- Feature
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- Tobias Herbers
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- 23.10.2014
Entwicklungshilfe – Sinn oder Unsinn?
Entwicklungshilfe soll dazu beitragen, dass langfristig alle Länder einen gleich hohen Lebensstandard haben. Projekte auf der ganzen Welt arbeiten an diesem Ziel. Leider greift die Hilfe nicht immer optimal. Woran liegt das?
Entwicklungshilfe-Projekte sind auf der ganzen Welt verteilt. Doch wie sinnvoll sind sie? Foto: Romolo Tavani - Fotolia
„Ich kam um zu helfen ...“, erinnert sich Benjamin Marks. Der junge Medizinstudent baute mit einer kleinen Hilfsorganisation Gesundheitsstationen im afrikanischen Ruanda auf. Anfangs verspürte er so etwas wie Abenteuerlust, dachte, er könne etwas bewegen. Jetzt, knapp drei Monaten später, ist vom anfänglichen Enthusiasmus nicht mehr viel übrig geblieben.
Einsätze in Entwicklungsländern stehen bei Medizinstudenten oft ganz oben auf der Wunschliste. Von denen, die ihren Traum verwirklichen, kehren einige schon kurze Zeit später wieder in ihre Heimat zurück. Teilweise erschöpft, desillusioniert von ihrer anfänglichen Idee „helfen“ zu wollen. Auch das deutsche Ärzteblatt stellt in einem Artikel zur Vorbereitung auf Auslandseinsätze klar: „Helfen wollen reicht nicht aus!“ Doch damit nicht genug. Immer mehr Wissenschaftler, Politiker und Ökonomen prangern viele Projekte in der Entwicklungshilfe an. Was ist dran an diesen Aussagen und wie sieht funktionierende Entwicklungshilfe wirklich aus?
Hilfe aus dem Westen - theoretisch eine richtig gute Idee
„Gegenseitige Verantwortung“ und „gleichrangige Partnerschaften“, darauf machen die Minister der Industriestaaten im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe immer wieder aufmerksam. Ebenso soll man die Eigenverantwortung der unterstützten Länder fördern, sie zu einer „Mobilisation einheimischer Ressourcen“ und „zur Stärkung einer langfristig tragbaren Haushaltsposition“ verpflichten. So sieht es zumindest die „Pariser Erklärung“ über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit.
Benjamin Marks wird bei diesen Formulierungen misstrauisch. In Ruanda hat er erlebt, wie die einheimische Bevölkerung solchen Verpflichtungen teilweise schon aus kulturellen Gründen niemals widersprechen würde. „Der weiße Mann hat hier ein sehr hohes Ansehen. weshalb die Einheimischen nur selten Kritik äußern“, so Marks. Dies führe teilweise dazu, dass westliche Hilfe zwar bereitwillig angenommen werde, sich die lokalen Funktionäre dann allerdings nur selten um Instandsetzung und Fortführung der Projekte kümmerten.
Konkret erlebt hat Marks dies bei dem Aufbau einer Trinkwassergewinnungsanlage. Die von einer westlichen Hilfsorganisation getätigte Investition ist einige Jahre zuvor gemeinsam mit den Dorfbewohnern errichtet worden. Auch haben die Verantwortlichen über Wartung und Fortführung des Projekts gesprochen. Aktuell verfällt die Anlage jedoch wieder. Marks kennt die Gründe dafür: „Die Dorfbevölkerung hat augenscheinlich nur ein geringes Interesse an der Pflege und Instantsetzung. Sie gehen ihr Trinkwasser jetzt wieder aus dem See holen – ganz so wie vor 100 Jahren! Man kann sich Fragen, in wie weit man das Geld besser in andere Projekte gesteckt hätte.“
Der indische Wirtschaftswissenschaftler Abhijit Banerjee kam diesbezüglich in einem Gespräch mit der Zeit sogar zu folgendem Urteil: „Dass die Entwicklungshilfe ihren Zweck oft nicht erfüllt, liegt weniger an strukturellen Problemen. Meistens liegt es schlicht daran, dass niemand darüber nachdenkt, wie man das Geld gut investiert.“ Banerjee gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die das Feld der Entwicklungsarbeit mit „Zufallsexperimenten und Kontrollgruppen“ untersucht. Hierzu gehört u.a. eine Studie zur Verbesserung von Ernteerträgen unter kenianischen Bauern. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Bauern nach einer Anschubfinanzierung für Düngemittel durchaus in der Lage waren, den Dünger für die nächste Saison aus eigenen Erträgen zu finanzieren. Doch anstatt das Geld für Dünger anzusparen, gaben sie es oftmals sofort wieder aus.
