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  • 09.02.2006

Notfall: Herztod beim Sport

Stuttgart, Halbmarathon 2005: Zwei Männer - 42 und 28 Jahre - brechen zusammen und sterben wenig später. Ihre Diagnose lautet: "plötzlicher Herztod". Nachrichten wie diese erschüttern. Ist Sport gefährlicher, als wir denken? Priv.-Doz. Dr. med. Kai Röcker von der Sportmedizin der Uniklinik Freiburg schildert einen Fall und erklärt die Hintergründe des "Sudden Cardiac Death".

Tödlicher Ehrgeiz: Marathonlauf

Marathonlauf - das klingt nicht nach bravem, gesundem Ausdauersport, sondern vor allem nach Abenteuer und Herausforderung. Auch Alexander hat das "Lauffieber" gepackt. Als der Startschuss zu seinem ersten Marathon fällt, ist er 31 Jahre alt. Bei strahlendem Sonnenschein stehen an der Strecke viele Zuschauer. Durch ihr Klatschen und ihre Zurufe beflügelt, nimmt Alexander enthusiastisch die ersten Kurven. Eine konkrete Zeit hat er sich nicht vorgenommen, er will nur ankommen. Zwar hat er seit seiner Schulzeit kaum Sport getrieben, aber in den letzten vier Monaten vor dem Start konnte er noch einige Laufkilometer absolvieren. Außerdem war er immer gesund. Zigaretten hat er nie angerührt. Seinen Blutdruck und die Blutfettwerte hat der Hausarzt noch als "bestens" bezeichnet. Dennoch wird Alexander das Ziel des Marathonlaufes nicht erreichen.

 

Foto: Priv.-Doz. Dr. med. Kai Röcker

 

Bis zur 20-km-Marke genießt er die Atmosphäre mit den vielen Läufern und Schaulustigen um sich herum in vollen Zügen. Danach werden die Beine mit jedem Kilometer schwerer - nichts Ungewöhnliches beim ersten Marathon. Alexander ahnt nicht, dass er in Gefahr schwebt, ein ähnliches Schiksal zu erleiden wie eine seiner Verwandten: Die Schwester seines Vaters war jung an einem "Herzschlag" gestorben. Ein einziges Mal hatte Alexander während des Trainings einen leichten Schwindel und ein drückendes Gefühl in der Brust verspürt. Das war aber nach wenigen Sekunden wieder verschwunden, und er macht sich deswegen keine Sorgen.

An der Kilometermarke 31 befällt ihn plötzlich wieder dieses Gefühl. Diesmal verschwindet es nicht. Ihm wird so schwindelig, dass er sich auf den Boden setzen muss. Sofort werden einige Zuschauer aufmerksam: "Hallo, geht es Ihnen nicht gut?", sprechen sie ihn an. Alexander verliert das Bewusstsein und kippt um. Glücklicherweise erreichen ihn nach wenigen Minuten professionelle Helfer und beginnen mit der Reanimation. Er hat einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Schnell wird auch die Ursache dafür klar: eine schwerwiegende Herzrhythmusstörung, Kammerflimmern! Der Notarzt setzt ihm die Elektroden des Defibrillators auf den Brustkorb und jagt ihm 200 J durch den Körper. Das Herz flimmert weiter. Erst mit dem zweiten Stromstoß gelingt es, das Kammerflimmern zu durchbrechen - Alexanders Herz schlägt wieder im Sinusrhythmus.

 

Herzflimmern

Ein unbehandeltes Kammerflimmern führt innerhalb kurzer Zeit zum Tode. Ein Tod, der in diesem Fall einen Namen hat: Es ist der "plötzliche Herztod" - auf Englisch "Sudden Cardiac Death" (SCD). Beim Kammerflimmern "zittern" die Herzwände nur noch, und das Herz kann kein Blut mehr in den Kreislauf pumpen. Wenn den Patienten nicht schnell geholfen wird, kommt es durch den Sauerstoffmangel in Gehirn und Herz zu einem Gewebeuntergang, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Alexander hat Glück: Durch die Defibrillation und den Einsatz von Notfallmedikamenten gelingt es den Helfern, den normalen Herzrhythmus wiederherzustellen und den Kreislauf zu stabilisieren. Entscheidend für den Erfolg ist dabei, dass die Hilfe schnell kommt und dass die Helfer routiniert das so genannte ABCD-Schema anwenden - die wichtigste Faustregel für die Reihenfolge der Reanimationstechniken.

