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  • Torben Brückner
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  • 30.06.2015

Leitsymptom Abdomenschmerz

Bauchschmerzen können viele verschiedene Ursachen haben. Torben hat ein paar praktische Tipps wie du herausfindest, ob der Blinddarm drückt oder der Patient nur zu viel gegessen hat.

 

Bauchschmerzen - Foto: photophonie – Fotolia.com

Bauchschmerzen können viele Ursachen haben - Foto: photophonie – Fotolia.com

 

Du hast deinen ersten Dienst in der Notaufnahme oder auf Station vor dir? Allein der Gedanken daran bereitet dir Bauchschmerzen oder zumindest ein flaues Gefühl im Magen? Dann bist du schon mittendrin, eine der wichtigsten Dinge für Dienste und Notfälle zu lernen: höre auf deinen Bauch!


Unklares Abdomen


Erstmal sind alle Patienten mit Bauchschmerzen „internistisch“, d.h. sie leiden oftmals unter einem „unklaren Abdomen“ (das „akute Abdomen“ hingegen ist sehr genau definiert und ein absoluter Notfall). Leider ist deine Zeit begrenzt und du kannst nicht bei jedem Patienten mit Bauchschmerzen ein CT fahren, von der Strahlenbelastung einmal abgesehen. Was kannst du also tun?


Natürlich ist es die geliebte Anatomie, die uns weiterhilft. Ein lokalisierter Bauchschmerz führt – nicht immer (!) – zu ersten Differentialdiagnosen und womöglich betroffene Organe. So darf man bei Schmerzen im rechten Oberbauch eher an eine Gallenkolik als an eine Divertikulitis denken. 

Doch Vorsicht, Schmerzen können andernorts beginnen oder plötzlich verschwinden, wie etwa in der gefährlichsten Phase bei der Appendizitis. Und immer sollte man auch um den Bauch herum denken – Oberbauchschmerz mit Übelkeit kann etwa ein Infarkt der Herzhinterwand bedeuten. Genauso sollte man beim Unterbauchschmerz an Genitalorgane und Extremitäten denken – tiefe Beinvenenthrombosen und Oberschenkelhalsbrüche bei älteren, sich nicht mehr mittteilungsfähigen Patienten sind gar nicht so selten. Manchmal kann der eigentliche Schmerzgrund erst Tage später offensichtlich werden, wenn beispielsweise die Hautbläschen des Herpes Zoster sichtbar werden.


Gerade bei Schmerzlokalisationen und -ursachen muss man an die Nerven direkt denken. Dermatome, also bestimmten Nervenwurzeln zugeordnete Hautareale, können schmerzen, ohne dass die inneren Organe betroffen sind. Hingegen gibt es aber auch bei Schmerzen der inneren Organe Verschaltungen über die Nerven an andere Orte, sogenannte Head-Zonen.


Schmerzarten


Zuletzt – die Grundlagen betreffend – muss man noch an die Schmerzart denken und gezielt den Patienten danach fragen. So wird bei Bauchschmerzen nach viszeralem und parietalem Schmerz unterschieden. Der viszerale ist eher dumpf- oder kolikartig, nicht genau lokalisierbar. Er entsteht beispielsweise durch Dehnung der inneren Organe, wie beispielsweise durch einen Stein in den Gallenwegen oder Harnleitern. Hingegen ist der parietale Schmerz gut lokalisierbar und entsteht bei Reizung des Peritoneum parietale, beispielsweise bei Entzündungsprozessen. Es gibt aber auch Mischbilder, so kann ein Ileus zu Beginn eher viszerale Schmerzen zeigen, im Verlauf dann parietale.


Nie vergessen solltest du im Rahmen des bio-psychosozialen Modells die Ganzheit des Menschen – also nicht nur den körperlichen Schmerz, sondern auch den seelischen oder sozialen Schmerz beachten: Arbeit, Stress, Kummer – nicht umsonst heißt es: Liebe geht durch den Magen ;-)


Aber nun genug von den Grundlagen. Was mache ich denn nun freitagabends in der Notaufnahme mit meinen Patienten, die mit ihren Bauchschmerzen vor mir liegen?
Schmerzmittel geben! Klar, natürlich solltest du vorher versuchen, den Bauch klinisch zu untersuchen. Eine Anamnese kann man meist jedoch besser erheben, wenn die Schmerzen dank Medikamenten nachgelassen haben.


Die Anamnese


Die Anamnese umfasst das Auftreten der Symptomatik, Art, Dauer, Lokalisation und „schon vorher mal gehabt“? Medikamentenanamnese, Nahrungsaufnahme, Übelkeit, Erbrechen, Stuhlverhalten, Harnverhalt? Vor-Ops? Schwangerschaft? Letzte Regelblutung? Und und und.

 

Was kommt dann?


Da liegt er nun, der Bauch, direkt vor uns. Also los geht’s. Möglichst den Patienten von Oberteil und Hose entkleiden (die Unterwäsche kann man dann bei Bedarf anheben), um nach Schwellungen oder Hauterscheinungen zu gucken – eine Bettdecke nicht vergessen!
Du siehst dir die Haut an, guckst nach Narben von Vor-OPs – Patienten sind vergesslich. Leider kann Narbengucken heutzutage nicht mehr ganz so erfolgreich sein, dank der minimalinvasiven Chirurgie. Du schaust dir die Bauchform an: Ist der Bauch ein prall gefülltes Abdomen wie bei Aszites, oder ist er prall gefüllt durch reichhaltige Ernährung? Ja, musste ich nicht selten feststellen.


