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  • Dr. A. Winkel
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  • 21.11.2014

Prostatektomie mit Da Vinci-Roboter - Der Operateur im Nebenraum

Jedes Jahr erkranken in Deutschland zehntausende Männer am Karzinom der „Vorsteherdrüse“. Diesen Krebs zu operieren ist eine Herausforderung. Die Prostata ist ein kleines Organ – umgeben von feinen Strukturen, deren Verletzung äußerst unangenehme Folgen haben kann. Deswegen behelfen sich moderne Urologen gerne mit einem technischen Assistenten: dem „Da Vinci OP-Roboter“. Hier die Dokumentation einer solchen OP mit einer Bildergalerie dessen, was intraabdominal bei dem Eingriff passiert.

 

Schnitt durch den Beckenboden. Die Prostata ist das kastanienförmige Organ zwischen Peniswurzel und Blase. Foto: aus Prometheus, K. Wesker

 

Heinz F. (Name von der Redaktion geändert) ist angespannt. In wenigen Minuten beginnt seine OP. Die Urologen werden seine Vorsteherdrüse entfernen, weil in ihr ein bösartiger Tumor wächst. Das allein wäre ja schon aufregend genug. Doch am Vortag hat ihn der freundliche Urologe, der den Eingriff durchführen wird, darüber aufgeklärt, dass er sich dabei von einer Art „Operationsroboter“ unterstützen lassen wird. Der 53-jährige reagierte auf diese Ankündigung skeptisch. Kann das gut gehen, wenn da eine Maschine in seinem Unterleib „herumschnippelt“? Daraufhin erklärte ihm der Operateur geduldig, dass dieses Gerät sehr sicher sei und viele Vorteile habe: Zum Beispiel könne er genauer präparieren – was die Chance steigert, dass er postoperativ keine Erektionsprobleme haben wird. Davon ließ sich Heinz F. überzeugen – und er willigte in den Eingriff ein. Aber nervös ist er jetzt eben trotzdem …

 

Prostatakrebs: Zeitbombe in der Kastanie

Mit seinem Problem ist Heinz F. in guter Gesellschaft. Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor bei Männern. Jährlich wird bei über 63.000 Patienten die Diagnose Prostatakrebs gestellt. In Deutschland sterben knapp drei von hundert Männern an diesem Tumor. Damit ist er die dritthäufigste tödliche Krebserkrankung nach Lungen- und Darmkrebs. Betroffen sind vor allem ältere Männer. Die jährliche Prävalenz steigt zwischen dem 40. und 80. Lebensjahr um mehr als den Faktor 1.000 an. Im Mittel sind die Patienten bei Diagnosestellung 71 Jahre alt.

Eine gesunde Prostata hat in etwa die Form und Größe einer Kastanie und wird in ihrer Funktion vorwiegend vom Geschlechtshormon Testosteron gesteuert. Die Prostata produziert ein Sekret, das bei der Ejakulation in die Harnröhre abgegeben wird. Es macht etwa 30% der Spermamasse aus und sorgt dafür, dass die Spermien auf ihrer Reise zur Eizelle günstige Bedingungen haben. Die Tumoren bilden sich in der Regel im drüsenzellenreichen Randbereich der Prostata. 97% sind Adenokarzinome. Eine Heilung ist nur im lokal begrenzten Stadium möglich, also wenn noch keine Metastasen vorhanden sind. Deshalb können in Deutschland alle Männer ab 45 Jahren an einer Vorsorgeuntersuchung teilnehmen. Diese beinhaltet die digito-rektale Untersuchung (DRU) und die transrektale Ultraschall-Untersuchung (TRUS). Einen besonderen Stellenwert hat das prostataspezifische Antigen (PSA). Es wird nicht nur im Rahmen einer erweiterten Vorsorge, sondern auch als biologischer Therapiemarker bestimmt.
Wie viele Tumorsorten hat auch der Prostatakrebs die perfide Eigenschaft, dass er im frühen Stadium wenig oder keine Symptome macht. Manchmal fällt er auf, wenn das wachsende Karzinom auf die Harnröhre drückt. Viele Männer werden aber erst durch Symptome, die die Metastasen verursachen, aufmerksam. Vorwiegend streut der Prostatakrebs ossär in das Becken, die Wirbelsäule, das Femur und in die Rippen. So berichten die Patienten hauptsächlich von Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule oder des Beckens. Selten lösen große Lymphknotenmetastasen die ersten Beschwerden aus. Allgemeine Symptome, wie Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit oder Anämie entstehen in der Regel erst, wenn eine sehr fortgeschrittene Metastasierung, zum Beispiel in die Leber, vorliegt.

