- Fachartikel
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- Ines Elsenhans
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- 25.02.2015
Perspektiven bei internationalen Organisationen
Beim Stichwort Internationale Organisationen denken viele sofort an hellhäutige Ärzte, die irgendwo „im Busch“ dunkelhäutige Babys mit Impfungen versorgen. Tatsächlich ist die Nothilfe vor Ort aber nur eine Art, wie man sich auf internationaler Ebene als Arzt engagieren kann. Wirklich nachhaltige Erfolge erreicht man oft eher durch Kämpfe in den Glaspalästen der politischen Metropolen dieser Welt als durch aufopfernde Einsätze in Krisenregionen.
Berlin, 1947. Die Stadt ist schwer zerstört, die Menschen hungern. Gertrud Kranz durchwühlt verzweifelt eine Lagerhalle nach Material, aus dem sie Spielzeug basteln kann. Mit dem Verkauf will sie Geld für Lebensmittel verdienen, um ihre Familie durchzubringen. Zufällig entdeckt sie einen Pappkarton mit der Adresse einer US-Firma, an die sie in ihrer Not einen Brief sendet und ihre Situation schildert. Was sie kaum zu hoffen gewagt hätte, geschieht: Der Firmeninhaber erhört ihren Hilferuf und wendete sich an die private Hilfsorganisation CARE. Einige Monate später hält auch Frau Kranz überglücklich ihr erstes CARE-Paket in den Händen. Für ganz West-Berlin sollten noch abertausende Pakete folgen, denn CARE beteiligte sich wenige Monate später maßgeblich an der Luftbrücke der Westalliierten.
Die „Cooperative for American Remittances to Europe“, kurz CARE, wurde im November 1945 von 22 Wohlfahrtsverbänden gegründet, um die Menschen im kriegsgebeutelten Europa mit Nahrung zu versorgen. Die Deutschen waren zunächst ausgenommen – zu frisch war noch die Erinnerung daran, dass sie für die ganze Misere verantwortlich waren. Erst als Präsident Harry S. Truman an die Macht kam, durfte CARE ab Februar 1946 auch Hilfsgüter nach Deutschland liefern – und rettete damit Millionen vor dem Hungertod. Mit dieser bis dato unbekannten Form der koordinierten Hilfe avancierte CARE zu einer Art Mutter der Hilfsorganisationen. 1982 schlossen sich mehrere nationale CARE-Organisationen unter der Bezeichnung CARE-International zusammen. Heute ist CARE eine der großen internationalen Initiativen, die nach dem Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ handeln. Inzwischen koordiniert das Genfer Generalsekretariat die Arbeit von zwölf Mitgliedsorganisationen.
Entscheidung: Am Patienten oder im Sitzungssaal?
Ähnlich wie CARE haben sich in den letzten 60 Jahren viele zunächst kleine Initiativen zu großen internationalen Hilfsorganisationen entwickelt. Die Institutionen beschäftigen heute zehntausende von Mitarbeitern, um ihre Projekte umzusetzen. Darunter sind auch viele Ärzte, die mit ihrem Know-how entscheidend zum Erfolg beitragen. Die Bandbreite der Aufgaben, die sie dabei übernehmen können, ist riesig. Ein Mediziner, der Teil der globalen Hilfs-Community werden möchte, muss sich deshalb zuerst einmal überlegen, wie er seinen Beitrag für die Verbesserung der gesundheitlichen Situation auf globaler Ebene leisten möchte.
Die erste Möglichkeit ist die Arbeit in der klassischen Entwicklungshilfe bzw. Nothilfe. In diesem Bereich müssen die Mediziner sehr belastbar sein. Oft arbeiten sie nur für wenige Wochen im Einsatzgebiet und wechseln häufig den Standort. Die Arbeit ist sehr intensiv, man schaut den Hilfsbedürftigen „direkt in die Augen“ – die häufigen Einsätze in verschiedenen Weltgegenden sind allerdings nicht gerade familientauglich. Viele Ärzte entschließen sich darum, diese Arbeit nicht hauptberuflich zu machen, sondern sie gehen im „normalen Leben“ einem Job im Heimatland nach und ziehen nur für ein paar Wochen im Jahr los. Organisationen wie Ärzte für die Dritte Welt oder Ärzte ohne Grenzen ringen daher immer um geeignetes Personal für ihre Einsätze.
