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  • Interview
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  • Annika Bosch-Wehmeyer
  • |
  • 18.03.2015

Können Gliedmaßen nachwachsen?

Ein amputiertes Bein wächst nicht mehr nach – jedenfalls nicht bei Menschen. Bei Tieren sind nachwachsende Gliedmaßen aber gar nicht so selten. Könnte das auch bei uns funktionieren? Wir fragten den Entwicklungsbiologen Prof. Gerrit Begemann von der Uni Bayreuth.

 

Prof. Begemann - Foto: privat

Prof. Gerrit Begemann

 

>> Bei welchen Tierarten können denn verlorene Gliedmaßen wieder nachwachsen?

Man findet diese Fähigkeit z. B. bei Fischen, Spinnen, Insekten, Krebstieren, Seesternen und Oktopussen, vereinzelt sogar bei Wirbel­tieren. Das Axolotl ist z. B. in der Lage, abgetrennte Arme und Beine wieder nachwachsen zu lassen. Für die Forschung ist diese Salamanderart deshalb besonders reizvoll. Was viele nicht wissen: Auch wir Menschen haben zum Teil diese Fähigkeit – zumindest im Kleinkindalter. Hier kann eine abgetrennte Fingerspitze noch regeneriert werden, wenn die Wunde nicht vernäht wird. Leider geht diese Fähigkeit nach wenigen Jahren wieder verloren.

 

>> Beim Mensch bleibt nach einer Amputation nur ein Stumpf bzw. eine Narbe übrig. Wie schaffen es regenerationsfähige Tiere, dass da was nachwächst?

Wird z. B. einem Zebrafisch ein Stück der Schwanzflosse abgeschnitten, kommt es zunächst zu einer lokalen Entzündung. Danach bildet sich eine spezialisierte Wundepidermis, die Signale aussendet, die die Regeneration anschieben. In der Folge verlieren die Zellen des Stumpfgewebes ihre Haftung, werden mobilisiert und beginnen sich zu teilen. Diese Zellen, die zuvor ausdifferenziert waren und sich nun wieder zurückentwickeln bzw. dedifferenzieren, bilden das sogenannte Blastema. Axone und Blutgefäße sprießen in dieses stark wachsende Gewebe ein, so wie es auch während der embryonalen Entwicklung geschieht – und innerhalb von zwei Wochen ist die Flosse vollständig nachgewachsen. Bei einem jungen Axolotl kann ein Bein binnen zwei Monaten regeneriert werden. Bei älteren Tieren dauert das bis zu einem Jahr.

 

>> Bei Menschen kann übermäßiges Zellwachstum im Körper Krebs erzeugen. Warum passiert das nicht auch bei den Tieren?

Krebszellen entziehen sich durch genetische Veränderung der Wachstumskontrolle. Die Situation bei der Regeneration ist komplett anders, weil hier die Wachstumskontrolle sogar sehr gut funktioniert und starke Proliferation toleriert wird.

 

>> Beim Embryo wachsen Gliedmaßen ja auch völlig neu aus. Wo ist da der Unterschied?

Der entscheidende Unterschied ist, dass Embryonen über Stammzellen verfügen, während Erwachsene am Ansatz amputierter Gliedmaßen die massive Teilung von ­Vorläuferzellen wieder neu induzieren müssten.

 

>> Wäre es prinzipiell denkbar, diese Fähigkeit auch bei Menschen zu stimulieren?

Noch wissen wir viel zu wenig darüber, unter welchen Umständen Zellen zur Regeneration erweckt werden können. Versuche mit Mäusen haben in letzter Zeit aber zu sehr interessanten Erkenntnissen geführt. Seit kurzem ist z. B. eines der molekularen Signale bekannt, die die Aktivität der Stammzellen während der Regeneration kontrollieren. Und man begreift immer ­besser, welche Veränderungen von Zellen dazu führen, dass postembryonale Gewebe schlechter regenerieren. Wenn es gelänge, die Zellen verletzter Organe zu verjüngen oder dem Organ entwicklungsbiologisch junge Zellen zu verabreichen und diese mit geeigneten Wachstumsfaktoren zu kombinieren, könnte man dem Ziel, amputierte Gliedmaßen zumindest teilweise zu re­generieren, tat­sächlich näher kommen.

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