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  • Nicolas Leitz und Zarqa Khawaja
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  • 05.10.2009

Kardiologie-Famulatur im Kasr Al Ainy Hospital in Kairo

Zwei Dinge standen fest: Wir wollten gemeinsam famulieren und das möglichst in Kairo. Wir, das sind Zarqa, die in England Medizin studiert, und ich, Nicolas, Medizinstudent im 4. klinischen Semester in Tübingen.

Das Kasr Al Ainy Hospital - Foto: N. Leitz und Z. Khawaja

Das Kasr Al Ainy Hospital

Über das Internet haben wir die Adressen entsprechender Kliniken recherchiert und uns dort beworben. Nur eine Privatklinik hat jedoch auf unser Anschreiben reagiert und uns schließlich auch genommen.
Die anderen Kliniken hatten entweder keine funktionierende Faxnummer oder der angegebene Telefonanschluss war nicht vergeben. Was uns zunächst überraschte, da wir Ägypten eigentlich für ein recht fortschrittliches Entwicklungsland hielten.

Ankunft und Unterkunft

Gewohnt haben wir in einem kleinen, sauberen Hotel mitten im Zentrum Cairos am Midan Talaat Harb, das wir in unserem Reiseführer eher zufällig gefunden hatten.
Zum Ägyptischen Museum waren es ca. 5 Minuten zu Fuß, zur nächsten S-Bahn etwa ebenso weit. Anfangs haben wir immer die S-Bahn zum Krankenhaus genommen, was pro Fahrt etwa 12 cent gekostet hat. Da wir aber am Schluss immer ein Taxi nehmen mussten, um von der S-Bahn Haltestelle zum Krankenhaus zu kommen, haben wir uns, nachdem unser Feilschgeschick zugenommen hatte, immer ein Taxi direkt vom Hotel zum Krankenhaus genommen.

Das Hotel hat etwa € 12 pro Nacht im DZ gekostet, das Taxi (20 min Fahrzeit) etwa € 3.
Wenn man sich dem Ägyptischen Essen von der Strasse angepasst hat, passieren zwar Durchfälle nicht mehr allzu häufig, anfangs ist es jedoch eine große Umstellung. Westliche Imbissbuden, sowie Restaurants findet man aber ohne Probleme.

Die Privatklinik

Gespannt begannen wir unseren ersten Arbeitstag gemeinsam auf einer kardiologischen Station. Die Patientenversorgung unterschied sich hier nicht sehr von der in Deutschland. Die Sprache auf Station war Englisch und alle Ärzte hielten sich mehr oder weniger daran.

Bedauerlicherweise standen uns keine festen Stationsärzte als Ansprechpartner zur Verfügung, da die Patienten von ihren niedergelassenen Ärzten auf Station versorgt wurden und diese nur wenig motiviert waren, uns etwas zu zeigen oder zu erklären. Wir durften mit den Patienten auch nicht mehr als reden, da sie als Selbstzahler nur von Ärzten betreut werden durften. Aus diesem Grund fragten wir einen der Ärzte, ob er uns nicht einmal in ein staatliches Krankenhaus mitnehmen könnte.

Schon am nächsten Tag saßen wir gemeinsam in seinem Auto. Auf dem Weg zur Universitätsklinik schärfte er uns jedoch ein, Niemandem von seiner zweiten Existenz in der Privatklinik zu erzählen.

Das Kasr Al Ainy

Die Behandlung in Universitätskliniken ist für Ägypter kostenfrei. Da nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung krankenversichert sind, wird dieses Angebot aber nur von der ärmeren Bevölkerungsschicht wahrgenommen.
Der Zustand dieser Häuser ist schlechter als wir erwartet haben. Wir nahmen bislang an, Vierbettzimmer seien normal, hier war die kleinste Einheit ein Sechsbettzimmer und in den größten Saal, die Tropenstation, passten rund 60 Betten. Trotzdem ließen wir uns nicht abschrecken und nach einem kurzen Vorstellungsgespräch beim Chef der Universitätsklinik wurden wir unseren Stationen zugeteilt: Ich kam auf die Intensiv- und Zarqa auf die Entbindungsstation.

Mit 40 Betten war auch die Intensivstation voll besetzt. Die meisten Patienten waren sehr unruhig und einige von ihnen versuchten, sich den Intubationstubus zu ziehen. Meine Frage, warum die Patienten denn so unzureichend sediert würden, beantwortete der verantwortliche Arzt ganz offen: "Ein Arzt im Praktikum bekommt im Durchschnitt nur 20 Euro Essenszuschuss, ein Universitätsprofessor rund 150 Euro Gehalt im Monat - das reicht selbst in Ägypten kaum zum Überleben. Deshalb wird alles, was das Krankenhaus kauft, innerhalb kürzester Zeit von den Mitarbeitern gestohlen und verkauft".
Besonders Betäubungsmittel seien wegen des hohen Schwarzmarktpreises sehr begehrt, sodass die Verwaltung diese nur sehr zögerlich herausgeben würde. Auf Normalstationen gäbe es gar keine Betäubungsmittel und auf der Intensivstation nur auf starkes Drängen der Angehörigen.

Wir haben einige Intubationen miterlebt, wo noch wachen Patienten mehrere Zähne ausgeschlagen wurden, weil sie nicht ausreichend sediert wurden. Patienten, die über eine längere Zeit hinweg beatmet werden sollten, wurden mit Mullbinden an ihre Betten gefesselt, damit sie sich den Tubus nicht ziehen konnten.

