- Interview
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- Hanna Hohenthal
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- 08.09.2014
„In der Therapie kindlicher Hirntumoren besteht ein enormer Verbesserungsbedarf“
Dr. Dominik Sturm, Arzt am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg und Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum, versucht mit seiner Forschung, die Biologie hochgradiger Gliome und Medulloblastome zu verstehen und daraus Therapieansätze zu entwickeln. Im Interview erzählt er, wie er zu diesem Forschungsthema kam und was ihn an der Forschung fasziniert.
Dr. Dominik Sturm
>Dr. Sturm, Ihre Dissertation wurde mit drei Forschungspreisen ausgezeichnet [1], Sie sind Wissenschaftler an einer der renommiertesten Einrichtungen Deutschlands, dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) sowie Arzt am Universitätsklinikum Heidelberg. Und das mit 31 – es scheint, als hätten Sie Ihren Traumberuf gefunden. Verraten Sie uns, wie Sie zum Medizinstudium gekommen sind?
Als ich mein Abitur abgeschlossen hatte, wusste ich im Gegensatz zu vielen meiner Mitschüler ehrlich gesagt noch nicht so genau, wohin die Reise gehen sollte. Es kam mir gerade recht, dass ich mir während meines Zivildienstes noch ein paar Gedanken dazu machen konnte. Die Zivi-Zeit in einer neurologischen Rehabilitationsklinik hat sicherlich zu meiner Entscheidung beigetragen Medizin zu studieren. Aber hundertprozentig sicher war ich mir selbst zum Zeitpunkt des Studienbeginns noch nicht. In der Oberstufe des Gymnasiums hatte ich nicht mal allzu großes Interesse an den naturwissenschaftlichen Fächern. Glücklicherweise hat sich im Laufe der Semester herausgestellt, dass es genau das ist, was ich machen möchte.
>Sie haben in Ihrer Dissertation über Glioblastome und Medulloblastome bei Kindern und Jugendlichen ein Enzym entdeckt, das möglicherweise Tumorzellen schützt. Daraus könnten sich neue Therapieansätze ergeben. Wie geht es jetzt mit dieser Entdeckung weiter?
Die Arbeiten an dem besagten Enzym und insbesondere dessen pharmakologischer Hemmung im Medulloblastom sind nach wie vor Gegenstand unserer Forschung. Leider stehen wir noch am Anfang, was eine mögliche Translation dieser Ergebnisse in die klinische Anwendung angeht. Wir testen aktuell im Zellkulturmodell und hoffentlich bald im Tiermodell verschiedene spezifische Inhibitoren auf deren antitumorale Wirksamkeit. Leider gibt es immer wieder Phasen, in denen sich die Arbeit verzögert. Frustrierend, aber wir hoffen, in naher Zukunft neue Ergebnisse und darauf basierende zielgerichtete Therapieansätze präsentieren zu können.
>Was hat Ihr Interesse an diesem Forschungsthema geweckt und was fasziniert Sie daran?
Wie so häufig im Leben war es ein glücklicher Zufall, der mich zu diesem Themengebiet gebracht hat. Ich hatte etwa nach der Hälfte meines Studiums die Absicht, nach dem Staatsexamen irgendwas mit Neurologie zu machen. Mich hat das menschliche Nervensystem damals sehr interessiert. Als ich noch in Freiburg studiert habe, traf ich zufällig auf einen Kommilitonen, der mir sehr begeistert von der Arbeit zur Molekulargenetik kindlicher Hirntumoren am DKFZ erzählte. In meiner Annahme, es handele sich dabei aufgrund der Lokalisation ja auch um Krankheitsbilder mit neurologischem Hintergrund, zog ich nach Heidelberg und begann eine Promotionsarbeit zu eben diesem Thema. Seitdem bin ich fasziniert von diesen Tumoren, auch wenn die Schnittstelle zur Neurologie deutlich kleiner ist, als erwartet. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen unserer Arbeitsgruppe am DKFZ und der Kinderklinik Heidelberg kam dann der Kontakt zur Pädiatrie zustande. Irgendwann stand es für mich außer Frage, dass ich diese Forschungsrichtung beibehalten und mit meiner klinischen Ausbildung verbinden möchte. Mich reizt, dass verglichen mit anderen Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter, wie z.B. den Leukämien, noch ein enormer Verbesserungsbedarf in der Therapie kindlicher Hirntumoren besteht. Für einige besonders bösartige Formen besteht nach wie vor kaum eine Chance auf Heilung. Patienten, die ihre Erkrankung überleben, leiden langfristig an schwerwiegenden Nebenwirkungen der intensiven Therapie. Mangelnde Forschungsarbeit auf diesem Gebiet in der Vergangenheit könnte dabei eine Rolle spielen. Seit einigen Jahren befinden wir uns jetzt in einer extrem spannenden Phase. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir viele grundlegende, neue Einblicke in die Biologie dieser Tumoren gewinnen. Diese Zeit mitzuerleben ist für mich enorm motivierend. Der Kommilitone, der mir vor sechs Jahren von diesen Tumoren erzählt hat, ist inzwischen übrigens einer meiner besten Freunde und nebenbei ein großartiger Forscher – von ihm habe ich viel gelernt.
