- Feature
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- Dr. med. Felicitas Witte
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- 24.06.2009
Perspektiven in der Not- oder Entwicklungshilfe
In ärmeren Ländern kranke und hilfebedürftige Menschen versorgen - davon träumen viele junge Mediziner. Helfen kann man auf ganz unterschiedliche Weise: entweder in der humanitären Nothilfe oder in eher langfristig angelegten Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Sechs Ärzte berichten, was sie motiviert und was sie Kraft kostet.
Die Chirurgin Dr. Christina Beckhaus
und ihre Kollegen behandeln täglich
rund 300 Patienten im Medical Centre
im Mantare-Valley-Slum in Nairobi
"Improvisation ist hier keine Floskel"
Über der kongolesischen Stadt Kamituga geht die Sonne auf. Dr. Christoph Houben macht sich auf den Weg ins "Hopital general". Gestern hat der Chirurg von Cap Anamur dort bei einer 57-jährigen Frau eine Gastrojejunostomie durchgeführt. Diagnose: inoperables Magenkarzinom. Sie hat zehn Kinder. Zumindest wird die OP ihre Beschwerden lindern.
"Auch wenn es oft Situationen gibt, die mich traurig stimmen: Wenn Operationen gelingen, sind sie eine bleibende Hilfe", sagt Dr. Houben. "Keiner kann sie den Menschen wieder nehmen, im Gegensatz zu Medikamenten, die gestohlen werden können." Der Alltag des Chirurgen ähnelt dem in Deutschland: vormittags OP, nachmittags Visite. Die technischen Gegebenheiten sind allerdings kaum vergleichbar. Fließendes Wasser, Licht oder Strom sind nicht selbstverständlich. Man arbeite mit sehr wenigen Mitteln, erklärt Dr. Houben. "Improvisation ist hier keine Floskel, sondern ein Muss. OP-Pfleger, die Instrumente anreichen, gibt es nicht."
Wichtige Enscheidung: Kliniker oder Projektmanager?
"Gesundheitssysteme sind unfair, ineffizient und weniger erfolgreich, als sie eigentlich sein könnten" - der Jahresbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2008 klingt nicht ermutigend. Jedes Jahr sterben fast 10 Millionen Kinder, meist an Unterernährung, Lungenentzündung, Durchfall, Malaria oder HIV. Viele könnten überleben, hätten sie Zugang zu einer besseren medizinischen Versorgung und sauberem Trinkwasser. Täglich sterben 1.600 Frauen und über 10.000 Neugeborene an vermeidbaren Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, meist in armen Ländern.
Ärzte wie Dr. Houben versuchen das zu ändern. Wer helfen möchte, muss sich allerdings entscheiden, wie er seinen Beitrag leisten möchte. "Mediziner können wählen, ob sie ,klassisch' als klinischer Arzt arbeiten wollen oder mehr in Bereichen des Projektmanagements und der öffentlichen Gesundheit. Beide Arbeitsbereiche finden sich sowohl in der humanitären Hilfe als auch in der eher langfristig angelegten Entwicklungshilfe", sagt Dr. Joost Butenop, der für mehrere Hilfsorganisationen aktiv ist. "In der Nothilfe muss man belastbar sein", erklärt er. Man arbeitet kurzfristig, wechselt oft den Standort. "Das Arbeiten ist ziemlich unstet und nicht gerade familientauglich."
Entwicklungsarbeit sei langfristiger angelegt - man sehe aber auch nicht so schnell Erfolge. Dr. Butenop arbeitete für Ärzte ohne Grenzen (ÄoG) fünf Jahre lang in der Nothilfe. "Hier kann ich die Ergebnisse meiner Arbeit rasch sehen", erklärt er. Letztes Jahr half er vor Ort, als der Zyklon Birma verwüstete, beriet bei der Kaukasuskrise und unterstützte Ärzte und Gesundheitspersonal kürzlich bei der Choleraepidemie in Simbabwe.