Möchte man es etwas „beständiger“ haben, kann man sich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren. Diese Projekte sind auf mehrere Jahre angelegt und man kann sich intensiver auf ein Thema und eine Region einlassen. Auf der anderen Seite sieht man nicht so schnell Erfolge. Dr. Alfred Kinzelbach, Regionalkoordinator bei Malteser International, erklärt, woran das liegt: „Das hat oft mit den unzureichenden Gesundheitssystemen vor Ort zu tun – sobald die laufenden Kosten eines Krankenhauses nicht mehr von den Organisationen finanziert werden, bricht das System zusammen, weil sich die Patienten ihre Versorgung schlichtweg nicht leisten können.“ Zudem sind die politischen Verhältnisse in den Projektgebieten oft sehr instabil. Mühsam erzielte Ergebnisse können daher rasch wieder verloren gehen.
Wer Nachhaltigkeit in der humanitären Hilfe erzielen möchte, fährt deswegen oft besser, wenn er einen anderen Weg geht: Viele internationale Organisationen nutzen ihr Ansehen, um direkt auf die Entscheider in der Politik einzuwirken. So kann man versuchen, quasi „von ganz oben“ und nachhaltig Gesundheitssysteme zu verbessern. Diese Arbeit „in den Sitzungssälen dieser Welt“ ist neben der direkten Nothilfe und der Projektarbeit die dritte Möglichkeit, wie man sich als Arzt für die Gesundheit auf globaler Ebene einsetzen kann.
Grundkapital: Vertrauen und Integrität
Auch CARE versucht, durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit die Politik direkt anzusprechen. Beispielsweise setzt sich die Organisation auf internationalen Konferenzen als Berater der Vereinten Nationen sowie als Mitglied von Aktionsbündnissen und globalen Kampagnen für die Menschenrechte ein. Um solch einen Beraterstatus zu erlangen, müssen sie transparent, integer und glaubwürdig sein – wozu für die Organisationen enorm wichtig ist, dass sie auf den Bereich „Global Health“ spezialisierte Ärzte in ihren Diensten haben.
Einer davon ist Dr. Khrist Roy, technischer Berater für Kindergesundheit, Ernährung und Infektionskrankheiten bei CARE. „Zu meinen Aufgaben gehört es, Spender, die meine Projekte unterstützen, umfassend über die Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten“, erklärt Dr. Roy. „Nur so gewinnen diese Vertrauen und werden auch in Zukunft spenden.“ Offenbar funktioniert diese Taktik recht gut: Schaut man auf die vergangenen Jahre zurück, haben sich die Spenden von Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen und institutionellen Geldgebern immer wieder erhöht. CARE erlebte 2011 in Deutschland einen Einnahmerekord von 32,5 Millionen Euro, Malteser International erreichte sogar 34,5 Millionen Euro – wobei man bedenken sollte, dass dieser Geldsegen vor allem auf das Konto einiger Katastrophen wie etwa dem Tsunami in Fukushima geht.
Reichtum schützt vor Hilfe nicht
Doch wer annimmt, dass es bei der Mitarbeit in internationalen Organisationen immer darum geht, ärmeren Ländern mit Know-how und Kapital unter die Schultern zu greifen, liegt falsch. Natürlich gibt es auch Institutionen, die sich um wirtschaftlich entwickelte Länder kümmern. Die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) tut dies sogar ausschließlich. Sie hat 34 Mitgliedsländer und versteht sich als Forum, in dem Regierungen ihre Erfahrungen austauschen, optimale Vorgehensweisen identifizieren und Lösungen für gemeinsame Probleme erarbeiten.
Wenn man als Arzt etwas bewegen möchte, ist man hier genau richtig: OECD-Mitarbeiter wirken direkt auf die Entscheidungsträger der Politik ein und haben über den entstehenden Gruppenzwang einen enormen Hebel, sodass ihre Empfehlungen häufig auch umgesetzt werden. Die Arbeit der OECD finanziert sich aus Steuergeldern der Mitglieder – das Budget für 2012 liegt bei 347 Millionen Euro. Die Arbeitsbereiche sind vielfältig und umfassen neben der Gesundheits- und Wirtschaftspolitik z. B. auch Fragen nach dem demografischen Wandel. Warum sich die Industrieländer dieses teure gemeinschaftliche Engagement leisten, obwohl die meisten von ihnen selbst genügend Mittel haben, um ihre Probleme eigenständig zu lösen, erklärt OECD Health Economist und Policy Analyst Michele Cecchini: „Normalerweise kümmern sich die Länder nur um sich selbst. Die OECD hat aber den Gesamtüberblick über alle Länder. Sie sieht, wenn ein Land eine besonders gute Lösung für ein Problem wie z. B. Diabetes gefunden hat, und kann das Programm dann anderen Ländern empfehlen.“
Motto: Ärzte für Millionen
Eine Institution, die sich um die Gesundheit aller Völker kümmert, ist die World Health Organisation (WHO). Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen hat sie eine herausragende Stellung und kämpft für die bestmögliche Gesundheitsversorgung aller Menschen. Ein Topf von satten 3,9 Milliarden Euro stand der WHO dafür im letzten Jahr zur Verfügung. Geld, das von den Mitgliedsländern, aber auch von Unternehmen und privaten Spendern kommt.
