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  • Beyza Saritas
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  • 30.03.2022

4096 Shades of Grey: Famulatur in der (Neuro-)Radiologie

Wie sieht der Arbeitsalltag in der Radiologie aus? Beyza hat in der Neuro-Radiologie famuliert und erzählt, was sie erlebt hat.

 

Wenn man an Radiologie denkt, denkt man vermutlich an schwarz-weiße Bildchen, ein dunkles Kämmerlein und an Ärztinnen und Ärzte, die an chronischem Vitamin-D-Mangel leiden. Letzteres mag zwar irgendwo stimmen, aber während meiner Famulatur in der Radiologie konnte ich miterleben, dass Radiologie mehr ist, als Bilder anzuschauen und zu befunden. Eigentlich hatte ich den Fachbereich der Radiologie für eine Famulatur nie richtig im Auge, aber ein radiologisches Wahlfach und ein Praxisblock im Rahmen meines Studiums hatten mich so von dem Fach überzeugt, dass ich mir vornahm, der Radiologie eine Chance zu geben.

Meine Famulatur in der Radiologie war ganz anders als meine bisherigen Famulaturen in der Unfallchirurgie, Kardiologie, Gynäkologie und Pädiatrie. Dies liegt unter anderem daran, dass hier sehr viel Diagnostik betrieben wird, und man den Ärztinnen und Ärzten als Famulant schlecht Aufgaben abnehmen kann. Manchmal fühlte ich mich deswegen – besonders am Anfang – fehl am Platz. Da sich die Neuroradiologie und Allgemeinradiologie in dem Haus, in dem ich famuliert habe, die Gerätschaften teilen, konnte ich in Absprache mit beiden Chefärzten glücklicherweise einen Einblick in beide Bereiche erhaschen.

Vorab sei gesagt: Wer viel Action erleben und praktisch arbeiten möchte, für den ist eine Famulatur in der Radiologie eher nichts. Selten kommt man dazu, hier als Medizinstudierender praktisch an den Patientinnen und Patienten tätig zu werden. Was das Viggo-Legen angeht, habe ich meine Fähigkeiten aber mittlerweile perfektionieren können, denn die meisten Patientinnen und Patienten kommen an einer Kontrastmittelgabe nicht vorbei. Zu Beginn meiner Famulatur habe ich den Ärztinnen und Ärzten bei den Untersuchungen also eher über die Schulter geschaut. Während Begriffe wie T1 und T2 mir noch geläufig waren, wusste ich bei FLAIR- oder STIR-Sequenzen schon gar nicht mehr genau, womit ich es gerade zu tun hatte.

Was mich von der Radiologie bisher immer abgeschreckt hat, war die Tatsache, dass ich glaubte, hier kaum Patientenkontakt zu haben. Nur in einem dunklen Kämmerlein sitzen und mir Bilder von Untersuchungen anzugucken, war nicht das, was unter mein Verständnis von Medizin fiel. Letztlich muss ich sagen, dass ich mich mit dieser Annahme geirrt habe. Patientenkontakt gibt es während den Untersuchungen im Röntgen, CT und MRT zwar zu genüge, aber oftmals sind es nur Momentaufnahmen, die man hier von den Patientinnen und Patienten mitbekommt. Im Vergleich hierzu hat man als Stationsarzt natürlich ein ganz anderes, differenzierteres Bild von seinen Patientinnen und Patienten.

Doch wie läuft ein Tag als Famulant in der Radiologie eigentlich ab? Mein Arbeitstag begann um 07:30 Uhr mit einer Fallbesprechung der unfall- und allgemeinchirurgischen Befunde. Konkret bedeutet dies, dass sich die Unfall- und Allgemeinchirurgen alle in einem Demo-Raum versammeln und ein radiologischer Fach- oder Oberarzt die Röntgen-, CT- oder MRT-Bilder der Untersuchungen, die einen Tag zuvor durchgeführt wurden, inklusive der Befunde vorstellt. Zwar habe ich die dort vorgestellten Patientinnen und Patienten meistens nur kurz während der Untersuchungen gesehen, nichtsdestotrotz konnte ich mir auf diese Weise bereits am Morgen eine Vielzahl verschiedener Bilder anschauen. Patientinnen und Patienten, deren Bilder ich interessant fand, oder wo ich bei der Besprechung nicht mitkam, habe ich mir meist namentlich notiert und später erneut mit einem Arzt/ einer Ärztin angeschaut. Im Laufe des Tages gab es auch Fallbesprechungen für die Internisten und Gefäßchirurgen, bei denen ich auf Wunsch auch teilnehmen durfte.