>Wie haben Sie das Projekt Doktorarbeit erlebt?
Zurückblickend war es eine wunderbare Zeit, auch wenn ich das währenddessen nicht immer so wahrgenommen habe. Nach den vielen Semestern Studium war es für mich eine schöne Abwechslung, einige Zeit eigenverantwortlich arbeiten zu können. Meine Zeit frei einteilen. Welche Ergebnisse will ich weiterverfolgen? An welcher Stelle muss ich einen neuen Ansatz wählen? Dabei blieb mir meistens genug Raum für Freizeit und Freunde. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass man selbst für das Vorankommen in der Doktorarbeit verantwortlich ist. Wenn man viel Zeit und Arbeit investiert, kommt man meist auch zu verwertbaren Resultaten. Und wenn man weniger im Labor ist – Gründe dafür gibt es immer wieder – merkt man das auch ziemlich schnell an ausbleibenden Fortschritten. Zu meinem Betreuer hatte und habe ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Das habe ich immer als großes Glück empfunden. Als ich ganztags im Labor war, war er Vollzeit in der Klinik, so dass wir uns meistens abends noch im Labor getroffen haben. Es kam auch mal vor, dass wir uns einige Zeit nicht gesehen haben und nur über E-Mail Kontakt hatten. Das hat ebenfalls sehr gut funktioniert. Auf Anfragen hatte ich immer innerhalb kürzester Zeit eine Antwort und ich empfand seine Betreuung durchgehend als angenehm und hilfreich. Beim Zusammenschreiben meiner Arbeit hätte er mir vielleicht ein bisschen mehr in den Hintern treten können, aber letztendlich hab ich’s ja dann doch irgendwann hinbekommen.
>Hatten Sie auch Durststrecken während der Doktorarbeit?
Durststrecken gibt es immer, in jeder Doktorarbeit. Man kann da ganz unterschiedlich mit umgehen. Entweder mehr und härter weiterarbeiten in der Hoffnung, über gesteigerten Fleiß zum Ziel zu gelangen. Oder sich mal eine Auszeit nehmen und ein bisschen Bier trinken, das soll ja bei Durststrecken helfen. Ich hab beides mehrfach ausprobiert, mit unterschiedlichen Resultaten.
>Was raten Sie jungen Medizinstudenten für die Doktorarbeit?
Bevor man die Arbeit an einer Promotion angeht, sollte man sich im Klaren sein, was man sich davon verspricht. Ich würde jedem von einer experimentellen Doktorarbeit abraten, der sich nicht vorstellen kann, später in der Forschung tätig zu sein. Dafür ist die Zeit zu kostbar. Wer sich für eine experimentelle Arbeit entscheidet, sollte ausreichend Zeit in die Suche investieren, um eine passende Arbeit zu finden. Mögliche Punkte aus einschlägigen Foren und Ratgebern sind Fragestellung, Dauer, Betreuung, Bezahlung und nicht zuletzt Autorenschaften. Am Beispiel der Betreuung: Profitiere ich von wöchentlichen Treffen mit meinem Betreuer? Reicht es mir, mich unregelmäßig mit neuen Ergebnissen zu melden? Letzteres habe ich zum Beispiel als sehr angenehm empfunden. Man sollte versuchen, im Vorfeld möglichst viele dieser Themen mit dem zukünftigen Betreuer anzusprechen und womöglich auch ein paar Vereinbarungen treffen.
>Dafür gibt es inzwischen ja sogar sogenannte „Doktorandenverträge“, oder?
Zugegebenermaßen habe ich selbst ausnahmslos alle dieser Tipps missachtet. Ich habe nicht lange gesucht und kurzentschlossen und ohne große Überlegungen zugesagt. Auch schriftliche Absprachen gab es nicht. Ich hatte Glück – es hat sehr gut funktioniert.
>Sie haben nach Ihrer Approbation zwei Jahre als Wissenschaftler in der Abteilung pädiatrische Neuroonkologie am DKFZ in Heidelberg gearbeitet – was hat Sie daran gereizt?