Diagnostik: palpieren und sonografieren

Auch Heinz F. hatte keine Beschwerden. Trotzdem war der 53-jährige kürzlich zum ersten Mal zur Vorsorge gegangen. Der niedergelassene Urologe hatte die fachspezifische Anamnese erhoben, die Prostata digito-rektal palpiert und per Ultraschall untersucht. Dafür führte er den Schallkopf rektal ein und durchmusterte die Drüse auf echoreiche oder -arme Bezirke. Schon Tumoren ab 10 mm Größe können mit dieser Methode zuverlässig gefunden werden. Außerdem ließ der Urologe auch noch den Spiegel für das Prostataspezifische Antigen (PSA) bestimmen. Der PSA-Wert ist ein spezifischer Marker der Prostata. Eine Erhöhung über 4 ng/ml sollte durch eine Biopsie weiter abgeklärt werden. Dabei muss eine Erhöhung aber nicht unbedingt auf einer Tumorerkrankung der Vorsteherdrüse beruhen. Auch bei Entzündungen (Prostatitis), nach einem Harnverhalt oder bei der benignen Prostatahyperplasie (BPH) kann der Wert ansteigen. Steckt tatsächlich ein Tumor dahinter, ist der PSA-Wert dann vor allem in der Tumornachsorge wichtig, denn je nachdem, ob er ansteigt oder niedrig bleibt, kann man sagen, ob das eingeschlagene Therapiekonzept anschlägt – oder ob etwas abgeändert werden muss.

 

Schritte nach Diagnose: Grading und Staging

Mit 5,86 ng/ml lag der PSA-Wert bei Heinz F. nur geringfügig über der Norm. Doch die anderen beiden Befunde waren hochgradig verdächtig: In der DRU hatte der Urologe eine derb-höckrige Vorwölbung der linken Prostata getastet. Im TRUS hatte er ein echoreiches, suspektes Areal festgestellt. Deswegen riet er dringend zu einer Biopsie des Prostatagewebes. Dabei werden üblicherweise zwölf Stanzbiopsien aus der Prostata entnommen und vom Pathologen aufbereitet (je sechs aus einem Prostatalappen). Das Ergebnis der Biopsie konnte bei diesen Vorbefunden nicht mehr wirklich überraschen: Der Pathologe beschrieb ein „Adenokarzinom, G2, Gleason-Score 3+3=6“ im linken Prostatalappen.

Das Grading (G) gibt die Bösartigkeit der Zelle an, also wie stark sich die Tumorzellen mikroskopisch von normalen Zellen unterschieden. Diese Skala reicht von G1 bis G4. Damit beschreibt G2 ein eher mäßig differenziertes Tumorgewebe. Der Gleason-Score ist ein speziell für Prostata-Karzinome entwickelter Parameter und besteht immer aus zwei Ziffern zwischen 1 (gut differenziert) und 5 (schlecht differenziert). Dabei beschreiben die erste Ziffer das Hauptwachstumsmuster und der zweite Wert das Nebenmuster. Der Gleason-Score ergibt sich aus der Addition beider Werte und ist neben der Tumorgröße, der Organüberschreitung und dem Lymphknotenstatus ein wichtiger Prognosefaktor und fließt entscheidend in die Festlegung eines Therapiekonzeptes mit ein. Ist ein Prostatakarzinom diagnostiziert, müssen – abhängig vom PSA-Wert und vom Gleason-Score – einige Staginguntersuchungen durchgeführt werden, wie eine CT des Abdomens und eine Knochenszintigraphie.

 

Therapie: Schneiden? „Zuwarten“?

Die Therapie des Prostatakarzinoms ist sehr komplex und orientiert sich am konkreten Fall. Die Behandlung kann sowohl aus einer Operation, einer Strahlentherapie oder einer hormonellen Therapie (Unterdrückung der Androgenproduktion) bestehen. Auch abwarten gilt unter bestimmten Voraussetzungen als Therapiekonzept.

Bei Herrn F. wurde ein nicht metastasiertes, lokal begrenztes, mäßig differenziertes Prostatakarzinom festgestellt. Die Standardbehandlung in diesem Stadium und bei einem urologisch jungen und ansonsten gesunden Patienten ist die komplette Prostataentfernung (radikale Prostatektomie). Diese OP wurde früher offen chirurgisch durchgeführt. Heutzutage wird laparoskopisch operiert – idealerweise computerassistiert. Im Volksmund wird diese Art der Operationsassistenz auch oft als „Operationsroboter“ bezeichnet. Diese Titulierung führt aber in die Irre, denn da ist keineswegs eine Maschine im Einsatz, der selbstständige Entscheidungen trifft. Der Operateur hat jederzeit die volle Kontrolle über das computerunterstützte System, das nur bedient werden kann, wenn eine Lichtschranke im Bereich des Sichtfeldes des Operateurs durchbrochen wird. Anders übt der Roboter keine Aktion aus. Die Vorteile des roboterassistierten Operierens sind der geringe Blutverlust, die Reduzierung der Schmerzen und die höhere Chance auf Bewahrung der Kontinenz und der Erektionsfähigkeit. Dabei sind es vor allem zwei Hauptmerkmale des Systems, die das ermöglichen: Bewegungen, die der Operateur ausführt werden in ihrem Ausmaß herunterskaliert. Dadurch können zitterfrei sehr feine Aktionen ausgeführt werden. Zudem sind die Instrumente, die zum Einsatz kommen, extrem beweglich. Sie haben mehr Freiheitsgrade als die menschliche Hand.