Nach der chirurgischen Fallbesprechung ging es für mich direkt weiter mit der neuroradiologischen Fallbesprechung. Hier haben sich die Neuroradiologen und Neuroradiologinnen im Demo-Raum versammelt und sind alle CT- und MRT-Bilder des vorangegangen Tages durchgegangen, haben über die Befunde diskutiert und das therapeutische Vorgehen beurteilt. In diesem Rahmen durfte ich auch immer einige Patientinnen und Patienten des Vortages vorstellen. Dies hat mir insbesondere dabei geholfen, mich hinsichtlich des radiologischen Fachjargons richtig auszudrücken – medizinisch richtig zu beschreiben, was man sieht, ist nämlich schwieriger als gedacht.

So interessant ich die Besprechungen alle auch fand, von 07:30 Uhr an ca. 1,5-2 Stunden im dunklen, warmen und schlecht klimatisierten Demo-Raum zu sitzen, ohne dass mir ab und zu die Augen zugefallen sind, habe auch ich nicht geschafft. Bis zum Ende meiner Famulatur habe ich trotz ausreichend Schlaf und als Nicht-Kaffee-Trinkerin keine Lösung hierfür gefunden, bin aber zu dem Entschluss gekommen, dass es wohl eine Sache der Gewohnheit ist, hier die völlige Aufmerksamkeit beizubehalten.

Nach den (neuro-)radiologischen Fallbesprechungen bin ich am Vormittag oftmals ins CT gegangen und habe hier den Messzeiten der Allgemein- und Neuroradiologen beigewohnt. Nach Indikationsprüfung fanden hier viele Untersuchungen des Abdomens, des Schädels und der Wirbelsäule statt, die ab und an durch einen Schockraum- oder Intensivpatienten unterbrochen wurden. Hier konnte ich mir unmittelbar nach den Untersuchungen die angefertigten Bilder anschauen und hatte auch die Möglichkeit, diese zuerst alleine und dann zusammen mit einem Arzt zusammen zu befunden. Neben den standardmäßigen Untersuchungen habe ich auch CT-gesteuerte PRTs, Sympathikolysen und Punktionen von Lunge und Leber mitbegleiten dürfen. Am Nachmittag bin ich zumeist ins MRT gegangen und durfte hier die Untersuchungen begleiten, Viggos legen, Aufklärungen durchführen und gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten befunden. Ab und zu konnte ich im Rahmen von Thrombektomien (bei denen alles schnell gehen muss, denn „time is brain“) oder Behandlungen von Gefäßverschlüssen auch bei den Angiographien zuschauen.

Alles in allem bin ich, trotz des Überwiegens der Theorie gegenüber Praxis, froh, einen Einblick in dieses höchst wichtige und interdisziplinäre Fach gewonnen zu haben. Ich durfte lernen, dass Radiologie nicht nur schwarz-weiß ist, sondern eine Menge Graustufen zu bieten hat, wenn man genau hinschaut. Das menschliche Auge kann etwa 40-100 Graustufen unterscheiden und kommt damit kaum an die „4096 Shades of Grey“ heran, mit der Bilder in der Radiologie üblicherweise berechnet werden. Genauso wie das EKG gehört das Befunden von Röntgen, CT und MRT meiner Meinung nach zum medizinischen Handwerkszeug, und sollte von jedem Arzt und jeder Ärztin, egal welcher Fachrichtung, halbwegs sicher beherrscht werden. Mit einer Famulatur in der Radiologie kann man, auch wenn man kein Radiologe werden will, nichts falsch machen und sich Wissen aneignen, auf das man früher oder später in seiner medizinischen Laufbahn sicherlich zurückkommen wird.

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