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  • 15.03.2013

Teil 1: Anamnese mit Beigeschmack

Schon im ersten Semester fieberte Medizinstudentin Carolin der Klinik entgegen. Nun ist es endlich soweit. Ihre erste Famulatur! Bestens gewappnet macht sie sich an eine Anamnese - die dann aber ganz anders verläuft, als erwartet.

Mit der MDRD-Formel kann man anhand des Serum-Kreatinins die Glomuläre Filtrationsrate eines Patienten errechnen. Ein MRT zerlegt den Menschen in kleinste anatomische Scheiben und der HER-2-neu-Status ist beim Mamma-Ca richtungsweisend für die Therapie. Diagnostische Verfahren, molekulare Analysen, trickreiche Rechenmanöver und unzählige Laborparameter bilden die Grundlage der kurativen Medizin.

Hinzu addiert sich die Evidenz. Studien, odds ratio, bedingte Wahrscheinlichkeiten und Leitlinien sind das schlussendliche Zünglein an der therapeutisch-diagnostischen Waage des Arztes. So jedenfalls hat mich mein Medizinstudium geprägt. Derart gerüstet, die Kitteltaschen prall gefüllt mit Checklisten und das I-Phone bestückt mit den neuesten medizinischen Apps startete ich in meine Famulatur auf einer herzchirurgischen Station und freute mich darauf, nun endlich mit der Theorie jonglieren zu können und spitzfindige Diagnosen à la Dr. House zusammen zu puzzlen. Mein erster Tag führte mich in die Patientenaufnahme.

Vor mir saß eine ältere, wohlgenährte Dame, die mich wohlwollend anlächelte und freundlich meine Fragen beantwortete. Den Unterlagen entnahm ich, dass sie einen ACVB und einen AKE erhalten sollte. Und schon war es soweit. Diese Rätsel galt es zu klären. Ich zückte mein schickes I-Phone und fand schnell heraus, dass sie zur OP eines aorto-koronaren Bypasses und eines Aortenklappenersatzes in die Klinik gekommen war. Ah ja, und der Bypass kann auf unterschiedlichen Wegen, an unterschiedlichen Stellen mit unterschiedlichen Gefäßen durchgeführt werden. Natürlich mit unterschiedlichem Outcome. Und auch das Schlagwort Aortenklappenersatz eröffnete mir eine Universum an Informationen.

Ich fühlte mich auf der Überholspur in meine medizinische Zukunft. Dann wandte ich mich wieder meiner Patientin zu, lauschte auf ihre Herztöne und ließ mir von ihrer Luftnot berichten. Meine Frage ob sie erhöhte Blutwerte wie Zucker oder Cholesterin habe, verneinte sie leicht empört und ich notierte die Information auf meinem Zettel, den ich später auf den hauseigenen Anamnesebogen übertragen wollte. Nach ungefähr 45 Minuten glaubte ich, alle Information beisammen zu haben und beendete die Aufnahme. Gegen Mittag traf ich auf die Stationsärztin. "Setzen wir uns kurz zusammen und du erzählst mir von den Aufnahmen", schlug sie vor.

Ich entschied mich für die sogenannte Oberarzt-Vorstellung. Also kurz und knapp: "78 jährige Patienten, ohne Risikofaktoren...." da sah ich wie die Stationsärztin mich mit hochgezogenen Augenbrauen und entsetztem Gesicht anschaute. "Wieso keine Risikofaktoren," hakte sie sofort nach und ich erfuhr, dass die Patientin seit Jahren an einem metabolischen Syndrom mit Hyperlipidämie, Hypercholesterinämie, arteriellem Hypertonus und Diabetes mellitus Typ II leidet. Ich staunte nicht schlecht über diese Information und sofort wurde mir klar, wo sich diese Falltür aufgetan hatte.

Die Patientin hatte keine erhöhten Laborparameter, weil sie einfach medikamentös gut eingestellt war und ich hatte daraus den falschen Schluss gezogen. Kleinlaut gab ich diesen Fehler zu und zog noch einmal über die Station, um meine Aufnahmen den Tages über ihre Medikationen zu befragen. Na ja, Überholspuren sehen wohl anders aus, doch wenigstens war es keine Sackgasse, in die ich da geraten war.

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