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  • 15.02.2016

Jahr 6: Die Wutprobe

Diese OP-Schwester gehört eindeutig ausgeschleust, findet unser PJler.

Der Türcode für den OP ist mein Alter und mein Geburtsjahr – das kann kein Zufall sein. Naja, immerhin wird es mich in den nächsten vier Monaten oft genug hierher verschlagen. So werde ich wohl kaum in die Verlegenheit geraten, jedes Mal klopfend vor der Tür stehen zu bleiben, bis mich jemand zufällig reinlässt. Das ist kein Witz: Kliniken in denen ich famuliert habe, weigerten sich tatsächlich, Famulanten ID-Karten auszustellen, die für den Zutritt zum OP zwingend erforderlich waren.

Die Oberärzte interessierte das zumeist recht wenig, schließlich sei es nicht ihre Aufgabe und damit auch nicht ihr Problem. Dass ich somit nicht pünktlich im OP zu erscheinen brauche, käme mir ihrer Meinung nach doch sehr gelegen, schließlich sei ich ja so ein typisches Exemplar der Generation Y.

Hachja, diese immergrünen Täler der OP-Schleuse: der Teil des Klinikums, von dem man oftmals für Stunden verschlungen und komplett gerädert wieder ausgespien wird. So viele Kleidergrößen durch die man sich durchprobieren kann. 0,1,2,3Haube auf, Maske drüber, fertig ist ein weiterer grüner Gartenzwerg. Vor mir erstreckt sich der lange Gang mit den Materiallagern und Operationssälen: die Halle des Handwerkes.

Meine Schritte führen mich in Saal K wie Kardiovaskularchirurgie. Ich trete ein und stelle mich als neuer PJ-Student der KVC vor. Die Anästhesie erwidert freundlich die Begrüßung, eine der OTAs ebenfalls. Die andere OTA verdreht die Augen. In Gedanken frage ich mich, ob ihr Name Elke lautet. Nennen wir sie einfach so.

„Jaja“, blökt Elke los, „dann kannst du uns ja direkt bei der Lagerung helfen.“ „Na klar, “ antworte ich, „sagt mir einfach, was ich machen soll.“ Mit einem lauten Stöhnen erklärt mir Elke grob, wie das ganze aussehen soll. Ich gehe zum Handschuhständer, um mir ein Paar anzuziehen. Elke schnalzt: „Warum das denn jetzt?! Wozu brauchst du die denn?“ Mir verschlägt es für den Moment die Sprache, weil ich es noch nie erlebt habe, dass ich mich in einer medizinischen Einrichtung für den Einsatz von Handschuhen rechtfertigen musste.

Mehr als „Wo liegt das Problem?“, kriege ich nicht raus. Elke dröhnt weiter „Handschuhe schaffen eine Distanz zwischen Personal und Patienten. Das ist unnötig! Außerdem ist dieses ständige Getue mit Handschuhen unökonomisch!“ Ich schaue die Patientin an, die bereits in Narkose liegt. „Ich bezweifle, dass diese 'Distanz' die Patientin stören wird.“ Bezüglich der Ökonomie verkneife ich mir im Laufe des Tages noch einen Kommentar zur Anzahl an Raucherpausen, die Elke macht.

„Ach ja, du musst es ja besser wissen, wir haben ja schließlich nicht studiert“, schnappt Elke hysterisch zurück und schaut dabei ihre wesentlich zugänglichere Kollegin, nennen wir sie einfach mal Stefanie, an, der das ganze sichtlich unangenehm ist. „Mach lieber mal die Röntgenbilder auf, die will der Operateur gleich aufgerufen haben.“

Ich gehe also zum Computer und öffne das Programm, als hinter mir schon wieder diese nervenzerreißende Stimme scheppert „HALT! Zieh die Handschuhe aus, wenn du am Computer bist! WIR gehen nie mit Handschuhen an die Tastatur, das ist unhygienisch!“ „Ich habe doch mit den Handschuhen nichts und niemanden vorher angefasst!“ „Zieh sie aus! Du kontaminierst ja alles“. Obwohl ich beeindruckt bin, dass sie so ein Wort aussprechen kann, antworte ich „Aber das ist doch unökonomisch!“ Ich beuge mich dem Schwachsinn, es muss schließlich ein schweres Leben sein, wenn man sich von so etwas derart aus der Ruhe bringen lässt. Das kann ja ein tolles Tertial werden. Die Röntgenbilder sind aufgerufen, der Oberarzt tritt ein.