Dr. Kai Stietenroth, freier Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), konzentriert sich eher auf die langfristige Hilfe. In Peshawar, Pakistan, kooperiert er mit dem Gesundheitsministerium. Zu seinen Aufgaben gehört es, Krankenhäuser zu besuchen, die Krankenversorgung zu optimieren und epidemiologische Daten zu analysieren. Zudem gibt er Kurse über Gesundheitssystementwicklung, spricht mit Experten und reist viel. "Ich habe die schönste Arbeit der Welt", sagt er. "Alle meine Fähigkeiten sind gefragt, nicht nur medizinisches Fachwissen."
Multitalente gesucht!
Für die Umsetzung von Hilfsprojekten braucht man Ärzte aus allen Fachbereichen. "Gesucht werden Fachärzte in Gynäkologie, Chirurgie, Pädiatrie oder Anästhesie", sagt Dr. Butenop. "Ebenso gefragt sind ,Allrounder', die vom Kaiserschnitt bis zur HIV-Therapie alles können." Interessierte Ärzte können sich bei Hilfsorganisationen bewerben. Neben fachlichen Fähigkeiten legen diese Wert auf Belastbarkeit, Flexibilität und emotionale Stabilität. ÄoG nimmt Bewerber nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch in einen Personalpool auf. Wird eine Stelle in einem Projekt frei, sucht die Organisation passende Mitarbeiter aus. Da die Vermittlung Monate dauern kann, empfiehlt Dr. Butenop, sich früh zu bewerben.
ÄoG und Entwicklungsdienste, wie der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), schreiben auch Stellen aus, für die keine beendete Facharztausbildung nötig ist. Voraussetzung ist jedoch eine mindestens 18-monatige Berufserfahrung. Dr. Bärbel Krumme vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg empfiehlt sogar mindestens drei Jahre Berufserfahrung als Arzt, wenn man in einem Entwicklungsland arbeiten möchte: "Man sollte solides fachliches Grundwissen mitbringen, denn man muss ohnehin viel Neues lernen." ÄoG und DED bieten im Internet Stellenmärkte an (Linktipps), die die Qualifikationen für jeden Projektplatz auflisten.
Junge Ärzte können beim DED auch als Entwicklungsstipendiaten Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit sammeln. Für Studenten gibt es die Möglichkeit, ein Praktikum in der Zentrale zu absolvieren. Die Gehälter in der Not- und Entwicklungshilfe fallen oft geringer aus als in anderen medizinischen Bereichen. ÄoG zahlt Ärzten in der Nothilfe etwa 800 Euro monatlich, zuzüglich Lohnsteuer und Krankenversicherung. Für Entwicklungshelfer richtet sich der Verdienst nach dem Entwicklungshelfergesetz. Zu einem Nettounterhaltsgeld von ca. 1.350 Euro kommen Leistungen wie Flüge, Unterkunft vor Ort und Familienzuschläge. Es gibt aber auch Organisationen, etwa die GTZ, die Gehälter zahlen, die mit denen in Deutschland vergleichbar sind oder sogar darüber liegen.
Für Entwicklungsarbeit in längerfristigen Projekten ist eine Weiterbildung in Gesundheitswissenschaften, etwa ein Master in "Public oder International Health" oder in "Control of infectious diseases" unerlässlich. "Kenntnisse in Public Health sind auch sinnvoll, wenn man ,nur' kurativ arbeiten möchte", weiß Dr. Krumme. Umgekehrt dürfen Mediziner in der Entwicklungsarbeit ihre ärzlichen Fähigkeiten nicht vergessen.
Aber auch auf kürzer dauernde Einsätze sollte man sich gründlich vorbereiten: Dr. Houben rät, Zusatzkurse, beispielsweise einen Tropenmedizinkurs, zu belegen. "Wer in unserer Klinik medizinische Hilfe sucht, setzt große Hoffnung in die ausländischen Ärzte. Diese Hoffnung sollte man nicht enttäuschen."