 

Der Tod läuft mit

Jede Reanimation auf dem Sportplatz oder am Straßenrand eines großen Stadtlaufes erregt unweigerlich öffentliche Aufmerksamkeit - besonders, weil die Opfer häufig nicht überleben. Dies ist umso irritierender, wenn vermeintlich gesunde, junge Sportler betroffen sind. Manchmal trifft es sogar hochtrainierte Profis, deren ganzes Leben auf höchstmögliche Fitness und Gesundheit ausgerichtet war. Allein im Fußball haben sich in der jüngsten Vergangenheit einige derartige Fälle mit fatalem Ausgang ereignet. So starb zum Beispiel im Sommer 2003 Kameruns Nationalspieler Marc-Vivien Foé noch während eines Fußballspiels. Es fällt schwer zu akzeptieren, dass solche Todesfälle überhaupt auftreten. Haben wir denn nicht gelernt, dass Sport das Leben verlängert?

 

Ist Sport Mord?

Diese Frage kann man mit einem klaren "Nein!" beantworten. Sport und körperliches Training verlängern - statistisch betrachtet - eindeutig die Lebensdauer. Dies ist vor allem die Folge eines verringerten Arteriosklerose-Risikos. Die Ersten, die diesem Zusammenhang auf die Spur kamen, waren die Engländer: Bereits in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts stellten sie fest, dass die Fahrer der Londoner Doppeldeckerbusse weit häufiger an tödlichen Herzinfarkten verstarben als die Schaffner. Der vermutete Grund: Die Schaffner verrichteten durch das Auf- und Absteigen zwischen den Busetagen tagaus, tagein weit mehr körperliche Arbeit als die Fahrer. Letzte Zweifel an diesen Erkenntnissen wurden 40 Jahre später ausgeräumt: Die "Harvard Alumni Study" bewies eindeutig einen positiven Zusammenhang zwischen dem wöchentlichen Energieverbrauch und einem Zugewinn an Lebensjahren. Je mehr Kalorien die Probanden der Studie - über 16.000 Harvard-Absolventen - jede Woche durch körperliche Arbeit verbrannten, desto höher war ihre Lebenserwartung.

Sport hat also grundsätzlich eine lebensverlängernde Wirkung. Wie aber passt diese Tatsache zu den zahlreichen Berichten von SCD beim Sport? Die Antwort liegt auf der Hand: Auch wenn Sport - insbesondere Ausdauersport - das Leben insgesamt verlängert, besteht während sportlicher Aktivität durchaus ein kurzfristig erhöhtes Risiko. Auf das gesamte Leben bezogen, überdecken die positiven Wirkungen des Sports diese akute "Übersterblichkeit" jedoch deutlich. Diese positive Bilanz könnte durch entsprechende Vorsorge sogar noch weiter verbessert werden. Auch wenn in den Medien vor allem Berichte von tödlich betroffenen Profisportlern kursieren, gilt prinzipiell "je besser trainiert, desto geringer das Risiko". Leistungssportler sterben keineswegs häufiger als Untrainierte.

Auch Alexander hat sich mit seinen vier Monaten Dauerlauftraining nicht angemessen auf einen Marathonlauf vorbereitet. Eine Strecke von über 42 km sollte sinnvollerweise erst nach einem mehrjährigen Trainingsaufbau bestritten werden. Nun liegt er verkabelt am Monitor in einem Krankenhaus, in das man ihn mit heulenden Sirenen und Blaulicht eingeliefert hat - gedanklich und räumlich weit entfernt von der Marathonstrecke. Als er sich allmählich von den Strapazen der Reanimation erholt, wird anhand der EKGs und mit Hilfe der Echokardiographie eine Erkrankung festgestellt, bei der ihm allerdings auch der beste Trainingsaufbau nicht geholfen hätte.

 

Sudden Cardiac Death

Die Definition der WHO für den SCD lautet: Plötzlicher tödlicher Kollaps, der nach Symptomen von höchstens einer Stunde Dauer eintritt. Das Wort "plötzlich" legt es nahe: Ein SCD trifft die Opfer oft wie aus heiterem Himmel. Innerhalb von Sekunden oder Minuten kommt es zum Bewusstseinsverlust, weil das Gehirn nicht mehr durchblutet wird. Typischerweise gehen dem SCD keine unmittelbaren Warnsymptome voraus.