Operieren wie Da Vinci: Setting und Gerät

Herr F. wird in den OP-Saal geschoben. Dort wird er narkotisiert und anschließend für die OP in Kopftieflage mit gespreizten Beinen gelagert . Nach Legen eines transurethralen Blasenkatheters erfolgt der erste Schnitt. Über fünf kleine Schnitte, die in bestimmten Abständen um den Bauchnabel herum angeordnet werden, werden die sogenannten Trokare, die Zugangswege für die Arbeitsarme, in den Bauch des Patienten eingebracht. Hierüber erfolgt auch die CO2-Insufflation. Nun wird das Arbeitsmodul (Robotersystem) an den Patienten herangebracht und an die Trokare angedockt. Jetzt macht sich der Operateur unsteril und wechselt an die Bedienkonsole und nur der Assistent und der OP-Pfleger verbleiben steril am OP-Tisch.

OP: Feinarbeit zwischen Beckenboden und Blase

Zu Beginn der Operation wird zunächst der Bauchraum nach Verklebungen untersucht und eine Adhäsiolyse, sofern notwendig, durchgeführt. Danach wird das vordere Bauchfell von der Bauchwand abgelöst, um einen Zugangsweg ins kleine Becken zu präparieren.

Ist die Anastomose zwischen Harnröhre und Blase genäht, wird noch während der Operation überprüft, ob sie auch dicht ist. Dafür wird über den Dauerkatheter Wasser in die Blase instilliert und die Nahtstelle beobachtet. Ist die Anastomose zufrieden stellend, wird nun langsam die Menge des CO2 im Bauchraum reduziert. Das Arbeitsmodul wird vom Patienten abgekoppelt. Der Operateur wäscht sich erneut steril ein und birgt zusammen mit dem Assistenten den Bergebeutel. Danach erfolgt der Verschluss des Peritoneums, des subkutanen Fettgewebes und der Haut.

Ausblick: Funktionen erhalten, Prognose optimistisch

Die Risiken der OP sind in erster Linie die Belastungsinkontinenz (Häufigkeit ca. 3–5%). Zudem haben manche Patienten eine erektile Dysfunktion durch Verletzung der Nervi cavernosi. Bei einer Lymphadenektomie entstehen in 5–20% der Fälle Lymphozelen, also Ansammlungen von Lymphflüssigkeit. Verletzungen des Rektums sind sehr selten, weil die Abpräparation stets unter Sicht erfolgt. Eine lästige Spätfolge sind Verengungen der Verbindungsstelle (Anastomose), die bei bis zu 5% der Patienten auftreten. Wird bei der OP der Tumor vollständig entfernt und liegen auch keine Lymphknotenmetastasen vor, ist eine vollständige Heilung vom Prostatakrebs möglich und die Prognose gut. Das Langzeitüberleben liegt in dieser Konstellation bei 80–90%.

Bei Herrn F. verlief die Operation komplikationslos. Der Eingriff dauerte weniger als drei Stunden. Danach konnte der Patient direkt auf Normalstation verlegt werden. Mit Hilfe einer Röntgenuntersuchung (Cystogramm) am sechsten postoperativen Tag ließ sich eine Nahtinsuffizienz zwischen Harnröhre und Blase ausschließen. Daraufhin wurde der Dauerkatheter entfernt. Schon am nächsten Tag berichtet Heinz-Hermann F. das er fast vollständig kontinent sei. Nur beim Nießen würde er noch tröpfchenweise Urin verlieren. Bei einer Anschlussheilbehandlung lernte er Übungen, mit denen er seiner Kontinenz weiter steigern konnte. Leider litt Herr F. zunächst trotz einseitigem Nervenerhalt unter einer nur schwachen Erektion. Dies konnte mit Hilfe von Medikamenten aber ausgeglichen werden konnte, so dass Geschlechtsverkehr bereits einige Woche nach OP wieder möglich - und Herr F. sehr zufrieden - war.

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