Diese Probleme sind Dambisa Moyo, Ökonomin aus Sambia, nicht fremd. In einem Interview mit der FAZ erklärt sie die Lage so: „Es gibt in Afrika viele sehr smarte Leute, aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ermutigen sie nicht dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“ Dabei grenzt sich Moyo klar von Hilfseinsätzen „nach einem Tsunami oder Erdbeben“ ab und führt aus: „Das Problem sind die Hilfen auf Regierungsebene, die in großem Maßstab, etwa von der Weltbank, an afrikanische Länder vergeben werden.“ Dabei sei es „in den Köpfen afrikanischer Regierungen mittlerweile fest verankert, dass die Hilfen dauerhaft fließen.“, so Moyo weiter.
Keine schnellen Problemlösungen erzwingen
Das deutsche Ehepaar Gruber hat auch seine Erfahrungen mit der Entwicklungshilfe gesammelt. Sie, die junge Tierärztin und er, studierter Theologe, leben seit knapp zwei Jahren unter dem Hirtenvolk der Karamojong im Norden Ugandas. Frau Gruber sagt: „Keine Frage, hier wird viel investiert. Aber als Insider sehen wir auch, was nicht so gut läuft.“ Da seien z.B. die vielen gespendeten Moskitonetze, die bevorzugt zerschnitten und zum Tragen von Lasten verwendet werden würden. Auch die angelegten „Klohäuschen“ würden von den Karamojong nicht genutzt, weil das vermischen von Fäkalien unterschiedlicher Menschen kulturell inakzeptabel sei. Die Arbeitsweise vieler Lokalpolitiker beurteilt das deutsche Ehepaar so: „An Nachhaltigkeit sind nur wenige interessiert, der Geldfluss aus der ersten Welt darf nur nicht abreißen!“
Doch was tun? Entwicklungshilfe stoppen? Benjamin Marks meint hierzu folgendes: „Es wäre falsch, jegliches humanitäre Engagement sofort zu stoppen. Wir müssen stattdessen sensibel werden für die kulturellen, politischen und sozialen Gegebenheiten eines Landes. Hierzu gehört auch, die persönliche Motivation zu hinterfragen, mit der jeder einzelne helfen will, andere Kulturen zu akzeptieren und auf das zu hören was die Betroffenen Länder von sich aus fordern.“ Carina Gruber bestätigt dies und sagt: „Ich denke, das Wichtigste ist, keine schnellen westlichen Problemlösungen zu erzwingen, sondern behutsam Einheimische zu begleiten, damit diese selbst Probleme erkennen und sinnvolle Lösungen erarbeiten und umsetzen.“ Außerdem betont sie, dass man „Freundschaften aufbauen“ und sich „über lange Zeiträume hinweg mit den Menschen der jeweiligen Gastkultur“ auseinandersetzen müsse.
Richtig spenden
Doch was, wenn ich gar nicht selbst in die Länder reise? Was, wenn ich bestehende Projekte mit einer Geldspende unterstützen möchte? Die Autorin Linda Polman gibt in einem Interview mit dem Spiegel folgenden Hinweis an private Spender: „Kritisch sein und Fragen stellen.“ Hiermit meint sie die Entwicklung eines „öffentlichen Bewusstseins“ für die Probleme der Entwicklungshilfe. Außerdem müsse man sich der Tatsache stellen, dass man „Hunger und Armut nicht löst, indem man zehn Euro spendet.“
Eine zusätzliche Orientierung kann auch das DZI-Spendensiegel geben. Derzeit tragen 262 Organisationen in Deutschland das vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (kurz: DZI) vergebene Gütesiegel; alle werden jährlich nach strengen Maßstäben geprüft. Dabei arbeitet das Unternehmen intensiv mit Einrichtungen des Verbraucherschutzes zusammen. Ebenfalls stellt es auf seiner Internetseite regelmäßig aktuelle Tipps zum Umgang mit Spenden, Patenschaften und aktuellen Nothilfeprogrammen zusammen. So empfiehlt das DZI zum Thema Geldspende beispielsweise folgendes: „Spenden Sie gezielt.“ Gemeint ist hiermit die Tatsache, dass verfügbare Mittel möglichst auf konkrete Projekte ausgerichtet sein sollten und nicht gießkannenartig ausgegossen werden dürfen. Auch sollte „übertrieben dringlichen Spendenaufrufen“ ein gesundes Maß an Misstrauen entgegengebracht werden. Seriöse Organisationen hätten für „Not- und Katastrophenfälle vorgesorgt“ und könnten die Hilfe so „ohne Rücksicht auf den Spendeneingang starten.“
Auch Benjamin Marks möchte sich in Zukunft auf finanzielle Hilfe beschränken. Zumal er erkannt habe, dass „Menschen in Afrika vieles bräuchten. Eines aber sicherlich nicht: Egozentrisch veranlagte Gutmenschen!“
Einzelne Sachverhalte des Artikels entstammen dem Erfahrungsschatz des Autors und wurden verfremdet dargestellt.