Die jeweilige Landessprache muss man nicht unbedingt sprechen. Zumindest sollte man aber - je nach Land - Englisch, Französisch oder Spanisch beherrschen. "Zudem kann man sich bemühen, Redewendungen in der Landessprache zu lernen", rät die Gynäkologin Dr. Monika Hauser, Gründerin der Hilfsorganisation medica mondiale (Interview). Damit könne man schnell Vertrauen aufbauen. "Nur wenn wir die Menschen respektieren und wertschätzen, mit ihnen zusammenarbeiten statt ihnen unsere Konzepte aufzudrücken, können wir gute Entwicklungsarbeit leisten", erklärt Dr. Hauser. Zudem sei wichtig, dass man für sich klärt, warum man Entwicklungshilfe machen möchte: Will man ärmeren Menschen helfen, muss man sich immer fragen, warum man das macht." Manche machen es leider aus Prestigegründen.
Zwischen Frust und Ohnmacht
Die Arbeit stellt hohe Anforderungen an die Entwicklungshelfer. "Improvisationstalent, Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, abschalten zu können, sind gefragt", erzählt Dr. Hauser. Dr. Butenop macht klar, dass man mit viel Leid konfrontiert wird. "Über Kindersterblichkeit zu lesen ist etwas ganz anderes, als kleine Menschen sterben zu sehen. Es frustriert mich, dass ich nicht immer helfen kann." Manchmal ist auch die Kooperation mit den Kollegen vor Ort schwierig. Dr. Houben beklagt, wie wenig einheimische Ärzte ihr Operationsspektrum erweitern möchten. "Viele Kollegen ziehen repräsentative und administrative Aufgaben den medizinischen vor."
Dr. Christina Beckhaus, die sonst eine Praxis in Hessen führt, und ihre Kollegen von "Ärzte für die Dritte Welt" behandeln täglich rund 300 Patienten im Medical Centre im Mathare-Valley-Slum in Nairobi. Die Menschen kommen mit HIV, Tuberkulose oder Tropenkrankheiten zu ihr. "Ich finde es sehr befriedigend, zu erleben, wie man mit einfachen Mitteln eine Menge ausrichten kann. Anamnese und klinische Untersuchung rücken in den Mittelpunkt", erzählt sie. Doch es gibt auch Situationen, die die Chirurgin depremieren: "Einigen Patienten könnten wir besser helfen, wenn sie eher kämen oder besser aufgeklärt wären." Manchmal fühlt sich die Ärztin machtlos. "Was wir ausrichten, hilft nur Einzelnen. Ich wünschte, der Gesundheitszustand der Menschen insgesamt würde sich langfristig bessern."
Gelder fließen - doch wohin?
Kristin Maass arbeitet für die Nothilfeorganisation Cap Anamur. Die Kinderärztin behandelt ihre kleinen Patienten in einem Flüchtlingslager in Alebtong, Uganda, rund um die Uhr. Nachts wird sie bei Geburten gerufen oder wenn es Patienten so schlecht geht, dass sie in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Zudem kauft sie Medikamente ein und kümmert sich darum, dass die Sauerstoffflaschen aufgefüllt sind und dass Solaranlage und Generator funktionieren.
Auch sie erlebt Situationen, in denen sie nicht helfen kann, obwohl dies in Deutschland möglich wäre: "Kürzlich konnten wir einem Kind mit schwerer Anämie keine Bluttransfusion verabreichen, und es starb." Bei Kindern mit Herzklappenerkrankungen weiß die Ärztin, dass sie langfristig nicht überleben werden, weil es in Uganda nicht möglich ist, Herzoperationen durchzuführen. "Demotivierend finde ich auch, wie korrupt das Gesundheitswesen hier ist. Gelder versickern in dubiosen Kanälen, das Gesundheitsministerium liefert versprochene Medikamente nicht."