Ausschlaggebend war ein Projekt, an dem ich bereits drei Jahre intensiv gearbeitet hatte und aus dem zum damaligen Zeitpunkt sehr vielversprechende Ergebnisse hervorgingen. Dieses Projekt parallel zum Klinikeinstieg weiter voranzutreiben und zeitnah abzuschließen, wäre sicherlich sehr schwierig geworden. Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, nochmal zwei Jahre zu investieren, auch wenn ich in dieser Zeit viel theoretisches Wissen wieder verloren habe. Das hat den Einstieg in die Klinik nicht leichter gemacht. In den ersten Tagen und Wochen hatte ich das Gefühl, jeder Famulant auf unserer Station weiß mehr als ich. Das hat sich aber mit der Zeit gegeben und jetzt bin ich froh über den Patientenkontakt – der ja auch der Grund war, aus dem Labor in die Klinik zu gehen. Die tägliche Arbeit mit den Kindern macht wirklich großen Spaß.
>Wie schätzen Sie die Vereinbarkeit von Forschung und Patientenversorgung als Arzt in Deutschland ein?
Prinzipiell halte ich den Forschungsstandpunkt Deutschland für diese Kombination gut geeignet. An den meisten Universitäten gibt es vielfältige Unterstützung für motivierte Ärzte mit Forschungsambitionen, die zum Teil bereits während des Studiums ansetzen. Mittel und Wege, sich als Arzt in der Forschung zu engagieren, gibt es eigentlich immer. Am Ende des Tages läuft es allerdings darauf hinaus, dass es zeitlich sehr schwierig ist, beides auf hohem Niveau aufrecht zu erhalten. Aktuell zum Beispiel beschränkt sich meine Forschungszeit auf Abende, Wochenenden und Urlaub. Vor allem wenn in der Klinik viel los ist, ist es so nur eingeschränkt möglich, dauerhaft am Ball zu bleiben.
>Wenn ein Kind an einem Hirntumor erkrankt, ist das für die betroffene Familie nicht einfach. Wie gehen Sie mit den Schicksalen der Kinder und Eltern um?
Wir erleben immer wieder erschütternde Schicksale von unseren Patienten und deren Familien. Wenn man wie ich noch keine eigenen Kinder hat, ist es sehr schwer vorstellbar, was so eine Erkrankung bedeutet und welche Folgen sie hat. Ich versuche, so gut es geht mitzufühlen und diese Empathie die Betroffenen auch spüren zu lassen. Auf der anderen Seite ist es mein Ziel, allen Patienten durch die bestmögliche Versorgung zu helfen. Manchmal hilft es, solche Situationen rational zu betrachten: wenn ich mich jetzt tagelang schlecht fühle, weil mir die Geschichte der Kinder besonders nahe geht, leidet darunter eventuell die optimale Betreuung der Patienten. Das sollte nicht der Fall sein. Wenn ich die Klinik abends verlasse, versuche ich, diese Themen ein Stück weit hinter mir zu lassen, was nicht immer gelingt. Eine gewisse persönliche Nähe zu den Erkrankten und Angehörigen motiviert allerdings auch dazu, so lange und so viel zu arbeiten, bis sich alle Beteiligten rundum gut betreut fühlen.
>Wovon träumen Sie beruflich?
In Bezug auf die Forschung habe ich mich in den vergangenen Jahren viel mit Glioblastomen und diffus intrinsischen Ponsgliomen beschäftigt. Deren molekulare Charakterisierung hat lange Zeit nicht besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Prognose dieser Patienten ist nach wie vor ungünstig und es gibt kaum eine wirksame Therapie. Aus einer Reihe von internationalen Studien unter anderem aus unserer Gruppe, sind in den letzten Jahren sehr interessante Ergebnisse hervorgegangen. Sie helfen uns, die grundlegende Biologie dieser Tumoren endlich zumindest ansatzweise zu verstehen. Es wäre sehr schön zu sehen, wie wir durch eben diese Erkenntnisse eines Tages in der klinischen Anwendung betroffenen Patienten helfen können, auch wenn es bis dahin noch ein sehr weiter Weg sein wird. Davon mal ganz abgesehen würde ich gerne eine Tischlerlehre machen, um eine Holzwerkstatt betreiben zu können, aber ich bin mir nicht sicher, inwieweit sich das mit meiner Facharztausbildung vereinbaren lässt, das dürfte wohl eher schwierig werden.
[1] Selma - Meyer- Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) 2013, Richtzenhain- Preis des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) 2013 und Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2013.