Allerdings ist der Ausdruck "plötzlicher Herztod" irreführend - nicht alle Betroffenen sterben zwangsläufig. In Deutschland erleiden jährlich über 100.000 Menschen einen SCD mit Todesfolge. In den allermeisten Fällen trifft es die Menschen im Alltag oder sogar im Schlaf, auch Patienten im Krankenhaus sind häufige Opfer. Fatale Herzrhythmusstörungen, die zu einem SCD führen, können aber auch durch Sport ausgelöst werden. Nach den Erfahrungswerten früherer Laufveranstaltungen kommt auf jeweils 30.000 bis 50.000 Absolventen eines Marathonlaufes ein Todesfall durch SCD. Bei jedem New-York-Marathon muss also statistisch gesehen damit gerechnet werden, dass einer der Läufer verstirbt. Trotzdem sei noch einmal daran erinnert: In der Gesamtbilanz ist Sport unbedingt gesundheitsfördernd - auch wenn das im tragischen Einzelfall natürlich kein Trost ist.

 

Foto: Priv.-Doz. Dr. med. Kai Röcker

 

Wenn die Maßnahmen zur Wiederbelebung schnell einsetzen, sind die Überlebenschancen bei Kammerflimmern generell recht gut. Aus diesem Grund werden derzeit in einigen Sportstadien automatische, externe Defibrillatoren installiert. Mit ihnen können auch Personen ohne medizinische Ausbildung die Defibrillation durchführen. Wie sinnvoll solche "Laien-Defis" aber wirklich sind, wird man erst in einigen Jahren wissen, wenn entsprechende Studien vorliegen.

Alexander hat "seinen" SCD glücklich überlebt. Wie bei allen Patienten, die einen SCD überstanden haben, muss auch bei ihm intensiv nach den Gründen für das Ereignis gesucht werden. Bleiben die Ursachen bestehen, ist ein erneuter SCD nur eine Frage der Zeit. Bei Alexander kommen die Internisten dem Auslöser für den Zusammenbruch rasch auf die Schliche: Der junge Patient leidet unter einer hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) - der Herzmuskel ist deutlich verdickt. Er wird für den Rest seines Lebens kardiologisch betreut und behandelt werden müssen.

 

Aus heiterem Himmel, aber nicht ohne Grund

In den allermeisten Fällen ist bei einem SCD das Herz vorgeschädigt. Aus einer elektrischen Instabilität heraus entstehen schwere Herzrhythmusstörungen - der SCD wird ausgelöst. Auf welche Art das Herz vorgeschädigt ist, hängt stark vom Alter der Betroffenen ab. Bei Personen, die älter sind als 40 Jahre, ist in über 70 Prozent der Fälle eine koronare Herzkrankheit verantwortlich, wenn bei sportlicher Aktivität ein SCD auftritt. Bei jüngeren Sportlern unter 40 ist die koronare Herzerkrankung hingegen nur zu 20 Prozent die Ursache. Da sportlich aktive Menschen im Durchschnitt aber deutlich jünger sind als 40 Jahre, sind insgesamt eher strukturelle Herzerkrankungen der häufigste Auslöser für einen SCD beim Sport. Führend ist hierbei die HCM. Weitere Ursachen sind zum Beispiel Anomalien der Koronararterien, Herzmuskelentzündungen oder die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie, eine angeborene Erkrankung, bei der es zu fibrinös-fettigen Gewebeeinlagerungen kommt.

Die häufigste Ursache für den SCD beim Sport - die HCM - ist eine angeborene Herzerkrankung, die sich bei etwa 0,2 Prozent unserer Bevölkerung findet. Die Krankheit führt mit den Jahren zu einer deutlichen Verdickung der Herzwände, die vor allem in der Echokardiographie sichtbar wird. Als Folge treten auch EKG-Veränderungen auf, die in der Regel aber zu unspezifisch sind, um die Diagnose zu sichern. Bei Menschen, die intensiv Sport treiben, sollte man im Hinterkopf behalten, dass sich der Herzmuskel nicht nur durch Krankheit, sondern auch durch die Trainingsanpassung verändert. Im Einzelfall kann es deshalb schwierig sein, eine sportbedingte Herzvergrößerung von einer HCM zu unterscheiden. Bei Alexander ist die Diagnose aus der Echokardiographie und dem EKG jedoch eindeutig ersichtlich. Da er nur einzelne Monate seines Lebens Sport betrieben hatte, sind die erkennbaren Veränderungen mit höchster Wahrscheinlichkeit durch eine HCM bedingt.