Eine zentrale Aufgabe der WHO ist es, Leitlinien, Standards und Methoden in gesundheitsbezogenen Bereichen zu entwickeln, zu vereinheitlichen und weltweit durchzusetzen. Auf diese Weise rettet sie Jahr für Jahr viele Menschenleben – obwohl die Ärzte, die für die WHO arbeiten, sicher häufiger in Büros oder Konferenzräumen sitzen, als dass sie direkt mit Patienten zu tun hätten. Dieses Schicksal teilen sie mit Ärzten in anderen internationalen Organisationen. Auch Dr. Kinzelbach, Dr. Khrist Roy und Michele Cecchini haben wenig Patientenkontakt. Trotzdem sind sie mit ihrem Weg sehr zufrieden: Denn in ihren Positionen haben sie die Möglichkeit, viel mehr Menschen zu helfen, als wenn sie direkt am Krankenbett stünden. Eine Rückkehr in den klassischen Arztberuf kommt für sie deshalb nicht in Frage. Sie bleiben lieber Ärzte für Millionen.
Dr. Alfred Kinzelbach beim Besuch des Gesundheitszentrums in Nyalanya (Demokratische Republik Kongo). Er hört Mitarbeitern und Patienten zu, die ihre Probleme schildern. Im Hintergrund stehen Angehörige von Familien, die aus Angst vor Gewalt und Entführung aus ihren Dörfern geflohen sind.
Dr. Alfred Kinzelbach (61), Regional-koordinator bei Malteser International
„Ich bin bei Malteser International Regionalkoordinator für die Programme in der Demokratischen Republik (DR) Kongo und Uganda. Ich lebe und arbeite direkt in Kampala, der Hauptstadt von Uganda. Früher war ich klassischer Hausarzt, doch als sich die Arbeit finanziell nicht mehr lohnte, weil die Krankenkassen mit ihrem Budget immer restriktiver wurden, entschloss ich mich, die Praxis zu schließen und noch mal etwas ganz Neues zu beginnen. Per Zufall landete ich bei der Hilfsorganisation Cap Anamur. Gleich bei meinem ersten Einsatz schickte mich die Organisation nach Kurdistan, kurz nach dem zweiten Golfkrieg. Das war eine harte Lehrzeit, weil wir viele Kriegsverletzte operieren mussten – und das mit nur wenig Ausrüstung. Dazu kam dann noch die Allgemeinmedizin und die Geburtshilfe. Als das Projekt endete, kehrte ich nach Deutschland zurück und ich wurde gefragt, ob ich nicht ein Projekt in Afrika betreuen möchte – nur für sechs Wochen. Aus diesen sechs Wochen sind inzwischen knapp 20 Jahre geworden. Denn nach meinem ersten Projekt in Ruanda wechselte ich zu Malteser International, um Nothilfe im kriegsgeplagten Ostkongo zu leisten und später Wiederaufbauprogramme anzuschieben. Das heißt, ich schaute, welche Projekte möglich wären, wie diese finanziert werden müssten, und ging dann in die Verhandlungen mit Geldgebern und der lokalen Verwaltung. Nach und nach habe ich mich bis zum Regionalkoordinator hochgearbeitet. Ich schaue, dass die Programme laufen, dass die Inhalte stimmen und mache Studien über deren Erfolg. Besonders stolz bin ich auf die von uns initiierte Zentralapotheke in Ariwara, im Nordosten der DR Kongo. Die Apotheke wird von lokalem Personal geführt und versorgt alle Gesundheitsstationen und Krankenhäuser der Nähe mit Arzneimitteln. Es gibt aber auch Projekte, die nicht so gut funktionieren – oft weil die Regierung das Gesundheitssystem nicht finanziert. Da braucht man ein ganz schön dickes Fell, wenn man daran nicht verzweifeln will. Auf der anderen Seite hat man auch viel Freude, wenn man die Dankbarkeit der Menschen sieht. Ich habe mich mittlerweile so in das Land verliebt, dass ich auch nach meiner Berentung weiter hier leben möchte.“
Dr. Khrist Roy liebt seine Arbeit bei CARE-Atlanta. Er ist ständig auf der Suche nach neuen Ansätzen, um Hilfsprogramme noch effizienter und nachhaltiger zu machen.