Elke ist wie ausgewechselt, sie zwitschert und schleimt um den Oberarzt herum. Ich gehe mich einwaschen. Ich bin derart angewidert, dass ich am liebsten ins Becken kotzen würde.
Kittel an, Handschuhe drüber und … welches Band ziehe ich jetzt noch einmal um mich herum? Mein letzter regelmäßiger Einsatz im OP war zu diesem Zeitpunkt bestimmt schon anderthalb Jahre her. Stefanie ist die Instrumentierende und zeigt es mir freundlich. Ich bedanke mich. „Jaja, ist ja gut, alles muss man euch erklären und dann wisst ihr es doch besser“, provoziert die nervige Stimme der anderen OTA.

Eigentlich bin ich kein Freund von WIR-IHR-Denken am Arbeitsplatz, ich finde das ist Gift für jede Kommunikation, Kooperation und Arbeitsatmosphäre. Dennoch zieht es in diesem Moment in meinem Kopf eine klare Linie, die mich von Elke abgrenzt, was mich sehr zufrieden stellt, so ungern ich mich von Stefanie abgrenze. Ein Trugschluss, ich weiß, aber in diesem Moment bin ich so blind vor Scham und Wut, dass die wenigen faulen Äpfel für mich das ganze Fass schlecht aussehen lassen.

„OK, Protokoll, Schnitt!“, sagt der Oberarzt und beginnt die Operation. Ich hatte ihm nach der Morgenbesprechung gestanden, dass KVC für mich ziemliches Neuland sei, abgesehen von der ebenfalls recht spärlichen Theorie aus dem Examen. Er hat es nicht so schwer genommen und wurde seinem Arbeitgeber, dem LEHRkrankenhaus, mehr als gerecht, als ich ihm versprochen habe, mich zumindest in den kommenden Wochen stets mit Anatomie und Krankheitsbildern zu befassen.

Mal ganz ehrlich: Wer nicht einmal das macht, hat kein Recht sich zu beklagen, wenn er oder sie „im Tertial nichts lernt“. Femoralis-TEA, wofür steht nochmal das TEA? Gerade wird nicht scharf präpariert, also traue ich mich, die dumme Frage laut zu stellen. Der Oberarzt schmunzelt und beantwortet die peinliche Frage. Und schon höre ich sie wieder, diese nervige Stimme: „In welchem Studienjahr bist du denn? Wusstest du nicht, was das heißt?“ Ich rolle die Augen, „Naja, das praktische Jahr ist das letzte Jahr des Studiums, ich bin also im sechsten Jahr.“ „Und du weißt das trotzdem nicht?“

Und dann kommt es, das Geräusch, das ich in Zukunft noch öfter hören würde, zum Beispiel wenn ich beim Nähen mal wieder einen Luftknoten gebunden hatte: ein hochfrequentes, abfälliges Kichern. Wie im fünften Film von Harry Potter das abfällige Quieken von Dolores Umbridge. Dieses Miststück, diese Saftschubse der Medizin...

Für den Rest des Tages bin ich bis zum Rande gefüllt mit Wut, gehe nachmittags nach Hause, rauche seit langem wieder eine Zigarette und dann noch eine und kann selbst abends kaum einschlafen, weil ich immer noch so sauer bin.

Tut mir Leid, dass dieser Eintrag wieder etwas negativ geraten ist, aber das war ein Tag, den ich tatsächlich so erlebt habe und mir einmal von der Seele schreiben wollte. Ich erhebe keinen Anspruch auf Objektivität. Wer sich angegriffen fühlt, ist offenbar genauso ein empfindliches Pflänzchen wie ich.

 

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