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  • Dr. med. Felicitas Witte
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  • 10.07.2006

Medizinstudenten in Entwicklungsländern

Wenn man als Medizinstudent in einem armen Land famuliert, kann das eine wertvolle Erfahrung sein. Aber Vorsicht: Wer sich zu sehr engagiert, rutscht leicht in eine Rolle, die ihn überfordert. Hier geben auslandserfahrene Studenten und Ärzte Tipps, wie man sich auf eine Famulatur in einem Entwicklungsland vorbereitet und welche Fehler man vermeiden sollte.

"Im Distriktkrankenhaus durfte ich Appendektomien durchführen." "In Kenia habe ich zehn Kindern auf die Welt geholfen." "Bei den OPs war ich immer erste Assistenz." Medizinstudenten, die in armen Ländern wie Ruanda, Nigeria, Pakistan oder Haiti famulieren, haben nach ihrer Rückkehr viel zu erzählen. Ihre Berichte handeln oft davon, wie viel sie praktisch machen durften. Viele sind zudem aufgewühlt von der Gewalt, der sie in ihren Gastländern begegnet sind. Manche erzählen von politisch motivierten Ausschreitungen und extremer Kriminalität. Um sich über die Sicherheitslage in einem Land zu informieren, reicht ein Blick auf die Homepage des Auswärtigen Amtes. Oft steht da: "Vor Reisen in dieses Land wird gewarnt." Warum gehen Studenten trotzdem in solche Länder? Warum famulieren sie in Regionen, in denen die medizinische Versorgung so schlecht ist, dass von vornherein klar ist: Ich werde dort wie ein erfahrener Arzt arbeiten müssen? Meistens ist es der Wunsch, Menschen in armen und krisengeschüttelten Ländern zu helfen. Doch wo ist die Grenze zwischen helfen und "mehr schaden als nützen"?

Krisengebiete: kein Platz für Studenten

"Die Erfahrung, in einem so genannten Entwicklungsland zu arbeiten, tut jedem Mediziner in Deutschland gut", glaubt Dr. Johannes Frühauf, der viele Jahre als Arzt in Afrika war. "Vielen wird erst unter extremen Bedingungen klar, wie ungleich die medizinischen Verhältnisse in der Welt sind. Wir wenden enorm viel Geld für eine moderne Intensivtherapie auf, während andernorts der vergleichsweise lächerlich geringe Betrag für eine Malariabehandlung fehlt." Einsätze in Krisengebieten seien jedoch etwas anderes: "Dort werden gut ausgebildete Ärzte gebraucht", betont Frühauf. "Und diese haben natürlich keine Zeit, sich um Medizinstudenten zu kümmern."
Viele Hilfsorganisationen schicken deswegen überhaupt keine Medizinstudenten ins Ausland. "Die meisten unserer Projekte befinden sich in Regionen, in denen die politische Lage instabil ist", erklärt Dr. Joost Butenop, Projektkoordinator bei Ärzte ohne Grenzen. "Unsere Organisation kann die Verantwortung nur für solche Mitarbeiter übernehmen, die wirklich vor Ort gebraucht werden und helfen können." Eine Famulatur in einem Entwicklungsland hält aber auch Butenop für sinnvoll - wenn die Studierenden vor Ort einen Ansprechpartner haben, der sich um sie kümmert.

Famulaturprogramme: Betreuung ist das A und O

Eine besonders gute Betreuung garantiert das Famulaturprogramm "famulieren und engagieren" der "Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg und in sozialer Verantwortung" (IPPNW). Jedes Jahr reisen mit den IPPNW etwa zwölf Studierende in Länder wie Kenia, Indien, Türkei, Israel oder Rumänien. Nach der einmonatigen Famulatur arbeiten die Studenten vier Wochen lang in einem Sozialprojekt und beschäftigen sich mit den Auswirkungen politischer, sozialer und ökologischer Bedingungen auf die Gesundheit von Menschen. Vor Ort werden die Deutschen von einheimischen Studenten und Ärzten intensiv betreut. "Es geht bei ,famulieren und engagieren' nicht primär darum, ,etwas Gutes' zu tun, sondern zu lernen und ein fremdes Land und seine Menschen zu verstehen", erklärt Ulla Gorges von den IPPNW in Berlin. "Ein IPPNW-Arzt arrangiert einen Famulaturplatz bei sich oder bei Kollegen und kümmert sich um alles", erzählt Ulla Gorges. "Niemand wird hier alleine gelassen!"

Auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) legt viel Wert darauf, dass über sie famulierende Studenten gut betreut werden. "Die Famulanten absolvieren ihr Praktikum in Uni- und Lehrkrankenhäusern und arbeiten dort unter Anleitung von erfahrenen Ärzten", erklärt Thomas Hornung, Präsident der bvmd. "Doch genauso wie bei Famulaturen im Inland kann man natürlich auch bei Auslandsfamulaturen nie ausschließen, dass Famulanten doch Dinge tun, für die sie nicht qualifiziert sind." "Sicherlich verrichten Studenten im Ausland Tätigkeiten, die sie in einem deutschen Krankenhaus nicht machen würden", erklärt Annika Hanning, die die Public-Health-Projekte der bvmd koordiniert. "Dies liegt aber zum einen daran, dass in Deutschland bestimmte Krankheiten nur sehr selten auftreten, zum anderen gibt es in diesen Ländern einfach nicht genügend Ärzte. Das heißt aber nicht, dass Studenten alleine Operationen durchführen. In unseren Projekten geht es vor allem darum, die einfache medizinische Grundversorgung der Patienten zu sichern. Dies beinhaltet beispielsweise Wunden reinigen und nähen oder Infektionen behandeln." Dabei sei immer ein Arzt dabei, der die Studenten beaufsichtigt.

Wichtig: wissen, was man kann

Damit man bei einer Famulatur trotz guter Betreuung nicht in eine Situation gerät, die einen überfordert, muss man seine Fähigkeiten gut einschätzen können. "Natürlich kann jeder gesunde Mensch mit zwei starken Armen irgendwo helfen", sagt der Anästhesist Dr. Claus-Peter Sonntag, der als Student in Indien und Südafrika war. "Auch dadurch, dass er aus Deutschland Medikamente oder medizinische Geräte mitbringt. Aber um wirklich medizinisch helfen zu können, muss man erfahren sein und wissen, was man kann." Hin und wieder hat er damals mehr Verantwortung übernommen, als in Deutschland üblich ist: "Bei einer Famulatur habe ich zum Beispiel 25 Geburten alleine geleitet", räumt Sonntag ein. "Aber die Ausbildung läuft dort auch anders als bei uns. In Südafrika lernt man beispielsweise schon als Student, wie man eine Thoraxdrainage legt, und nicht erst wie bei uns als Assistenzarzt im zweiten Weiterbildungsjahr. Ich wurde immer gut betreut und angeleitet, oft besser als in den Krankenhäusern in Deutschland. Und wenn man eine Tätigkeit gelernt hat, kann man diese auch ausüben - egal ob man sich Arzt oder Student nennt." Aber nie habe er eine Prozedur oder einen Eingriff von sich aus angefangen zu lernen, ohne beaufsichtigt zu werden.

"Als Medizinstudent sollte man nur das machen, was man persönlich verantworten kann", meint auch René Vollenbroich, der mehrere Monate in Ghana und Tansania famuliert hat und zurzeit sein PJ in Südafrika absolviert. "Ein Arzt in Ghana hat mich gefragt, ob ich nicht eine Appendektomie machen wolle", nennt er ein Beispiel, "Ich habe ihm dann erklärt, dass ich noch Student sei und nicht genügend Erfahrung habe."

Herausforderung oder Überforderung?

"Warum sollte man nicht einen Studenten aus dem 10. Semester mit Grundlagenkenntnissen in der Chirurgie unter Aufsicht kleine OPs durchführen lassen?", fragt Jakob Schröder, der drei Monate in Indien famuliert hat "In vielen Ländern gilt das Prinzip: ,see one, do one, teach one'", erklärt der Medizinstudent aus Kiel. "Ein erfahrener Betreuer zeigt dem Studenten eine Prozedur und beobachtet dann, wie der Student die Tätigkeit ausführt. So lernen Mediziner schon früh verantwortungsbewusstes, selbstständiges Handeln."

Jakob Schröder fühlte sich während seiner Indien- Famulatur meistens sehr gut betreut - abgesehen vom Beginn seines Aufenthalts: In diesen ersten vier Wochen hat er zusammen mit drei deutschen Kommilitonen Kinder in Kinderheimen untersucht. "Dabei waren wir medizinisch völlig auf uns alleine gestellt", erinnert sich Jakob Schröder. "Wir haben ein Untersuchungsschema ausgearbeitet, die Kinder untersucht und versucht, einen Kompromiss zwischen Gründlichkeit und Schnelligkeit zu finden. Uns fehlten aber Kenntnisse über die dort verbreiteten Krankheiten, wie man sie einschätzt und behandelt. Dabei haben wir oft einen Arzt vermisst."