Dr. Khrist Roy (47), Technischer Berater bei CARE International
„Mein Name ist Dr. Khrist Roy. Ich bin technischer Berater für Kindergesundheit, Ernährung und Infektionskrankheiten und arbeite bei CARE in Atlanta, USA. Ich koordiniere den Kampf gegen Kindersterblichkeit, HIV/AIDS und Tuberkulose in Ländern wie Afghanistan, Nepal, Indien, Sambia und Ruanda. Zudem berichte ich Spendern, wie die Projekte laufen und wofür ihr Geld verwendet wird. Um mir einen Eindruck zu verschaffen, besuche ich die Projekte zwei- bis dreimal im Jahr. In meiner Laufbahn habe ich schon bei vielen Organisationen gearbeitet, dabei wollte ich zunächst eigentlich Chirurg werden. Im Studium stellte ich dann aber fest, dass Indien eine Menge Probleme im Gesundheitswesen hat, die ich als Chirurg nicht lösen könnte. Daher entschied ich mich, meinen Facharzt in Preventive and Social Medicine zu machen. Als in den späten 1990ern die United States Agency for International Development (USAID) ein großes Projekt zum Thema Ernährung und Gesundheit mit CARE in Indien startete, bekam ich überraschend eine Position im mittleren Management bei CARE. Nach dem Projekt arbeitete ich als selbstständiger Berater im Bereich Familienplanung und Reproductive Health für mehrere Organisationen und wirkte an einem großen Lepra-Kontroll-Programm der WHO mit. Im Jahr 2001 riet mir ein Freund, in Seattle Public Health zu studieren, um die Arbeit der Organisationen aus der politischen Sicht zu verstehen. Also fing ich genau 20 Jahre nach meinem Medizinstudium noch mal an zu studieren. Durch einen Zufall landete ich später wieder bei CARE: Der Inder Sunjay, der bei CARE arbeitet, lockte mich mit einem Angebot: Er versprach mir ein Projekt in Nepal. So könnte ich immer mal wieder einen Abstecher nach Indien machen und meine Familie besuchen. Das überzeugte mich schließlich.“
Michele Cecchini besucht im Rahmen seiner Arbeit Kongresse auf der ganzen Welt und trifft dabei bekannte Persönlichkeiten. Hier schüttelt er Kofi Annan die Hand. Die beiden trafen sich auf einer Konferenz zum Thema Diabetes.
Michele Cecchini (33), Health Economist bei der OECD
Ich arbeite für die OECD in Paris als Health Economist und Policy Analyst. Dabei analysiere ich die Präventionsprogramme der OECD-Mitgliedsstaaten im Bereich der chronischen Krankheiten wie Krebs, Kardiovaskuläre Krankheiten und Diabetes sowie der sogenannten Non-communicable diseases* wie Alzheimer. Ist ein Programm profitabel und erfolgreich, überlege ich, in welchem Land es auch Erfolg haben könnte, und empfehle es dem jeweiligen Gesundheitsminister.
Feuer gefangen für die „internationale Schiene“ habe ich bereits in der Schule, als erklärt wurde, wie die Vereinten Nationen entstanden sind. Es faszinierte mich, dass Menschen aus allen möglichen Ländern zusammenkommen, um gemeinsam Probleme zu lösen. Da wollte ich auch gerne dabei sein. Also machte ich mir einen Masterplan: Ich studierte Medizin und begann dann die Facharztweiterbildung in Public Health. Während dieser Zeit verbrachte ich ein Jahr an der berühmten London School of Economics, die ich mit dem Master abschloss. Die Zeit in London war maßgeblich für meine Karriere. Denn dort lernte ich viele Menschen kennen und war von da an in internationale Netzwerke integriert. Anschließend machte ich ein Praktikum bei der OECD und bewarb mich danach um meine jetzige Stelle. Genau wie ich es mir gewünscht habe, bin ich nun häufig im Ausland und arbeite mit Menschen auf der ganzen Welt zusammen. Irgendwann mal wieder klinisch tätig zu werden, kann ich mir kaum noch vorstellen. Meine Studienkollegen fragen mich oft, ob ich das Gefühl, Menschen zu helfen, nicht vermisse. Dann antworte ich, dass ich sehr wohl dieses Gefühl habe. Denn wenn Staaten meine Empfehlungen umsetzen, kann ich viel mehr Menschenleben retten, als ich als Arzt jemals könnte.“