Fast alle Patienten entwickelten innerhalb der ersten Tage eine Sepsis und in der Folge ein Multiorganversagen. Das lag unseres Erachtens nicht nur an der allgemein schlechten Hygiene, sondern auch am Hygienebewusstsein der Ärzte. Waschbecken gab es auf der ganzen Station nur eins auf der Ärztetoilette - und das war immer trocken. Auch die Hände zu desinfizieren war hier absolut unüblich und steriles Arbeiten ein Fremdwort.

So blieb uns folgende Situation in Erinnerung: der erste Versuch, einen zentralen Venenkatheter zu legen, blieb erfolglos und so deponierte der Arzt die blutige Kanüle zunächst auf dem Bettlaken. Nachdem er einem vorbei kommenden Kollegen die Hand geschüttelt hatte, unternahm er einen erneuten Versuch mit der selben Nadel und den selben Handschuhen. Da die Ärzte in Ägypten aber der Ansicht sind, dass es in Allahs Gewalt liege, ob ein Patient eine Sepsis bekomme oder nicht, wollte keiner von ihnen an diesen Zuständen etwas ändern.

Menschenunwürdige Geburtshilfe

Ähnlich schockierend waren die Bedingungen dann auch in der Geburtshilfe. Kam eine Frau zur Entbindung, lief das in etwa folgendermaßen ab:
Die Schwangere wurde üblicherweise von ihren Angehörigen bis zur Klinikpforte gebracht. Dort standen bereits circa 20 weitere hochschwangere, schreiende Frauen, die an den beiden bewaffneten Wärtern vorbei wollten, um zum "Triage-Arzt" gebracht zu werden. Dieser bestimmte in einem Vorzimmer die Lage des Kindes und die Muttermundweite. Waren noch keine Wehen feststellbar oder handelte es sich "nur" um eine Normallage mit noch verschlossenem Muttermund, wurde die Frau wieder recht unsanft vor die Tür in die Warteschlange befördert.

Das Wartezimmer vor dem Kreißsaal fasst etwa 30 Betten, die bei durchschnittlich 50 Geburten pro Tag auch benötigt werden. Es war sehr laut und unruhig. Viele Frauen weinten oder schrien und krümmten sich vor Schmerzen in ihren Betten, die völlig ohne Vorhang nebeneinander lagen.

Ab einer Muttermundweite von acht Zentimetern wurden die Schwangeren in den Kreißsaal geschoben, um dort zu entbinden. Manchmal war es dazu aber schon zu spät. Insgesamt stehen nur vier Kreißsäle zur Verfügung und so war hin und wieder schon der Kopf des Kindes zu sehen, wenn die Frau den Kreißsaal noch gar nicht erreicht hatte.

War zur Erweiterung des Geburtskanals ein Scheidendammschnitt (Episiotomie) erforderlich, wurde die Gebärende in einen der beiden Operationssäle verlegt. Dort haben wir Episiotomien gesehen, wie sie bei uns nicht vorstellbar wären.
Zunächst erhielt die Frau einen Mehrfachkatheter aus Metall, der zuvor in einem Eimer unterhalb des OP-Tisches gewaschen wurde. In dem selben Eimer wurden auch Scheren, Nadeln und Fäden aufbewahrt. Geschnitten und genäht wurde dann ohne Betäubung.

Nach erfolgter Entbindung wurde das Werkzeug wieder in den selben Eimer zurück gelegt - für die nächste Patientin. So wunderte es uns nicht sonderlich, dass in ägyptischen Krankenhäusern jeder Patient über 60 als Hepatitis C positiv gilt.

Eher lustig fanden wir dann die Geschichte von den Katzen im Kreißsaal, die wir aber nur erzählt bekamen: Bis vor wenigen Jahren war es wohl so, dass die streunenden Katzen der Stadt in den Kreißsaal kamen, um dort die Plazentareste zu fressen. Doch seit ein Katzenfänger auf dem Klinikgelände für Ordnung sorgt, soll es dieses "Problem" nicht mehr geben.

Lebensgefühl

Leider haben wir in Cairo die so vielgerühmte orientalische Gastfreundschaft etwas vermisst. Ich kam aufgrund meiner vorhergehenden Ägyptenbesuchen recht gut mit der arabischen Mentalität zurecht. Zarqa hatte jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Es war für sie nicht möglich mit mir im gleichen S-Bahnabteil zu fahren, da sie ständig angegrapscht wurde. Daher fuhr sie immer im Frauenabteil.
Dieses nicht sehr respektvolle Verhalten, insbesondere arabischer Männer gegenüber westlichen Frauen, das sich durch den gesamten Tagesablauf zog, wurde uns auch von anderen Touristinnen berichtet.

Fazit

Die Famulatur in Ägypten war Anlass für uns, die eigenen Ansprüche an unser Gesundheitssystem neu zu überdenken. Wir haben zwar gelernt, mit weit reduzierteren Mitteln im Klinikalltag klar zu kommen, mussten aber gleichzeitig feststellen, dass dies oftmals nur auf Kosten der Qualität der Patientenversorgung erfolgen konnte.

Ob es sinnvoll ist, in unseren Kliniken weiter an den Personalkosten zu sparen, ist gewiss umstritten. Sicher könnte aber auch bei uns durch eine sorgfältigere Arbeitsweise und ein verändertes Bewusstsein Material und damit Kosten eingespart werden - und das auch ohne Beeinträchtigung der Patientenversorgung.
Wir alle sollten im eigenem Interesse sparsam mit den bei uns jetzt noch vorhandenen Möglichkeiten umgehen, damit wir nicht wie unsere Kollegen in Kairo in Privatkliniken oder -praxen dazuverdienen müssen und nur eine massiv eingeschränkte Patientenversorgung betreiben können.

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