Dann benutzt du dein Stethoskop – am Abdomen wird die Auskultation der Perkussion und Palpation vorangestellt. Hör dir in mindestens vier Quadranten die Darmgeräusche in Ruhe an – gern eine Handvoll Minuten, um einen Ileus herauszufischen. Du versuchst Stenosegeräusche über Aorta oder den Beckengefäßen zu hören. Beim Auskultieren kannst du auch schon etwas in die Tiefe drücken und damit schon mal beginnend palpieren.
Hast du kein Sonogerät zur Hand, kannst du dann auch noch den Leberrand „auskratzen“ – oder eben perkutieren.


Ebenso voran kommst du mit der Perkussion – wobei am wichtigsten doch die Palpation ist. Viele klopfen auch erstmal generell mehrmals wie mit dem Perkussionsfinger über die gesamte Bauchdecke als Peritonitiszeichen. Bei der Palpation solltest du aber nicht gleich so fest drücken, dass dir der Patient an die Decke springt. Ich frage gern erstmal, wo es wehtut und erkläre dem Patienten, dass ich zuerst woanders drücke und mich dann herantaste. Gerne macht man es auch so, dass man die Fingerspitzen der einen Hand dazu verwendet, die andere Hand in die Tiefe zu drücken.


Sehr hilfreich ist es, den Patienten abzulenken. Am besten man verwickelt ihn in ein Anamnesegespräch und drückt dann währenddessen. Einerseits spannt der Patient dabei nicht zu sehr die Bauchmuskeln an und andererseits kann man so manchen „gespielten“ Schmerz enttarnen.


Der Chirurg


Lieblingsfrage des Chirurgen – wenn wir uns denn dann zu einem Konsil durchgerungen haben: „Ist der Bauch weich?“ Aber was heißt das eigentlich: weich? Für Chuck Norris ist alles weich, für den Famulanten ist alles hart und für Internisten ist es irgendwie dazwischen.


In der Tat, Patienten spannen bei der Untersuchung gern ihre Bauchmuskulatur an, deshalb immer obige Ablenkung anwenden. Ist es wirklich ein „harter Bauch“ – da kannst du dich fast schon draufsetzen – wirst du ihn erkennen. Zudem geht es dem Patienten dabei oft auch nicht mehr gut – das merkst du dann auch ziemlich schnell. Mein Geheimtipp bei komisch aussehenden oder zu tastenden Bäuchen: Frag den Patienten selbst. „Sieht Ihr Bauch anders aus als sonst?“ Ich lasse sie sogar selbst draufdrücken und frage, ob es sich anders anfühlt als gewohnt. Oftmals ist der Bauch nämlich so wie immer.


Die rektale Untersuchung


Zweitlieblingsfrage des Chirurgen: „Hast du schon rektal untersucht?“ Meine Lieblingsantwort: „Natürlich nicht, das möchte ich dem Experten überlassen …“ In der Tat, diese Untersuchung ist wichtiger als man denkt. So muss man bei Ileus/Obstipation mit der Frage Stuhlgang in der Ampulle tasten. Zudem lässt sich vielleicht ein Tumor fühlen. Nie vergessen sollte man den durch diese Untersuchung auslösbaren Schmerz bei Appendizitisverdacht.


Weitere Diagnostik


Nun haben wir es also getan – der Chirurg ist involviert. Jetzt müssen wir nur noch einen guten Grund finden, weshalb du ihn um diese Uhrzeit von seinem Stammplatz in der Notaufnahmeküche vor dem Fernseher und seiner Pizza weggeholt hast.
Idealerweise hast du schon dein Sonogerät verwendet und einen groben Überblick gewonnen – d.h. ein Blick auf die Gallenblase und möglichst die Gänge. Liegt eine Nierenbeckenerweiterung, ein Aortenaneurysma oder nur eine pralle Harnblase vor? Das alles ist meist auch für den Anfänger sichtbar.
Vielleicht sehen die Darmschlingen auch total geweitet aus. Jedenfalls hilft es enorm, mal den Schall genau dort drauf zu halten, wo es weh tut.


Und natürlich hast du schon dein Labor parat, Urinstix zudem. Sehr rasch bekommst du viele bauchentscheidende Parameter dank einer venösen Blutgasanalyse – in vielen Krankenhäusern schnell in der Notaufnahme oder der nahen Intensiv machbar – und wohlgemerkt venös vollkommen ausreichend: Hämoglobin, Elektrolyte, pH und Laktat. Ist da alles in Ordnung, kann man schon mal etwas entspannter an die Sache rangehen. Ferner helfen einem Werte für das Allgemeinlabor wie: Blutbild, CRP, Troponin (bei V.a. kardiale Genese, zudem immer auch ein EKG), Blutzucker, Kreatinin (Niere), Lipase (Pankreatitis), Leberwerte/Transaminasen/Gallengangswerte.


Der von den Chirurgen gern gemachte Röntgen-Abdomen hilft nur bei zwei Fragestellungen weiter: Freie Luft oder Ileus. Aber am Ende wollen die Chirurgen doch ein CT – und wer darf das organisieren – natürlich du.

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