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  • 05.08.2014

Dr. Motz und der Tod

Dr. Motz hat es heute mit dem Tod zu tun. Nicht mit dem eigenen, den ihm sicher manch einer an den Hals wünscht. Sondern mit dem Umgang mit dem Tod im Allgemeinen.

Traurige Frau - Foto: PhotoAlto

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Wenn Dr. Motz sich rasch an einen anderen Ort beamen könnte, so würde er dieses jetzt gerne tun. Gerade kommt ihm auf dem langen Krankenhausgang einer seiner Kollegen entgegen. Und scheut Dr. Motz normalerweise schon jeden zwischenmenschlich näheren Kontakt, so vermiede er ihn heute gerne ganz. Denn die Mutter des Kollegen ist gerade nach schwerer Krankheit gestorben. Und Dr. Motz weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Er weiß ja nicht einmal, ob er überhaupt so brutal „gestorben“ denken darf oder ob es „von uns gegangen“, „verschieden“ oder „erlöst worden“ heißen muss.

Allerdings findet Dr. Motz das sülzig, denn Fakt ist ja nun einmal: Tot ist Tot und sterben muss jeder. Früher oder später. Und wie sein Freund, der alte Sokrates kurz vor Ingestion des Schierlingsbechers, erläuterte, „wisse ja niemand, was der Tod genau sei und ob er nicht vielleicht das beste und schönste für den Menschen sei?“ Aber das kann Dr. Motz seinem Kollegen ja schlecht entgegenhalten. Zudem kann er nicht einschätzen, wie der Kollege der Situation gegenübersteht. Ist er vielleicht froh, dass seine Mutter nun keine Schmerzen mehr hat? Hatte er vielleicht sowieso nur noch eine oberflächliche oder gar schlechte Beziehung zu ihr? Will er angesprochen und getröstet werden oder möchte er mit seiner Trauer alleine sein? Der Tod ist eine heikle Sache. Für die, die übrig bleiben.

Ein weiteres Zitat eines schlauen Menschen geht Dr. Motz durch den Kopf. „Im Grunde genommen betrauern die Hinterbliebenen sich selbst. Ihre Einsamkeit, ihren Verlust, ihre Situation.“ Der Kollege kommt immer näher und Dr. Motz fühlt sich hilflos. Wenn er dem Tod professionell gegenübersteht, wenn einer seiner Patienten stirbt, dann kann er sich hinter seiner Arztrolle verstecken. Er bewertet den Tod aus medizinisch- pathologischer Sicht und bringt zwar (ja, sogar er!) ein gerüttelt Maß an Empathie auf. Mehr aber nicht. Dr. Motz hat auch noch nie verstanden, wieso Nachrichtensprecher bei Flugzeugabstürzen oder ähnlichen Katastrophen zwischen „Toten“ und „deutschen Opfern“ unterscheiden. Menschenleben ist doch Menschenleben, oder?

Während Dr. Motz versucht seine Schrittlänge zu verringern, um Zeit zu gewinnen, biegt glücklicherweise der Kollege Richtung WC ab. Vielleicht ist er genauso unsicher wie Dr. Motz? Und auch der gute Hamlet war sich nicht ganz sicher, was in seinem ewigen Schlaf auf ihr wartete? Die Erlösung aller irdischen Übel oder böse Träume?

Plötzlich öffnet sich die Waschraumtür und der Kollege steht vor Dr. Motz. Mit roten Augen und Schniefnase. Dr. Motz kramt ein Taschentuch hervor und umarmt seinen Mitarbeiter. Ohne was zu sagen. Manchmal reichen auch kleine spontane Gesten für schwierige Themen.

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