Island, Liechtenstein, Norwegen und Teile der Schweiz. Insgesamt haben seit 1987 fast 3 Mio. Studenten europaweit von Erasmus profitiert, allein letztes Jahr haben etwa 250.000 Studierende das Programm genutzt. Dank dem international gültigen Punkte­system ECTS kann die Ausbildungszeit im Ausland von der Heimat-Uni anerkannt werden. Um am Erasmus-Programm teilnehmen zu können, richten sich die Studenten an den Erasmus-Beauftragten ihrer Uni. Der regelt das Notwendige mit der Wunsch-Universität. Dazu gehört die Immatrikulation und Unterbringung des Austauschstudenten. Erasmus bezuschusst diese Studenten mit je ca. 200 Euro monatlich, zusätzlich entfallen an den Austausch-Unis die Studiengebühren.

Linktipps

Mehr Infos zum Erasmus-Programm:
www.eu.daad.de

Die Homepage der Association Nationale der franz. Medizin­studenten: www.anemf.org
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