Diese Zeit sei eine große Herausforderung gewesen, die Studenten hätten sich jedoch oft auch überfordert gefühlt. "Manchmal haben wir sicherlich überreagiert", gibt der Medizinstudent zu. "Einmal hatten wir den Verdacht, dass ein kleines Kind eine Mastoiditis hat. Wir sind sofort in ein großes Krankenhaus gefahren. Dort haben wir einen Riesenaufstand gemacht und uns an anderen Patienten vorbeigedrängelt." Die Ärzte bestätigten den Verdacht durch eine Röntgenaufnahme, und das Kind bekam Antibiotika. "Es war eine interessante, aber auch erschreckende Erfahrung", erinnert sich Jakob Schröder. "Die Inder hatten so viel Ehrfurcht vor uns ,weißen Ärzten'."

Fremde Welt, fremde Gefahr

"Einen deutschen Medizinstudenten halten viele Menschen in diesen Ländern für einen Arzt", bestätigt Dr. Joost Butenop. "Die Patienten fühlen sich sicher, wenn ein ,weißer Doktor' sich ihrer annimmt. Damit kommt einem aber eine Verantwortung zu, die man nicht erfüllen kann." Diese übergroße Erwartungshaltung ist nur ein Aspekt des "Kulturschocks", der junge Mediziner überrollt, wenn sie in einem armen Land famulieren. Die fremde Sprache, das fremde Klima, teils katastrophale hygienische Zustände, unerträgliche Armut - damit muss man erst einmal klarkommen! Der Kontakt mit Patienten läuft oft ganz anders ab als bei uns. So lassen sich in vielen Ländern Frauen aus Scham nicht untersuchen - selbst nicht von Frauen. "Schon den Bauch abzutasten, empfinden viele als Eingriff in die Privatsphäre", erzählt Jakob Schröder.

Gerade in den ländlichen Gebieten müssen Ärzte mit traditionellen Heilern konkurrieren, denen die Menschen oft mehr vertrauen. Zu den kulturellen Unterschieden kommt noch die prekäre Sicherheitslage. Die Kriminalität liegt oft weit über dem, was bei uns üblich ist. Als reicher Europäer ist man attraktives Zielobjekt von Dieben. Oft liegen politische Unruhen in der Luft. Keinesfalls unterschätzen sollte man außerdem die Erkrankungen, die in diesen Ländern grassieren: Durchfallkrankheiten oder grippale Infekte sind dabei noch die harmlosesten. Vor Malaria, Tuberkulose oder HIV schützt kein deutscher Pass.

Wichtig: Offenheit und Lernbegierde

Vor kulturellen Missverständnissen schützen kann man sich, wenn man grundlegende Begriffe und Sätze in der Landessprache lernt und sich über das Land, die Kultur, die Bevölkerung und die medizinische Versorgung informiert (Checkliste). Damit man gesund bleibt, sollte man sich vor der Abreise über die dort auftretenden Krankheiten informieren und sich impfen lassen oder prophylaktische Medikamente mitnehmen - so erspart man den Gastärzten unnötige Mehrarbeit ...

Außerdem sollte man sich im Vorfeld darüber klar werden, warum man überhaupt in einem Entwicklungsland famulieren möchte. "Nutzen Sie eine Auslandsfamulatur nie dazu, Eingriffe durchzuführen, die Sie nicht können", empfiehlt Dr. Johannes Frühauf. "Damit schaden Sie einerseits dem Patienten selbst, andererseits wirft Ihr Handeln ein schlechtes Licht auf die Ärzte aus der industrialisierten Welt. Und es zeigt, dass Sie eigentlich für den Arztberuf nicht geeignet sind. Denn der fordert, dass man sich gut selbst einschätzen und kontrollieren kann." Wichtig ist außerdem eine offene Haltung gegenüber der Kultur, in der man zu Gast ist: "Ich bin immer alleine ins Ausland gegangen, damit ich die Sprache gut lerne", erzählt René Vollenbroich. "In Tansania habe ich zum Beispiel sehr schnell Kisuaheli gelernt. Dadurch hatte ich einen viel besseren Kontakt zur Bevölkerung." Egal ob man auf eigene Faust oder mit einer Organisation ins Ausland geht: Besuchen Sie Ihr Gastland mit der Einstellung, dass nicht nur die "Entwicklungsländer" von den industrialisierten Staaten, sondern auch wir von ihnen eine Menge lernen können. "Nutzen Sie die Möglichkeit des gegenseitigen Lernens", rät Dr. Sonntag. "Sie werden die westliche Welt nach Ihrer Rückkehr mit anderen Augen sehen."

Checkliste: Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt

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