Etwa 5 bis 10 Prozent der SCD-Fälle mit Herzrhythmusstörungen treten ohne eine strukturelle Herzerkrankung auf. Verantwortlich sind bei diesen Patienten stattdessen zum Beispiel stumpfe Traumen des Oberkörpers oder angeborene Herzrhythmusstörungen, wie das "Long QT"-Syndrom oder das Brugada-Syndrom, das durch ST-Streckenhebungen ohne eine Verlängerung der QT-Zeit gekennzeichnet ist.

 

Schutz und Therapie

Nur extra spezialisierte Sportmediziner können bei bestimmten Erkrankungen das Risiko beim Sport für den Patienten sicher einschätzen. Sportorganisationen, wie der Bundesausschuss für Leistungssport, finanzieren ihren Kadern von Hochleistungssportlern daher jährliche Vorsorgeuntersuchungen an eigens lizenzierten, hochspezialisierten sportmedizinischen Untersuchungszentren. Nun sind die wenigsten Teilnehmer von Sportwettkämpfen Mitglied in einem Leistungskader. Wer dennoch Extrembelastungen wie einen Marathonlauf plant, sollte sich daher auf eigene Faust auf eventuelle Erkrankungen untersuchen lassen.

Obwohl konkrete Warnsymptome in der Regel fehlen, klagen fast die Hälfte aller später an SCD verstorbenen Personen irgendwann einmal über Beschwerden, die eine frühe Diagnose möglich gemacht hätten. Dies bedeutet umgekehrt aber auch, dass fehlende Beschwerden eine schwerwiegende Herzerkrankung keinesfalls ausschließen. Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung besteht eine differenzierte sportärztliche Untersuchung aus einem EKG in körperlicher Ruhe, einer Echokardiographie, einem EKG unter sportspezifischer maximaler Ausbelastung, Blutdruckmessung und einer Blutuntersuchung. Natürlich kann das komplette Programm nicht bei allen Teilnehmern von Sportveranstaltungen durchgeführt und schon gar nicht über die Krankenkassen finanziert werden. Bei konkreten Beschwerden, wenn zum Beispiel Synkopen unklarer Ursache aufgetreten sind oder bei auffälliger Familienanamnese, müssen allerdings alle der genannten Untersuchungen erfolgen! Eventuell sollten ein Langzeit-EKG, elektrophysiologische Tests oder weitere Spezialuntersuchungen ergänzt werden. Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie kann beispielsweise auf nichtinvasivem Wege nur mittels Kernspintomographie eindeutig diagnostiziert werden. Kommt diese seltene Erkrankung in der Familie vor, sollte man dem Sportler dringend dazu raten.

Wenn bei einem Sportler eine Grunderkrankung festgestellt wurde oder er - wie Alexander - sogar einen SCD überlebt hat, muss die sportliche Aktivität normalerweise deutlich reduziert, in manchen Fällen sogar komplett eingestellt werden. Im Einzelfall kann eine medikamentöse Behandlung helfen, das Risiko für die Betroffenen zu senken. Bei Patienten mit HCM kann man mit negativ inotropen Substanzen wie Verapamil oder Betabblockern versuchen, das Herz zu entlasten. Allerdings hat eine solche symptomatische Therapie keinen Einfluss auf die Prognose. Oft bleibt als letzte und lebenserhaltende Maßnahme nur die Implantation eines internen Defibrillators, eines so genannten "ICD".

Seit seinem Marathon-Abenteuer lebt auch Alexander mit solch einem Gerät in der Brust. Ihm ist aber klar, dass nicht der Marathonlauf Schuld an seiner Krankheit hat - im Gegenteil, manchmal denkt er fast dankbar daran, denn: Früher oder später hätte ihn das Schicksal eines SCD sowieso ereilt. In einer anderen Lebenssituation dann aber möglicherweise ohne die Nähe einer Rettungsmannschaft ...

 

 

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