Doch auch Missstände zu Hause tragen zur schlechten Krankenversorgung in armen Ländern bei. Dr. Stietenroth beklagt die Haltung der deutschen Regierung in der Finanzkrise: "Eine Erhöhung des Etats für die Entwicklungszusammenarbeit wird endlos diskutiert, aber es ist kein Problem, mit Milliarden einer Bank zu helfen, deren hoch bezahltes Management sich aus reiner Gier verzockt hat."
Krisenfeste Hilfe: Lehren und Lernen
Hilfsaktionen sind immer von den Zuwendungen reicher Geber und Geberstaaten abhängig und damit anfällig für globale Krisen. "Krisensicher" kann man Hilfe am ehesten machen, indem man Wissen und Know-how in ärmere Staaten bringt. Dr. Bärbel Krumme hat zum Beispiel drei Jahre lang an der Universität von Mutare im östlichen Simbabwe Vorlesungen gehalten. "Ich leitete vorher die Abteilung ,Zusammenarbeit in Not und Katastrophen' beim Missionsärztlichen Institut in Würzburg", sagt die Ärztin. "Meine Arbeit bestand vor allem aus Kurzeinsätzen in Katastrophenregionen und Kriegsgebieten. Als ich zurückkam, hatte ich stets das Gefühl, ich hätte länger bleiben sollen, um intensiver mit den Menschen zusammenzuarbeiten."
Das Angebot ihres Arbeitgebers, als Dozentin an der "Africa University in Mutare" zu unterrichten und einen neuen zweijährigen Masterkurs Public Health mit aufzubauen, erschien ihr deshalb verlockend. "Ich schätze den persönlichen Kontakt zu Kollegen und Studierenden aus verschiedenen afrikanischen Staaten", sagt Dr. Krumme. In ihrer Position war die Ärztin immer für fachliche und private Probleme der Studierenden da. Oft fuhr sie in ländliche Regionen, etwa um Hintergründe einer Epidemie zu untersuchen oder Gesundheitsstrukturen und -institutionen kennenzulernen.
Nach dem Einsatz: verschobene Werte?
Bärbel Krumme verlängerte ihren Vertrag zwei Mal. Erst Ende 2008 kehrte die heute 66-jährige Ärztin nach Würzburg zurück. Sie arbeitet weiterhin ehrenamtlich am missionsärztlichen Institut und gibt ihre Erfahrungen weiter. Im April 2008 beendete auch Kristin Maass ihren Einsatz in Uganda. "Ich habe das Gefühl, etwas Positives bewirkt und Menschen, die unter schwierigen Bedingungen leben, unterstützt zu haben. Aber dann kam die Zeit, die Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten", sagt die Kinderärztin. Zurzeit arbeitet sie im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst in Berlin. "Ich habe die Möglichkeiten, die die Medizin uns hier bietet, wieder schätzen gelernt", erzählt sie.
Doch nicht alle Helfenden zieht es zurück nach Hause. Dr. Butenop ist immer auf dem Sprung. "Kirchliche Hilfswerke können stets fragen, ob ich einen Einsatz übernehme", sagt er. Momentan reist der Arzt viel und tauscht sich aus. "Ich unterrichte, halte Vorträge und pflege Netzwerke. Ferner betreue ich Doktor- und Masterarbeiten." Auch für Dr. Stietenroth ist Heimweh ein Fremdwort. Eine andere Arbeit als Entwicklungshilfe kann er sich nicht mehr vorstellen. "Ich hätte Schwierigkeiten, die Probleme im heimischen Krankenhaus wieder als solche wahrzunehmen - mein Wertesystem hat sich vermutlich schon zu weit verschoben."
Linktipps
Auf den Seiten von Ärzte ohne Grenzen können Sie sich in der Rubrik "Dringend gesucht" über Stellenangebote und Voraussetzungen informieren:
Weitere Links zu medizinischen Hilfsorganisationen: